Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 218/2004
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H 218/04

Urteil vom 5. Dezember 2005

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesricherin Leuzinger,  Bundesrichter Schön, Frésard
und Kernen; Gerichtsschreiberin Durizzo

T.________, 1933, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Michael
Weissberg, Zentralstrasse 47, 2502 Biel,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
Bern

(Entscheid vom 19. Oktober 2004)

Sachverhalt:

A.
T. ________, geboren 1933, bezog seit 1964 bei schwerer Hilflosigkeit eine
Hilflosenentschädigung zur Invalidenrente. Mit Schreiben vom 2. Februar 2004
beantragte er, dass seine Hilflosenentschädigung, welche er nunmehr seit 1.
Mai 1998 zur Altersrente bezog, wie bei Invalidenrentnern erhöht werde. Mit
Verfügung vom 10. März 2004 und Einspracheentscheid vom 31. Mai 2004 lehnte
die Ausgleichskasse des Kantons Bern einen entsprechenden Anspruch ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 19. Oktober 2004 ab.

C.
T.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei seine Hilflosenentschädigung
wegen Hilflosigkeit schweren Grades rückwirkend per 1. Januar 2004 auf Fr.
1'688.- heraufzusetzen.

Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliessen
auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung (Art. 43bis Abs. 1 AHVG, Art. 9 ATSG) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Auf den 1. Januar 2004 (In-Kraft-Treten der 4. IV-Revision) hat die
Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung (im Folgenden: HE-IV) für
Personen, welche zu Hause (also nicht in einem Heim) leben, eine Verdoppelung
erfahren (vgl. Art. 42ter Abs. 1 und 2 IVG). Die prozentualen Ansätze
orientieren sich nun am Höchstbetrag der Altersrente nach Art. 34 Abs. 3 und
5 AHVG (Art. 42ter Abs. 1 Satz 3 IVG). Demgegenüber bemisst sich die
Hilflosenentschädigung der AHV (im Folgenden: HE-AHV) nach wie vor in
Prozenten des Mindestbetrages der Altersrente (Art. 43bis Abs. 3 AHVG).

3.
Der Beschwerdeführer mit Jahrgang 1933 bezog seit 1964 bei schwerer
Hilflosigkeit eine HE-IV, welche mit Erreichen des AHV-Rentenalters per Mai
1998 durch eine HE-AHV abgelöst wurde. Nachdem die HE-IV für
Nichtheimbewohner verdoppelt worden ist (Erw. 2), stellt er sich auf den
Standpunkt, dass seine HE-AHV ebenfalls entsprechend zu erhöhen sei. Dabei
beruft er sich auf Art. 43bis Abs. 4 AHVG.

4.
Nach Art. 43bis Abs. 4 AHVG wird einer hilflosen Person, welche bis zum
Erreichen des Rentenalters oder dem Rentenvorbezug eine HE-IV bezogen hat,
die Entschädigung mindestens im bisherigen Betrag weitergewährt.

Der Beschwerdeführer vertritt nun die Auffassung, dass diese
Besitzstandregelung auch auf Personen anwendbar sei, deren HE-IV vor dem 1.
Januar 2004 durch eine HE-AHV abgelöst worden ist, ansonsten diese Personen
gegenüber solchen Versicherten, deren HE-IV erst 2004 oder später durch eine
HE-AHV abgelöst würden, benachteiligt seien.

5.
Das BSV legt in seiner Vernehmlassung zutreffend dar, dass und weshalb die
Leistungsverbesserung bei der HE-IV bzw. die Besitzstandsgarantie sich nur
auf diejenigen Ablösungsfälle bezieht, die ab 1. Januar 2004 eintreten. Wie
es richtig ausführt, wird die HE-IV, die eine Person schon vor Erreichen des
AHV-Rentenalters oder vor dem Rentenvorbezug bezieht, durch eine HE-AHV
abgelöst. Dabei wurde den Bezügern einer HE-IV seit jeher garantiert, dass
sie ihre Hilflosenentschädigung in der bisherigen Höhe auch als Altersrentner
erhalten (Art. 43bis Abs. 4 AHVG, schon in der Fassung vom 4. Oktober 1968,
AS 1969 117). Leitgedanke dieser Gesetzesbestimmung war und ist heute noch,
dass es im Ablösungsfall zu keiner Leistungsverschlechterung kommen darf, der
Besitzstand also beim Ausscheiden aus der IV gewahrt wird. Auch die 4.
IV-Revision brachte diesbezüglich keine Änderung. Hingegen wurde damit eine
Leistungsverbesserung eingeführt, welche ab dem 1. Januar 2004 wirksam
geworden ist. Die Wahrung des Besitzstandes dieser neuen, verdoppelten
Leistung kann frühestens ab diesem Zeitpunkt zum Tragen kommen. Sämtliche
Ablösungsfälle, die sich vor diesem Zeitpunkt ereigneten, sind von der
Neuerung nicht betroffen, in Übereinstimmung mit dem Grundsatz, dass der
Beurteilung einer Sache jene Rechtsnormen zu Grunde zu legen sind, die in
Geltung standen, als sich der rechtserhebliche Sachverhalt verwirklichte, es
sei denn, einer neuen bundesgesetzlichen Regelung komme die Bedeutung einer
Rückwirkung zu (BGE 126 V 136 Erw. 4b, 130 V 447 Erw. 1.2.1). Eine
übergangsrechtliche Regelung, wonach die in der IV vorgenommene
Leistungsverbesserung ab dem 1. Januar 2004 auch Altersrentenberechtigten,
die bereits vor dem 1. Januar 2004 aus der IV ausgeschieden sind, zu Gute
kommen soll, fehlt. Angesichts der gesetzlichen Grundlage gemäss Art. 43bis
Abs. 4 AHVG und mangels einer anders lautenden intertemporalrechtlichen
Anordnung ist es daher nicht gerechtfertigt, bei "Altfällen" die
Hilflosenentschädigung zu verbessern. Wenn, wie im vorliegenden Fall, gar nie
eine Leistung gemäss 4. IV-Revision bezogen wurde, gibt es auch keinen
Besitzstand zu wahren.

6.
Zu ergänzen ist bezüglich Sinn und Zweck von Art. 43bis Abs. 4 AHVG was
folgt. Diese Bestimmung wurde per 1. Januar 1969 ins Gesetz aufgenommen, als
die HE als Leistungsform auch für Altersrentner geschaffen wurde (AS 1969 111
ff., 117, 148; ZAK 1968 S. 593). Weil die HE-AHV nur für schwer hilflose
Personen eingeführt wurde, die HE-IV damals aber auch bei leichter und
mittlerer Hilflosigkeit ausgerichtet wurde, bedurfte es einer Regelung des
Schicksals der bisherigen HE-IV bei leichter und mittlerer Hilflosigkeit,
wenn der Bezüger bei unverändertem Hilflosigkeitsgrad ins AHV-Rentenalter
eintritt. Damit solche Personen nicht eine Leistungseinbusse erleiden, wurde
für sie eine betragliche Besitzstandsgarantie eingeführt (vgl. dazu die
Botschaft BBl 1968 I 661; AS 1969 117; ferner ZAK 1968 S. 594). Mit anderen
Worten wurde die bisherige Leistung dem Betrag nach garantiert, obwohl der
für eine HE-AHV erforderliche Schweregrad nicht gegeben war.

Die erste Revision von Art. 43bis Abs. 4 AHVG per 1. Januar 1973 änderte am
Grundgedanken nichts; es wurden bloss die Altersgrenzen für die Ablösung der
HE-IV durch die HE-AHV näher präzisiert (vgl. Botschaft BBl 1971 II 1132; AS
1972 2483 ff., 2492, 2506; ferner ZAK 1972 S. 382 f.). Eine zweite Revision
wurde im Rahmen der 10. AHV-Revision vorgenommen (in Kraft seit 1. Januar
1997); wegen der schrittweisen Erhöhung des AHV-Rentenalters von Frauen wurde
- im Vergleich zur Fassung ab 1. Januar 1973 (AS 1972 2492) neutral - nur
noch vom Erreichen des "Rentenalters" gesprochen (AS 1996 2480). Schliesslich
erfolgte eine letzte Revision per 1. Januar 2004, indem neben dem Rentenalter
auch der Rentenvorbezug als zeitlicher Anknüpfungspunkt für den Wechsel von
der HE-IV zur HE-AHV ins Gesetz aufgenommen wurde (AS 2003 3855). Am
Grundgedanken von Art. 43bis Abs. 4 AHVG änderte sich auch diesmal nichts.
Nach wie vor garantiert  Art. 43bis Abs. 4 AHVG den betraglichen Besitzstand
einer HE-IV im AHV-Alter, sofern die bisherigen (also die IV-)Voraussetzungen
erfüllt sind (vgl. Botschaft BBl 2001 3249, 3301). Es geht also nach wie vor
darum, den betraglichen Besitzstand für eine HE-IV in jenen Fällen
sicherzustellen, in denen die Voraussetzungen für eine HE-AHV nicht gegeben
sind. Nachdem mit der 10. AHV-Revision die HE-AHV auch für in mittlerem Grade
hilflose Personen geöffnet worden war (BBl 1990 II 53 f.), gilt dies im
Wesentlichen nur noch für Personen mit leichter Hilflosigkeit. Dass mit der
Änderung per 1. Januar 2004 eine Art "Besitzstand" (oder "virtueller"
Besitzstand) für jene Altersrentner eingeführt worden sei, deren HE-IV vor
dem 1. Januar 2004 durch eine HE-AHV abgelöst worden ist, oder dass Art.
43bis Abs. 4 AHVG in diesem Sinne auszulegen sei, ergibt sich weder aus dem
Wortlaut (in allen drei Sprachen) noch aufgrund von Sinn und Zweck der Norm.
Auch lässt sich den Materialien zur 4. IV-Revision nichts Derartiges
entnehmen. Den im Rahmen der 4. IV-Revision vorgenommenen Änderungen des AHVG
(Ziff. 3 des Anhangs zum Entwurf: BBl 2001 3339 ff.) haben die Räte
diskussionslos zugestimmt (Nationalrat: Amtl. Bull. 2001 1974, 2002 1906
[Differenzbereinigung]; Ständerat: Amt. Bull. 2002 778). Auch in der
Diskussion über die Erhöhung der HE-IV (Art. 42ter IVG) findet sich nichts,
was für die Auffassung des Beschwerdeführers spräche (Amtl. Bull. 2001 1952
ff., 2002 761 ff.).

7.
Der Beschwerdeführer kann demnach aus Art. 43bis Abs. 4 AHVG nichts zu seinen
Gunsten ableiten, und Verwaltung und Vorinstanz haben eine Erhöhung seiner
Hilflosenentschädigung zur Altersrente gestützt auf diese Bestimmung zu Recht
abgelehnt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 5. Dezember 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: