Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 11/2004
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2004
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2004


B 11/04

Urteil vom 15. September 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Nussbaumer

Aargauische Pensionskasse, Hintere Bahnhofstrasse 8, 5001 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________, 1947, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Advokat André Baur,
Greifengasse 1, 4001 Basel

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 16. Dezember 2003)

Sachverhalt:

A.
A.  ________ (geboren 1947) war vom 1. März bis 31. Oktober 1994 als
Angestellte der S.________ bei der Aargauischen Pensionskasse im Rahmen der
beruflichen Vorsorge versichert. Ende November 1995 meldete sie sich bei der
Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 13.
Dezember 1996 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Solothurn ab 1. Mai 1996
eine halbe und mit Verfügung vom 18. September 1998 ab 1. März 1998 eine
ganze Invalidenrente zu. Auf Begehren hin teilte die Aargauische
Pensionskasse mit Schreiben vom 26. Februar, 9. Juni und 1. November 1999
A.________ mit, dass sie keine Invaliditätsrente auszurichten habe, da die
zur Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit nicht während der Mitgliedschaft
in der Pensionskasse eingetreten sei.

Mit Eingabe vom 19. Oktober 2001 liess die nunmehr anwaltlich vertretene
A.________ bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn ein Revisions- und
Wiedererwägungsgesuch stellen mit dem Antrag auf rückwirkende Zusprechung
einer halben Invalidenrente ab 1. August 1995. Dieses Gesuch hiess die
IV-Stelle des Kantons Solothurn mit Verfügung vom 22. Mai 2002 gut und
richtete A.________ ab 1. August 1995 eine halbe Invalidenrente aus.
Daraufhin gelangte die Versicherte am 14. März 2001 und 23. Mai 2002 wiederum
an die Aargauische Beamtenpensionskasse. Diese teilte ihr mit Schreiben vom
27. Mai 2002 mit, zur Prüfung des Anspruchs auf Invaliditätsleistungen müsse
sie gemäss den Versicherungsbedingungen ein Zeugnis oder Gutachten eines
Vertrauensarztes beibringen, dessen Kosten zu ihren Lasten gehen würden.

B.
Mit Eingabe vom 31. Mai 2002 liess A.________ Klage einreichen mit dem
Antrag, die Aargauische Pensionskasse sei zu verpflichten, ihr rückwirkend ab
1. August 1995 eine halbe und ab 1. März 1998 eine ganze Invalidenrente
gemäss Statuten und Versicherungsbedingungen auszurichten. Mit Teilentscheid
vom 26. August 2003 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die
Klage gut und stellte fest, dass der Klägerin ab 1. August 1995 eine Rente
basierend auf einem Invaliditätsgrad von 50 % und ab 1. März 1998 eine solche
von 100 % zustehe, nebst Verzugszinsen von 5 % ab den jeweiligen
Fälligkeitsterminen, frühestens ab dem 31. Mai 2002.
Nach Eintritt der Rechtskraft des Teilentscheides und nach Durchführung eines
Schriftenwechsels über Festsetzung und Abrechnung der Rentenleistungen
verpflichtete das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom
16. Dezember 2003 die Aargauische Pensionskasse, der Klägerin an
rückständigen BVG-Renten per 27. November 2003 den Betrag von Fr. 60'866.45
zuzüglich 5 % Zins ab diesem Datum bis zum Überweisungszeitpunkt zu bezahlen.
Ab 1. Dezember 2003 habe sie der Klägerin eine monatliche BVG-Rente von
derzeit Fr. 677.- zu entrichten. Ferner verpflichtete es die Aargauische
Pensionskasse in Ziffer 4 des Urteilsdispositivs, der Klägerin die
richterlich auf Fr. 6156.95 (inkl. Fr. 434.85 Mehrwertsteuer) festgesetzten
Parteikosten zu ersetzen.

C.
Die Aargauische Pensionskasse führt hinsichtlich der Frage der
Parteientschädigung Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in
Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 4 des vorinstanzlichen Entscheides vom 16.
Dezember 2003 sei festzustellen, dass für das vorinstanzliche Verfahren keine
Parteientschädigungen zuzusprechen seien.

A.  ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen.
Ferner stellt sie den Antrag auf unentgeltliche Prozessführung und
Verbeiständung. Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das
Bundesamt für Sozialversicherung äussert sich zur Zuständigkeit des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts zur Überprüfung von
Parteientschädigungen im Bereich der beruflichen Vorsorge, verzichtet
indessen auf die Stellung eines Antrags.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht ist entgegen der Auffassung des
Bundesamtes für Sozialversicherung zur Überprüfung der Parteientschädigungen
auf dem Gebiet der beruflichen Vorsorge, welche auf kantonalem Recht beruhen
(BGE 124 V 286 Erw. 2 mit Hinweisen, 112 V 111 f.), sachlich zuständig (BGE
126 V 143; vgl. auch BGE 128 V 323).

2.
2.1 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.2  Nach der Rechtsprechung besteht kein allgemein anerkannter
Rechtsgrundsatz, wonach der obsiegenden, durch einen Anwalt vertretenen
Partei eine Parteientschädigung zugesprochen werden muss (Urteil der II.
Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 25. Oktober 2002,
2P.144/2002; zu Art. 4 aBV ergangene, weiterhin anwendbare Rechtsprechung:
BGE 117 V 403 Erw. 1b mit Hinweisen, 104 Ia 9). Immerhin haben obsiegende
Sozialversicherer bei mutwilliger oder leichtsinniger Beschwerdeführung durch
die versicherte Person einen Anspruch auf Parteientschädigung (BGE 126 V 143
Erw. 4). Im erstinstanzlichen Klageverfahren der beruflichen Vorsorge ist es
daher in diesem Rahmen dem kantonalen Recht überlassen, ob und unter welchen
Voraussetzungen es einen Anspruch auf Parteientschädigung vorsehen will. Den
auf kantonalem Recht beruhenden Entscheid über die Zusprechung oder
Verweigerung einer Parteientschädigung hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht daher nur daraufhin zu überprüfen, ob die Anwendung der
entsprechenden kantonalen Bestimmungen zu einer Verletzung von Bundesrecht
(Art. 104 lit. a OG) geführt hat, insbesondere des Verbots der Willkür oder
des überspitzten Formalismus (SVR 2001 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 2; zu Art. 4 Abs.
1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 125 V 408 Erw. 3a,
114 V 86 Erw. 4a, je mit Hinweisen).

2.3  Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen
Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Nach der Rechtsprechung ist eine
Entscheidung willkürlich, wenn sie eine Norm oder einen klaren und
unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt, sich mit
sachlichen Gründen schlechthin nicht vertreten lässt oder in stossender Weise
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkürliche Rechtsanwendung liegt
nicht schon vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar
vorzuziehen wäre (BGE 128 I 182 Erw. 2.1, 127 I 41 Erw. 2a, 56 Erw. 2b, 70
Erw. 5a, 126 I 170 Erw. 3a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin
geltende Rechtsprechung: BGE 125 I 168 Erw. 2a, 125 II 15 Erw. 3a, 124 I 316
Erw. 5a, 124 V 139 Erw. 2b, je mit Hinweisen).

3.
In der Klageantwort vom 30. August 2002 hat die Beschwerdeführerin den Antrag
gestellt, selbst bei einer Gutheissung der Klage die Gerichts- und
Parteikosten der Versicherten aufzuerlegen. Die Versicherte sei ihren
Mitwirkungspflichten bisher nicht nachgekommen. Denn ohne Möglichkeit der
Beteiligung am IV-Verfahren und ohne Mitwirkung der Versicherten sei es der
Beschwerdeführerin auf Grund der ihr vorliegenden Akten nicht möglich
gewesen, Invalidenleistungen zuzusprechen. In der Duplik vom 17. Oktober 2002
wiederholte sie ihren Antrag, die Versicherte sei vollumfänglich
kostenpflichtig zu erklären. Diese verstehe unter Mitwirkungspflicht
lediglich die Stellung eines Antrages auf eine Invalidenrente unter Beilage
eines Entscheides der Invalidenversicherung. Eine weitergehende Mitwirkung
sei gegenüber der Pensionskasse im Zusammenhang mit dem Begehren vom 23. Mai
2002 jedenfalls nicht feststellbar. Das Gericht habe unabhängig vom Ausgang
des Verfahrens zu berücksichtigen, dass die Versicherte eine Woche nach
Einreichung des Gesuchs Klage erhoben habe, ohne dass die Pensionskasse einen
Entscheid in der Sache gefällt habe.

Im Urteil P. vom 5. Februar 2003 (B 63/02) hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Verweigerung einer Parteientschädigung an den
obsiegenden Versicherten im kantonalen Verfahren nicht als willkürlich
betrachtet, weil dieser entgegen der kantonalen Verfahrensvorschrift vor
Einreichung der Klage der Gegenpartei die Klagebegehren und die Gründe für
die Klage nicht mitgeteilt hat. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht
die Beschwerdeführerin geltend, die Versicherte habe die Klage eingereicht,
ohne ihre Antwort auf das Leistungsbegehren vom 23. Mai 2002 abzuwarten. Wie
es sich damit verhält und ob die Versicherte mit ihrem Verhalten unnötige
Prozesskosten verursacht hat, kann mangels tatsächlicher Feststellungen und
näherer Ausführungen im angefochtenen vorinstanzlichen Entscheid nicht
beurteilt werden. Das kantonale Gericht hat sich mit dem Antrag der
Beschwerdeführerin nicht auseinandergesetzt, sondern lediglich festgehalten,
praxisgemäss stehe dem obsiegenden Versicherten in einem Verfahren der
beruflichen Vorsorge ein Anspruch auf Ersatz der Parteikosten zu. Es hätte
indessen Anlass gehabt, sich eingehender mit der Frage der
Parteientschädigung zu befassen, da die Beschwerdeführerin im
vorinstanzlichen Verfahren ihren Antrag auf Verweigerung einer
Parteientschädigung selbst bei Obsiegen begründete und dieses Begehren
angesichts des erwähnten Urteils P. vom 5. Februar 2003 sowie einer
vergleichbaren Praxis im Kanton (vgl. Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur
aargauischen Zivilprozessordnung, Rz 14 zu § 113 ZPO) nicht von vornherein
aussichtslos war. Damit ist das kantonale Gericht auch seiner im Zusammenhang
mit der Auferlegung der Parteientschädigung zufallenden Begründungspflicht
nicht nachgekommen (SZS 2004 S. 151 mit Hinweisen). Die Sache geht daher an
das kantonale Gericht zurück, damit dieses über einen Anspruch der
Beschwerdegegnerin auf Parteientschädigung für das kantonale Verfahren neu
entscheide.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdegegnerin kostenpflichtig
(Art. 134 OG e contrario in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG). Ihr kann die
unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung gewährt werden, da die
Bedürftigkeit aktenkundig ist (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG). Es
wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach
die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn
sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass Ziffer
4 des Dispositivs des vorinstanzlichen Entscheides vom 16. Dezember 2003
aufgehoben und die Sache an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen wird, damit dieses über den Anspruch der Beschwerdegegnerin
auf Parteientschädigung für das kantonale Verfahren im Sinne der Erwägungen
neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 900.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werden sie einstweilen auf
die Gerichtskasse genommen.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 900.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokat André Baur
für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 15. September 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber:
i.V.