Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 93/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


B 93/04

Urteil vom 9. August 2005

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Meyer
und Kernen; Gerichtsschreiber Nussbaumer

1. M.________ AG,
2. Winterthur Columna, Stiftung für die berufliche Vorsorge, Paulstrasse
9, 8400 Winterthur,

Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt Markus Schultz,
Holenstein & Partner, Rorschacherstrasse 107, 9000 St. Gallen,

gegen

BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt, General Guisan-Quai 40, 8022 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden, Trogen

(Entscheid vom 30. Juni 2004)

Sachverhalt:

A.
Die M.________ AG schloss sich als Arbeitgeberin ab 1985 zur Durchführung der
beruflichen Vorsorge der BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt Zürich an. Am
12. Mai 1999 kündigte sie den Anschlussvertrag auf den 31. Dezember 1999 und
wechselte am 1. Januar 2000 zur Winterthur-Columna, Stiftung für berufliche
Vorsorge. In der Folge konnten sich die beiden ehemaligen Vertragsparteien
über die Modalitäten der Vertragsbeendigung, namentlich über die Höhe des
Überschussanteils und hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Umwandlung der
Rentenanstalt in eine Aktiengesellschaft 1997 zugeteilten Gratisaktien, nicht
einigen.

B.
Mit Eingabe vom 25. März 2002 reichten die M.________ AG und die
Winterthur-Columna gemeinsam Klage beim Verwaltungsgericht von Appenzell
Ausserrhoden gegen die BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt ein mit dem
Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu verpflichten, der Winterthur-Columna zu
Gunsten des Vorsorgewerks der M.________ AG Fr. 664'541.85 zuzüglich Zins zu
5 % zu bezahlen. In der Folge führte das Verwaltungsgericht einen doppelten
Schriftenwechsel durch. Anschliessend eröffnete es mit dem Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) einen Meinungsaustausch über die Frage der
sachlichen Zuständigkeit. Mit Verfügung vom 8. Dezember 2003 stellte das BSV
fest, dass es für die Beurteilung der Forderung der M.________ AG nicht
zuständig sei, da es sich beim Vollzug der Kündigung des Anschlussvertrags
zwar um eine Teilliquidation nach Art. 23 Abs. 4 lit. c FZG handle, dass der
Streit über die Höhe der freien Stiftungsmittel aber keinen Zusammenhang mit
den in Art. 23 FZG aufgeführten, von der Aufsichtsbehörde zu beurteilenden
Tatbestände habe. Die umstrittene Frage habe vielmehr den Charakter einer
Streitigkeit zwischen einer Vorsorgeeinrichtung und dem Arbeitgeber, wofür
sachlich das Gericht nach Art. 73 BVG zuständig sei. Gleiches gelte für die
umstrittenen Verzugszinsen und die Kürzung des dem Vorsorgewerk
gutgeschriebenen Überschussanteils. Nach Eintritt der Rechtskraft der nicht
angefochtenen Verfügung des BSV vom 8. Dezember 2003 prüfte das
Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden die vom BSV aufgeworfene Frage
der örtlichen Zuständigkeit und trat mit Entscheid vom 30. Juni 2004 auf die
Klage vom 25. März 2002 nicht ein.

C.
Die M.________ AG und die Winterthur-Columna führen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid
vom 30. Juni 2004 sei aufzuheben.

Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt und
das BSV verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Nach Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BVG bezeichnet jeder Kanton ein Gericht, das
als letzte kantonale Instanz über Streitigkeiten zwischen
Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet.
Gerichtsstand ist nach Art. 73 Abs. 3 BVG der schweizerische Sitz oder
Wohnsitz des Beklagten oder der Ort des Betriebes, bei dem der Versicherte
angestellt wurde.

2.2 Das kantonale Gericht verneinte seine örtliche Zuständigkeit mit der
Begründung, der Sitz der Beklagten befinde sich in Zürich und einen
alternativen Ort eines Betriebes, bei dem ein am Prozess beteiligter
Versicherter angestellt worden sei, gebe es im vorliegenden Fall nicht, weil
nebst der neuen Vorsorgeeinrichtung allein die Arbeitgeberin, aber keiner
ihrer versicherten Arbeitnehmer am Prozess beteiligt sei. Es gelte somit
ausschliesslich der vom Bundesrecht einzig vorgesehene und zwingende
Gerichtsstand am Sitz der Beklagten. Der Gerichtsstand befinde sich daher in
Zürich, weshalb auf die Klage wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit nicht
eingetreten werden könne.

2.3 Art. 73 Abs. 3 BVG regelt die örtliche Zuständigkeit für
berufsvorsorgerechtliche Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen,
Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten. Gerichtsstand ist der schweizerische
Sitz oder Wohnsitz des Beklagten oder der Ort des Betriebes, bei dem der
Versicherte angestellt wurde. Damit räumt Art. 73 Abs. 3 BVG der klagenden
Partei für den örtlichen Gerichtsstand eine Wahlmöglichkeit ein, und zwar
zwischen dem Sitz/Wohnsitz der beklagten Partei oder dem Ort des Betriebes,
bei dem der Versicherte angestellt war oder ist (Bruno Lang, Rechtspflege und
kantonale Aufsicht gemäss BVG, in: Der Schweizer Treuhänder 1984, Heft 12, S.
402; Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., S.
476; Hans Michael Riemer, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz,
S. 130: Hans Rudolf Schwarzenbach-Hanhart, Die Rechtspflege nach dem BVG, SZS
1983, S. 178; Christian Zünd, Kommentar zum Gesetz über das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, S. 25 ). Dabei kann es für den
Wahlgerichtsstand nicht darauf ankommen, ob die klagende Partei eine
Vorsorgeeinrichtung, ein Arbeitgeber oder ein Versicherter ist. Der Ort des
Betriebes, wo ein Versicherter angestellt war oder ist, kommt für alle drei
in Art. 73 Abs. 1 BVG erwähnten Parteien des Berufsvorsorgeprozesses in
Frage. Etwas anderes lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch der
bundesrätlichen Botschaft vom 19. Dezember 1975 (BBl 1976 I 149 ff., insbes.
S. 210 - 213, 270 und S. 309) und dem angeführten Schrifttum entnehmen. Unter
diesen Umständen ist auch nicht entscheidend, dass die Parteien des
Anschlussvertrages in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die
kollektive BVG-Spar- und Risikoversicherung vereinbart haben, als
Gerichtsstand stünden dem Versicherungsnehmer (d.h. hier die Arbeitgeberin)
wahlweise Zürich oder sein schweizerischer Sitz zur Verfügung. Es kann daher
offen bleiben, ob es sich bei der in Art. 73 Abs. 3 BVG geregelten örtlichen
Zuständigkeit um eine zwingende Zuständigkeit handelt oder ob die Parteien
beispielsweise in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen die in Art. 73
Abs. 3 BVG vorgesehene Wahlmöglichkeit einschränken können (vgl. auch das
auszugsweise in SZS 1994 S. 58 publizierte Urteil in Sachen
Personalfürsorgestiftung der Firma T. vom 13. Oktober 1992, B 18/91).

3.
Dem Prozessausgang entsprechend ist die Beschwerdegegnerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 und 159 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der vorinstanzliche
Entscheid vom 30. Juni 2004 aufgehoben und die Sache an das
Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden zurückgewiesen, damit es auf
die Klage vom 25. März 2002 eintrete und darüber entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 5000.- werden der BVG-Sammelstiftung der
Rentenanstalt auferlegt.

3.
Die geleisteten Kostenvorschüsse von je Fr. 5000.- werden der M.________ AG
und der Winterthur-Columna, Stiftung für berufliche Vorsorge,
zurückerstattet.

4.
Die BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt hat den beiden Beschwerdeführerinnen
eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 3000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell
Ausserrhoden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 9. August 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
i.V.