Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 208/2004
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H 208/04

Urteil vom 15. April 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiberin Keel Baumann

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, 1952, Beschwerdegegner

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 28. September 2004)

Sachverhalt:

A.
S. ________ kündigte sein Arbeitsverhältnis mit der Versicherungsgesellschaft
X.________ mit Wirkung auf den 30. September 2003, um sich mit einem eigenen
Maklerbüro selbstständig zu machen und weiterhin als freier Mitarbeiter und
Vermittler unter anderem für die Versicherungsgesellschaft X.________ tätig
zu sein. Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich, bei welcher er sich am 16.
September 2003 als Selbstständigerwerbender registrieren lassen wollte,
qualifizierte seine Erwerbstätigkeit als unselbstständig und erliess auf
seinen Wunsch hin am 7. November 2003 eine Verfügung mit der Feststellung,
dass eine Anerkennung als selbstständigerwerbender Versicherungsmakler nicht
möglich sei. Daran hielt sie auf Einsprache von S.________ hin fest
(Entscheid vom 29. Dezember 2003).

B.
Die von S.________ hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. September
2004 gut, hob den Einspracheentscheid auf und stellte fest, dass S.________
in Bezug auf seine Vermittlungstätigkeit selbstständigerwerbend ist.

C.
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf
Aufhebung des kantonalen Entscheides und auf Feststellung, dass S.________ in
Bezug auf seine Vermittlungs- und Beratungstätigkeit für die
Versicherungsgesellschaften X.________, G._______, M.________ und die
Krankenkasse A.________ als Unselbstständigerwerbender zu gelten habe.

S. ________ beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und die
Zusprechung einer Entschädigung für die entstandenen Umtriebe. Das Bundesamt
für Sozialversicherung schliesst auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im angefochtenen Entscheid wird die Rechtsprechung zur Abgrenzung der
selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit zutreffend
dargelegt (Art. 5 und 9 AHVG sowie Art. 6 ff. AHVV; vgl. auch BGE 123 V 162
f. Erw. 1, 122 V 171 ff. Erw. 3). Darauf kann verwiesen werden. Zu ergänzen
ist, dass nach diesen Grundsätzen Agenten oder Reisevertreter in der Regel
als Arbeitnehmer zu betrachten sind. Bei der beitragsrechtlichen Beurteilung
kommt es nicht darauf an, ob ein Handelsreisenden- oder Agenturvertrag im
obligationenrechtlichen Sinne vorliegt. Agenten und Reisevertreter sind im
Allgemeinen frei, wie sie ihre Zeit einteilen und ihre Arbeit gestalten
wollen; sie haben jedoch selten ein wirtschaftliches Risiko wie ein
Unternehmer zu tragen. Ihr Risiko erschöpft sich in der Abhängigkeit von
ihrem persönlichen Arbeitserfolg und ist nur dann als solches eines
Selbstständigerwerbenden zu werten, wenn beträchtliche Investitionen oder
Angestelltenlöhne getragen werden müssen. Rechtsprechungsgemäss gelten
Agenten und Reisevertreter als selbstständigerwerbend, wenn sie kumulativ
eigene Geschäftsräumlichkeiten benützen, eigenes Personal beschäftigen und
die Geschäftskosten im Wesentlichen selber tragen (BGE 119 V 163 Erw. 3b mit
weiteren Hinweisen; ZAK 1988 S. 378 Erw. 2b, 1986 S. 121 Erw. 2b und S. 575
Erw. 2b mit Hinweisen, 1980 S. 325 Erw. 2; vgl. auch Rz 4028 Wegleitung über
den massgebenden Lohn [WML]).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat den Beschwerdegegner in Anwendung der Rechtsprechung
(ZAK 1988 S. 292) als selbstständigerwerbend qualifiziert mit der Begründung,
sein Einkommen sei abhängig von seinem Arbeitserfolg und er trage insofern
ein Unternehmerrisiko, als die Kosten für die von ihm gemäss Arbeitsvertrag
vom 7. Oktober 2003 beschäftigte Teilzeitangestellte unabhängig vom
Geschäftserfolg anfielen. Dass für den Aufbau seiner Tätigkeit keine
beträchtlichen Investitionen erforderlich gewesen seien, sei von
untergeordneter Bedeutung, weil die Vermittlung von Versicherungspolicen in
jedem Fall keine grossen Investitionen erfordere. Nach der Ausgleichskasse
verkennt das kantonale Gericht damit die Rechtsprechung, gemäss welcher nur
beim kumulativen Vorliegen der erwähnten drei Kriterien (Erw. 1) eine
selbstständige Erwerbstätigkeit angenommen werden kann. Ihrer Auffassung nach
ist zudem keine der drei Voraussetzungen erfüllt, weil der Beschwerdegegner
sein Büro zu Hause eingerichtet habe und weder erhebliche Geschäftskosten
noch erhebliche Personalkosten trage.

2.2 Wie zu zeigen ist, ändert sich an der Richtigkeit des vorinstanzlichen
Entscheides (Qualifikation des Beschwerdeführers als
Selbstständigerwerbender) nichts, wenn vorliegend - mit der Ausgleichskasse -
die drei von der Rechtsprechung für die beitragsrechtliche Qualifikation von
Reisevertretern und Agenten erarbeiteten Kriterien angewendet werden (vgl.
auch Erw. 2 des Urteils W. und P. GmbH vom 18. Dezember 2003, H 303/02):

In den Akten befindet sich ein Mietvertrag vom 18. Mai 2004 über Büroräume in
Y.________ mit Mietbeginn 1. Juni 2004, welchen der Beschwerdegegner mit
seiner an die Vorinstanz gerichteten Eingabe vom 8. Juli 2004 eingereicht
hat. Obwohl der Abschluss dieses Mietvertrages in die Zeit nach Erlass des
Einspracheentscheides (29. Dezember 2003) fällt, welcher praxisgemäss die
Grenze richterlicher Überprüfung bildet (BGE 130 V 446 Erw. 1.2 mit
Hinweisen), rechtfertigt es sich, ihn bei der Beurteilung vorliegend zu
berücksichtigen. Denn er bestätigt, dass die Ausscheidung eines Büroraumes in
den eigenen Wohnräumlichkeiten, welche das Kriterium der eigenen
Geschäftsräume praxisgemäss nicht erfüllt hätte (ZAK 1986 S. 577, 1980 S.
325; Urteil vom 15. September 2000, H 138/99), nur für die Aufbauphase
gedacht war und sich offenbar rund acht Monate nach Aufnahme der
Vermittlungstätigkeit die Miete wohnungsfremder Räume aufdrängte. Da dem
Beschwerdegegner diese (weniger als ein Jahr dauernde) Anpassungsphase (in
welche auch die Suche nach geeigneten Büroräumen fällt) zugestanden werden
muss, kann das Kriterium der eigenen Geschäftsräume als erfüllt betrachtet
werden.

Gegeben ist sodann auch die Voraussetzung der Anstellung eigenen Personals,
kann doch dem sich in den Unterlagen befindenden Arbeitsvertrag vom 7.
Oktober 2003 entnommen werden, dass der Beschwerdegegner seit 1. November
2003 eine Teilzeitmitarbeiterin im Umfang von 15 Stunden pro Woche
beschäftigt. Die Auffassung der Ausgleichskasse, wonach dieses Kriterium
mangels Erheblichkeit der anfallenden Personalkosten (Fr. 1625.- brutto pro
Monat) zu verneinen sei, findet in der Rechtsprechung keine Stütze, stellt
diese doch hinsichtlich der Personalkosten keine Anforderungen in
quantitativer Hinsicht (vgl. Erw. 1 hievor; vgl. auch Rz 4028 WML, wo
ebenfalls nur von der Beschäftigung von Personal die Rede ist).

Zu bejahen ist schliesslich auch die dritte Voraussetzung, gemäss welcher die
Geschäftskosten im Wesentlichen selber zu tragen sind. Denn wie sich aus den
"Zusammenarbeits-Vereinbarungen" ergibt, beteiligen sich die Versicherungen
nicht an den Geschäftskosten, dies mit Ausnahme der Versicherungsgesellschaft
X.________, welche eine Spesenentschädigung ausrichtet, die jedoch nichts
daran ändert, dass der Beschwerdegegner zur Hauptsache allein für die
Geschäftskosten aufkommt, was für die Erfüllung dieses Kriteriums
rechtsprechungsgemäss ausreicht (vgl. Erw. 1 hievor).

2.3 An der Richtigkeit dieses Ergebnisses vermag auch nichts zu ändern, dass
- worauf die Ausgleichskasse hinweist - einzelne Versicherungen sich
vertraglich eine gewisse Subordinationsgewalt zugesichert haben, indem sie
den Beschwerdegegner beispielsweise verpflichtet haben, Aufträge jederzeit
auszuführen, Weisungen entgegenzunehmen, Korrespondenz unverzüglich
auszuhändigen, Werbung mit Erwähnung der Versicherung von derselben
genehmigen zu lassen oder Schulungen zu besuchen. Denn da die Erteilung
derartiger Anordnungen für Vertragsverhältnisse wie die vorliegenden typisch
ist, hätte die Unterordnung erst dann Bedeutung, wenn sie - was vorliegend
nicht der Fall ist - das für das betreffende Verhältnis übliche Mass
übersteigen würde (vgl. auch Käser, Unterstellung und Beitragswesen in der
obligatorischen AHV, 2. Aufl., Bern 1996, S. 120 Rz 4.31), was beispielsweise
zu bejahen wäre, wenn der Versicherte die Kundschaft nicht weisungsunabhängig
beraten könnte oder wenn er einer Gesellschaft gegenüber zur Erzielung von
Abschlüssen oder zur ausschliesslichen Berücksichtigung verpflichtet wäre
(vgl. ZAK 1982 S. 215).

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerde führenden
Ausgleichskasse aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135
OG).

Dem obsiegenden Beschwerdegegner, welcher nicht anwaltlich oder sonst wie
qualifiziert vertreten wird, steht keine Parteientschädigung zu (Art. 159
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG; BGE 128 V 133 Erw. 5b, 126 V 150 Erw.
4a, je mit Hinweisen). Soweit sinngemäss die Ausrichtung einer
Umtriebsentschädigung beantragt wird, ist darauf hinzuweisen, dass eine
solche praxisgemäss nur unter besonderen Umständen gewährt wird, und
namentlich erfordert, dass für die Interessenwahrung ein hoher Arbeitsaufwand
notwendig ist, welcher den Rahmen dessen überschreitet, was die Einzelperson
üblicher- und zumutbarerweise auf sich zu nehmen hat (BGE 110 V 82). Diese
Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben, weshalb keine Entschädigung
zugesprochen werden kann.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Ausgleichskasse auferlegt und mit
dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Es wird weder eine Partei- noch eine Umtriebsentschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 15. April 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: