Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 157/2004
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H 157/04

Urteil vom 14. Dezember 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber
Flückiger

E.________, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung
Beiträge und Zulagen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 22. Juli 2004)

Sachverhalt:

A.
Am 14. Oktober 2003 erhielt E.________ von der Ausgleichskasse des Kantons
Bern die AHV-Beitragsverfügung für das Jahr 2001 mit einer
Beitragsnachforderung von Fr. 7942.15. Mit Verfügung vom 4. November 2003
verlangte die Kasse ausserdem Verzugszinsen in Höhe von Fr. 313.25, berechnet
für den Zeitraum vom 1. Januar bis 14. Oktober 2003 bei einem Zinssatz von 5
%. Daran hielt sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 6. Januar 2004 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
ab (Entscheid vom 22. Juli 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt E.________, die Verzugszinsen
seien nur für die Zeit vom 1. Januar bis zum 12. Mai 2003, nicht aber vom 13.
Mai bis zum 14. Oktober 2003 zu erheben, unter entsprechender Abänderung des
Einspracheentscheids und des kantonalen Gerichtsentscheids.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).
Zum Bundesrecht im Sinne von Art. 104 lit. a OG gehören auch Bundesverfassung
und Europäische Menschenrechtskonvention (BGE 125 III 211 Erw. 2, 122 V 93
Erw. 5a/aa, 110 V 363 Erw. 1c).

2.
Am 1. Januar 2003 trat das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft, mit welchem
zahlreiche Bestimmungen, unter anderem im AHV-Bereich, geändert worden sind.
Nach der übergangsrechtlichen Regel des Art. 82 Abs. 1 ATSG sind die
materiellen Bestimmungen dieses Gesetzes auf Forderungen, welche bei seinem
In-Kraft-Treten schon festgesetzt waren, nicht anwendbar.

Die umstrittenen Verzugszinsen betreffen die Periode vom 1. Januar bis 14.
Oktober 2003 und somit einen Zeitraum nach dem In-Kraft-Treten des ATSG,
weshalb dieser Erlass Anwendung findet. Die gesetzliche Grundlage zur
Erhebung von Verzugszinsen im AHV-Beitragsbereich besteht daher nicht mehr in
Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG, welcher per 31. Dezember 2002 aufgehoben wurde.
Seit 1. Januar 2003 ergibt sich die Kompetenz des Verordnungsgebers zur
Regelung der Verzugszinsen auf dem Gebiet der AHV stattdessen aus Art. 26
Abs. 1 ATSG. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf den Inhalt der
bereichsspezifischen Regelung in den Art. 41bis ff. AHVV (vgl. Kieser,
ATSG-Kommentar, Zürich 2003, N 6 f. und N 27 zu Art. 26 ATSG), weshalb die
dazu entwickelten Grundsätze weiterhin Geltung haben.

3.
3.1 Gemäss Art. 26 Abs. 1 ATSG sind für fällige Beitragsforderungen und
Beitragsrückerstattungsansprüche Verzugs- und Vergütungszinsen zu leisten.
Gestützt auf diese Bestimmung haben laut Art. 41bis Abs. 1 lit. f AHVV
Selbstständigerwerbende, Nichterwerbstätige und Arbeitnehmer ohne
beitragspflichtigen Arbeitgeber auf auszugleichenden Beiträgen, falls die
Akontobeiträge mindestens 25 Prozent unter den tatsächlich geschuldeten
Beiträgen liegen und nicht bis zum 1. Januar nach Ablauf des dem Beitragsjahr
folgenden Kalenderjahres entrichtet werden, ab dem 1. Januar nach Ablauf des
dem Beitragsjahr folgenden Kalenderjahres Verzugszinsen zu entrichten. Gemäss
Art. 41bis Abs. 2 AHVV endet der Zinslauf mit der Rechnungsstellung, sofern
die Beiträge innert Frist bezahlt werden.

3.2 Der Beschwerdeführer beanstandet die Erhebung von Verzugszinsen dem
Grundsatz nach nicht. Er macht aber geltend, er habe am 8. Mai 2003 die
definitive Steuerveranlagung für das Jahr 2001 erhalten. Die Ausgleichskasse
habe ihm aber erst am 14. Oktober 2003 die Abrechnung der
Beitragsnachforderung und der Verzugszinsen angezeigt. Es verstosse gegen den
Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Ausgleichskasse fünf Monate Zeit
benötige, um eine Abrechnung zu erstellen, und dafür auch noch Verzugszinsen
berechne. Er sei daher nur bereit, Verzugszinsen für den Zeitraum vom 1.
Januar bis zum 12. Mai 2003 (eine Kalenderwoche nach Vorliegen der
definitiven Steuerveranlagung) zu bezahlen.

3.3
3.3.1Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) umfasst einerseits den
Anspruch auf Schutz berechtigten Vertrauens in Zusicherungen oder sonstiges,
bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden, sofern sich dieses
auf eine konkrete, den betreffenden Bürger berührende Angelegenheit bezieht
(BGE 130 I 60 Erw. 8.1 mit Hinweisen). Andererseits verbietet er sowohl den
staatlichen Behörden wie auch den Privaten, sich in ihren
öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen widersprüchlich oder
rechtsmissbräuchlich zu verhalten. Rechtsmissbrauch liegt insbesondere dann
vor, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen
verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (BGE 127 II 56
Erw. 5a; zum Ganzen Häfelin/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl.,
Zürich 2002, S. 128 Rz 622 ff.).
3.3.2 Der Beschwerdeführer erblickt einen Verstoss gegen Treu und Glauben in
der nach seinem Dafürhalten übermässig langen Dauer der Rechnungsstellung für
die Beitragsnachforderung. Es liegt jedoch weder eine Zusicherung noch ein
sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Ausgleichskasse
vor, auf das er vertraut haben könnte. Des Weitern handelte die
Ausgleichskasse weder widersprüchlich noch rechtsmissbräuchlich. Insbesondere
liegt im Umstand, dass zwischen dem Empfang der definitiven Steuerveranlagung
und dem Erlass der Beitragsverfügung etwas mehr als fünf Monate vergingen,
kein Rechtsmissbrauch seitens der Verwaltung vor. Für eine Berufung auf Treu
und Glauben besteht daher keine Grundlage.

3.4
3.4.1Wie das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat, haben Verzugszinsen
den Zweck, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Schuldner bei
verspäteter Bezahlung einen Zinsvorteil geniessen kann, während der Gläubiger
einen Zinsnachteil erleidet (BGE 109 V 8 Erw. 4a). Sie stellen - jedenfalls
im Rahmen der ausdrücklich geregelten Verzugszinsen im AHV-Beitragsbereich -
analog den obligationenrechtlichen Verzugszinsen auf Geldschulden (Art. 104
f. OR) einen vereinfachten Schadens- und Vorteilsausgleich dar, der weder
einen Schadens- und Bereicherungsnachweis noch ein Verschulden am Verzug
voraussetzt. Mit den Verzugszinsen soll unbekümmert um den tatsächlichen
Nutzen und Schaden der Zinsverlust des Gläubigers einerseits und der
Zinsgewinn des Schuldners andererseits in pauschalierter Form ausgeglichen
werden. Weder für die Verzugszinspflicht als solche noch für deren Dauer
kommt es deshalb darauf an, ob den Beitragspflichtigen oder die
Ausgleichskasse ein Verschulden an der Verzögerung der Beitragsfestsetzung
oder -zahlung trifft, dies im Gegensatz zum Leistungsbereich, wo die
Verzugszinspflicht gemäss der bis Ende 2002 gültig gewesenen Regelung ein
rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Verwaltung (oder Rekursbehörde)
voraussetzte (ZAK 1992 S. 167 f. Erw. 4b mit Hinweisen).

3.4.2 Da die Pflicht zur Entrichtung von Verzugszinsen verschuldensunabhängig
ist, bestünde sie nach der Rechtsprechung (ZAK 1992 S. 168 Erw. 4c) auch für
den Zeitraum vom 13. Mai bis 14. Oktober 2003 selbst dann, wenn die
Ausgleichskasse die Rechnungsstellung für die Beitragsnachforderung
schuldhaft und trölerisch verschleppt hätte (wofür jedoch keine Anhaltspunkte
bestehen). Denn der Beschwerdeführer konnte währenddessen die nicht
abgerechnete und nicht abgelieferte Beitragsschuld zinsbringend nutzen.
Unerheblich ist, ob er während der Verzugsdauer aus dem Gegenwert der
Beitragsschulden tatsächlich Nutzen in der Höhe des gesetzlichen
Verzugszinssatzes gezogen hat. Die Pflicht zur Bezahlung von Verzugszinsen
beruht auf der Fiktion eines Zinsgewinns des Beitragsschuldners und
Zinsverlustes der Ausgleichskasse in der Höhe des gesetzlichen Verzugszinses
(ZAK 1992 S. 168 Erw. 4c), der sich während des hier interessierenden
Zeitraums auf fünf Prozent pro Jahr belief (Art. 42 Abs. 2 AHVV in der seit
1. Januar 2001 geltenden Fassung). Der die Verzugszinspflicht bis zur
Rechnungsstellung (Art. 41bis Abs. 2 AHVV) bestätigende kantonale Entscheid
ist somit bundesrechtskonform.

4.
Da weder die Bewilligung noch die Verweigerung von Versicherungsleistungen
streitig ist, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario).
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: