Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 212/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


H 212/04

Urteil vom 26. September 2005
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin
Berger Götz

Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber, Siewerdtstrasse 9, 8050 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

D.________, 1955, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Felix
Rutschmann, Ritter & Schwaibold Rechtsanwälte, Fraumünsterstrasse 9, 8022
Zürich

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 23. September 2004)

Sachverhalt:

A.
D. ________ war einzige Verwaltungsrätin der im Handelsregister eingetragen
gewesenen Firma X.________, deren Zweck im Kauf, in der Produktion und im
Verkauf aller Arten von Sportartikeln bestand. Über die Firma wurde im Mai
2002 der Konkurs eröffnet; im August 2004 wurde er als geschlossen erklärt.
Mit Verfügung vom 7. April 2003, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 17.
Dezember 2003, forderte die Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber von
D.________ Schadenersatz in der Höhe von Fr. 14'345.80 für entgangene
paritätische Sozialversicherungsbeiträge.

B.
In Gutheissung der dagegen von D.________ eingereichten Beschwerde hob das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 17.
Dezember 2003 auf (Entscheid vom 23. eptember 2004).

C.
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid vom 23. September 2004 sei
aufzuheben.

D. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze zu den
Voraussetzungen der subsidiären Haftbarkeit der Organe juristischer Personen
für den der Ausgleichskasse wegen schuldhafter Missachtung der Vorschriften
über die Beitragsabrechnung und -zahlung entstandenen Schaden (Art. 52 AHVG
in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen, hier anwendbaren Fassung, Art.
14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV; dazu statt vieler BGE 123
V 15 Erw. 5b), insbesondere zur Haftungsvoraussetzung des Verschuldens in
Form von Absicht oder zumindest Grobfahrlässigkeit (BGE 121 V 244 Erw. 4b und
5, 108 V 186 Erw. 1b, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt
für die vorinstanzlichen Ausführungen zur rechtzeitigen Geltendmachung des
Schadenersatzes (BGE 129 V 195 Erw. 2.1, 128 V 17 Erw. 2a, je mit Hinweisen).
Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 nicht anwendbar ist, da in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen
Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen
führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356
Erw. 1, je mit Hinweis).

3.
Das kantonale Gericht verneint die Haftung der Beschwerdegegnerin für die
unbezahlt gebliebenen Sozialversicherungsbeiträge. Zur Begründung stützt es
sich auf BGE 121 V 244 Erw. 4b, wonach beim Verschulden die kurze Dauer des
Beitragsausstandes als ein Element im Rahmen der Gesamtwürdigung aller
Umstände zu berücksichtigen ist. So kann der Exkulpationsgrund der kurzen
Dauer vorliegen, wenn in den letzten zwei bis drei Monaten vor dem Konkurs
die Beiträge nicht mehr bezahlt wurden, die Zahlungsmoral der Gesellschaft
aber vorher immer klaglos war (BGE 121 V 244 Erw. 5; Urteile K. vom 4.
November 2004, H 297/03, Erw. 5.1, sowie T. und M. vom 8. Juli 2003, H
141/01, Erw. 3.3 mit Hinweisen).

4.
4.1 Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Schaden setzt sich aus
einem Teilbetrag der Pauschalbeiträge für die Monate März und April 2002 samt
Folgekosten in der Höhe von Fr. 14'345.80 zusammen.

4.2 Im angefochtenen Gerichtsentscheid wird festgehalten, die Ausgleichskasse
habe nicht dargelegt, dass die Aktiengesellschaft bereits vor März 2002 die
Sozialversicherungsbeiträge nachlässig beglichen habe, weshalb auf Grund der
von ihr ins Recht gelegten Akten von einem ordnungsgemässen Zahlungsverkehr
auszugehen sei.

4.3 Aus dem von der Ausgleichskasse im kantonalen Gerichtsverfahren mit der
Beschwerdeantwort eingereichten Kontoauszug ergibt sich indessen, dass die
Aktiengesellschaft seit dem Jahr 2000 mehrmals gemahnt werden musste, so für
die Pauschalbeiträge des Monats Februar 2000, die Beiträge gemäss
Schlussrechnung 1999 sowie für die Pauschalbeiträge der Monate Februar bis
April 2001, Juni bis Dezember 2001 und Februar bis April 2002. Ab Februar
2000 mussten zudem wegen verspäteter Entrichtung der Beiträge wiederholt
Verzugszinsen erhoben werden. Anders als in dem BGE 121 V 243 zu Grunde
liegenden Fall kann von einer klaglosen Handhabung des Beitragswesens durch
die Aktiengesellschaft angesichts der erwähnten Mahnungen und verspätet
erfolgten Zahlungen nicht die Rede sein. Indem die Vorinstanz auf Grund der
Akten von einem ordnungsgemässen Zahlungsverkehr ausging, hat sie den
rechtserheblichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht ist an diese mangelhafte
Sachverhaltsfeststellung nicht gebunden (Erw. 1 hiervor).

5.
In der vorinstanzlichen Beschwerde war geltend gemacht worden, es sei gar
kein Schaden entstanden, weil eine Geschäftsübernahme gemäss Art. 333 OR
durch die Firma Y.________ stattgefunden habe. Ob dies zutrifft, konnte das
kantonale Gericht offen lassen, weil es ein qualifiziertes Verschulden
zufolge eines bloss kurzzeitigen Zahlungsausstandes verneinte. Da der
Exkulpationsgrund der kurzen Dauer des Beitragsausstandes allerdings - wie
erwähnt (Erw. 4.3 hiervor) - nicht erfüllt ist, wird das kantonale Gericht
den Einwand des fehlenden Schadens noch prüfen müssen. Zu diesem Zweck und
zur allfälligen Beurteilung der weiteren Haftungsvoraussetzungen wird die
Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen. Sie wird die notwendigen Abklärungen
vorzunehmen und hernach, gestützt auf die daraus gewonnenen Erkenntnisse,
erneut über die Schadenersatzpflicht der Beschwerdegegnerin zu entscheiden
haben.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend gehen die Kosten zu Lasten der Beschwerdegegnerin
(Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23.
September 2004 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen
wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die
Beschwerde neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1300.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1300.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 26. September 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: