Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 144/2004
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H 144/04

Urteil vom 9. Februar 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Nussbaumer

W.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Meier, c/o
Kloter & Rüegsegger Rechtsanwälte, Rothfluhstrasse 50, 8702 Zollikon,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 15. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
Die am 1. März 2002 gegründete Firma E.________ AG war der Ausgleichskasse
des Kantons Thurgau angeschlossen, blieb dieser aber ab März 2002 die
paritätischen Sozialversicherungsbeiträge schuldig. Am 14. August 2003
stellte das Betreibungsamt H.________ vier Pfändungsverlustscheine über einen
Totalbetrag von Fr. 23'929.10 (davon Fr. 2664.10 FAK-Beiträge) aus. Mit
Verfügung vom 27. August 2003 verpflichtete die Ausgleichskasse W.________,
der seit 1. März 2002 zunächst Präsident des Verwaltungsrates und ab 14. Juli
2003 Mitglied des Verwaltungsrates jeweils mit Einzelunterschrift war, zur
Leistung von Schadenersatz in Höhe von Fr. 23'148.20 in solidarischer
Haftbarkeit mit V.________ und T.________. Mit Einspracheentscheid vom 21.
Januar 2004 hielt sie an der Schadenersatzverfügung vom 27. August 2003 fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 15. Juni 2004 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt W.________
Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides sei die Schadenersatzklage abzuweisen.
Kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Ausgleichskasse des Kantons
Thurgau verzichtet auf eine Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden,
als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im
vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in
dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung
in Höhe von Fr. 2664.10 für entgangene Beiträge an die kantonale
Familienausgleichskasse richtet (vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

2.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Die rechtlichen Grundlagen (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung
mit Art. 34 ff. AHVV) und die zur subsidiären Haftbarkeit der Organe (vgl.
statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b), zur Haftungsvoraussetzung des zumindest
grobfahrlässigen Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b; ZAK 1985
S. 576 Erw. 2, 619 Erw. 3a und b) sowie zur rechtzeitigen Geltendmachung des
Schadenersatzes (vgl. nunmehr BGE 128 V 10) ergangene Rechtsprechung finden
sich im angefochtenen Entscheid der kantonalen Rekurskommission zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

4.
4.1 Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat (vgl. Erw. 2 hievor),
blieb die Firma E.________ AG ab ihrer Gründung am 1. März 2002 die
paritätischen Beiträge der Ausgleichskasse schuldig. Damit verstiess sie
gegen die Beitragszahlungs- und Abrechnungspflicht und missachtete dadurch
Vorschriften im Sinne von Art. 52 AHVG. Dieses Verschulden der Arbeitgeberin
hat die Vorinstanz zu Recht auch dem Beschwerdeführer, welcher Organstellung
innehatte, als grobfahrlässiges Verhalten angerechnet. Es kann in diesem
Zusammenhang auf die einlässlichen Erwägungen der Vorinstanz verwiesen
werden.

4.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht, was die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als mangelhaft im Sinne von Art.
105 Abs. 2 OG erscheinen liesse. Hingegen lässt der Beschwerdeführer wiederum
vorbringen, die im Recht liegenden Pfändungsverlustscheine vom 14. August
2003 würden zu Unrecht kein pfändbares Vermögen ausweisen, da das
Betreibungsamt übersehen habe, dass die Aktiengesellschaft über eine
Forderung gegen ihre Aktionäre in der Höhe des noch nicht einbezahlten, aber
gezeichneten Aktienkapitals verfüge. Hiegegen wendet das Bundesamt für
Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung ein, es liege nicht in der
Zuständigkeit der Ausgleichskasse, über die Gültigkeit von
Pfändungsverlustscheinen zu entscheiden. Ebenso wenig könne sie die
Geltendmachung des Schadenersatzanspruches hinausschieben, weil vorgebracht
werde, die Verlustscheine seien mangelhaft, da sie andernfalls die Verjährung
ihres Anspruches riskieren würde. Gegen die Ausstellung von Verlustscheinen
könne bei der zuständigen Behörde Beschwerde nach Art. 17 SchKG geführt
werden. Nach unbenutztem Ablauf der Beschwerdefrist müsse die Ausgleichskasse
von der Richtigkeit der Verlustscheine ausgehen und die
Schadenersatzforderung gegenüber den Organen geltend machen können.
Dieser Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung ist beizupflichten.
Die Arbeitgeberfirma und der Beschwerdeführer als eines ihrer Organe hätten
es in der Hand gehabt, im Pfändungsverfahren entsprechende Einwendungen in
Bezug auf die nicht liberierten Aktien vorzubringen oder gegen Handlungen
oder Unterlassungen des Betreibungsamtes Beschwerde nach Art. 17 SchKG zu
erheben. Spätestens mit der Ausstellung der Pfändungsverlustscheine ist der
Schaden eingetreten, was ständiger Praxis des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts entspricht (vgl. BGE 123 V 15 Erw. 5c). Im Interesse
der Rechtssicherheit geht es nicht an, die Gültigkeit der Verlustscheine im
nachfolgenden Schadenersatzverfahren in Frage zu stellen. Vielmehr haben die
Arbeitgeber und deren Organe ihre diesbezüglichen Rechte im SchKG-Verfahren
zu wahren.

4.3 Des Weitern bringt der Beschwerdeführer vor, V.________ habe mit
Vereinbarung vom 1. Juli 2003 den Geschäftsbetrieb der Firma E.________ AG
übernommen. Dabei habe er sich verpflichtet, sämtliche Arbeitnehmer der Firma
E.________ AG zu übernehmen. Die Parteien hätten auch erklärt, von der
zwingenden Vorschrift des Art. 333 OR Kenntnis genommen zu haben. Nach
ständiger Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts würden in
analoger Anwendung von Art. 181 Abs. 1 OR auch die AHV-Beitragsschulden im
Rahmen einer Geschäftsübernahme auf die übernehmende Arbeitgeberin übergehen
(Hinweis auf EVGE 1963 S. 183 f., 1965 S. 11; vgl. auch BGE 119 V 388).
Auch mit dieser Argumentation dringt der Beschwerdeführer nicht durch.
Entgegen seiner Auffassung handelt es sich nicht um eine Geschäftsübernahme
im Sinne von Art. 181 Abs. 1 OR. Die unmittelbar vor der Ausstellung der
Pfändungsverlustscheine mit dem Solidarhaftpflichtigen V.________
abgeschlossene Vereinbarung erfasst nur einzelne namentlich bezeichnete Teile
und Verpflichtungen des Geschäftsbetriebes, so etwa den Negativsaldo bei
einer bestimmten Bank, das Mietverhältnis in einem Gewerbehaus und die
Übernahme von vier bereits auf Ende Juli 2003 gekündigten
Arbeitsverhältnissen. Demgegenüber beziehen sich die ausstehenden
Beitragsforderungen auf rund ein Dutzend Arbeitnehmende. In der Vereinbarung
vom 1. Juli 2003 findet sich denn auch kein Wort über die ausstehenden
Beitragsforderungen und die zu diesem Zeitpunkt bereits eingeleiteten
Pfändungsverfahren, obwohl beide Vertragsparteien als Organe der konkursiten
Arbeitgeberin davon Kenntnis haben mussten. Ebenso wenig wird in der
Vereinbarung vom 1. Juli 2003 auf Art. 181 OR Bezug genommen oder von einer
Geschäftsübernahme mit Aktiven und Passiven gesprochen. Schliesslich konnten
sich beide Vertragsparteien angesichts der unmittelbar bevorstehenden
Beendigung des Pfändungsverfahrens nicht durch Abschluss der erwähnten auf
den 1. Juli 2003 datierten Vereinbarung der drohenden Schadenersatzpflicht
entziehen. Angesichts der vorliegend speziellen Sachverhaltskonstellation
kann offen bleiben, wie es sich mit der Rechtsprechung gemäss BGE 119 V 389
Erw. 6b verhält.

5.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario in Verbindung mit Art. 156 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1700.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 9. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: