Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 116/2004
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H 116/04

Urteil vom 28. Juli 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und nebenamtlicher Richter
Staffelbach; Gerichtsschreiber Flückiger

K.________, 1953, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Ulrich
Grauer, Haldenstrasse 2, 8280 Kreuzlingen,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 17. Mai 2004)

Sachverhalt:

A.
Eine Arbeitgeberkontrolle bei der Firma P.________ ergab, dass diese Firma im
Zusammenhang mit einem Lizenzvertrag Zahlungen an K.________ ausgerichtet
hatte. Nachdem die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau auf diesen Sachverhalt
hingewiesen worden war, verpflichtete sie K.________ mit Verfügungen vom 27.
Oktober 2003 zur Entrichtung von AHV/IV/EO-Beiträgen auf Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit für die Jahre 1998 und 1999 in Höhe von Fr.
5244.- bzw. Fr. 2234.40 (jeweils einschliesslich Verwaltungskosten). Mit
gleichentags erlassenen separaten Verfügungen wurden Verzugszinsen von Fr.
740.70 für das Jahr 1998 und Fr. 315.60 für das Jahr 1999 erhoben. Auf
Einsprache hin wurden diese vier Verfügungen mit Entscheid vom 4. März 2004
bestätigt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau ab (Entscheid vom 17. Mai 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ die Aufhebung des
kantonalen Entscheids und des Einspracheentscheids, eventuell die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung beantragen.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid
Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische
Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht
gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um
die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die dem Beschwerdeführer in den Jahren 1998
und 1999 durch die Firma P.________ ausbezahlten, der Höhe nach
unbestrittenen Lizenzgebühren beitragspflichtiges Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit darstellen.

3.
Was die materiellrechtliche Beurteilung anbelangt, sind in zeitlicher
Hinsicht diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei Erfüllung des zu
Rechtsfolgen führenden Tatbestandes (hier: gegebenenfalls Ausübung einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit in den Jahren 1998 und 1999) Geltung haben
(BGE 131 V 11 mit Hinweis). Die Beurteilung der Beitragspflicht und -höhe
richtet sich dementsprechend nach den in den Jahren 1998 und 1999 gültig
gewesenen Bestimmungen. Nicht anwendbar sind demgegenüber in
materiellrechtlicher Hinsicht die Vorschriften des am 1. Januar 2003 in Kraft
getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG). Die
verfahrensrechtlichen Normen des ATSG gelangen dagegen - von hier nicht
gegebenen Ausnahmen abgesehen - mit dem Tag ihres In-Kraft-Tretens sofort und
in vollem Umfang zur Anwendung (BGE 130 V 562 Erw. 3.1 mit Hinweisen).
Dementsprechend wurde richtigerweise das Einspracheverfahren gemäss Art. 52
ATSG durchgeführt.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer lässt geltend machen, durch die Beitragsverfügungen
vom 27. Oktober 2003 sei der zu einem früheren Zeitpunkt gefällte Entscheid,
auf den fraglichen Einkommen keine Beiträge zu erheben, in Wiedererwägung
gezogen worden. Eine Revision oder eine Wiedererwägung sei jedoch nur unter
den in Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG genannten Voraussetzungen zulässig. Diese
seien nicht erfüllt.

4.2 Den Akten ist zu entnehmen, dass die Steuerbehörden der Ausgleichskasse
am 7. März 2000 Einkommen des Beschwerdeführers aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit in Höhe von Fr. 1938.- für das Jahr 1997, Fr. 53'729.- für
das Jahr 1998 und Fr. 32'458.- für das Jahr 1999 gemeldet hatten. Auf eine
entsprechende Rückfrage hin erklärte das Steueramt, bei diesen Einkünften
handle es sich um Lizenzgebühren. Der Beschwerdeführer selbst nehme keine
aktive Vermarktung vor. In der Folge wurden am 3. Mai 2000 neue,
rektifizierte Steuermeldungen für die Jahre 1997 bis 1999 erlassen, welche
keine Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit mehr auswiesen. Die
Ausgleichskasse hatte sich also bereits damals mit der beitragsrechtlichen
Behandlung der fraglichen Einkünfte befasst. Allein dadurch, dass sie
anschliessend keine Beitragsverfügung erliess, hat sie jedoch nicht - auch
nicht formlos im Sinne des damals noch nicht geltenden Art. 51 Abs. 1 ATSG -
verbindlich über diese Frage entschieden. Die spätere, innerhalb der
Verwirkungsfrist gemäss Art. 16 AHVG erfolgte Erhebung von Beiträgen auf
diesem Einkommen ist daher nicht an die qualifizierten Anforderungen
gebunden, welche für die Wiedererwägung einer rechtskräftigen Verfügung
gelten.

5.
Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen zu den Begriffen des
Erwerbseinkommens im Allgemeinen (Art. 4 Abs. 1 AHVG; vgl. auch Art. 6 Abs. 1
AHVV) und des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Besonderen
(Art. 9 Abs. 1 AHVG; vgl. auch Art. 17 AHVV) sowie die Rechtsprechung zur
Einstufung des Einkommens aus Erfindertätigkeit als beitragsfreier
Kapitalertrag oder beitragspflichtiges Erwerbseinkommen, insbesondere zu den
in diesem Zusammenhang massgebenden Abgrenzungskriterien (BGE 97 V 28 mit
Hinweisen; SVR 1994 AHV Nr. 10 S. 24 Erw. 4b mit Hinweisen), zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen. Beizufügen bleibt, dass die Gerichtspraxis
namentlich dann von einem beitragsfreien Kapitalertrag ausgeht, wenn sich der
Erfinder durch die Einräumung einer ausschliesslichen Lizenz derart von
seinem Recht gelöst hat, dass er keinen Einfluss mehr auf Auswertung und
Weiterentwicklung und auch kein Mitspracherecht mehr besitzt. Alsdann stellen
die Lizenzgebühren nur noch die Entschädigung für die Abtretung eines Rechts
dar, also den Gegenwert für eine gleichsam vom Lizenzgeber entäusserte Sache,
und werden als Kapitalertrag betrachtet (SVR 1994 AHV Nr. 10 S. 24 Erw.
4b/aa; Urteil A. vom 20. März 2002, H 227/00, Erw. 4b/bb).

6.
Der Beschwerdeführer befand sich, wie die Vorinstanz richtig festgestellt
hat, während des massgebenden Zeitraums nicht in einer von der Firma
P.________ abhängigen Stellung. Die Qualifikation der im Zusammenhang mit der
Lizenzgewährung ausgerichteten Entgelte als massgebender Lohn scheidet daher
aus. Zu beantworten bleibt somit die Frage, ob die Lizenzgebühren als
Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit zu qualifizieren sind oder
beitragsfreien Kapitalertrag darstellen. Dies entscheidet sich, wie
dargelegt, namentlich danach, ob der Beschwerdeführer während des hier
relevanten Zeitraums (1998 und 1999) Einfluss auf die Auswertung und
Weiterentwicklung des lizenzierten Produkts nehmen konnte und diesbezüglich
ein Mitspracherecht hatte.

6.1 Der Beschwerdeführer hat die Anwendersoftware "Form 96" und "Stat 0000"
entwickelt, welche heute von verschiedenen Zivilstandsämtern der deutschen
Schweiz verwendet wird. Die Entwicklung erfolgte während der Freizeit, stand
aber in einem sachlichen Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als
Zivilstandsbeamter. Die Stadt X.________ als Arbeitgeberin verzichtete mit
Stadtratsbeschlüssen vom 28. November 1995 (befristet bis Ende 1996) und 17.
Dezember 1996 (Verlängerung auf unbestimmte Zeit) auf allfällige Rechte aus
dem Programm und stimmte dessen Verwendung in anderen Gemeinden zu. Bedingung
für diese Zusage war unter anderem, dass der Beschwerdeführer (nach Erteilung
der Lizenz an die Firma P.________) mit dem Vertrieb, dem Unterhalt und der
Weiterentwicklung des Programms nichts mehr zu tun haben werde. Seine
zukünftige Mitwirkung habe sich darauf zu beschränken, der Firma mitzuteilen,
in welchen Bereichen das Programm an neue Gegebenheiten (insbesondere
Änderungen von gesetzlichen Vorgaben und/oder Formularen) angepasst werden
sollte.

6.2 Im Anschluss an den ersten Stadtratsbeschluss kam am 2. September 1996
der Lizenzvertrag zwischen dem Beschwerdeführer und der Firma P.________
zustande. Gemäss dessen Ziffer 4 sind Abänderungen und Anpassungen der beiden
Programme in Absprache und mit schriftlicher Zustimmung des Lizenzgebers
vorzunehmen. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit der erwähnten, die
künftige Mitwirkung des Beschwerdeführers betreffenden Klausel des
Stadtratsbeschlusses zu sehen. Offensichtlich wurde eine Lösung angestrebt,
welche gewährleisten sollte, dass der Beschwerdeführer der Firma P.________
weiterhin das dieser fehlende, für die Aktualisierung der Programme
notwendige Wissen über Änderungen in Bezug auf Gesetz, Verwaltungsweisungen
und Formulare zur Verfügung stellen werde. Dies wird dadurch bestätigt, dass
der zweite Stadtratsbeschluss vom 17. Dezember 1996 ausdrücklich auch den
Amtsnachfolger des Beschwerdeführers ermächtigt, "die fachspezifischen
Informationen aus dem Zivilstandsamt an die Firma P.________ weiterzuleiten,
damit das Programm immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden kann". Dem
Beschwerdeführer stand somit gemäss dem Lizenzvertrag das Recht zu, weiterhin
auf Änderungen und Anpassungen der Computerprogramme Einfluss zu nehmen.

6.3 Ziffer 8 des Vertrages sieht die Erteilung einer ausschliesslichen Lizenz
vor. Laut Ziffer 15 ist der Lizenzgeber verpflichtet, die
Vertragsschutzrechte auf eigene Kosten aufrecht zu halten und gegen
Eingriffe, Nichtigkeitsklagen und andere Angriffe Dritter zu verteidigen.
Dies entspricht der in der schweizerischen Lehre herrschenden Meinung, wonach
den Lizenzgeber grundsätzlich, unter dem Titel der Genusserhaltung, die
Pflicht trifft, Verletzungen des Schutzrechts durch Dritte auf dem Rechtsweg
abzuwehren (Hilty, Lizenzvertragsrecht, Bern 2001, S. 464 ff., mit weiteren
Hinweisen). Bei einer ausschliesslichen Lizenz kann die aus dem absoluten
Schutzrecht fliessende Berechtigung des Lizenzgebers zur Rechtsverfolgung
jedoch auch (z.B. fiduziarisch) auf den Lizenznehmer übertragen werden
(Hilty, a.a.O., S. 466, mit weiteren Hinweisen). Im Rahmen einer
vollständigen Vergabe zu den in der Praxis bei solchen Vertragsverhältnissen
üblichen Bedingungen wäre die Lizenznehmerin demnach berechtigt gewesen,
selbstständig gegen Schutzrechtsverletzungen im Rahmen des Lizenzvertrages
vorzugehen.

6.4 Gemäss Ziffer 13 des Lizenzvertrages bedürfen allfällige Preisanpassungen
(mit Ausnahme von Rabattgewährungen bis 10%) der schriftlichen Zustimmung des
Lizenzgebers. Die Lizenznehmerin ist damit in der Preisgestaltung nicht frei,
sondern der Beschwerdeführer hat sich explizit ein Mitspracherecht
ausbedungen.

6.5 Gegen die Annahme einer definitiven Vergabe der Lizenzrechte sprechen
ausserdem die Kündigungsbestimmungen in den Ziffern 25-27 des
Lizenzvertrages. Diese sehen ein Dauerschuldverhältnis vor, welches auf
unbestimmte Zeit eingegangen wird und von beiden Parteien unter Einhaltung
einer Kündigungsfrist von sechs Monaten auf Ende eines Monats mit
eingeschriebenem Brief gekündigt werden kann. Der Lizenzgeber hat sich
ausserdem in Ziffer 27 explizit ein Recht zur fristlosen Kündigung im Falle
des Nichterbringens der Verkaufsaktivitäten durch die Lizenznehmerin, des
Verzugs bei der Zahlung der Lizenzgebühren sowie der Konkurseröffnung über
die Lizenznehmerin ausbedungen.

6.6 Der Zustimmungsvorbehalt für Änderungen und Anpassungen, das Recht, gegen
Schutzrechtsverletzungen vorzugehen, der Zustimmungsvorbehalt betreffend die
Preisgestaltung sowie das dem Beschwerdeführer eingeräumte Recht zur
fristlosen Kündigung belegen, dass ihm auch nach der Lizenzierung umfassende
Mitwirkungs- und Einspracherechte verblieben. Ob er von diesen rechtlichen
Möglichkeiten tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist für die
beitragsrechtliche Qualifikation der Lizenzgebühren unerheblich. Selbst wenn
man den Einfluss des Beschwerdeführers nicht als massgebend ansieht, steht
doch fest, dass er auf Grund des Lizenzvertrages berechtigt und gehalten war,
die Weiterentwicklung und Auswertung der Computerprogramme zu unterstützen
und damit auch zu beeinflussen. Dies reicht aus, um die Lizenzgebühren als
(beitragspflichtiges) Erwerbseinkommen und nicht als Kapitalertrag zu
qualifizieren.

7.
Weil das Verfahren keine Versicherungsleistungen betrifft, ist es
kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Ausgangsgemäss sind die Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135
OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau, der Ausgleichskasse SPIDA und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 28. Juli 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
i.V.