Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 142/2004
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H 142/04

Urteil vom 12. August 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Seiler;
Gerichtsschreiberin Keel Baumann

M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Ulrich
Grauer, Haldenstr. 2, 8280 Kreuzlingen,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 14. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
Die Firma P.________ AG wurde im Dezember 1999 ins Handelsregister des
Kantons St. Gallen eingetragen. M.________ amtete vom 1. Dezember 1999 bis 2.
November 2000 (Datum des Rücktrittsschreibens) als Verwaltungsrat mit
Kollektivunterschrift zu zweien. Am 26. März 2003 wurde über die Gesellschaft
der Konkurs eröffnet.

Der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, welcher die Gesellschaft als
abrechnungspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen war, wurden am 17. Juli und
am 30. September 2002 diverse Pfändungsverlustscheine von insgesamt Fr.
13'754.70 ausgestellt. Mit Verfügung vom 28. April 2003 machte die Kasse
gegenüber M.________ eine Schadenersatzforderung in der Höhe von Fr. 8'957.60
(Fr. 7'744.25 für entgangene bundesrechtliche Beiträge, Fr. 1'213.35 für
entgangene kantonalrechtliche Beiträge) geltend. Die von M.________ hiegegen
erhobene Einsprache wies die Kasse mit Entscheid vom 7. August 2003 ab.

B.
Beschwerdeweise liess M.________ die Aufhebung des Einspracheentscheides und
der Verfügung beantragen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Mit
Entscheid vom 14. Juni 2004 wies das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen die Beschwerde ab.

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren
stellen, es sei - unter Kosten- und Entschädigungsfolgen - der kantonale
Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass eine Schadenersatzpflicht nicht
gegeben ist. Eventualiter sei das Urteil aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zur Gutheissung der Beschwerde und damit Aufhebung der Verfügung
vom 28. April 2003 zurückzuweisen.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Rechtsprechungsgemäss kann auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur so weit
eingetreten werden, als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts
streitig ist (vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis). Soweit der
Beschwerdeführer dafürhält, dass im vorliegenden Prozess namentlich aus
Gründen der Verfahrensökonomie auch die Schadenersatzforderung für entgangene
Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse im Betrage von Fr. 1'213.35
zu beurteilen sei, weil es um Beiträge gehe, die zusammen erhoben würden und
auf gleichlautende Bestimmungen abgestützt würden, widerspricht dies
ständiger Rechtsprechung, an welcher das Eidgenössische Versicherungsgericht
bis heute (BGE 119 V 80 Erw. 1b mit Hinweisen; soweit ersichtlich letztmals
im Urteil B. vom 24. Juni 2005, H 112/04, Erw. 1.1) festhält. Namentlich
trifft es im Bereich der sozialversicherungsrechtlichen
Schadenersatzverfahren nicht zu, dass die vom kantonalen Recht geregelten
Fragen den vom Bundesrecht beherrschten so sehr untergeordnet sind, dass eine
Verzweigung des Rechtsweges nicht hingenommen werden kann (vgl. dazu Peter
Karlen, Verwaltungsgerichtsbeschwerde, in: Geiser/Münch [Hrsg.], Prozessieren
vor Bundesgericht, Handbücher für die Anwaltspraxis, 2. Aufl., Basel 1998. S.
98 Rz. 3.23).

2.
Die streitige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Im angefochtenen Entscheid wird zutreffend ausgeführt, dass in materieller
Hinsicht das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000
keine Anwendung findet (vgl. BGE 130 V 3 Erw. 3, 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw.
1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen). Zutreffend dargelegt werden sodann die hier
anwendbaren Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen der
subsidiären Haftbarkeit der Organe juristischer Personen für den der
Ausgleichskasse wegen schuldhafter Missachtung der Vorschriften über die
Beitragsabrechnung und -zahlung entstandenen Schaden (Art. 52 AHVG, Art. 14
Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV [in der bis Dezember 2000 in
Kraft gewesenen Fassung; AS 2000 1441]; dazu statt vieler BGE 123 V 15 Erw.
5b, 121 V 244 Erw. 4b und 5, 108 V 186 Erw. 1b), insbesondere zur
Haftungsvoraussetzung des Verschuldens in Form von Absicht oder zumindest
Grobfahrlässigkeit (BGE 121 V 244 Erw. 4b und 5, 108 V 186 Erw. 1b, je mit
Hinweisen). Gleiches gilt für die Ausführungen zur rechtzeitigen
Geltendmachung des Schadenersatzes (vgl. auch BGE 129 V 195 Erw. 2.1, 128 V
17 Erw. 2a, je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

4.
4.1 Wie bereits im kantonalen Verfahren macht der Beschwerdeführer geltend,
die in Art. 82 AHVV (in Kraft bis 31. Dezember 2002) vorgesehene
Verwirkungsfrist sei im Zeitpunkt der Geltendmachung der
Schadenersatzforderung bereits abgelaufen gewesen.

Ob vorliegend die altrechtliche, mit der Einführung des ATSG auf den 1.
Januar 2003 aufgehobene Verwirkungsnorm des Art. 82 AHVV (in Kraft bis 31.
Dezember 2002) zur Anwendung gelangt, wie dies der Beschwerdeführer für
richtig hält, oder die neurechtliche Verjährungsbestimmung des Art. 52 Abs. 3
AHVG (in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung) anzuwenden ist (vgl. dazu
die übergangsrechtlichen Überlegungen in Erw. 5.2 des in SJ 2005 I S. 272
veröffentlichten Urteils F. vom 30. November 2004, H 96/03) kann vorliegend
offen bleiben. Denn wie zu zeigen sein wird (Erw. 4.3 hienach), wurde die
Schadenersatzforderung im einen wie im andern Fall rechtzeitig geltend
gemacht.

4.2 Dass die Vorinstanz als fristauslösenden Zeitpunkt der Kenntnis des
Schadens die Zustellung der Pfändungsverlustscheine am 18. Juli 2002
betrachtet hat, wie dies bei der Betreibung auf Pfändung die Regel darstellt
(vgl. BGE 113 V 258; ZAK 1991 S. 127 Erw. 2, 1988 S. 122 Erw. 3c und S. 300
Erw. 3b), ist nicht zu beanstanden. Namentlich kann dem Beschwerdeführer
nicht beigepflichtet werden, soweit er die Pfändungsurkunde vom 21. November
2001 für massgebend hält mit der Begründung, es wäre bereits zum damaligen
Zeitpunkt - anstelle der vorgenommenen Pfändung - ein Verlustschein
auszustellen gewesen, was die Ausgleichskasse hätte erkennen und korrigieren
müssen. Denn es trifft nicht zu, dass der Schaden bereits im Zeitpunkt der
Ausstellung der Pfändungsurkunde feststand, wurde doch darin die
Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit in naher Zukunft in Aussicht gestellt,
so dass die Ausgleichskasse davon ausgehen durfte, dass ihre Forderung
(wenigstens teilweise) erfüllt werde. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer
eventualiter selber geltend macht, es stehe noch gar nicht fest, ob überhaupt
ein Verlust eintrete, weil die Firma P.________ AG erst im
Liquidationsstadium stehe.

4.3 Gilt als Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens nach dem Gesagten die
Zustellung der Pfändungsverlustscheine am 18. Juli 2002, ist mit der am 28.
April 2003 ergangenen Schadenersatzverfügung sowohl die altrechtliche
einjährige Verwirkungsfrist als auch die neurechtliche zweijährige
Verjährungsfrist gewahrt. Aus diesem Grunde kann offen gelassen werden, ob
vorliegend altes oder neues Recht zur Anwendung gelangt.

4.4 Unbehelflich ist sodann der vom Beschwerdeführer erhobene
Eventualeinwand, die Schadenersatzforderung sei - wenn nicht verjährt - so
jedenfalls verfrüht erfolgt, weil die Firma P.________ AG erst im
Liquidationsstadium stehe und somit noch gar nicht sicher sei, ob überhaupt
ein Verlust eintrete. Denn nach ständiger Rechtsprechung (BGE 113 V 180)
steht dieser Umstand dem Beginn des Fristenlaufs nicht entgegen. Die
Erstattungspflicht der haftpflichtigen Person beschränkt sich diesfalls auf
den ausgewiesenen Schaden unter Anrechnung einer allfälligen
Konkursdividende, worauf bereits die Ausgleichskasse im Einspracheentscheid
vom 7. August 2003 hingewiesen hat.

5.
Wie im angefochtenen Entscheid verbindlich festgestellt worden ist (vgl. Erw.
2.1 hievor), blieb die Firma P.________ AG die für Januar bis September 2000
geschuldeten pauschalen Lohnbeiträge einschliesslich Verwaltungsgebühren,
Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten schuldig. Damit verstiess
sie gegen die Beitragszahlungs- und -abrechnungspflicht und missachtete
Vorschriften im Sinne von Art. 52 AHVG (Art. 14 AHVG und Art. 34 AHVV).
Dieses Verschulden der Arbeitgeberin hat die Vorinstanz zu Recht auch dem
Beschwerdeführer, welcher Organstellung innehatte, als grobfahrlässiges
Verhalten angerechnet. Namentlich hat die Vorinstanz zutreffend ausgeführt,
dass der Beschwerdeführer, welcher bis August 2000 die Buchhaltung besorgte
und somit über die Lohnzahlungen informiert war, auf die korrekte Abrechnung
und Bezahlung der AHV-Beiträge hätte hinwirken müssen (vgl. auch SVR 1995 AHV
Nr. 70 S. 214 Erw. 5). Diesen Pflichten genügte er offensichtlich nicht, wenn
er sich nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid
darauf beschränkte, den Verwaltungsratspräsidenten mit Schreiben vom 31.
Oktober 2000 und 14. November 2000 (nach Bekanntgabe seines Rücktritts aus
dem Verwaltungsrat) zur Bezahlung der ausstehenden Beiträge aufzufordern.
Daran vermag der der Firma P.________ AG mit Schreiben vom 5. Januar 2001
bewilligte Zahlungsaufschub in Form eines Tilgungsplanes mit Ratenzahlungen
(vgl. Art. 34b AHVV in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung) nichts zu
ändern. Denn eine Berücksichtigung im Rahmen der Beurteilung des Verschuldens
des Beschwerdeführers (vgl. dazu BGE 124 V 254 Erw. 3b) fällt schon deshalb
ausser Betracht, weil der gestützt auf ein Gesuch der Firma P.________ AG vom
5. Dezember 2000 gewährte Zahlungsaufschub in die Zeit nach seinem
Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat fällt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 12. August 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: