Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 125/2004
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B 125/04

Urteil vom 22. August 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Arnold

Firma F.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Marta
Mozar, c/o Hubatka Müller & Vetter, Seestrasse 6, 8027 Zürich,

gegen

Sammelstiftung Berufliche Vorsorge Swiss Life, General Guisan-Quai 40, 8002
Zürich, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 19. Oktober 2004)

Sachverhalt:

A.
Die in X.________ domizilierte, als Bau- und Generalunternehmung tätige Firma
F.________ AG hatte ihr Personal aufgrund eines Anschlussvertrags gemäss Art.
11 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) auf den 1. Januar 1999
bei der Sammelstiftung berufliche Vorsorge Swiss Life (nachfolgend:
Sammelstiftung) versichert. Am 26. Juni 2002 kündigte die Arbeitgeberin den
Vertrag auf den 30. Juni 2002, nachdem die Bilanz ihres Vorsorgewerkes zum
31. Dezember 2001 einen Fehlbetrag von Fr. 30'403.- ausgewiesen hatte. Die
Sammelstiftung insistierte anfänglich auf der Einhaltung der vereinbarten
minimalen fünfjährigen Anschlussdauer, stimmte aber schliesslich zu, die
vertraglichen Beziehungen auf den 30. September 2002 zu beenden. In der Folge
gerieten die Parteien in Streit darüber, ob die Sammelstiftung, die am 25.
November 2002 die Freizügigkeitsleistungen "ungekürzt und verzinst an die
neue Vorsorgeeinrichtung überwiesen" (Schreiben Sammelstiftung vom 20.
Dezember 2002) hatte, den auf dem Konto Sondermassnahmen gemäss Art. 70 BVG
geäufneten Betrag in Höhe von Fr. 113'463.20 statt an die neue
Vorsorgeeinrichtung zu überweisen, dafür verwenden durfte, die laut
Sammelstiftung Ende September 2002 bestehende Unterdeckung in Höhe von Fr.
114'004.55 auszugleichen. Auf Anfrage der Firma F.________ AG (vom 16. Mai
2003) hin holte das  Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) eine
Stellungnahme der Sammelstiftung ein, um am 15. Juli 2003 der Arbeitgeberin
mitzuteilen, dass kein Fall einer Teilliquidation vorliege und die
Angelegenheit nicht in den aufsichtsrechtlichen sondern den richterlichen
Zuständigkeitsbereich gemäss BVG falle.

B.
Die durch die Firma F.________ AG gegen die Sammelstiftung erhobene Klage auf
Leistung der Rückstellungen für Sondermassnahmen in Höhe von Fr. 113'463.20
an ihre neue Vorsorgeeinrichtung wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab (Entscheid vom 19. Oktober 2004).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Firma F.________ AG im Hauptpunkt
das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.

Die Sammelstiftung schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das BSV hält dafür, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei gutzuheissen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin Anspruch gegenüber
der ihr vom 1. Januar 1999 bis 30. September 2002 angeschlossenen
Beschwerdeführerin auf Bezahlung des versicherungstechnischen Fehlbetrages
hat, der laut Sammelstiftung daraus resultiert, dass trotz Unterdeckung die
ungekürzten Austrittsleistungen an die neue Vorsorgeeinrichtung übertragen
wurden und ob sie - bejahendenfalls - ihre entsprechende Forderung mit dem
Anspruch der Beschwerdeführerin auf Überweisung des Saldos des Kontos
Sondermassnahmen an die neue Vorsorgeeinrichtung verrechnen konnte.

1.2 Es handelt sich um eine vorsorgerechtliche Streitigkeit, die der
Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden
unterliegt, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht
zuständig sind (BGE 130 V 104 Erw. 1.1, 112 Erw. 3.1.2, 128 II 389 Erw.
2.1.1, 128 V 258 Erw. 2a, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).

1.3 Der strittige kantonale Entscheid hat nicht die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand (vgl. BGE 122 V 136
Erw. Erw. 1, 102 V 448 Erw. 2a/bb). Das Eidgenössische Versicherungsgericht
prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der
rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art.
132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Mangels greifbarer Anhaltspunkte dafür, dass die Vorinstanz offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt hat, dass die Vorsorgekasse der
Beschwerdeführerin auf den 30. September 2002 bei einem Deckungsgrad von
97.85 % einen Fehlbetrag von Fr. 114'004.55 aufwies, ist die entsprechende
Sachverhaltsfeststellung letztinstanzlich bindend (Art. 105 Abs. 2 OG; Erw.
1.3). In tatsächlicher Hinsicht ist weiter davon auszugehen, dass das BSV
nach Lage der Akten einen Teilliquidationstatbestand am 15. Juli 2003 formell
rechtskräftig verneinte, nachdem die Sammelstiftung Ende November 2002 die
Freizügigkeitsleistungen sowie die Deckungskapitalien ungekürzt an die neue
Vorsorgeeinrichtung überwiesen hatte.

2.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich im kürzlich ergangen
Urteil M.________, B 82/04, mit der Berücksichtigung versicherungstechnischer
Fehlbeträge befasst. Ausgehend davon, dass, wie im hier zu beurteilenden
Fall, laut Entscheid des BSV als Aufsichtsbehörde kein
Teilliquidationstatbestand vorlag, kam das Gericht zum Schluss, dass die
Arbeitgeberin bei Unterdeckung der Vorsorgeeinrichtung mangels gesetzlicher
und in casu auch mangels (anschluss-)vertraglicher Grundlage gegenüber der
Vorsorgeeinrichtung nicht für den versicherungstechnischen Fehlbetrag
einzustehen hat, der daraus resultiert, dass die Freizügigkeitsleistung an
die ausgetretenen Versicherten wegen Fehlens eines Teil- oder
Totalliquidationstatbestandes nicht gekürzt werden darf. Es begründete dies
in Erw. 4.1 und 4.2 wie folgt:

"4.1 Nachdem sich in jüngerer Vergangenheit hauptsächlich aus konjunkturellen
Gründen (Verluste auf den Finanzmärkten, ungenügende Erträge bei den
Vermögensanlagen und Währungsverluste) immer mehr Vorsorgeunternehmungen in
Unterdeckung befinden, ist auf den 1. Januar 2005 wohl eine Gesetzesnovelle
in Kraft getreten, die in Art. 65d Abs. 3 lit. a BVG u.a. vorsieht, dass
während der Dauer einer Unterdeckung von Arbeitgeber und Arbeitnehmern
Beiträge zur Behebung einer Unterdeckung erhoben werden können, sofern andere
Massnahmen nicht zum Ziel führen (AS 2004 4635 ff.; BBl 2003 6399 ff. 6418
ff.). Hinsichtlich der strittigen Austritte von Versicherten in den Jahren
2002 und 2003 ist dies freilich bereits deshalb ohne Belang, weil eine
positive Vorwirkung der neuen Normen rechtsprechungsgemäss ausser Betracht
fällt (BGE 129 V 459 Erw. 3 mit Hinweisen). Im Übrigen würde eine Kürzung der
Austrittsleistung gemäss Art. 17 Abs. 2 lit. f FZG (in Kraft seit 1. Januar
2005) um die Beiträge zur Behebung einer Unterdeckung (und nicht um die hier
behauptete und geltend gemachte versicherungstechnische Unterdeckung an sich)
voraussetzen, dass entsprechende paritätische Beiträge reglementarisch
festgelegt sein müssten (vgl. BBl 2003 6428).

4.2  Der Vollständigkeit halber sei mit der Vorinstanz darauf hingewiesen,
dass sich keine andere Beurteilung der strittigen Ansprüche ergeben hätte,
wenn die Anschlussverträge entgegen dem kantonalen Gericht gekündigt worden
wären. Es würde auch bei dieser Sachlage an einer Anspruchsgrundlage
gesetzlicher oder reglementarischer Natur mangeln. Die Anwendung des Art. 53e
BVG (in Kraft seit 1. April 2004; AS 2004 1677 1700), wonach bei der
"Auflösung von Verträgen" (so die Marginalie) zwischen
Versicherungseinrichtungen und Vorsorgeeinrichtungen, die dem FZG
unterstehen, ein Anspruch auf das Deckungskapital besteht (Abs. 1) und sich
dieser um eine anteilsmässige Beteiligung an den Überschüssen erhöht sowie um
die Rückkaufskosten vermindert (Abs. 2), steht bereits deswegen ausser Frage,
weil eine entsprechende Vorwirkung unzulässig ist (vgl. Erw. 4.1 in fine). Im
Urteil B. vom 16. Februar 2005, B 43/04, schliesslich drehte sich der Streit
einzig darum, ob unter Geltung des bis 31. März 2004 massgebenden Rechts bei
Kündigung des Anschlussvertrages und damit einhergehender Auflösung des
Versicherungsvertrages eine vertraglich vorgesehene Reduktion des
Deckungskapitals unter dem Titel Rückkaufskosten, worunter Abzüge für das
Zinsrisiko, statthaft sei, was das Gericht mit Blick auf die vertraglichen
Abreden bejahte."
2.3 Der Umstand, dass im hier zu beurteilenden Fall die Sammelstiftung den
versicherungstechnischen Fehlbetrag anders als als im eben genannten Urteil
(Erw. 2.2) nicht klage-, sondern verrechnungsweise geltend macht, ändert
nichts daran, dass für einen entsprechenden Anspruch keine gesetzliche
Grundlage besteht. Der Beschwerdeführerin und dem BSV ist weiter darin
beizupflichten, dass es in casu auch an einer reglementarischen oder
(anschluss-)vertraglichen Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Ausfinanzierung
von Fehlbeträgen mangelt. Namentlich fällt der von der Beschwerdegegnerin
angerufene Art. 82 Abs. 5 des Vorsorgeereglements als anspruchsbegründende
Bestimmung ausser Betracht, wird darin doch einzig ausgeführt, die Stiftung
sei "insbesondere nicht verpflichtet, allfällige Werteinbussen und/oder Kurs-
und Währungsschwankungen in irgendeiner Form auszugleichen". Es kann deshalb
offen bleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen -
privatvertragsrechtlichen - Voraussetzungen nebst einer ausdrücklichen
Verpflichtung im Anschlussvertrag eine reglementarisch vorgesehene
Ausfinanzierungspflicht der Arbeitgeberin rechtsgültig wäre (BGE 120 V 450
ff. Erw. 4c und 5, nicht veröffentlichte Erw. 3 des in BGE 116 V 333
teilweise publizierten Urteils A. vom 26. September 1990, B 12/89; zur
Rechtsbeziehung Arbeitgeber/Vorsorgeeinrichtung im Allgemeinen statt vieler:
Jürg Brühwiler, Obligatorische berufliche Vorsorge, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, S. 28 Rz. 60 ff.; zur
Auslegung vorformulierter Bestimmungen eines Versicherungsvertrages: BGE 122
III 122 ff. Erw. 2c und d). Entgegen der Vorinstanz vermag schliesslich der
Umstand, dass die Beschwerdegegnerin offenbar den vereinfachten Nachweis für
Sondermassnahmen erfüllt hat (Art. 70 BVG und Art. 46 BVV2 [je mit Wirkung
auf den 1. Januar 2005 aufgehoben, AS 2004 1677 1700 und AS 2004 4279 4653])
eine gesetzliche oder vertragliche Pflicht der Arbeitgeberin zur Deckung
versicherungstechnischer Fehlbeträge nicht zu ersetzen und damit den
Rückbehalt der entsprechenden Mittel nicht zu rechtfertigen.

3.
Bei der Beendigung eines Anschlussvertrages wird die Vorsorgeeinrichtung
hinsichtlich der Übertragung des Deckungskapitals, einschliesslich des Kontos
Sondermassnahmen, mit Vertragsende verzugszinspflichtig, ohne dass eine
Mahnung nötig wäre. Fehlt, wie hier, eine reglementarische Regelung beträgt
der Verzugszins 5 %, weshalb die Beschwerdegegnerin ab 1. Oktober 2002 in
entsprechender Höhe Verzugszins auf den an die neue Vorsorgeeinrichtung zu
übertragenden Betrag von Fr. 113'463.20 zu leisten hat (vgl. BGE 127 V 389 f.
Erw. 5e/bb mit Hinweisen).

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario; vgl. Erw. 1.2
hievor). Seinem Ausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen und die Beschwerdeführerin für den
letztinstanzlichen Prozess zu entschädigen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 19. Oktober 2004 aufgehoben und
die Sammelstiftung berufliche Vorsorge Swiss Life verpflichtet, an die neue
Vorsorgeeinrichtung der Firma F.________ AG den Betrag von Fr. 113'463.20
zuzüglich Zins zu 5 % seit 1. Oktober 2002 zu bezahlen.

2.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 5'000.- werden der Sammelstiftung
berufliche Vorsorge Swiss Life auferlegt.

3.
Die Sammelstiftung berufliche Vorsorge Swiss Life hat der Beschwerdeführerin
für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 22. August 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: