Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 89/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


B 89/04

Urteil vom 13. September 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Scartazzini

Personalstiftung der X.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Fürsprecher Dr. Ulrich Glättli, Martin Disteli-Strasse 9, 4600 Olten,

gegen

J.________, 1949, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kreso
Glavas, Markusstrasse 10, 8006 Zürich

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 12. August 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1949 geborene J.________ erhob am 11. Juni 2003 beim Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn Klage gegen die Personalstiftung der X.________ AG mit
den Rechtsbegehren, es seien ihr ab 1. März 2001 die ordentlichen
BVG-Leistungen zuzüglich 5 % Zins seit Ende Dezember 2002 auszurichten. Die
Beklagte beantragte mit Klageantwort vom 24. September 2003, der Klägerin
seien die BVG-Leistungen in der Höhe des von der Invalidenversicherung
festgelegten Invaliditätsgrades samt Zins ab 16. März 2002 zu gewähren. Mit
Replik vom 4. Dezember 2003 stellte die Klägerin das Begehren, die Leistungen
seien ihr in der Höhe des von der Invalidenversicherung festgestellten
Invaliditätsgrades samt Zins ab 12. März 2002 zu entrichten, worauf die
Beklagte mit Duplik vom 16. Juni 2004 die Abschreibung des Verfahrens zufolge
Gegenstandslosigkeit beantragte.

Das kantonale Gericht hiess die Klage mit Entscheid vom 12. August 2004
teilweise gut, soweit sie nicht gegenstandslos geworden war. Dabei wurde die
Personalstiftung der X.________ AG verpflichtet, der Klägerin mit Wirkung ab
12. März 2002 eine ganze Invalidenrente von 35 % des versicherten Verdienstes
abzüglich der bereits erbrachten Leistungen auszurichten, zuzüglich 5 % Zins
ab 11. Juni 2003.

B.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Personalstiftung der X.________
AG in Aufhebung des kantonalen Entscheides beantragen, die Klage von
J.________ sei vollumfänglich abzuweisen. Mit ihrer Eingabe lässt sie ein
vollständiges Exemplar des ab 1. Januar 2001 geltenden Vorsorgereglements
einreichen.

J. ________ lässt sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art.
73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch
in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 130 V 104 Erw. 1.1, 112 Erw.
3.1.2, 128 II 389 Erw. 2.1.1, 128 V 258 Erw. 2a, 120 V 18 Erw. 1a, je mit
Hinweisen).

In zeitlicher Hinsicht sind für das Eidgenössische Versicherungsgericht die
tatsächlichen Verhältnisse massgebend, wie sie sich bis zum Erlass des
kantonalen Gerichtsentscheides entwickelt haben (nicht publ. Erw. 1b des
Urteils BGE 127 V 373; SZS 1999 S. 149 Erw. 3 Ingress).

1.2 Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Beschwerdeführerin auf Grund
der zeitlich massgebenden reglementarischen Bestimmungen der
Beschwerdegegnerin lediglich eine 30%ige Invalidenrente auszurichten hat,
oder ob sich die Rente wegen unterlassener Einreichung des ab 1. Januar 2001
geltenden Reglements beim kantonalen Gericht  und mangelnder Abklärung der
gesetzlich und reglementarisch der Beschwerdegegnerin zustehenden
Invalidenleistungen auf Grundlage von 35 % des versicherten Jahreslohnes
belaufen muss.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf
Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge (Art. 23 f. BVG)
zutreffend dargelegt und dabei festgestellt, dass sich eine entsprechende
Regelung auch im Reglement der Beklagten befindet. Danach beläuft sich die
ganze Rente nach dem ab 1. Januar 2001 geltenden Reglement auf 35 % des
versicherten Jahreslohnes, während die bis 31. Dezember 2000 geltende Fassung
des Reglements lediglich 30 % des anrechenbaren Jahreslohnes vorsah. Das
kantonale Gericht hat sodann erwogen, sowohl nach Gesetz als auch nach
Reglement sei das für die Rente anspruchsbegründende Ereignis der Eintritt
der Invalidität, was voraussetze, dass die Arbeitsunfähigkeit der
versicherten Person eine bestimmte Zeit angedauert hat. Ändere sich das Recht
zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Eintritt der Invalidität,
so sei nach der Rechtsprechung das im letzten Zeitpunkt geltende Recht
anwendbar (BGE 121 V 97 ff.). Die Arbeitsunfähigkeit habe im vorliegenden
Fall im März 2000 eingesetzt, sodass die einjährige Wartezeit erst nach dem
1. Januar 2001 abgelaufen sei, als bereits das neue Reglement mit einer Rente
von 35 % des versicherten Lohnes galt.

2.2 Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, Ziffer 4.6.1 des ab 1. Januar 2001
gültigen Reglements bestimme, dass die volle jährliche IV-Rente 35 % des
versicherten Jahreslohnes beträgt. Am Schluss von Ziffer 4.6.1 werde
allerdings festgelegt, für laufende Invaliditätsfälle sei das im Zeitpunkt
der für die Invalidität ursächlichen Arbeitsunfähigkeit gültige Reglement
weiterhin anzuwenden. Auch Ziffer 8.1 des Reglements lege fest, dass
Änderungen der reglementarischen Bestimmungen nur für die am 1. Januar 2001
aktiv versicherten Personen gelten, nicht jedoch für Leistungsbezüger und
Personen, die in diesem Zeitpunkt arbeits- bzw. erwerbsunfähig sind. Am 15.
Juni 2004 habe die Zürich Versicherungsgesellschaft im Namen der
Personalstiftung und als ihr neuer Rückversicherer eine Rentenverfügung
erlassen, woraus klar ersichtlich sei, dass der Beschwerdegegnerin eine Rente
von 30 % des anrechenbaren Jahresverdienstes zustehe. In BGE 121 V 97 ff. sei
entschieden worden, den Regeln des intertemporalen Verwaltungsrechts
entsprechend seien die neuen Reglementsbestimmungen im Zeitpunkt des
Eintritts der Invalidität nur anwendbar, wenn deren Anwendung nicht
ausgeschlossen worden sei. Dies treffe nach Ziffer 4.6.1 und Ziffer 8.1 der
neu in Kraft getretenen Fassung des Reglements für Personen, die am 1. Januar
2001 arbeits- bzw. erwerbsunfähig waren, jedoch zu, wobei dieser Grundsatz in
der Verfügung vom 15. Juni 2004 auch durchgesetzt worden sei. Darüber habe
sich das kantonale Gericht auf Grund einer unvollständigen Aktenlage zu
Unrecht hinweggesetzt, anstatt zu berücksichtigen, dass im neuen
Vorsorgereglement die rückwirkende Anwendung der neuen Bestimmungen
ausgeschlossen sind und der Beschwerdegegnerin somit lediglich eine 30%ige
Rente zustehe.

2.3 Die Beschwerdeführerin hatte in ihrer Klageantwort vom 24. September 2003
beantragt, der Beschwerdegegnerin seien die BVG-Leistungen in der Höhe des
von der Invalidenversicherung festgelegten Invaliditätsgrades samt Zins ab
16. März 2002 zu gewähren. Nachdem die Beschwerdegegnerin in der Replik das
Begehren gestellt hatte, die Leistungen seien ihr ab 12. März 2002 zu
entrichten, beantragte die Beschwerdeführerin in ihrer Duplik die
Abschreibung des Verfahrens zufolge Gegenstandslosigkeit und fügte bei, es
müsse der Beschwerdegegnerin eine Rente von 30 % des anrechenbaren Lohnes
ausgerichtet werden, weil sich das rentenauslösende Ereignis vor dem 1.
Januar 2000 und somit nach alter Reglementsordnung vollzogen habe. Im Rahmen
des vorinstanzlichen Verfahrens forderte das kantonale Gericht die
Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 24. Juli 2003 ausdrücklich auf, ein
vollständiges Exemplar des ab 1. Januar 2001 geltenden Reglements
einzureichen und ihm mitzuteilen, welches die gesetzlichen und
reglementarischen Invalidenleistungen der Beschwerdegegnerin in diesem
Zeitpunkt seien. Die Beschwerdeführerin hat es indessen unterlassen, je ein
vollständiges Exemplar dieses Reglements einzureichen und hat auch in keiner
ihrer Rechtsschriften auf die am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen, in
Ziffer 4.6.1 und Ziffer 8.1 enthaltenen intertemporalrechtlichen Bestimmungen
hingewiesen, wonach das im Zeitpunkt der für die Invalidität ursächlichen
Arbeitsunfähigkeit gültige Reglement weiterhin anzuwenden ist, während
Änderungen der reglementarischen Bestimmungen für Personen, die am 1. Januar
2001 arbeits- bzw. erwerbsunfähig sind, nicht gilt.

3.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass das neue Reglement in seiner Gesamtheit
erst im bundesgerichtlichen Verfahren eingereicht wurde. Der Vorinstanz waren
die anzuwendenden intertemporalrechtlichen Bestimmungen somit nicht bekannt
und sie konnte diese auch nicht aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin
in der Duplik vom 16. Juni 2004 ableiten, umso weniger, als darin
fälschlicherweise auf den 1. Januar 2000, anstatt auf den 1. Januar 2001
Bezug genommen wurde. Allerdings ist die Abklärung des anwendbaren Rechts dem
Prinzip der Rechtsanwendung von Amtes wegen entsprechend (BGE 130 V 259 ff.
Erw. 3.5 und 3.8) und mit Ausnahmen, die hier nicht interessieren, Sache des
Richters. Dies war der Vorinstanz bewusst, hat sie doch erkannt, dass es
darum ging, welches Reglement anwendbar ist. Deshalb hat sie von der
Vorsorgeeinrichtung auch die Einsendung des neuen Reglements verlangt. Sie
hat es indessen unterlassen, darauf zu achten, dass das Reglement wirklich
nachgereicht wurde. Da eine sorgfältige Rechtsanwendung das Abstellen auf
Kurzfassungen von Reglementen einer Vorsorgeeinrichtung nicht zulässt, ist es
zur Hauptsache dem kantonalen Gericht anzulasten, dass es unrichtigerweise
das neue Reglement in seiner Kurzfassung, welche die Regelung in Ziff. 8.1
Abs. 2 des neuen Reglements nicht enthielt, angewandt hat. Bezeichnenderweise
stellen denn auch sowohl die Vorinstanz wie auch die Beschwerdegegnerin nicht
in Abrede, dass im vorliegenden Fall das alte Reglement anwendbar ist.

Aus dem Gesagten folgt, dass die Invalidenrente der Beschwerdegegnerin in
Anwendung des im massgeblichen Zeitpunkt gültigen Reglements auf lediglich 30
% des anrechenbaren Jahreslohnes zu berechnen ist.

4.
4.1 Da im vorliegenden Verfahren die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen streitig war, fällt es unter die Kostenfreiheit
gemäss Art. 134 OG.

4.2 Die Parteientschädigung ist im vorliegenden Fall nicht dem
Verfahrensausgang entsprechend (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135
OG) zu verlegen. Beschwerdegegnerin und Vorinstanz führen zu Recht aus, dass
das Verhalten der beschwerdeführenden Vorsorgeeinrichtung ihr in Rechnung zu
stellen ist. Weil sie es versäumt hat, der Aufforderung des kantonalen
Gerichts auf Einreichung des Reglements nachzukommen, sind ihr die
Anwaltskosten der Beschwerdegegnerin für beide Instanzen zu überbinden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 12. August 2004 insoweit
abgeändert, als der Beschwerdegegnerin eine ganze Invalidenrente von 30 % des
versicherten Verdienstes abzüglich der bereits erbrachten Leistungen,
zuzüglich 5 % Zins ab 11. Juni 2003 ausgerichtet wird.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 300.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 13. September 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: