Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 19/2004
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Prozess {T 7}
B 19/04

Urteil vom 16. August 2006

I. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Borella und Seiler; Gerichtsschreiber Nussbaumer

Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Pensionskasse V.________,
2. S.________,
Beschwerdegegner

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Beschluss vom 2. Februar 2004)

Sachverhalt:

A.
Die Eheleute S.________ und C.________ schlossen am 1. Juni 1995 mit der
Pensionskasse V.________ einen Vertrag über die Gewährung eines Darlehens von
Fr. 260'000.- zur Finanzierung des Eigenheims im Alleineigentum des
S.________, wobei das Altersguthaben des Letzteren verpfändet wurde. Im
Frühjahr 1999 trennten sich die Eheleute S.________ und C.________ und
schlossen im Juni 1999 eine (offenbar gerichtlich genehmigte)
Trennungsvereinbarung ab. Im August 2000 strengte C.________ die Scheidung
an. Zuvor war bei der Pensionskasse ein am 10. Juli 2000 datierter "Antrag
auf Auszahlung eines Vorbezuges" eingegangen, mit welchem verlangt wurde, den
Betrag von Fr. 100'000.- aus der zweiten Säule dem Hypothekarkonto
gutzuschreiben und in diesem Umfang die Darlehensschuld zu amortisieren; der
Antrag trug die Unterschriften "S.________" sowie "C.________". Die
Pensionskasse kam dem Begehren nach und verwendete den Vorbezug als
anteilmässige Rückzahlung der Hypothekarschuld.
Mit Urteil des zuständigen Strafrichters vom 17. März 2003 wurde S.________
des Betruges und der Urkundenfälschung schuldig gesprochen, da er die
Unterschrift seiner Ehefrau auf dem "Antrag auf Auszahlung eines Vorbezuges"
gefälscht habe. In der Folge forderte C.________ die Pensionskasse auf
festzustellen, dass der Vorbezug "zufolge fehlender Zustimmung ungültig
erfolgt" sei und somit im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens die Möglichkeit
bestehe "das gesamte während der Ehedauer aufgebaute Guthaben teilen zu
lassen." Die Pensionskasse antwortete darauf, für diese Feststellungen sei
das Sozialversicherungsgericht zuständig, woran sie in einem erneuten
Briefwechsel festhielt.

B.
Am 11. November 2003 liess C.________ gegen die Pensionskasse Klage
einreichen mit folgenden materiellen Rechtsbegehren:
"1. Es sei festzustellen, dass der per 1. Januar 2001 erfolgte Vorbezug
von CHF 100'000.--, welchen die Beklagte gestützt auf den Antrag von
Herrn  S.________ vom 10. Juli 2000 per 1. Januar 2001 zulasten
dessen Altersguthabens gewährt hat, und die entsprechende Gutschrift auf
dem Hypothekardarlehen zu Unrecht erfolgt und ungültig ist.

2.  Ferner sei festzustellen, dass das Scheidungsgericht bestimmen
könne, dass ein Teil der unter Hinzurechnung des unzulässigen Vorbezuges
sich ergebenden Austrittsleistung an die Vorsorgeeinrichtung der Klägerin
zu übertragen sei."
Mit Entscheid vom 2. Februar 2004 trat das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn auf die Klage nicht ein.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides sei die Sache an das kantonale Gericht zur
materiellen Beurteilung zurückzuweisen.
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
C.________ sowie die Pensionskasse verzichten auf einen Antrag, während sich
S.________ nicht vernehmen lässt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 OG in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b OG
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Im Verfahren der ursprünglichen Verwaltungsrechtspflege gemäss Art. 73 Abs. 1
BVG bildet u.a. ebenfalls Sachurteilsvoraussetzung, dass die klagende Partei
an dem von ihr gestellten Rechtsbegehren ein Rechtsschutzinteresse hat. Wird
ein Feststellungsbegehren gestellt, kann diesbezüglich ein
Rechtsschutzinteresse nur bejaht werden, wenn die klagende Partei ein
schutzwürdiges Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur an der
verlangten Feststellung hat, dass bestimmte Rechte oder Pflichten bestehen
oder nicht bestehen; nur wenn ein unmittelbares und aktuelles Interesse in
diesem Sinne gegeben ist, sind Feststellungsbegehren im Verfahren nach
Art. 73 Abs. 1 BVG zulässig. An einem schutzwürdigen Interesse am Erlass
eines Feststellungsentscheides fehlt es namentlich dann, wenn das
Rechtsschutzinteresse der klagenden Partei durch ein rechtsgestaltendes
Urteil gewahrt werden kann (BGE 128 V 48 Erw. 3a mit Hinweisen).

3.
3.1 Die Vorinstanz ist mangels Rechtsschutzinteresses nicht auf die
Feststellungsklage der Ehefrau des Versicherten eingetreten: Das
Eidgenössische Versicherungsgericht habe ein Interesse im Fall der
Barauszahlung des Vorsorgeguthabens zwar bejaht, jedoch liege hier der davon
zu unterscheidende Fall eines Vorbezuges für Wohneigentum vor. In der Folge
sei das Kapital immer noch der Vorsorge verhaftet und bei einer Scheidung zu
teilen. Der Vorbezug könne hier leicht rückgängig gemacht werden, indem die
Darlehenssumme wieder erhöht und der entsprechende Betrag dem Vorsorgekonto
gutgeschrieben werde. Einem möglicherweise verlustbringenden Verkauf des
Hauses könne mittels vorsorglicher Massnahmen gemäss Art. 137 und 178 ZGB
vorgebeugt werden, während der Zinsausfall infolge des ungerechtfertigten
Vorbezuges im Rahmen der zukünftigen Durchführung der Teilung der
Austrittsleistung vom Sozialversicherungsgericht berücksichtigt werde.
Das Beschwerde führende BSV ist demgegenüber der Ansicht, durch die
notwendige Zustimmung des Ehegatten für einen Vorbezug habe dieser die
entsprechenden Konsequenzen im Fall einer Scheidung in Kauf zu nehmen und
deshalb ein Interesse an der Feststellung der Ungültigkeit des Vorbezuges
mangels Zustimmung. Weiter habe die Praxis im Fall der Barauszahlung ein
Rechtsschutzinteresse des Ehegatten an der Feststellung der Ungültigkeit
bejaht, was in den Fällen des Vorbezuges für Wohneigentum analog gelten
müsse. Somit habe der Ehegatte hier ein Interesse an der Feststellung der
Unrechtmässigkeit des Vorbezuges vor dem Scheidungsurteil, was in einem
besonderen Verfahren festzustellen sei.

3.2 Nach Art. 30c Abs. 5 BVG ist ein Vorbezug von Mitteln der zweiten Säule
für den Erwerb von Wohneigentum bei Verheirateten nur zulässig, wenn der
Ehegatte schriftlich zustimmt. Kann der Versicherte diese Zustimmung nicht
einholen oder wird sie ihm verweigert, so kann er das Gericht anrufen. Hier
hat das kantonale Gericht für das Eidgenössische Versicherungsgericht
verbindlich festgestellt (Art. 105 Abs. 2 OG), dass der Versicherte die
Unterschrift seiner Ehefrau gefälscht hat und damit deren Zustimmung zum
Vorbezug nicht vorliegt.
Im Fall der Barauszahlung der Austrittsleistung, welche ebenfalls der
schriftlichen Zustimmung des Ehegatten des Anspruchsberechtigten bedarf
(Art. 5 Abs. 2 FZG), hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 128 V
41 das schutzwürdige Interesse an der Feststellung der Gültigkeit der
Barauszahlung im Hinblick auf den Scheidungsprozess bejaht. Zur Begründung
führte es an, der Gültigkeit der Auszahlung komme im Scheidungsverfahren
entscheidende Bedeutung für einen allfälligen Anspruch auf eine
Austrittsleistung nach Art. 122 ZGB zu. Denn vom Anspruch nach Art. 122 ZGB
könnten grundsätzlich Kapitalien nicht erfasst werden, die vor der Scheidung
bar ausbezahlt worden seien und nicht mehr der Vorsorge zur Verfügung
stünden. In solchen Fällen könne dem Ehegatten des Vorsorgenehmers
ausschliesslich über Art. 124 ZGB eine angemessene Entschädigung für die
entgangene Beteiligung an der nicht mehr vorhandenen Austrittsleistung des
Vorsorgenehmers verschafft werden. Die für die Anwendung der Art. 122 ff. ZGB
bedeutsame Vorfrage, ob eine in Nachachtung von Art. 5 Abs. 2 FZG gültige
Barauszahlung vorliege, könne an und für sich auch das Scheidungsgericht
vorfrageweise prüfen. In diesem Zusammenhang sei jedoch zu berücksichtigen,
dass die beteiligte Vorsorgeeinrichtung im Scheidungsverfahren nicht Partei
und die Auffassung des Scheidungsgerichts über die Gültigkeit der
Barauszahlung für sie nicht verbindlich sei. Einer solchen Verbindlichkeit
komme indessen erhebliche Tragweite zu, da die Vorsorgeeinrichtung bei nicht
richtiger Erfüllung damit rechnen müsse, ein zweites Mal zu leisten. Damit
ein den Teilungsschlüssel nach Art. 122 ZGB festsetzendes Urteil des
Scheidungsgerichts gegenüber der Vorsorgeeinrichtung auch vollstreckt werden
könne, habe der begünstigte Ehegatte ein rechtlich erhebliches Interesse
daran, dass das Sozialversicherungsgericht vor Erlass des Scheidungsurteils
eine allfällige Ungültigkeit der Barauszahlung infolge fehlender Zustimmung
nach Art. 5 Abs. 2 FZG auch gegenüber der Vorsorgeeinrichtung verbindlich
feststelle (BGE 128 V 48 Erw. 3b mit Hinweisen).

3.3 Diese Überlegungen treffen entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch
für die Beurteilung der Folgen eines unzulässigen Vorbezugs für Wohneigentum
zu. Zwar bleibt im Rahmen eines solchen Vorbezuges der Versicherungsschutz
insofern bestehen, als die eigene Wohnung resp. das eigene Haus einen Teil
der Altersvorsorge bildet, der vorbezogene Betrag nach einer Veräusserung des
Wohneigentums zurückzubezahlen ist (Art. 30d Abs. 1 BVG) und der
Vorsorgezweck zudem gewissen Sicherungsmassnahmen (Art. 30e BVG) unterliegt.
Überdies gilt nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift des Art. 30c Abs. 6 BVG
der Vorbezug als Freizügigkeitsleistung und ist bei einer Scheidung zwischen
den Ehegatten zu teilen. Mit diesen Sicherungsmitteln kann allerdings nicht
ausgeschlossen werden, dass das mit Hilfe des Vorbezugs erworbene
Wohneigentum an Wert verliert. Darin liegt das Risiko, das mit dem Vorbezug
verbunden ist. Das Gesetz nimmt diesen potenziellen Verlust auf dem
Vorsorgevermögen in Kauf, indem es die Rückzahlungspflicht bei Veräusserung
auf den Erlös beschränkt; als Erlös gilt der Verkaufspreis abzüglich der
hypothekarisch gesicherten Schulden und der dem Verkäufer vom Gesetz
auferlegten Abgaben (Art. 30d Abs. 5 BVG). Wird mithin das mit Hilfe des
Vorbezugs erworbene Wohneigentum ohne Erlös verkauft, so besteht auch keine
Rückzahlungspflicht an die Vorsorgeeinrichtung mehr. Der vorbezogene Betrag
ist damit - vom Gesetzgeber in Kauf genommen - für die Vorsorge verloren.
Nach der Grundidee, die dem Vorsorgeausgleich zugrunde liegt, gibt es
insoweit auch nichts mehr zu teilen. Daraus folgt, dass ein Vorbezug für
Wohneigentum nur insoweit nach den Regeln von Art. 22 FZG zu teilen ist, als
noch eine Rückzahlungsverpflichtung im Sinne von Art. 30d BVG besteht, d.h.
im Falle einer Veräusserung maximal im Umfang des Erlöses (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom heutigen Tage in Sachen F.,
B 8/06). Neben diesem Aspekt hat die Gültigkeit eines Vorbezugs für
Wohneigentum des Weitern ebenfalls entscheidende Bedeutung für die Frage, wie
in güterrechtlicher, unterhaltsrechtlicher und vorsorgerechtlicher Hinsicht
der Vorbezug zu behandeln ist. Je nachdem, ob der Vorbezug ungültig ist und
ob der Einrichtung der beruflichen Vorsorge pflichtwidriges Verhalten mit
entsprechender Ersatzpflicht vorgeworfen werden kann (vgl. dazu BGE 130 V
103; SZS 2004 S. 461 und 464), hat der Ausgleich des Vorbezugs im
Scheidungsverfahren unter dem Titel Güterrecht, Art. 124 ZGB oder Art. 122
ZGB/22ff. FZG zu erfolgen (vgl. dazu auch Baumann/Lauterburg, in: Ingeborg
Schwenzer [Hrsg.], FamKommentar Scheidung, 2. Aufl., Bern 2005, N 44-46 zu
Art. 124 ZGB). Schliesslich ist auch zu berücksichtigen, dass das
Sozialversicherungsgericht einzig vorsorgerechtliche Streitigkeiten zu
beurteilen hat und die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge nicht Partei
des Scheidungsverfahrens sind. Unter diesen Umständen hat der begünstigte
Ehegatte wie bei der Barauszahlung auch im Zusammenhang mit dem Vorbezug
angesichts der vielschichtigen Rechtsfragen ein rechtlich erhebliches
Interesse daran, dass das Sozialversicherungsgericht vor Erlass des
Scheidungsurteils eine allfällige Ungültigkeit des Vorbezugs infolge
fehlender Zustimmung nach Art. 5 Abs. 2 FZG auch gegenüber der
Vorsorgeeinrichtung verbindlich feststellt. Ein solches Urteil würde im
vorliegenden Fall die Frage für den Scheidungsprozess und für die
Pensionskasse verbindlich beantworten, ob überhaupt ein rechtsgültiger
Vorbezug erfolgt ist und in welcher Höhe ein Darlehen gegenüber der
Pensionskasse besteht.

3.4 Aus diesen Gründen ist beim Vorbezug von Kapital der zweiten Säule für
den Erwerb von Wohneigentum ebenfalls ein Interesse des Ehegatten des
Versicherten zu bejahen, in einem separaten Verfahren festzustellen, dass der
Vorbezug unrechtmässig erfolgt ist und die vorsorgerechtliche Ausgangslage
für den Scheidungsprozess vorweg klären zu lassen. Das kantonale Gericht ist
deshalb zu Unrecht auf die Feststellungsklage der Ehefrau des Versicherten
nicht eingetreten.

4.
4.1 Da die Anfechtung des vorinstanzlichen Nichteintretensentscheides nicht
die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen betrifft, ist
das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht kostenpflichtig
(Art. 134 OG e contrario). Als unterliegende Parteien haben der Versicherte
und seine Pensionskasse die Gerichtskosten je zur Hälfte zu tragen (Art. 156
Abs. 1 OG).

4.2 Dem Ausgang dieses Verfahrens entsprechend steht der anwaltlich
vertretenen Ehefrau des Versicherten zu Lasten der unterliegenden Parteien
eine aufwandgemässe Parteientschädigung zu (Art. 135 OG in Verbindung mit
Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der vorinstanzliche
Entscheid vom 2. Februar 2004 aufgehoben und es wird die Sache an das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zurückgewiesen, damit dieses auf
die Feststellungsklage der C.________ materiell eintrete.

2.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 500.- werden S.________ und der
Pensionskasse V.________ je zur Hälfte auferlegt.

3.
S.________ und die Pensionskasse V.________ haben der Ehefrau des
Versicherten, C.________, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht je eine Parteientschädigung von Fr. 250.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und C.________ zugestellt.
Luzern, 16. August 2006

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: