Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 201/2004
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H 201/04

Urteil vom 14. März 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Hofer

G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Max Meyer,
Speichergasse 5, 3011 Bern,

gegen

Hotela, Ausgleichskasse des SHV und des SRV, 18, Rue de la Gare, 1820
Montreux, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

(Entscheid vom 31. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Die im Jahre 1997 von G.________ als Alleinaktionär übernommene Hotel
A.________ AG war der Ausgleichskasse Hotela angeschlossen. Im Sommer 2002
blieb die Gesellschaft der Kasse die paritätischen
Sozialversicherungsbeiträge schuldig, nachdem sie bereits im Jahr 2001 ihren
Zahlungspflichten nur schleppend nachgekommen war. Am 25. November 2002 wurde
über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Ab dem 21. Februar 2003 lagen
Kollokationsplan und Inventar beim Konkursamt zur Einsicht auf. Das
Konkursamt teilte der Ausgleichskasse am 19. März 2004 mit, sie komme gemäss
Verteilliste mit einer Forderung von Fr. 34'557.25 zu Verlust. Mit Verfügung
vom 1. April 2004 verpflichtete die Ausgleichskasse G.________, der gemäss
Eintrag im Handelsregister als einziges Mitglied des Verwaltungsrates
figurierte, zur Leistung von Schadenersatz in Höhe von Fr. 30'329.- für
entgangene AHV/IV/EO- und ALV-Beiträge (einschliesslich Verwaltungskosten und
Verzugszinsen). Mit Einspracheentscheid vom 6. Mai 2004 hielt sie an der
Schadenersatzverfügung fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 31. August 2004 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ beantragen, in Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheids sei die Schadenersatzklage abzuweisen.
Eventuell sei der Forderungsbetrag um Fr. 21'000.- herabzusetzen.

Kantonales Gericht und Ausgleichskasse schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Eingabe vom 12. Januar 2005 nahm G.________ zur Vernehmlassung der
Ausgleichskasse Stellung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Die rechtlichen Grundlagen (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung
mit Art. 34 ff. AHVV) und die zur subsidiären Haftbarkeit der Organe (vgl.
statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b) sowie zur Haftungsvoraussetzung des
zumindest grobfahrlässigen Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b;
ZAK 1985 S. 576 Erw. 2, 619 Erw. 3a und b) ergangene Rechtsprechung finden
sich im angefochtenen Entscheid des kantonalen Gerichts zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, blieb die Hotel
A.________ AG ab Sommer 2002 die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge
der Ausgleichskasse schuldig. Damit verstiess sie gegen die
Beitragszahlungspflicht und missachtete dadurch Vorschriften im Sinne von
Art. 52 AHVG. Dieses Verschulden der Arbeitgeberin hat die Vorinstanz auch
dem Beschwerdeführer, welcher Organstellung innehatte, als grobfahrlässiges
Verhalten angerechnet.

3.2 Der Beschwerdeführer wendet gegen die vorinstanzliche Feststellung, er
habe den Schaden grobfahrlässig verursacht, zur Hauptsache ein, er sei nach
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber der Firma K.________ GmbH im
Januar 2001 in Liquiditätsschwierigkeiten geraten und habe einen Verlust von
rund Fr. 85'000.- hinnehmen müssen. Im Sommer 2002 sei ihm auf Ersuchen der
Verwaltung der Stockwerkeigentümergemeinschaft als Vermieterin die Pfändung
des Küchenmaterials angedroht worden. Um die für den Hotelbetrieb
überlebenswichtigen Geräte behalten zu können, habe er aus den knappen ihm
zur Verfügung gestandenen Mitteln die geforderten Fr. 30'000.- bezahlt.
Obwohl zur Rettung des Betriebes primär diese Forderung habe beglichen werden
müssen, hätten ernsthafte Gründe zur Annahme bestanden, dass die
Sozialversicherungsbeiträge innert nützlicher Frist bezahlt werden könnten.
Da der der Stockwerkeigentümergemeinschaft effektiv geschuldete Betrag tiefer
gewesen sei, habe er zudem mit einer Rückzahlung von Fr. 11'400.- rechnen
können. Ausserdem habe er davon ausgehen können, dass das Guthaben aus der
Mutterschaftsversicherung von rund Fr. 10'000.- an die ausstehenden
Sozialversicherungsbeiträge angerechnet würden. Stattdessen habe die
Ausgleichskasse bis zur Konkurseröffnung zugewartet, womit der Betrag in die
Konkursmasse gefallen sei. Auch der Betrag von Fr. 11'400.- sei schliesslich
in die Konkursmasse gelangt und zur Begleichung der
Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr zur Verfügung gestanden. Trotz der
finanziellen Schwierigkeiten habe er die Sozialversicherungsbeiträge des
Jahres 2001 bezahlt, sobald ihm dies jeweils möglich gewesen sei.

3.3 Es trifft zu, dass nicht jede Verletzung der öffentlich-rechtlichen
Pflicht einer Arbeitgeberfirma ohne weiteres als qualifiziertes Verschulden
ihrer Organe zu werten ist; das absichtliche oder grobfahrlässige Missachten
von Vorschriften verlangt vielmehr einen Normverstoss von einer gewissen
Schwere. Die Ausgleichskasse, die feststellt, dass sie einen durch
Missachtung der Vorschriften entstandenen Schaden erlitten hat, darf davon
ausgehen, dass der Arbeitgeber die Vorschriften absichtlich oder mindestens
grobfahrlässig verletzt hat, sofern keine Anhaltspunkte für die
Rechtmässigkeit des Handelns oder die Schuldlosigkeit des Arbeitgebers
bestehen; im Rahmen der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht ist es
grundsätzlich Sache der belangten Person, den Nachweis für allfällige
Rechtfertigungs- oder Exkulpationsgründe zu erbringen (BGE 108 V 187 Erw. 1b;
SVR 2001 AHV Nr. 15 S. 52 Erw. 5). Als Rechtfertigungsgrund kann
beispielsweise die relativ kurze Dauer des Beitragsausstandes sprechen (BGE
121 V 244 Erw. 4b). Ebenso kann unter Umständen die Tatsache, dass ein
Arbeitgeber bei Vorliegen eines Liquiditätsengpasses Beiträge vorübergehend
nicht bezahlt in der Hoffnung, durch Erfüllung "lebenswichtiger
Verpflichtungen" den Weiterbestand der Unternehmung sichern zu können, als
entschuldbarer Grund gelten (BGE 108 V 186).

3.4 Wie der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren selber ausführt,
kämpfte er jahrelang für das finanzielle Überleben der Firma. Dem Bericht der
Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredit vom 20. November 2002 ist zu
entnehmen, dass die Betreiberin des Apparthotels A.________ AG in den
vorangegangenen Jahren schon auf der Stufe des Betriebs-Cash-flows rote
Zahlen geschrieben hatte. Verantwortlich für die unbefriedigenden Resultate
seien zum einen die überhöhten Passiv- und Mietzinsen und zum andern die
grosszügige Regelung der Eigenbelegung durch die Stockwerkeigentümer gewesen,
was den Betrieb daran gehindert habe, seine Kapazitäten in der Hochsaison
optimal auszulasten. Während der Mietzins gemäss Mietvertrag 43 % des
Nettoumsatzes betrug, erachtete die Schweizerische Gesellschaft für
Hotelkredit einen Prozentsatz von 16 % des Brutto-Beherbergungsbetrages als
wirtschaftlich tragbar. Der hohe Mietzins führte wiederholt zu
Zahlungsschwierigkeiten und Betreibungen seitens der Vermieter. Hinzu kamen
Hypothekarzinsen von 8.75 %, welche ebenfalls nicht mehr beglichen werden
konnten und daher Gegenstand von Betreibungen durch die kreditgebenden Banken
bildeten. Im Jahre 2002 waren gemäss den Angaben des Beschwerdeführers im
vorinstanzlichen Verfahren zahlreiche Schulden nicht beglichen wie
beispielsweise die Kurtaxen von Fr. 53'198.-, die Quellensteuer von Fr.
31'000.-, Bankzinsen von Fr. 148'730.-, Mietzins von Fr. 179'700.- und die
Mehrwertsteuer von Fr. 49'700.-. Daraus erhellt, dass der Geschäftsgang seit
der Übernahme der Firma durch den Beschwerdeführer schlecht war. Ein bloss
vorübergehender Liquiditätsengpass im Sommer 2002 kann somit verneint werden.
Dem Debitoren-Kontoauszug 2001 und 2002 der Ausgleichskasse ist zudem zu
entnehmen, dass die Rechnungen des Jahres 2001 jeweils nur mit Verzögerung
beglichen wurden und jene des Jahres 2002 teilweise sogar offen blieben.
Rechtfertigungsgründe im Sinne der vorstehend (Erw. 3.3) zitierten
Rechtsprechung sind nicht gegeben. Angesichts der Höhe der bestehenden
Verbindlichkeiten und der in diesem Zusammenhang von den Gläubigern
angedrohten oder bereits durchgeführten Betreibungen und Pfändungen konnte
der Beschwerdeführer von der vorübergehenden Zurückhaltung von
Sozialversicherungsbeiträgen objektiv keine für die Rettung der Firma
ausschlaggebende Wirkung erwarten. Angesichts der angespannten finanziellen
Lage war im Sommer 2002 erkennbar, dass sich die Firma nicht bloss in einem
kurzfristigen Liquiditätsengpass befand, welcher in absehbarer Zeit zu
überwinden war. Entsprechend konnte auch nicht damit gerechnet werden, dass
die ab Sommer 2002 bewusst in Kauf genommenen Beitragsausstände innert
nützlicher Frist beglichen würden. Daran vermag der Einwand des
Beschwerdeführers, er habe der vollumfänglichen Deckung der Beitragsschulden
stets erste Priorität beigemessen, nichts zu ändern. Nicht zu entlasten
vermag ihn das schwierige finanzielle Umfeld als solches, da bei finanziellen
Schwierigkeiten der geltend gemachten Art rechtsprechungsgemäss der Grundsatz
zum Tragen kommt, dass nur so viel Lohn ausbezahlt werden darf, als die
darauf unmittelbar ex lege entstandenen Beitragsforderungen gedeckt sind (SVR
1995 AHV Nr. 70 S. 214 Erw. 5).

3.5 Zu Gunsten des Beschwerdeführers ins Feld geführt werden könnte die kurze
Dauer des Beitragsausstandes. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in
BGE 121 V 244 Erw. 4b dargelegt hat, ist die Frage der Dauer des
Normverstosses ein Beurteilungskriterium, welches im Rahmen der
Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist und als Entlastungsgrund zur
Verneinung der Schadenersatzpflicht führen kann. Im vorliegenden Fall waren
Akontozahlungen für den Sommer 2002 und eine Nachtragsabrechnung vom August
2002 ausstehend. Anderseits geriet die Firma auch schon im Vorjahr 2001 mit
der Beitragszahlung in Verzug. Anders als in dem BGE 121 V 245 zugrunde
liegenden Fall kann nicht gesagt werden, die Konkursitin habe das
Beitragswesen einwandfrei und straff gehandhabt.

3.6 Schliesslich kann sich der Beschwedeführer auch nicht mit Erfolg darauf
berufen, es fehle am für die Haftung vorausgesetzten adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten und dem eingetretenen
Schaden. Zwar gebricht es an einem adäquaten Kausalzusammenhang, wenn auch
ein pflichtgemässes Verhalten den Schaden nicht hätte verhindern können.
Indessen vermag die blosse Hypothese, der Schaden wäre auch bei
pflichtgemässem Verhalten eingetreten, die Adäquanz nicht zu beseitigen. Dass
ein Schaden ohnehin eingetreten wäre, muss vielmehr mit Gewissheit oder doch
mit hoher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (Urteil H. vom 21. Januar
2004, H 267/02). Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nicht
gegeben, weil nicht anzunehmen ist, dass auch ein pflichtgemässes Verhalten
des Beschwerdeführers den Schaden nicht hätte verhindern können. Auch kann
das pflichtwidrige Verhalten nicht damit verneint werden, wenn die Forderung
der Stockwerkeigentümer von Fr. 30'000.- nicht beglichen worden wäre, hätte
der Konkurs bereits früher angemeldet werden müssen, wodurch der Schaden für
die Ausgleichskasse noch höher ausgefallen wäre.

3.7 Soweit der Beschwerdeführer das Eventualbegehren stellt, es sei die
Schadenersatzforderung um Fr. 21'000.- zu reduzieren, weil ein Guthaben
gegenüber den Stockwerkeigentümern von Fr. 11'400.- und ein Guthaben
gegenüber der Mutterschaftsversicherung von Fr. 10'000.- in die Konkursmasse
statt auf sein Konto geflossen sei und somit für die Beitragsbegleichung
nicht mehr zur Verfügung gestanden habe, kann dem nicht entsprochen werden.
Grund für diesen Umstand waren Liquiditätsprobleme der Gesellschaft, welche
der Beschwerdeführer zu verantworten hatte. Es ist zudem keineswegs erstellt,
dass die Guthaben zur Begleichung der ausstehenden Beitragsschulden verwendet
worden wären, wenn sie noch vor der Konkurseröffnung an die Hotel A.________
AG hätten rückvergütet werden können.

4.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario in Verbindung mit Art. 156 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. März 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: