Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Anklagekammer 8G.8/2004
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8G.8/2004 /kra

Urteil vom 9. Februar 2004
Anklagekammer

Bundesrichter Karlen, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Vizepräsident,
Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Monn.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Hansjürg Rhyner,

gegen

Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion
Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern.

Auslieferungshaftbefehl,

AK-Beschwerde gegen den Auslieferungshaftbefehl vom 14. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wird verdächtigt, in den Jahren 1999, 2000 und 2003 als
Anstifter, Koordinator und Organisator der Armée Nationale Albanaise (ANA)
angehört und mit anderen Personen in Serbien terroristische Handlungen
begangen zu haben. In diesem Zusammenhang habe er die Beschaffung von Waffen
und Munition, von militärischem Material und Geld organisiert. Namentlich
soll er am 3. Februar 2003 die Ermordung eines Polizeibeamten organisiert und
anschliessend die Täter in seinem Haus versteckt haben. Zudem habe er
zusammen mit anderen Personen am 2. März 2003 auf einer Strasse und zwischen
dem 6. und dem 9. März 2003 bei einer Schule je einen Sprengkörper
angebracht, die dann allerdings nicht explodiert seien.

Gestützt auf einen Haftbefehl des Gerichts in Vranje vom 22. Oktober 2003
wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation und weiterer
Straftaten ersuchte Interpol Belgrad am 30. Dezember 2003 die Schweiz um
Inhaftnahme von X.________ zwecks späterer Auslieferung an Serbien und
Montenegro.

Am 14. Januar 2004 wurde X.________ in der Schweiz verhaftet und in
provisorische Auslieferungshaft versetzt. Nachdem er mit einer vereinfachten
Auslieferung nicht einverstanden war, erliess das Bundesamt für Justiz noch
am selben Tag einen Auslieferungshaftbefehl, der X.________ am 15. Januar
2004 eröffnet wurde.

B.
Mit fristgerechter Eingabe vom 22. Januar 2004 führt X.________ Beschwerde
bei der Anklagekammer des Bundesgerichts und beantragt, der
Auslieferungshaftbefehl sei aufzuheben und er mit sofortiger Wirkung aus der
Auslieferungshaft zu entlassen (act. 1).

Das Bundesamt für Justiz beantragt in seiner Vernehmlassung vom 28. Januar
2004, die Beschwerde sei abzuweisen (act. 5).

In seiner Stellungnahme vom 3. Februar 2004 hält der Beschwerdeführer an
seinen Anträgen fest (act. 7).

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bildet die Verhaftung des
Beschuldigten während des ganzen Auslieferungsverfahrens die Regel (BGE 117
IV 359 E. 2a). Eine Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls und eine
Haftentlassung rechtfertigen sich nur ausnahmsweise. Dies ist der Fall, wenn
der Beschuldigte sich voraussichtlich der Auslieferung nicht entzieht und die
Strafuntersuchung nicht gefährdet (Art. 47 Abs. 1 lit. a IRSG), wenn er den
so genannten Alibibeweis erbringen und ohne Verzug nachweisen kann, dass er
zur Zeit der Tat nicht am Tatort war (Art. 47 Abs. 1 lit. b IRSG), wenn er
nicht hafterstehungsfähig ist oder andere Gründe - z.B. enge und insbesondere
familiäre Beziehungen zur Schweiz - vorliegen, die eine weniger
einschneidende Massnahme rechtfertigen (Art. 47 Abs. 2 IRSG; Urteil 1A
170/1997 vom 10. Juni 1997 E. 3a; veröffentlicht in Pra 2000 Nr. 94 S. 569),
oder wenn sich die Auslieferung als offensichtlich unzulässig erweist (Art.
51 Abs. 1 IRSG). Offensichtlich unzulässig kann ein Auslieferungsersuchen
sein, wenn ohne jeden Zweifel und ohne weitere Abklärungen ein
Ausschlussgrund vorliegt (vgl. BGE 111 IV 108 E. 3a). Im Übrigen sind
Vorbringen gegen die Auslieferung als solche oder gegen die Begründetheit des
Auslieferungsbegehrens nicht im vorliegenden Beschwerdeverfahren, sondern im
eigentlichen Auslieferungsverfahren zu prüfen (vgl. BGE 110 Ib 193 E. 1c).
Diese Regelung soll es der Schweiz ermöglichen, ihren staatsvertraglichen
Auslieferungspflichten nachzukommen. Die ausnahmsweise zu gewährende
Haftentlassung ist deshalb an strengere Voraussetzungen gebunden als der
Verzicht auf die gewöhnliche Untersuchungshaft in einem Strafverfahren oder
die Entlassung aus einer solchen (vgl. BGE 111 IV 108 E. 2).

2.
Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 47 Abs. 1 lit. b IRSG und macht
geltend, er sei zu den in Frage kommenden Zeitpunkten nicht am Tatort gewesen
(act. 1 S. 8 Ziff. 24). Um aus der Haft entlassen zu werden, müsste er dies
jedoch ohne Verzug nachweisen können. Dies ist in Fällen, in denen dem
Beschuldigten nebst konkreten Einzeltaten vorgeworfen wird, er habe während
mehrerer Jahre bei einer terroristischen Vereinigung mitgewirkt, praktisch
ausgeschlossen. Der Umstand, dass der Reisepass des Beschwerdeführers keine
"erhöhte Reisetätigkeit" nach Serbien ausweisen soll (act. 1 S. 8 Ziff. 21),
genügt als Alibibeweis jedenfalls nicht. Von einem klaren Fall im Sinne von
Art. 53 Abs. 2 Satz 1 IRSG kann deshalb keine Rede sein. Das Bundesamt für
Justiz ist zu Recht gemäss Art. 53 Abs. 2 Satz 2 IRSG vorgegangen und hat die
serbischen Behörden mit Schreiben vom 27. Januar 2004 aufgefordert, zu den
Vorbringen des Beschwerdeführers bis zum 10. Februar 2004 Stellung zu
beziehen, ansonsten sich das Bundesamt veranlasst sehe, den Beschwerdeführer
aus der Auslieferungshaft zu entlassen (act. 5 S. 3 Ziff. 4a mit Hinweis auf
Beilage 22). Dieses Vorgehen des Bundesamtes entspricht dem Gesetz, und
soweit es vom Beschwerdeführer jedenfalls sinngemäss bemängelt wird (vgl.
act. 7 S. 5 Ziff. 13: "dritte Lesung"), ist er nicht zu hören. Die Frist bis
zum 10. Februar 2004 ist abzuwarten, und eine Haftentlassung gestützt auf
Art. 47 Abs. 1 lit. b IRSG kommt jedenfalls zurzeit nicht in Betracht.

3.
Der Beschwerdeführer macht unter sinngemässem Hinweis auf Art. 47 Abs. 1 lit.
a IRSG geltend, es bestehe keine Fluchtgefahr, weil er in der Schweiz einen
festen Wohnsitz habe und einer geregelten Arbeit nachgehe (act. 1 S. 9 Ziff.
25). Dem hält das Bundesamt zu Recht entgegen, es könne jedenfalls zurzeit
nicht ausgeschlossen werden, dass den Beschwerdeführer in Serbien und
Montenegro eine langjährige Freiheitsstrafe erwarten könnte (act. 5 S. 3
Ziff. 4b). Folglich ist Fluchtgefahr zu bejahen. Dagegen bringt der
Beschwerdeführer vor, dass er bereits reichlich Zeit zum Untertauchen gehabt
hätte, da zwischen Oktober 2003 und Januar 2004 sieben "Mittäter" verhaftet
worden seien (act. 7 S. 8 Ziff. 32). Er sagt jedoch nicht, unter welchen
Umständen diese sieben Personen festgenommen wurden. Sein Argument ist
folglich schon deshalb nicht stichhaltig, weil er gegebenenfalls darauf
gehofft haben könnte, selber nicht verdächtig zu sein und deshalb einer
Verhaftung zu entgehen. Auch unter dem Gesichtswinkel von Art. 47 Abs. 1 lit.
a IRSG erscheint eine Haftentlassung deshalb nicht als angezeigt.

4.
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, er könnte gegen Hinterlegung seines
Reisepasses und einer Sicherheitsleistung aus der Haft entlassen werden (act.
1 S. 9 Ziff. 25 und 26). Damit verkennt er, dass er der Zugehörigkeit zu
einer terroristischen Organisation beschuldigt wird. Unter diesen Umständen
ist es nicht abwegig, davon auszugehen, dass es für ihn ein Leichtes wäre,
sich Geld und falsche Papiere zu beschaffen. Dadurch vermögen die von ihm
angeregten Auflagen eine ernsthafte Fluchtgefahr nicht zu unterbinden.

5.
Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, es erwarte ihn bei einer
Auslieferung nach Serbien und Montenegro ein Verfahren, das nicht einmal in
Ansätzen den Verfahrensgarantien eines Rechtsstaates entspreche, zumal er
unter der Anklage schwerer, politisch motivierter Straftaten stehe (act. 1 S.
11 Ziff. 40). Zum ersten Argument ist anzumerken, dass das Bundesgericht
bereits in anderen Entscheiden ausgeführt hat, beim gegenwärtigen
Kenntnisstand über die Menschenrechtslage rechtfertige es sich nicht, zum
Vornherein jegliche Auslieferung nach Serbien und Montenegro zu verweigern
(Urteil 1A.93/2002 vom 15. Mai 2002 E. 6.3); wie es sich damit im Fall des
Beschwerdeführers verhält, ist nicht im vorliegenden Beschwerdeverfahren,
sondern im eigentlichen Auslieferungsverfahren zu prüfen. Zum zweiten
Argument ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer selber ausführt, bei der
ANA handle es sich um eine "schwerkriminelle Organisation" (act. 1 S. 3 Ziff.
6); folglich steht nicht fest, dass im vorliegenden Verfahren nur politisch
motivierte Straftaten in Frage stehen. Die Auslieferung erweist sich somit
nicht als offensichtlich unzulässig, weshalb auch gestützt auf Art. 51 Abs. 1
IRSG eine Haftentlassung nicht erfolgen kann.

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Da nicht gesagt werden kann, der
Beschwerdeführer habe das Verfahren leichtfertig veranlasst, ist in Anwendung
von Art. 48 Abs. 2 IRSG in Verbindung mit Art. 219 Abs. 3 BStP auf die
Erhebung einer Gerichtsgebühr zu verzichten.

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz,
Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 9. Februar 2004

Im Namen der Anklagekammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: