Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 21/2004
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B 21/04

Urteil vom 29. November 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Widmer

E.________, 1964, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Personalfürsorgestiftung der Firma X.________, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 3. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
Die 1964 geborene E.________ arbeitete seit 1. Dezember 1990 als
kaufmännische Angestellte bei der Firma X.________, und war damit bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfälle
versichert, während sie für die berufliche Vorsorge bei der
Personalfürsorgestiftung der Arbeitgeberin versichert war. Am 9. August 1991
prallte sie während des Squashspiels mit ihrer Gegnerin zusammen. Dabei zog
sie sich Verletzungen der Halswirbelsäule zu. Seit 1. August 1994 bezieht
E.________ gemäss Verfügung der IV-Stelle Luzern vom 10. Mai 1995 bei einem
Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Die
SUVA sprach ihr mit Verfügung vom 26. Juni 2002 ab 1. Juni 2002 auf der
Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % eine Invalidenrente zu, die als
Komplementärrente zur Rente der Invalidenversicherung berechnet wurde und
sich auf Fr. 2366.- im Monat belief. Mit Einspracheentscheid vom 18.
September 2002 hielt die SUVA an dieser Rentenberechnung fest. Die von
E.________ hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern mit Entscheid vom 3. Februar 2004 ab. Diesen Entscheid hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde der
Versicherten hin mit Urteil vom heutigen Tag (U 86/04) letztinstanzlich
bestätigt.

Nachdem E.________ mit Schreiben vom 5. Juli 2002 an die
Personalfürsorgestiftung gelangt war, teilte ihr diese am 11. Juli 2002 mit,
dass sie keinen Anspruch auf eine Invalidenrente nach BVG habe, weil die
Invalidenleistungen der Invalidenversicherung und der SUVA 90 % ihres
mutmasslichen Verdienstes (von Fr. 54'972.-) erreichten.

B.
Am 18. Juli 2002 liess E.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
Klage einreichen mit den Anträgen, die Personalfürsorgestiftung sei zu
verpflichten, ihr ab 1. Juni 2002 eine ungekürzte, eventuell eine gekürzte
Invalidenrente nach BVG, auszurichten. In teilweiser Gutheissung der Klage
verpflichtete das Verwaltungsgericht die Personalfürsorgestiftung, der
Versicherten ab 1. Juni 2002 eine Invalidenrente nach BVG in der Höhe von Fr.
951.- im Jahr auszurichten (Entscheid vom 3. Februar 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt E.________ das vorinstanzlich
gestellte Hauptbegehren um Zusprechung einer ungekürzten BVG-Invalidenrente
ab 1. Juni 2002 erneuern.

Während die Personalfürsorgestiftung auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da die Streitigkeit Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG
betrifft, erstreckt sich die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts nicht nur auf die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sondern auch
auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei
nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder
Ungunsten hinausgehen (BGE 126 V 470 Erw. 1b).

2.
Gemäss Art. 34 Abs. 2 BVG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 BVV2 (je in der
vorliegend anwendbaren, bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung) kann die
Vorsorgeeinrichtung die Hinterlassenen- und Invalidenleistungen kürzen,
soweit sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 % des mutmasslich
entgangenen Verdienstes übersteigen. Nach Art. 24 Abs. 2 BVV2 gelten als
anrechenbare Einkünfte Leistungen gleicher Art und Zweckbestimmung, die der
anspruchsberechtigten Person auf Grund des schädigenden Ereignisses
ausgerichtet werden, wie Renten oder Kapitalleistungen mit ihrem
Rentenumwandlungswert in- und ausländischer Sozialversicherungen und
Vorsorgeeinrichtungen, mit Ausnahme von Hilflosenentschädigungen, Abfindungen
und ähnlichen Leistungen. Unter dem Begriff «mutmasslich entgangener
Verdienst» im Sinne von Art. 24 Abs. 1 BVV2 ist das hypothetische Einkommen
zu verstehen, das die versicherte Person ohne Invalidität erzielen könnte
(BGE 126 V 96 Erw. 3). Es besteht eine weitgehende Parallele zum
IV-rechtlichen Valideneinkommen, jedoch keine Kongruenz: Während bei der
Ermittlung des Valideneinkommens auf Grund des unterstellten ausgeglichenen
Arbeitsmarktes (vergleiche Art. 16 ATSG) von der konkreten Arbeitsmarktlage
zu abstrahieren ist, sind bei der Festsetzung des mutmasslich entgangenen
Verdienstes die spezifischen Gegebenheiten und tatsächlichen Chancen der
versicherten Person auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt mitzuberücksichtigen
(Urteil S. vom 2. September 2004, B 17/03). Massgebend für die Bestimmung des
hypothetischen Einkommens ist der Zeitpunkt, in welchem sich die
Kürzungsfrage stellt (BGE 126 V 96 Erw. 3).

3.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Beschwerdeführerin ab 1. Juni 2002
grundsätzlich Anspruch auf eine Invalidenrente nach BVG hat, die sich
ungekürzt auf Fr. 10'957.- im Jahr belaufen würde. Streitig und zu prüfen
ist, ob die Personalfürsorgestiftung befugt ist, ihre Invalidenleistungen
wegen Vorliegens einer Überentschädigung zu kürzen. Dies trifft dann zu, wenn
die Invalidenrenten der Invalidenversicherung und der Unfallversicherung von
insgesamt Fr. 49'944.- (Rente der Invalidenversicherung: Fr. 21'552.-; Rente
der Unfallversicherung: Fr. 28'392.-) zusammen mit der Rente nach BVG 90 %
des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen.

3.1 Während die Vorinstanz zur Auffassung gelangte, dass sich der mutmasslich
entgangene Verdienst der Versicherten im Jahr 2002 entsprechend den
schriftlichen Angaben der Firma X.________ gegenüber der SUVA vom 29. April
2002 auf Fr. 56'550.- (13 x Fr. 4350.-) belaufe, stellt sich die
Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, ihr hypothetisches Einkommen ohne
Invalidität hätte im massgebenden Jahr rund Fr. 74'050.- betragen, da sie auf
Grund ihrer ausgezeichneten Arbeitszeugnisse karrierebedingte, insbesondere
erfahrungs- und altersbedingte Lohnerhöhungen erhalten hätte.

3.2 Der ohne Invalidität erzielbare Verdienst ist unter Berücksichtigung der
individuellen, persönlichen und beruflichen Verhältnisse der versicherten
Person zu bestimmen. Dabei sind nach der Rechtsprechung zu altArt. 28 Abs. 2
IVG und altArt. 18 Abs. 2 UVG (je in der bis zum 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Fassung; seit 1. Januar 2003 Art. 16 ATSG) theoretisch vorhandene
berufliche Entwicklungs- oder Aufstiegsmöglichkeiten nur dann zu beachten,
wenn sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eingetreten wären. Für die
Annahme einer mutmasslichen Weiterentwicklung wird daher der Nachweis
konkreter Anhaltspunkte dafür verlangt, dass die versicherte Person einen
beruflichen Aufstieg und ein entsprechend höheres Einkommen auch tatsächlich
realisiert hätte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. Es müssen konkrete
Hinweise für das behauptete berufliche Fortkommen bestehen, so z.B. wenn der
Arbeitgeber dies konkret in Aussicht gestellt oder gar zugesichert hat.
Sodann genügen blosse Absichtserklärungen der versicherten Person nicht.
Vielmehr muss die Absicht, beruflich weiterzukommen, bereits durch konkrete
Schritte kundgetan worden sein (BGE 96 V 29; RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 Erw.
3b; Urteil L. vom 25. Juni 2004, I 170/03). Diese für die Ermittlung des
hypothetischen Einkommens ohne Invalidität entwickelten Grundsätze gelten
auch, wenn der mutmasslich entgangene Verdienst im Sinne von Art. 24 Abs. 1
BVV 2 zu bestimmen ist (erwähntes Urteil S. Vom 2. September 2004, B 17/03).

3.3 Auf Anfrage der SUVA erklärte die Firma X.________ am 29. April 2002
schriftlich, dass die Beschwerdeführerin bei einer Weiterbeschäftigung im
Betrieb im Jahre 2002 einen mutmasslichen Monatslohn von Fr. 4350.- (x 13)
bezogen hätte. Entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
sind keine Gründe ersichtlich, am Beweiswert dieser von der SUVA im
Administrativ-Verfahren eingeholten Auskunft zu zweifeln. Die Form einer
schriftlichen Anfrage ist zulässig und kommt gerade dann in Betracht, wenn
Auskünfte zu wesentlichen Punkten des rechtserheblichen Sachverhalts
einzuholen sind (BGE 117 V 285 Erw. 4c mit Hinweis). Sodann liegen keine
Anhaltspunkte für zu tiefe Lohnangaben der früheren Arbeitgeberfirma vor, wie
den nachfolgenden Darlegungen (Erw 3.4 hienach) zu entnehmen ist.

3.4 Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz gestützt auf die Angaben
der X.________ den mutmasslich entgangenen Verdienst der Beschwerdeführerin
im Jahre 2002 auf Fr. 56'550.- (13 x Fr. 4350.-) festgesetzt hat. Laut der
vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung 2002, TA1, lag im Jahre 2002 der monatliche Bruttolohn
(Zentralwert von im Dienstleistungssektor tätigen Frauen für Arbeiten, welche
Berufs- und Fachkenntnisse voraussetzen (Anforderungsniveau 3), auf der
Grundlage einer 40-Stundenwoche und einschliesslich des 13. Monatslohnes bei
Fr. 4682.-. Im Vergleich dazu beläuft sich der von der Vorinstanz als
massgeblich erachtete Monatsverdienst auf Fr. 4712.50 (Fr. 56'550.- : 12).
Selbst wenn den Gehaltsangaben der X.________ 42 Arbeitsstunden in der Woche
zu Grunde liegen sollten, was sich ihrer schriftlichen Auskunft vom 29. April
2002 nicht entnehmen lässt, läge der vom kantonalen Gericht angenommene
mutmassliche Lohn nahe beim statistischen Durchschnittslohn im
Dienstleistungssektor.

Des Weiteren ist zu beachten, dass der mutmassliche Lohn von Fr. 56'550.-
(Fr. 4350.- x 13), den die Beschwerdeführerin laut Angaben der Firma
X.________ im Jahre 2002 verdient hätte, um rund 21 % über dem ihr 1991
ausbezahlten Salär von Fr. 46'800.- liegt. Im praktisch gleichen Umfang (20,5
%) stiegen im Zeitraum 1991 bis 2002 in der Schweiz die durchschnittlichen
Nominallöhne (Die Volkswirtschaft 1996, Heft 10, aktuelle Wirtschaftsdaten,
S. 13, Tabelle B 4.4 und 2002, Heft 10, S. 89, Tabelle B 10.2). In dem von
der Vorinstanz als massgeblich erachteten Verdienst ist somit nebst dem
Teuerungsausgleich auch eine massvolle Reallohnerhöhung enthalten.

3.5 Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Versicherte ohne Unfall einen
beruflichen Aufstieg und ein entsprechend höheres Einkommen tatsächlich
realisiert hätte, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht
wird, fehlen. Gute Arbeitszeugnisse und das jugendliche Alter im
Unfallzeitpunkt sind keine eindeutigen Indizien für eine berufliche
Entwicklung der Versicherten mit höheren Verdienstmöglichkeiten. Auch unter
Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes bedarf der
auf Fr. 56'550.- festgesetzte mutmassliche Jahresverdienst mit Blick auf den
der Vorinstanz zustehenden Ermessensspielraum (vergleiche BGE 123 V 93 Erw.
3b) keiner Korrektur. Es bleibt somit beim Anspruch der Versicherten auf die
in masslicher Hinsicht unbestrittene, gekürzte BVG-Invalidenrente in der Höhe
von Fr. 951.- im Jahr, woran die weiteren Einwendungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts ändern.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 29. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: