Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 129/2004
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H 129/04

Urteil vom 14. Januar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und nebenamtlicher Richter Bühler;
Gerichtsschreiber Hadorn

S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Patrik Gruber,
Lausannegasse 38/40, 1701 Freiburg,

gegen

AHV-Ausgleichskasse FRSP-CIFA, Spitalgasse 15, 1701 Freiburg,
Beschwerdegegner

Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg, Givisiez

(Entscheid vom 19. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
S. ________ war Verwaltungsratspräsident der am 6. Januar 1989 gegründeten
Firma X.________ AG, und zwar bis 16. Dezember 1993 mit Einzelzeichnungs- und
danach bis zum 8. März 1995 mit Kollektivzeichnungsberechtigung zu Zweien. Ab
8. März 1995 war C.________ einziger Verwaltungsrat mit Einzelunterschrift.
S.________ blieb als Direktor mit Kollektivzeichnungsrecht zu Zweien im
Handelsregister eingetragen. Die X.________ AG war ab 1. Januar 1995 der
Ausgleichskasse FRSP-CIFA als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen.
Ab Juni 1995 bezahlte sie die Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr. Am 23.
November 1995 wurde über sie der Konkurs eröffnet. Nach Auflage des
Kollokationsplanes im Juni 1998 verlangte die Ausgleichskasse von C.________
und S.________ mit Verfügungen vom 23. Juli und 18. August 1998 je
Schadenersatz in der Höhe von Fr. 27'685.05 für nicht mehr bezahlte
Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Verwaltungskosten, Verzugszinsen und
Mahngebühren.

B.
Beide Belangten erhoben hiegegen Einspruch, worauf die Ausgleichskasse gegen
sie Klage auf Zahlung von Schadenersatz im verfügten Umfang erhob. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg vereinigte die zwei Verfahren und
hiess mit Entscheid vom 13. Juni 2002 beide Klagen gut.

C.
Die von S.________ dagegen geführte Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das
Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 23. Juni 2003 in dem Sinne
gut, dass es den ihn betreffenden Entscheid des kantonalen Gerichts vom 13.
Juni 2002 aufhob und die Sache an dieses zurückwies, damit es nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen über die Schadenersatzklage der
Ausgleichskasse neu entscheide.

D.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg zog vom kantonalen Konkursamt die
Buchhaltungsakten der Firma X.________ AG für die Zeit vom März 1995 bis zur
Konkurseröffnung bei und gab den Parteien Gelegenheit, dazu Stellung zu
nehmen. Mit Entscheid vom 19. Mai 2004 hiess es die gegen S.________ erhobene
Schadenersatzklage erneut gut und verpflichtete ihn, der Ausgleichskasse in
solidarischer Haftbarkeit mit C.________ Fr. 27'685.05 zu bezahlen.

E.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, es seien der
angefochtene Entscheid aufzuheben und die Schadenersatzklage abzuweisen.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

1.2 Hebt eine Rechtsmittelinstanz den angefochtenen Entscheid auf und weist
sie die Streitsache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück, so hat
diese die Erwägungen, mit denen die Rückweisung begründet wurde, ihrem neuen
Entscheid zu Grunde zu legen. Dieser Verfahrensgrundsatz ist in einzelnen
Prozessgesetzen ausdrücklich festgehalten, z.B. in Art. 66 Abs. 1 OG und Art.
277ter Abs. 2 BStPO, gilt aber für alle bundesgerichtlichen Verfahren auch
dort, wo - wie für das Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht - eine solche Bestimmung fehlt (BGE 99
Ib 520 Erw. 1b).

Soweit das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts auf die Erwägungen verweist, beinhaltet dies die
verbindliche Weisung (vgl. Art. 61 Abs. 1 VWVG) an die Vorinstanz, sich an
die Rechtsauffassung zu halten, mit der das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Rückweisung begründet hat. Das kantonale Gericht
darf sich in seinem neuem Entscheid nicht auf Erwägungen stützen, die das
Eidgenössische Versicherungsgericht im Rückweisungsentscheid ausdrücklich
oder sinngemäss verworfen hat. Hingegen darf die Vorinstanz ihren neuen
Entscheid mit Erwägungen begründen, die sie in ihrem ersten Entscheid noch
nicht angeführt hatte oder zu denen sich das Eidgenössische
Versicherungsgericht noch nicht geäussert hat (BGE 112 Ia 354 f. Erw. 3c/bb).
Dieselbe Bindung an seinen Rückweisungsentscheid gilt auch für das
Eidgenössische Versicherungsgericht selbst, wenn der neue kantonale Entscheid
wiederum weitergezogen wird (BGE 99 Ib 520 Erw. 1b, 94 I 389 Erw. 2 mit
Hinweisen; Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S.
232).

2.
2.1 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat im Urteil vom 23. Juni 2003
den materiellen oder faktischen Organbegriff im Einzelnen dargelegt und die
Streitsache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie in erster Linie an
Hand der Konkursakten der Firma X.________ AG prüfe, ob S.________ nach dem
8. März 1995, an welchem Tag er aus dem Verwaltungsrat der Unternehmung
ausgeschieden ist, deren Geschäftsführung namentlich im finanziellen, die
Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge mit umfassenden Bereich beibehalten
hat oder nicht. Eventualiter hat das Eidgenössische Versicherungsgericht die
Vorinstanz angewiesen, alle drei mit der Geschäftsführung der Firma
X.________ AG im letzten halben Jahr vor der Konkurseröffnung tatsächlich
befassten Personen, nämlich C.________, J.________ und den Beschwerdeführer,
als Zeugen bzw. als Partei anzuhören.

2.2 Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen aus folgenden, aus den
Konkursakten hervorgehendem Umständen geschlossen, dass der Beschwerdeführer
nach dem 8. März 1995 weiterhin im relevanten Geschäftsführungsbereich als
faktisches Organ tätig war:
- Der Beschwerdeführer hat am 7. Juli 1995 in einem von ihm und W.________
unterzeichneten Schreiben C.________ mitgeteilt, dass die Junilöhne zufolge
Überschreitung der Kreditlimiten zur Zeit nicht bezahlt werden könnten.

- Der Beschwerdeführer hat zusammen mit W.________ am 3. und 5. Juli 1995, am
10., 28. und 30. August 1995 sowie am 8. und 29. September 1995 die Bank
Y.________ mit der Ausführung von Lohn- und anderen Zahlungen beauftragt
sowie mit Schreiben vom 10. April 1995 der Ausgleichskasse des Kantons
Freiburg einen Abzahlungsplan für rückständige Sozialversicherungsbeiträge in
der Höhe von Fr. 25'137.10 unterbreitet.

Diese Urkunden hat das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg zu Recht dahin
gewürdigt, dass der Beschwerdeführer nach dem 8. März 1995 weiterhin im
Bereich der Lohn- und Beitragszahlungen als mit der Leitung der Firma
X.________ AG befasstes (faktisches) Organ selbstständig und
eigenverantwortlich handelte. Denn wer in einer Gesellschaft über die
Lohnzahlungen bestimmt, entscheidet mittelbar auch darüber, ob und wie lange
die vom Bruttolohn der Arbeitnehmer abgezogenen Arbeitnehmerbeiträge zusammen
mit den Arbeitgeberbeiträgen in der Unternehmung verbleiben oder an die
zuständige Ausgleichskasse abgeführt werden. Mit der Würdigung der den
Konkursakten entnommenen Urkundenbeweise und der Subsumtion der
entsprechenden Tatsachen hat die Vorinstanz weder den ihr im Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 23. Oktober 2003 erteilten
Weisungen zuwider gehandelt noch den dort vorgegebenen materiellen oder
faktischen Organbegriff oder anderweitiges Bundesrecht verletzt.

2.3 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, hält nicht stand. Es ist
aktenwidrig, wenn er behauptet, das kantonale Gericht habe sich lediglich auf
Urkunden gestützt, welche sich auf die Zeit vor Juni 1995 und damit auf eine
Zeitspanne bezögen, für welche die von der Firma X.________ AG geschuldeten
Sozialversicherungsbeiträge bezahlt worden seien. Namentlich für die
erwähnten Lohnzahlungsaufträge trifft das Gegenteil zu. Es ist auch nicht zu
beanstanden, dass die Vorinstanz auf die Einvernahme der Zeugen C.________
und J.________ verzichtet hat, weil sie in zulässiger antizipierter
Beweiswürdigung (vgl. BGE 124 V 94 Erw. 4b) zum Schluss gelangte, die beiden
Zeugen und die Befragung des Beschwerdeführers als Partei vermöchten an dem
aus den Konkursakten gewonnenen Beweisergebnis nichts mehr zu ändern. Von
einer unvollständigen Sachverhaltsfeststellung kann daher keine Rede sein.

An der Rechtsstellung des Beschwerdeführers als faktisches, für die Lohn- und
Beitragszahlungen der Firma X.________ AG verantwortliches Organ ändert
nichts, dass er diese leitende Funktion in kollektiver Verantwortung mit
W.________ und unter der Oberleitung des einzigen Verwaltungsrates C.________
(ab 8. März 1995) ausgeübt hat. Diesbezüglich ist auf den bereits im Urteil
vom 23. Juni 2003 dargelegten Grundsatz der solidarischen Haftung mehrerer
Organe hinzuweisen, welcher der Ausgleichskasse erlaubt, von mehreren
Verantwortlichen nur einen oder einzelne ins Recht zu fassen.

Soweit der Beschwerdeführer sich auf die aktienrechtlichen Bestimmungen über
die Delegation der Geschäftsführung an Dritte (Art. 716b OR) und die
Haftungsbeschränkung bei befugter Übertragung der Geschäftsführung (Art. 754
Abs. 2 OR) beruft, übersieht er, dass seine eigene Haftung als faktisches
Organ damit nichts zu tun hat, weil er nicht Geschäftsführungsbefugnisse
delegiert hat, sondern solche auf ihn übertragen wurden.

3.
3.1 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 23.
Juni 2003 mit den übrigen Haftungsvoraussetzungen von Art. 52 AHVG (Schaden,
Widerrechtlichkeit, Kausalität und qualifiziertes Verschulden) hinsichtlich
des Beschwerdeführers noch nicht befasst. Das kantonale Gericht hat daher die
entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen in seinem neuen Entscheid (Erw. 1.2)
zu Recht nochmals dargelegt und hinsichtlich des Beschwerdeführers in
bundesrechtskonformer Weise bejaht.

3.2 In diesem Zusammenhang behauptet der Beschwerdeführer einzig, er habe
versucht, die "Firma zu retten", indem er einen "Sanierer" gesucht und
gefunden habe, der ab 7. März 1995 einziger Verwaltungsrat der Firma
X.________ AG gewesen sei. Diese Behauptung ist ohne Belang, weil sie sich
nicht auf die geschäftsleitende Tätigkeit des Beschwerdeführers ab Juni 1995
bis zur Konkurseröffnung bezieht, während der die Sozialversicherungsbeiträge
nicht mehr bezahlt wurden. Diesbezüglich hat der Beschwerdeführer keinerlei
Sachumstände substantiiert, aus denen geschlossen werden könnte, er habe bei
objektiver und seriöser Beurteilung der finanziellen Lage der Unternehmung
deren Überleben als realistisch ansehen und deshalb der Bezahlung anderer
Forderungen (insbesondere der Arbeitnehmer und Lieferanten) vor derjenigen
der Sozialversicherungsbeiträge den Vorzug geben dürfen (BGE 108 V 188 Erw.
2; ZAK 1992, 248 Erw. 4b). Somit fehlt es auf Seiten des Beschwerdeführers
auch an einem Exkulpations- und Rechtfertigungsgrund, welcher ein
qualifiziertes Verschulden für den streitigen Beitragsausfall ausschliessen
könnte.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Der
unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156
Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 1900.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt
und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 14. Januar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: