Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.89/2004
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7B.89/2004 /rov

Urteil vom 3. Juni 2004
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichterin Escher, Präsidentin,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Schett.

Z. ________ Krankenkasse,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Y.________ SA,

gegen

Obergericht des Kantons Aargau, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission,
als Aufsichtsbehörde, Obere Vorstadt 38,
5000 Aarau.

Pfändungsvollzug/Zustellung eines Rechtsöffnungsentscheids,

SchKG-Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission, als Aufsichtsbehörde, vom 7. April
2004.

Sachverhalt:

A.
A.a In der von der Z.________ Krankenkasse angestrengten Betreibung wurde
X.________ vom Betreibungsamt Würenlos am 13. Oktober 2003 der Zahlungsbefehl
für ausstehende Krankenkassenprämien zugestellt. Die Schuldnerin erhob
Rechtsvorschlag. Am 13. November 2003 erliess die Z.________ Krankenkasse
folgende Verfügung:

"In Anwendung von Art. 49 ATSG beschliessen wir:

Ihren Rechtsvorschlag gegen den Zahlungsbefehl Nr. xxx vom Betreibungsamt,
5436 Würenlos, am 13.10.2003 zugestellt, endgültig aufzuheben.
Sie zur Zahlung der Forderung laut Zahlungsbefehl Nr. xxx, von CHF 1'597.70
und 5.00 % Zins seit 23.09.2002 sowie der Mahnkosten von CHF 0.00 und der
Betreibungskosten von CHF 152.00 ./. Zahlungen von CHF 0.00 aufzufordern."
Die eingeschriebene Sendung wurde am 26. November 2003 mit dem Vermerk "nicht
abgeholt" an die Krankenkasse zurückgeschickt.

A.b  Nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens stellte das Betreibungsamt
Würenlos am 6. Januar 2004 X.________ die Pfändungsankündigung zu.

B.
Am 16. Januar 2004 reichte X.________ beim Gerichtspräsidium Baden als untere
Aufsichtsbehörde Beschwerde ein. Sie beantragte, es sei der Vollzug der
angekündigten Pfändung so lange aufzuschieben, bis gerichtlich festgestellt
sei, dass die Beseitigung des Rechtsvorschlages seitens der Z.________
Krankenkasse rechtmässig erfolgt sei. Mit Entscheid vom 24. Januar 2004 hiess
der Präsident 1 des Bezirksgerichts Baden die Beschwerde gut und hob die
Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Würenlos vom 6. Januar 2004 in der
Betreibung Nr. xxx auf. Das Betreibungsamt Würenlos wurde angewiesen, das
Fortsetzungsbegehren der Gläubigerin vom 22. Dezember 2003 in dieser
Betreibung zurückzuweisen. Der Weiterzug der Sache durch die Z.________
Krankenkasse an das Obergericht des Kantons Aargau (Schuldbetreibungs- und
Konkurskommission) als obere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und
Konkurssachen hatte keinen Erfolg. Das Rechtsmittel wurde am 7. April 2004
abgewiesen.

C.
Mit Eingabe vom 12. Mai 2004 hat die Z.________ Krankenkasse bei der
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Aargau Beschwerde eingereicht und beantragt in
der Hauptsache die Aufhebung dieses Entscheids.

Das Obergericht hat anlässlich der Aktenübersendung keine Gegenbemerkungen
angebracht (Art. 80 OG). Weitere Vernehmlassungen sind nicht eingeholt
worden.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Obergericht führt aus, im vorliegenden Fall sei der
Betreibungsschuldnerin am 13. Oktober 2003 der Zahlungsbefehl zugestellt
worden, worauf diese Rechtsvorschlag erhoben habe. Dies habe die Einstellung
der Betreibung bewirkt. Die Schuldnerin habe infolge der Einstellung der
Betreibung nicht zwangsläufig mit weiteren Zustellungen seitens des
Betreibungsamtes rechnen müssen. Ebenso habe sie nicht damit rechnen müssen,
dass ihr eine Verfügung seitens der Betreibungsgläubigerin eröffnet werde,
auch wenn vor Eröffnung der Verfügung kein Anspruch auf Gewährung des
rechtlichen Gehörs bestanden habe. Gemäss konstanter Praxis der Zivilkammern
des Obergerichts des Kantons Aargau verhalte es sich gleich bei der Eröffnung
eines Rechtsöffnungsverfahrens. Auch wenn in diesen Fällen dem
Betreibungsschuldner ein Zahlungsbefehl zugestellt werde, habe er nach
erhobenem Rechtsvorschlag nicht damit zu rechnen, dass daraufhin ein
Rechtsöffnungsverfahren eingeleitet werde. Auch in diesen Fällen gelte eine
Zustellung seitens des Rechtsöffnungsrichters, falls die Sendung bei der Post
nicht abgeholt werde und falls der Adressat keine Kenntnis vom
Rechtsöffnungsverfahren habe, nicht als erfolgt. Die Vorinstanz fährt fort,
die das Verfahren eröffnende Erstzustellung, wie sie hier für die Verfügung
der Beschwerdeführerin vom 13. November 2003 in Frage stehe, sei dem
Betroffenen, der dadurch erst und nur von dem gegen ihn eingeleiteten
Verfahren Kenntnis erhalten könne, jedenfalls zur Kenntnis zu bringen. Die
Fiktion der Zustellung am letzten Tag der 7-tätigen postalischen
Abholungsfrist gelte nicht schon für die das Verfahren eröffnende
Erstzustellung, sondern erst für die nachfolgenden Zustellungen, in dem dem
Betroffenen durch die Erstzustellung bekannten Verfahren. Sei aber der
Rechtsvorschlag nicht (rechtskräftig) beseitigt, so könne die Betreibung
nicht fortgesetzt werden. Eine Fortsetzung der Betreibung trotz bestehendem
Rechtsvorschlag erweise sich als nichtig (Flavio Cometta, in: Kommentar zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, N. 12 zu Art. 22).
Die Vorinstanz habe somit zu Recht die Pfändungsankündigung in der fraglichen
Betreibung aufgehoben und das Betreibungsamt angewiesen, das
Fortsetzungsbegehren zurückzuweisen.

1.2 Die Beschwerdeführerin rügt, mit der Zustellung des Zahlungsbefehls im
Bereich des KVG wisse die Schuldnerin, dass die Gläubigerin einen erhobenen
Rechtsvorschlag mit einem eigeschriebenen Brief (lettre signature) aufheben
könne. Damit sei die Bedingung, dass der Empfänger mit dem Erhalt des Briefes
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechnen müsse, erfüllt.

1.2.1 Die Vorbringen sind unbegründet, und es kann offen gelassen werden, ob
sie den Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 OG überhaupt genügen (BGE 119 III 49
E. 1).

1.2.2 Die Betreibung kann nicht weitergeführt werden, wenn der Schuldner
weder eine Vorladung zur Rechtsöffnungsverhandlung noch den
Rechtsöffnungsentscheid erhalten hat. Wird dies im Beschwerdeverfahren
geltend gemacht, haben die Aufsichtsbehörden zu prüfen, ob der Schuldner
gegen den Rechtsöffnungsentscheid ein kantonales Rechtsmittel ergriffen hat
(vgl. BGE 102 III 133 E. 3 S. 136 f.). Das Betreibungsamt soll nicht
Handlungen trotz eines (noch) wirksamen Rechtsvorschlages vornehmen, welche
nichtig wären (BGE 109 III 53 E. 2 S. 55; 84 III 13 S. 14 ff).

1.2.3 Wird der Adressat anlässlich einer versuchten Zustellung nicht
angetroffen und daher eine Abholeinladung in seinen Briefkasten oder sein
Postfach gelegt, so gilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die
Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie auf der Post
abgeholt wird; geschieht das nicht innert der Abholfrist, die sieben Tage
beträgt, so gilt die Sendung als am letzten Tag dieser Frist zugestellt,
sofern der Adressat mit der Zustellung hatte rechnen müssen. Die siebentägige
Frist war früher in Art. 169 Abs. 1 lit. d und e der Verordnung 1 vom 1.
September 1967 zum Postverkehrsgesetz (AS 1967 S. 1462) vorgesehen. Diese
Verordnung ist mit Art. 13 lit. a der Postverordnung vom 29. Oktober 1997
(VPG; SR 783.01) aufgehoben worden. Die siebentägige Frist ist jetzt als
Grundsatz, von dem abweichende Abmachungen zulässig sind, in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Post vorgesehen und damit allgemein bekannt (BGE 127
I 31 E. 2a/aa S. 34). Diese Rechtsprechung ist nur dann massgebend, wenn die
Zustellung eines behördlichen Aktes mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
erwartet werden muss. Indessen entsteht erst mit der Rechtshängigkeit ein
Prozessrechtsverhältnis, welches die Parteien verpflichtet, sich nach Treu
und Glauben zu verhalten, d.h. unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen
Entscheide, welche das Verfahren betreffen, zugestellt werden können. Diese
Pflicht entsteht mithin als prozessuale Pflicht mit der Begründung eines
Verfahrensverhältnisses und gilt insoweit, als während des hängigen
Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der Zustellung eines
behördlichen Aktes gerechnet werden muss (Urteil des Bundesgerichts
2A.429/2002 vom 8. Oktober 2002, E. 1; BGE 123 III 492 E. 1 S. 493; 120 III 3
E. 1d; 119 V 89 E. 4b/aa S. 94; Kölz/ Häner, Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., N. 341 S. 123).

Der Rechtsvorschlag bewirkt die Einstellung der Betreibung (Art. 78 Abs. 1
SchKG). Damit wird dem Gläubiger der Betreibungsweg verschlossen. Die
Betreibung steht still und droht dahinzufallen, wenn sie nicht binnen
nützlicher Frist wieder in Gang gebracht wird. Dazu dient die Rechtsöffnung
(statt vieler: Amonn/Walther, Grundriss des Schuldbetreibungs- und
Konkursrechts, 7. Aufl., § 19 N. 1, S. 117). Die Betreibung kann nur nach
Aufhebung des Rechtsvorschlages durch den Richter im Rechtsöffnungsverfahren
(Art. 80-84 SchKG) oder auf dem ordentlichen Prozessweg (Art. 79, Art. 153
Abs. 3 und 186 SchKG) fortgesetzt werden. Auch wenn im vorliegenden Fall die
Beschwerdeführerin als Krankenkasse den Rechtsvorschlag als
Rechtsöffnungsinstanz selbst beseitigen kann (BGE 119 V 329 E. 2d S. 331/332;
128 III 246 E. 2), wird damit ein neues Verfahren in die Wege geleitet. Die
Vorinstanz hat deshalb kein Bundesrecht verletzt, indem sie entschieden hat,
die Zustellung des Rechtsöffnungsentscheids habe nicht fingiert werden
können. Die Zustellfiktion kann nur für das hängige bzw. laufende Verfahren
gelten.

1.3 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin, die ihren Geschäftssitz in
Lausanne hat, in ihrer Verfügung vom 13. November 2003 den Rechtsvorschlag
beseitigt und der Betriebenen mitgeteilt, sie könne innert 30 Tagen am
Hauptsitz Einsprache erheben. Da eine solche unterblieb, wurde am 22.
Dezember 2003 das Fortsetzungsbegehren gestellt, worauf das Betreibungsamt am
6. Januar 2004 die Pfändungsankündigung der Schuldnerin zustellte. Das
Vorgehen der Beschwerdeführerin war insoweit grundsätzlich gesetzeskonform
(Kieser, ATSG-Kommentar, N. 22 zu Art. 49, S. 490/491). Wie in E. 1.2
ausgeführt, ist die Verfügung der Beschwerdeführerin vom 13. November 2003,
mit welcher sie den Rechtsvorschlag der Betriebenen aufhob, mangels
Nachweises einer gehörigen Zustellung aber nicht in Rechtskraft erwachsen.
Will die Beschwerdeführerin die Betreibung fortsetzen, muss sie ihre
Verfügung der Schuldnerin vorerst ordnungsgemäss mitteilen, worauf dann das
Betreibungsamt nach Art. 81 Abs. 2 SchKG vorzugehen hat (zu Letzterem: BGE
128 III 246 E. 2 S. 248; Kieser, a.a.O., N. 14 zu Art. 54 ATSG, S. 548).

2.
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen. Das Beschwerdeverfahren
ist grundsätzlich kostenlos (Art. 20a SchKG und Art. 61 Abs. 2 lit. a GebV
SchKG), und es darf keine Parteientschädigung zugesprochen werden (Art. 62
Abs. 2 GebV SchKG).

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Beschwerdegegnerin
(X.________), dem Betreibungsamt Würenlos, Buechzelglistrasse 62, 5436
Würenlos, und dem Obergericht des Kantons Aargau (Schuldbetreibungs- und
Konkurskommission) als obere Aufsichtsbehörde schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Juni 2004

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin:  Der Gerichtsschreiber: