Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 40/2004
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H 40/04

Urteil vom 4. August 2004

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Arnold

D.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt L. Stamm,
Pilgerstrasse 22, 5405 Baden,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 16. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
A.a  Die von den Brüdern B.________ beherrschte D.________ AG betrieb den
Anbau, die Aufzucht, die Verarbeitung sowie den Handel von Hanfpflanzen und
-produkten in grossem Umfang (mehrere Dutzend Angestellte, für 1998 ist ein
Umsatz von Fr. 3'800'000.- ausgewiesen), bis sich im Oktober 1998 Polizei und
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau mit den Aktivitäten zu befassen
begannen. Die Untersuchungsorgane beschlagnahmten am 24. Oktober 2000 Bargeld
im Betrag von Fr. 33'440.- und verfügten eine Sperre über das
Firmen-Postcheckkonto. Mit Anklageschriften vom 5. Oktober 2000 und 20.
September 2001 unterbreitete die Staatsanwaltschaft dem Bezirksgericht Baden
Strafanträge gegen die Gebrüder Bo.________, je lautend auf vier Jahre
Zuchthaus, Fr. 30'000.- Busse, Einziehen der beschlagnahmten Hanfpflanzen und
Hanfprodukte sowie "Einziehen eines Anteils des Gewinnes aus Verkauf von
Hanfprodukten von je Fr. 500'000.- oder nach richterlichem Ermessen, unter
solidarischer Haftbarkeit". Mit rechtskräftigen Urteilen vom 4. April 2002
verurteilte das Bezirksgericht Baden die Angeschuldigten zu je 18 Monaten
Gefängnis bedingt sowie Fr. 30'000.- Busse und auferlegte ihnen ferner die
Verpflichtung, "...in solidarischer Haftbarkeit mit den Mitangeklagten (...),
dem Staat Aargau, (...), vom widerrechtlich erzielten Drogenerlös den Betrag
von Fr. 250'000.- abzuliefern".

A.b  Die Ausgleichskasse des Kantons Aargau, welcher die D.________ AG seit
1.
Januar 1998 als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen ist, erhob die
paritätischen Lohnbeiträge im monatlichen Pauschalbezugsverfahren. Nachdem
die aus den Schlussabrechnungen für die Beitragsjahre 2000 und 2001 zu
Gunsten der Ausgleichskasse lautenden Saldi von Fr. 98'950.70 und Fr.
34'158.85 durch die Firma nicht beglichen worden waren, erliess die Kasse am
3. Juli 2001 und 22. Mai 2002 je eine Veranlagungsverfügung, mit welcher sie
die erwähnten paritätischen Beiträge (zuzüglich Verwaltungs- und
Zahlungsbefehlkosten sowie Verzugszinsen) einforderte.

B.
Die von der D.________ AG hiegegen erhobenen Beschwerden vereinigte das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau in einem Verfahren und wies sie mit
Entscheid vom 16. Dezember 2003 ab.

C.
Die D.________ AG lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren:
"Die Veranlagungsverfügungen der Ausgleichskasse vom 3. Juli 2001 sowie vom
22. Mai 2002 seien im Sinne der nachfolgenden Erwägungen aufzuheben
respektive zu korrigieren.

Es sei festzustellen, dass Fr. 122'304.00 zu viel an Beiträgen eingefordert
worden sind. Diese Beträge seien der Gesuchstellerin gutzuschreiben.

Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten des Staates."
Während die Ausgleichskasse dem kantonalen Gerichtsentscheid beipflichtet,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden,
als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im
vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der
Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen
verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

2.
2.1 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.2  Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische
Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht
gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um
die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.

2.3  Nachdem das Eidgenössische Versicherungsgericht an die Begründung der
Begehren nicht gebunden ist (Art. 114 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 132 OG),
prüft es von Amtes wegen, ob der angefochtene Entscheid Bestimmungen des
öffentlichen Rechts des Bundes verletzt oder ob die Vorinstanz ihr Ermessen
überschritten oder missbraucht hat (Art. 104 lit. a OG). Es kann deshalb ohne
Rücksicht auf die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen oder die von der
Vorinstanz berücksichtigten Gründe eine Beschwerde gutheissen oder abweisen
(BGE 118 V 70 Erw. 2b, 116 V 257 Erw. 1 mit Hinweisen).

3.
Es steht fest und ist zu Recht allseits unstrittig, dass die Ausgleichskasse
gestützt auf Art. 5 Abs. 2 AHVG berechtigt war, die von der Gesellschaft an
die mitarbeitenden Brüder B.________ während der Jahre 2000 und 2001
ausbezahlten Löhne verfügungsweise der paritätischen Beitragspflicht zu
unterwerfen, wie dies überhaupt für die Entgelte an das beschäftigte Personal
(insgesamt mehrere Dutzend Personen) zutrifft. Insbesondere ist der Umstand,
dass die mit massgebendem Lohn entschädigte Arbeit gegen die Rechtsordnung,
namentlich die Betäubungsmittelgesetzgebung verstösst,
sozialversicherungsrechtlich unerheblich. Ob Schwarzarbeit (vgl. BGE 118 V 79
Erw. 2 mit Hinweisen), Schmiergeldzahlungen (BGE 115 V 1) oder Dirnenlohn
(BGE 107 V 193) - die Beitragspflicht nach AHVG erfasst auch Entgelte für
unsittliche oder widerrechtliche Tätigkeiten. Dies wird denn auch als
solches, wie sich aus den Vorbringen der Beschwerdeführerin im kantonalen
Prozess ausdrücklich ergibt, weder im Grundsatz noch im Masslichen in Frage
gestellt. Umstritten ist zwischen Vorinstanz und Ausgleichskasse einerseits
und der Beschwerde führenden Arbeitgeberin andererseits einzig, ob die
(formell rechtskräftige) strafrechtliche Sanktion der Einziehung von
Vermögenswerten (vgl. Sachverhalt A.a. vorstehend am Ende) der
sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht entgegensteht. Dies ist als
Frage des Bundesrechts vom Eidgenössischen Versicherungsgericht frei zu
prüfen (Erw. 2.1).
3.1
3.1.1Das kantonale Gericht erwog, der widerrechtlich erzielte Erlös,  welcher
von den Gebrüdern B.________ (in solidarischer Haftbarkeit) im Umfang von
insgesamt Fr. 750'000.- an den Staat zurückzuerstatten sei, unterstehe
seinerseits der Beitragspflicht. Demnach wäre es grundsätzlich korrekt, die
davon in Abzug gebrachten Sozialversicherungsbeiträge zurückzuerstatten bzw.
gutzuschreiben, wie dies von der Beschwerdeführerin geltend gemacht werde.
Die Ausgleichskasse verweigere eine Korrektur der Jahresrechnung denn auch
nicht grundsätzlich, sondern verweise auf die dafür notwendigen Angaben
seitens der Beschwerdeführerin, insbesondere die Angaben über die
Beitragsdauer und den Bruttolohn des entsprechenden Jahres sowie eine
Unterschrift des verantwortlichen Organs. In der Folge gelangte das kantonale
Gericht indes zum Schluss, durch die strafrechtliche Einziehung der Fr.
750'000.- an den Staat verringere sich die Lohnsumme in den hier
massgeblichen Jahren 2000 und 2001 nicht proportional im Ausmass der
Rückerstattung. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der aus dem Verkauf von
Hanfprodukten erzielte Gewinn nicht ausschliesslich für Lohnzahlungen,
sondern auch für andere Verpflichtungen oder Bedürfnisse der Firma verwendet
worden sei. Ausserdem würden die Tathandlungen gemäss der Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft vom 5. Oktober 2000 zum allergrössten Teil in die Zeit vor
2000 fallen, nämlich in den Zeitraum von Ende 1996 bis zum 24. Mai 2000.
Somit würden die Lohnzahlungen der Jahre 2000 und 2001 von der Ablieferung
des überwiegend früher erzielten Drogenerlöses nicht wesentlich tangiert.

3.1.2  Die Beschwerdeführerin hält dem namentlich entgegen, über die (hohen)
Lohnzahlungen hinaus hätten die Gebrüder B.________ keine wirtschaftlichen
Vorteile aus den Aktivitäten im Bereich Hanfproduktion und -handel gezogen.
Es könne nicht sein, dass Sozialversicherungsbeiträge erhoben würden auf
Löhnen, die gar nicht an den Lohnempfänger fliessen oder - wie im hier zu
beurteilenden Fall - im Weg der Einziehung dem Staat zurückzuzahlen seien.

3.2
3.2.1Die Einwendung der Beschwerdeführerin, die Gebrüder B.________ hätten
aus dem Hanfanbau und -vertrieb ausschliesslich in Form der (Gegenstand der
paritätischen Beitragspflicht bildenden) Lohnbezüge profitiert, ist als nicht
glaubhaft zu verwerfen. Das kantonale Gericht hat gestützt auf die bei den
Akten liegende Anklageschrift in für das Eidgenössische Versicherungsgericht
verbindlicher Weise festgestellt (Erw. 2.1), dass die D.________ AG allein im
Jahr 1998 einen Umsatz von Fr. 3'800'000.- und einen Gewinn von Fr. 880'000.-
ausgewiesen hat. Wird berücksichtigt, dass die an die Gebrüder B.________
ausgerichteten Löhne in der Buchhaltung entsprechend kaufmännischen
Gepflogenheiten als Aufwand verbucht worden sein müssen, wird klar, dass der
ausgewiesene hohe Firmengewinn für das Geschäftsjahr 1998 sich nach Abzug der
bezogenen Löhne versteht. Mit Blick auf die dominierende rechtliche und
wirtschaftliche Stellung, welche den Gebrüder B.________ bei der D.________
AG zukommt, widerspricht es jeder wirtschaftlichen Erfahrung, dass diese -
nebst den Löhnen - nicht auch an der Gewinnverwendung beteiligt gewesen sein
sollten. Dieser Schluss drängt sich umso mehr auf, als laut Anklageschrift
vom 5. Oktober 2000 das Hanfgeschäft zum grössten Teil über die Firma
D.________ AG abgewickelt wurde, "zum Teil aber auch über weitere
Gesellschaften, welche von den drei Angeklagten beherrscht werden, nämlich
Baumschule B.________ GmbH, F.________ GmbH und Gärtnerei M.________ GmbH".
Nach dem Gesagten besteht daher keine tatsächliche Beziehung zwischen der
strafrechtlich angeordneten Einziehung zu den an die mitarbeitenden
Firmenverantwortlichen ausgerichteten massgebenden Löhnen. Davon  abgesehen
steht im Übrigen auf Grund der Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde fest, dass die Gebrüder B.________ der
strafrechtlichen Einziehungspflicht bisher nicht nachgekommen sind; ja es ist
bei der geschilderten Situation ungewiss, ob die Verurteilten hiezu jemals in
der Lage sein werden.

3.2.2  Es besteht aber nicht nur keine tatsächliche (Erw. 3.2.1) sondern auch
keine rechtliche Beziehung zwischen der strafrechtlichen Einziehung und der
sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht:

Nach Art. 59 Ziff. 1 StGB (SR 311.0; Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 18.
März 1994, in Kraft seit 1. August 1994 [AS 1994 1614 ff.; BBl 1993 III 277])
verfügt der Richter die Einziehung u.a. von Vermögenswerten, die durch eine
strafbare Handlung erlangt worden sind, sofern sie nicht dem Verletzten zur
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden (Abs. 1).
Der Begriff der von einer Einziehung erfassten Vermögenswerte ist weit, indem
er alle wirtschaftlichen Vorteile erfasst, gleichgültig ob sie in einer
Vermehrung der Aktiven oder einer Verminderung der Passiven bestehen
(Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., N 2 zu
Art. 59 mit Hinweis auf die Botschaft in BBl 1993 III 307). Der
strafrechtlich relevante Begriff des Vermögens, welches der Einziehung
unterliegt, nimmt somit keine Spezifizierung auf bestimmte Einkommensarten
oder Aktiva vor und lässt insbesondere jeden Bezug zum allein der
AHV-rechtlichen Beitragspflicht unterworfenen Erwerbseinkommen (Art. 4 Abs. 1
AHVG) vermissen. Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern die (vollzogene;
vgl. dazu Erw. 3.2.1 in fine) strafrechtliche Einziehung als Erlöschungsgrund
für eine ausgewiesene sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht zu
verstehen wäre. Dagegen spricht auch die Verschiedenheit der Rechtssubjekte:
von der Einziehungspflicht betroffen sind die Arbeitnehmenden, von der
Beitragsablieferungspflicht dagegen die Arbeitgeberin.

3.2.3  Daraus ergibt sich zusammenfassend, dass die Einziehung als
strafrechtliche Sanktion an den sozialversicherungsrechtlichen Pflichten,
welche auf den von ihr erfassten Einkommens- oder Vermögenswerten bestehen,
nichts zu ändern vermag.

4.
Bei diesem Ausgang des kostenpflichtigen Verfahrens (Art. 134 OG e contrario)
sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen
(Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidgenössische Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt
und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 4. August 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: