Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 178/2004
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H 178/04

Urteil vom 21. März 2006
III. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber
Widmer

1. B.________,

2. A.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Fürsprecher Ubald Bisegger,
Mellingerstrasse 6, 5400 Baden,

gegen

AHV-Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes, Gladbachstrasse
80, 8044 Zürich, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 17. August 2004)

Sachverhalt:

A.
B. ________ war Präsident, sein Bruder A.________ Mitglied des
Verwaltungsrates der Schreinerei X.________ AG. Am 7. November 2000 wurde der
X.________ AG vom Bezirksgericht Nachlassstundung bis am 7. Mai 2001
bewilligt. Als Sachwalter wurde S.________ eingesetzt. Die Nachlassstundung
wurde am 18. April 2001 um sechs Monate, bis 7. November 2001, verlängert. Am
11. Dezember 2000 meldete die AHV-Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und
Holzgewerbes im Nachlassverfahren ihre Forderung für ausstehende Beiträge in
der Höhe von Fr. 26'282.25 an. Am 29. Oktober 2001 wurde den Gläubigern ein
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung unterbreitet, der die Zustimmung des
erforderlichen Quorums fand und mit Entscheid vom 4. Dezember 2001 vom
Präsidenten des Bezirksgerichts bestätigt wurde. Als Liquidator bestellt
wurde M.________. Mit Verfügungen vom 5. Juni 2002 verpflichtete die
Ausgleichskasse B.________ und A.________ unter solidarischer Haftung zur
Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 24'262.70 für unbezahlt
gebliebene AHV/IV/EO/ALV-Beiträge, einschliesslich
Verwaltungskostenbeiträgen, Mahngebühren und Verzugszinsen, dies gegen
Abtretung einer allfälligen Nachlassdividende.

B.
In Gutheissung der von der Ausgleichskasse auf Einspruch der Belangten hin
eingereichten Klage verpflichtete das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
B.________und A.________ in solidarischer Haftbarkeit zu Bezahlung von
Schadenersatz in der Höhe von Fr. 24'262.70 (Entscheid vom 17. August 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lassen B.________ und A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Klage
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf
eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat zutreffend festgestellt, dass das auf den 1. Januar 2003
in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht
anwendbar ist (BGE 130 V 1).

2.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Im kantonalen Entscheid werden die Rechtsgrundlagen der Arbeitgeberhaftung
(Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und
die Rechtsprechung zur subsidiären Haftbarkeit der verantwortlichen Organe
(BGE 123 V 15 Erw. 5b mit Hinweisen), zur Haftungsvoraussetzung des
qualifizierten Verschuldens (BGE 108 V 202 Erw. 3a; ZAK 1985 S. 620 Erw. 3b;
vgl. auch BGE 121 V 244 Erw. 4b) und zum erforderlichen adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen der absichtlichen oder grobfahrlässigen
Missachtung von Vorschriften und dem eingetretenen Schaden (BGE 119 V 406
Erw. 4a mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

4.
4.1 Die Beschwerdeführer bestreiten zu Recht nicht mehr, dass der
Ausgleichskasse ein Schaden in der eingeklagten Höhe entstanden ist, dessen
Ersatz am 5. Juni 2002 innert Frist (Art. 82 Abs. 1 AHVV in der bis Ende 2002
gültig gewesenen Fassung) verfügt wurde. Sie machen jedoch geltend, der
Sachwalter sei dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft im Geschäftsjahr
2001 einen Gesamtverlust von über Fr. 255'000.- erwirtschaftet habe. Bei
sachgerechter Führung des Betriebes hätte die gemäss rechtskräftigem
Entscheid des Bezirksgerichtspräsidenten vom 4. Dezember 2001 privilegierte
Forderung der Ausgleichskasse ohne weiteres gedeckt werden können. Die
Misswirtschaft des Sachwalters habe den Kausalzusammenhang zwischen dem
Verschulden der Beschwerdeführer und dem eingetretenen Schaden unterbrochen.

4.2 Entsprechend den Erwägungen der Vorinstanz haben die Beschwerdeführer als
Mitglieder des Verwaltungsrates der X.________ AG der Ausgleichskasse in
Missachtung der ihnen obliegenden Sorgfalts- und Überwachungspflichten im
Zeitraum von 1998 bis 6. November 2000 einen Schaden in der Höhe von Fr.
24'262.70, bestehend aus unbezahlt gebliebenen Beiträgen, verursacht.
Umstände, welche dieses Verhalten, das grundsätzlich die volle
Schadensdeckung nach sich zieht, als gerechtfertigt erscheinen lassen oder
ihr Verschulden im Sinne von grober Fahrlässigkeit ausschliessen, liegen
nicht vor.

4.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer kann nicht gesagt werden,
dass es am adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem eingetretenen Schaden
und dem schuldhaften Verhalten fehle. Dies würde nur dann zutreffen, wenn
auch ein pflichtgemässes Verhalten den Schaden nicht hätte verhindern können.
Die blosse Hypothese genügt nicht. Vielmehr muss mit Gewissheit oder doch mit
hoher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, dass ein Schaden auch bei
pflichtgemässem Verhalten eingetreten wäre (AJP 2003 S. 1460; Urteil H. vom
21. Januar 2004, H 267/02; unveröffentlichtes Urteil E. vom 25. Juli 1991, H
224/90).

4.4 Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, weil nicht
anzunehmen ist, dass auch ein pflichtgemässes Handeln der Beschwerdeführer
den Schaden nicht hätte verhindern können. Vielmehr wäre der Ausgleichskasse
kein Schaden entstanden, wenn die Beschwerdeführer in der fraglichen Periode
für die Bezahlung der Beiträge besorgt gewesen wären. Ebenso wenig können
sich die Beschwerdeführer mit Erfolg darauf berufen, dass der gerichtlich
eingesetzte Sachwalter den Betrieb während der Dauer der Nachlassstundung
schlecht geführt habe mit der Folge, dass im Geschäftsjahr 2001 ein
erheblicher Verlust entstanden sei, weshalb die privilegierte Forderung der
Ausgleichskasse nicht mehr habe gedeckt werden können. Ungeachtet der Frage,
ob dem Sachwalter Misswirtschaft vorzuwerfen sei, ist festzustellen, dass
primäre Ursache des Beitragsverlustes das pflichtwidrige Verhalten der
verantwortlichen Gesellschaftsorgane bildet, wogegen die Führung der
Gesellschaft während der Nachlassstundung höchstens einen Einfluss auf den
Umfang der Deckung der im Nachlassverfahren eingegebenen Forderungen hat.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den unterliegenden
Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1
OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1800.- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte
auferlegt. Sie sind durch die geleisteten Kostenvorschüsse von je Fr. 1800.-
gedeckt; die Differenzbeträge von je Fr. 900.- werden zurückerstattet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 21. März 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: