Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 235/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


H 235/04

Urteil vom 18. April 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Schüpfer

1. M.________,

2. O.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Fürsprecher
Dr. Willi Egloff, Zinggstrasse 16, 3007 Bern,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung
Beiträge und Zulagen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 8. November 2004)

Sachverhalt:

A.
O. ________ war seit Juli 1999 Präsident der Genossenschaft K.________,
M.________ amtete als deren Kassier und Sekretär. Die Genossenschaft führte
das Restaurant A.________ und war bei der Ausgleichskasse des Kantons Bern
als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Am 16. Juli 2001 wurde
über sie der Konkurs eröffnet und am 12. Oktober 2001 mangels Aktiven wieder
eingestellt. Die Ausgleichskasse erliess am 17. Oktober 2002 unter anderem
gegen O.________ und M.________ Schadenersatzverfügungen, mit welchen sie für
entgangene AHV/IV/EO/ALV- und FAK-Beiträge inklusive Verzugszinsen den Betrag
von je Fr. 42'658.35 verlangte. Die Betroffenen erhoben Einspruch.

B.
Die Ausgleichskasse reichte Klagen auf Zahlung von Schadenersatz im verfügten
Umfang ein, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Bern unter Vereinigung
der beiden Verfahren im Umfang von Fr. 21'637.05 guthiess und im
weitergehenden Betrag abwies.

C.
O.________ und M.________ lassen mit dem Antrag Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen, der vorinstanzliche Entscheid sei insoweit aufzuheben, als sie zu
Schadenersatz verurteilt würden und die Klagen der Ausgleichskasse seien
vollumfänglich abzuweisen.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur soweit eingetreten werden, als
die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden
Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Umfang
nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung für
entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse richtet (vgl.
BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis). Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
aufgeworfene Frage, ob die Ausgleichskasse des Kantons Bern zur Klageerhebung
für die Familienzulagen überhaupt aktivlegitimiert gewesen sei, kann daher
offen gelassen werden.

2.
Da es sich bei den angefochtenen Verfügungen nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die zeitliche
Anwendung des seit 1. Januar 2003 in Kraft stehenden Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG; BGE
130 V 1, 129 V 4 Erw. 1.2; vgl. auch AHI 2004 S. 111, je mit Hinweisen)
zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Bestimmungen über die
Arbeitgeberhaftung (Art. 52 in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung;
Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) sowie die hiezu
ergangene Rechtsprechung, insbesondere über die subsidiäre Haftung der Organe
eines Arbeitgebers (BGE 123 V 15 Erw. 5b mit Hinweisen), den zu ersetzenden
Schaden (BGE 129 V 195 Erw. 2.2, 126 V 444 Erw. 3a, 123 V 15 Erw. 5b, 121 III
384 Erw. 3bb, je mit Hinweisen), die erforderliche Widerrechtlichkeit (BGE
118 V 195 Erw. 2a mit Hinweisen), die Voraussetzung des qualifizierten
Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b mit Hinweisen) sowie den adäquaten
Kausalzusammenhang (BGE 125 V 461 Erw. 5a, 119 V 406 Erw. 4a; AHI 1996 S. 292
Erw. 4, je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

4.
Streitig und zu prüfen ist die Haftung der Beschwerdeführer für die Ausstände
der Jahre 1999 bis 2001. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens bildet der
Schadenersatz für entgangene Beiträge gemäss Nachzahlungsverfügung vom 15.
Dezember 2000.
Die Beschwerdeführer rügen, das kantonale Gericht habe die Höhe des von der
Ausgleichskasse erlittenen Schadens im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG
offensichtlich unrichtig festgestellt:
4.1 Vorerst wird geltend gemacht, für den von der Vorinstanz mit
berücksichtigten Schaden für entgangene Beiträge an die
Familienausgleichskasse mangle es der Beschwerdegegnerin an der
Aktivlegitimation. Diesbezüglich wird auf Erwägung 1 hievor verwiesen.

4.2 Es wird weiter vorgebracht, im angefochtenen Entscheid sei zu Unrecht
nicht berücksichtigt worden, dass erst ab Dezember 2000 ein grösserer
Ausstand gegenüber der Ausgleichskasse belegt sei. Im Zeitpunkt, als die
unbezahlt gebliebenen Forderungen fällig geworden seien, sei die
Genossenschaft bereits überschuldet gewesen. Die Beschwerdeführer treffe
daher kein Verschulden; der Kausalzusammenhang zwischen einem eventuellen
Fehlverhalten und dem eingetretenen Schaden sei unterbrochen worden.

4.2.1 Diese Argumentation widerspricht der Aktenlage. Arbeitgeber haben der
Ausgleichskasse die Beiträge monatlich, oder, wenn sie nur wenige
Arbeitnehmer beschäftigen (Art. 34 Abs. 1 lit. a AHVV in der bis 31. Dezember
2000 geltenden Fassung), beziehungsweise wenn die jährliche Lohnsumme 200'000
Franken nicht übersteigt (Art. 34 Abs. 1 lit. a AHVV in der ab 1. Januar 2001
in Kraft stehenden Fassung), vierteljährlich zu bezahlen. Die für eine
Zahlungsperiode geschuldeten Beiträge sind innert zehn Tagen nach deren
Ablauf zu bezahlen (Art. 34 Abs. 4 AHVV in der Fassung bis Ende 2000 bzw.
Abs. 3 in der seit 1. Januar 2001 in Kraft stehenden Fassung). Bereits die
Beitragsrechnung für das 1. Quartal 1999 wurde erst nach einer Mahnung vom
19. Mai am 27. Mai 1999 bezahlt. Auch die folgenden Quartalsrechnungen wurden
erst mit erheblicher Verspätung beglichen, sodass Ende 1999 bei Forderungen
im Gesamtbetrag von Fr. 36'598.40 erst Fr. 27'466.65 getilgt waren. Dasselbe
Bild ergibt sich für die Jahre 2000 und 2001. Damit kann nicht von einer
Zahlungsunfähigkeit bereits bei Fälligkeit der Beitragsforderungen gesprochen
werden. Dass, entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführer, der
Zahlungsrückstand nicht erst ab Dezember 2000 erfolgte, ergibt sich zudem aus
den für die Jahre 1999 und 2000 geschuldeten und nicht bestrittenen
Verzugszinsen in der Höhe von Fr. 1701.50 und Fr. 1452.55.
4.2.2 Wie die Vorinstanz weiter verbindlich feststellte, hat die konkursite
Genossenschaft für die Jahre 1999 bis 2001 gar keine Lohnbescheinigungen
eingereicht. Damit hat sie gegen die Vorschriften von Art. 14 Abs. 1 AHVG in
Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV verstossen, was grundsätzlich die volle
Schadenersatzpflicht der verantwortlichen Organe gemäss Art. 52 AHVG nach
sich zieht (BGE 118 V 195 Erw. 2a mit Hinweisen). Der Jahresabschluss 1999
wurde mit einer Verzögerung von 16 Monaten erstellt. Auch damit wurden die
elementarsten Regeln des Rechnungswesens nicht eingehalten, was als
grobfahrlässiges Verhalten zu qualifizieren ist. Diese Pflichtwidrigkeit
hatte zur Folge, dass die Beschwerdeführer erst viel zu spät über die
finanzielle Lage informiert wurden, womit die Ausstände gegenüber der
Ausgleichskasse anwachsen konnten.

5.
5.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird weiter argumentiert, ein
Verschulden entfalle, da die Beschwerdeführer als ehrenamtlich tätige
Mitglieder der Genossenschaftsverwaltung, die über keine buchhalterischen
Spezialkenntnisse verfügten, die Aufgaben der Führung des
Restaurantionsbetriebes und der Finanzbuchhaltung an qualifizierte
Mitarbeiter delegiert hätten. Sodann seien sie erst im Juli 1999 als Organe
der Genossenschaft gewählt worden, sodass sie frühestens ab jenem Zeitpunkt
für eventuelle Unregelmässigkeiten verantwortlich gemacht werden könnten.

5.2 Ein Verwaltungsratsmitglied einer Aktiengesellschaft tritt mit der
Mandatsübernahme in die Verantwortung sowohl für die laufenden als auch für
die verfallenen, von der Gesellschaft in früheren Jahren schuldig gebliebenen
Sozialversicherungsabgaben ein. Hinsichtlich beider Arten von
Verbindlichkeiten ist die Untätigkeit des Organs regelmässig kausal, sodass
hinsichtlich Schadenersatzpflicht keine unterschiedliche Behandlung angezeigt
ist. Am Erfordernis des Kausalzusammenhanges zwischen Untätigkeit des
Verwaltungsratsmitglieds und Nichtleistung von Beitragszahlungen, die bei
Eintritt in den Verwaltungsrat bereits ausstehend waren, mangelt es indes
ausnahmsweise, wenn die Gesellschaft bereits vor dem Antritt des neuen
Verwaltungsrates zahlungsunfähig war (BGE 119 V 401; AHI 1996 S. 292 Erw. 4;
Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in:
AJP 1996 S. 1081).
Dasselbe gilt auch für ein Mitglied der Verwaltung einer Genossenschaft, da
es ein verantwortliches Organ der juristischen Person und als solches
Arbeitgeber ist (vgl. BGE 123 V 15 Erw. 5b mit Hinweisen). Als Präsident und
Sekretär/Kassier der Genossenschaft haben die Beschwerdeführer ihre
Aufsichtspflichten gegenüber den als Geschäftsführer für die Genossenschaft
Handelnden grobfahrlässig missachtet und sind daher, wie die Vorinstanz zu
Recht erwägt, für die Ausstände gegenüber der Ausgleichskasse haftbar.
Hinweise, dass schon vor Juli 1999 eine Zahlungsunfähigkeit bestand, liegen
nicht vor und werden auch nicht behauptet. Zudem hat Ehrenamtlichkeit keinen
Einfluss auf die Haftung nach Art. 52 AHVG (AHI 2002 S. 52 Erw. 3c).

6.
6.1 Die Vorinstanz hat die Haftung für die mit Nachzahlungsverfügung vom 15.
Dezember 2000 veranlagten Fr. 20'288.45 für die Beitragsjahre 1994 bis 1997
mit der Begründung verneint, die Überschuldung sei bei Verfügungserlass
bereits eingetreten und somit die Nachforderung auch bei pflichtgemässer
Sorgfalt nicht mehr begleichbar gewesen. Die Beschwerdeführer wenden ein,
dasselbe müsse auch bezüglich der Forderungen für die Beitragsjahre 1999 bis
2001 gelten, da der grösste Teil der Ausstände erst Ende 2000 entstanden sei.

6.2 Auch diesem Einwand kann nicht gefolgt werden. Wie aufgezeigt (Erwägung
4.3.1 hievor) bestanden schon Ende 1999 Beitragsschulden gegenüber der
Ausgleichskasse. Die Genossenschaft bezahlte aber auch in den Folgejahren
2000 und 2001 erhebliche Lohnsummen aus. Sie musste sich bewusst sein, dass
sie dafür Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hatte. Der
Kausalzusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten der
Genossenschaftsorgane und dem eingetretenen Schaden wurde demnach nicht
unterbrochen. Bezüglich der mit Nachzahlungsverfügung erhobenen Beiträge, die
einen früheren Zeitraum betrafen, stand die Zahlungspflicht erst am 15.
Dezember 2000 fest. Zuvor war der Beitragsstatus der betroffenen Arbeitnehmer
umstritten, stellten sich diese doch auf den Standpunkt, sie seien
selbstständigerwerbend. Bezüglich der ab 1999 laufenden Löhne gab es indessen
nie Zweifel an der Beitragspflicht. Die haftungsrechtlich unterschiedliche
Beurteilung der beiden Veranlagungsperioden ist daher sachlich begründet.

7.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den beiden
Beschwerdeführern zu gleichen Teilen aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und Abs. 7
OG in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2400.- werden den Beschwerdeführern auferlegt und
mit den von ihnen geleisteten Kostenvorschüssen verrechnet. Der Restbetrag
von je Fr. 400.- wird ihnen zurückerstattet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 18. April 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: