Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.76/2004
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7B.76/2004 /rov

Sitzung vom 29. Juni 2004
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichterin Escher, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Schett.

Billag AG, Schweizerische Inkassostelle für Radio- und
Fernsehempfangsgebühren, Postfach,
1701 Freiburg,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Dr. Andreas Güngerich und
Philipp Straub, Fürsprecher,

gegen

Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern,
Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern.

Fortsetzung einer Betreibung,

SchKG-Beschwerde gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern vom 13. April 2004.

Sachverhalt:

A.
A.a Am 13. Oktober 2003 verfügte die Schweizerische Inkassostelle für Radio-
und Fernsehempfangsgebühren (Billag AG) gemäss Art. 55 des Bundesgesetzes
über Radio und Fernsehen vom 21. Juni 1991 (RTVG; SR 784.40) in Verbindung
mit Art. 48 der Radio- und Fernsehverordnung vom 6. Oktober 1997 (RTVV; SR
784.401), dass Z.________ für ausstehende Empfangsgebühren einen Betrag von
Fr. 60.-- schulde, und dass der Rechtsvorschlag in der gegen ihn laufenden
Betreibung Nr. xxx des Betreibungs- und Konkursamtes Berner Oberland,
Dienststelle Thun, aufgehoben werde. Gestützt auf die rechtskräftige
Verfügung verlangte die Billag AG am 6. Januar 2004 bei der Dienststelle Thun
die Fortsetzung der Betreibung. In der Folge setzte die Dienststelle Thun dem
Schuldner am 21. Januar 2004 gestützt auf Art. 79 Abs. 2 SchKG eine Frist von
10 Tagen, um Einwendungen im Sinne von Art. 81 Abs. 2 SchKG zu erheben. Davon
machte der Schuldner fristgerecht Gebrauch, worauf die Dienststelle Thun am
3. März 2004 das Fortsetzungsbegehren abwies.

A.b Dagegen reichte die Billag AG am 12. März 2004 bei der Aufsichtsbehörde
in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern Beschwerde ein. Zur
Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, sie handle als Behörde des
Bundes. Somit liege auch kein "in einem anderen Kanton ergangener Entscheid"
im Sinne von Art. 79 Abs. 2 SchKG vor, weshalb dem Betriebenen Einwände
gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG versagt bleiben müssten. Mit Urteil vom 13. April
2004 wies die Aufsichtsbehörde das Rechtsmittel ab.

B.
Die Billag AG hat mit Eingabe vom 28. April 2004 die Sache an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen. Sie
beantragt, der Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern vom 13. April 2004 sei aufzuheben und diese
bzw. das Betreibungsamt Berner Oberland, Dienststelle Thun, seien anzuweisen,
die Betreibung Nr. xxx fortzusetzen.

Das Obergericht des Kantons Bern hat bei der Übersendung der kantonalen Akten
auf Gegenbemerkungen verzichtet (Art. 80 OG). Der Schuldner und das
Betreibungsamt haben sich nicht vernehmen lassen.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Vorinstanz hat erwogen, als Bundesbehörden im Sinne des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts gälten namentlich: der Schweizerische
Bundesrat, das Schweizerische Bundesgericht, das Eidgenössische
Versicherungsgericht, die Departemente und die Bundeskanzlei, die
Verwaltungseinheiten des Bundes, die Bundesbehörden, deren unmittelbare
Aufsichtsbehörde der Bundesrat sei, und die Instanzen autonomer Anstalten und
Betriebe sowie die Eidgenössischen Rekurs- und Schiedskommissionen
(Staehelin, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs,
SchKG I, Basel 1998, N. 104 zu Art. 80 SchKG). Keine Bundesbehörden seien
demgegenüber private Organisationen, selbst wenn sie gestützt auf Bundesrecht
entschieden und das Bundesrecht die entsprechende Verfügung als vollstreckbar
erkläre (Staehelin, a.a.O., N. 105 zu Art. 80 und N. 24 zu Art. 81 SchKG).
Werde eine derartige Verfügung von einer ausserkantonalen Instanz erlassen,
so blieben die Einwendungen des Betriebenen gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG
erhalten.

Die Aufsichtsbehörde fährt fort, die Billag AG sei eine
Swisscom-Tochtergesellschaft mit Sitz in Freiburg, welche als
Aktiengesellschaft des privaten Rechts konstituiert sei. Sie biete sogenannte
Billing-Dienstleistungen (Rechnungsstellung, Inkasso und Datenbankverwaltung)
an, wobei der Bund ihr grösster Auftraggeber sei. Das Know-how der Billag AG
stehe aber auch privaten Unternehmen zur Verfügung (vgl. den Internetauftritt
unter www.swisscom.com). Es handle sich deshalb bei ihr zweifellos um eine
private Organisation und nicht etwa um eine Einheit der
Bundeszentralverwaltung oder - wie früher noch die PTT - um eine autonome
Anstalt. Dass ihr gewisse Sonderkompetenzen zustünden, namentlich das Recht,
in Ausübung von Bundesrecht Verfügungen zu erlassen und diese vollstreckbar
zu erklären (BGE 128 III 39 ff.), mache sie nach dem Gesagten aber nicht zu
einer Bundesbehörde im Sinne von Art. 81 SchKG. Das Bundesgericht habe im
Übrigen diese Frage wiederholt für Krankenkassen - denen ebenfalls
bundesrechtliche Verfügungskompetenz zustehe - entschieden (letztmals BGE 128
III 246 ff.) und es sei nicht ersichtlich, weshalb für die privatrechtlich
organisierte Billag AG etwas anderes gelten solle.

1.2
1.2.1Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, der Begriff
"Verwaltungsbehörde des Bundes" (Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG) sei im Sinne
von Art. 1 Abs. 1 und 2 VwVG zu verstehen, wie dies in der Botschaft über die
Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs festgehalten
werde (BBl 1991 III 66). Gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG gälten als Behörden
"andere Instanzen oder Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung, soweit
sie in Erfüllung ihnen übertragener öffentlichrechtlicher Aufgaben des Bundes
verfügen". Dies treffe auch auf die Beschwerdeführerin zu. Die von der
Vorinstanz zitierte Kommentarstelle von Staehelin (N. 105 zu Art. 80 SchKG)
enthalte keinerlei Begründung und stehe überdies im Widerspruch zur Botschaft
von 1991.

1.2.2 Auch Jaeger/Walder/Kull/Kottmann führen als Bundesbehörden im Sinne von
Art. 81 Abs. 1 SchKG die gleichen an wie diejenigen im angefochtenen
Entscheid (Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., Bd. I,
S. 354); Gilliéron führt die Bundesbehörden nicht einzeln auf (Commentaire de
la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, articles 1-88,
N. 45 zu Art. 80 SchKG). Es fällt auf, dass die in den Kommentaren Staehelin
(a.a.O.) und Jaeger/Walder/ Kull/Kottmann (a.a.O.) wiedergegebenen
Bundesbehörden sich mit den in Art. 1 Abs. 2 lit. a-d VwVG genannten
Bundesbehörden decken; dazu kommen das Schweizerische Bundesgericht und das
Eidgenössische Versicherungsgericht. Nicht berücksichtigt werden von diesen
Autoren die anderen Instanzen oder Organisationen ausserhalb der
Bundesverwaltung, soweit sie in Erfüllung ihnen übertragener
öffentlichrechtlicher Aufgaben des Bundes verfügen (Art. 1 Abs. 2 lit. e
VwVG). Eine Begründung hierfür wird nicht angegeben. Die Beschwerdeführerin
könnte, wie sie selbst geltend macht, einzig unter die in Art. 1 Abs. 2 lit.
e VwVG genannten Behörden subsumiert werden. Es ist richtig, wie sie weiter
ausführt, dass gemäss der Botschaft zur Revision des SchKG als
Verwaltungsbehörden des Bundes die im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und 2 VwVG
genannten Behörden zu verstehen sind (BBl 1991 III 66). Art. 80 und 81 SchKG
gaben diesbezüglich in den eidgenössischen Räten keinerlei Anlass zur
Diskussion (Amtl. Bull. S 1993 645 und N 1993 19).
Es ist vorliegend nicht bestritten, dass der Beschwerdeführerin eine
öffentlichrechtliche Aufgabe des Bundes übertragen worden ist. Sie hat sich
bereits in der BGE 128 III 39 E. 3b S. 42 zu Grunde liegenden Beschwerde
darauf berufen, sie sei eine Verwaltungsbehörde im Sinne von Art. 1 Abs. 2
lit. e VwVG; dies war jedoch nicht zu entscheiden. Das Bundesgericht hat
jedoch befunden, der Bundesrat habe die im RTVG enthaltene Gesetzesdelegation
nicht überschritten, wenn er der schweizerischen Inkassostelle für Radio- und
Fernsehempfangsgebühren die Befugnis zum Erlass von Verfügungen zur Erhebung
von Empfangsgebühren übertragen habe (E. 3 und 4).

1.2.3 Gemäss Art. 79 SchKG setzt das Betreibungsamt im Falle eines
rechtskräftigen Anerkennungsentscheides, der den Rechtsvorschlag ausdrücklich
beseitigt (Abs. 1) und der in einem anderen Kanton ergangen ist, dem
Schuldner nach Eingang des Fortsetzungsbegehens eine Frist von 10 Tagen an,
innert der er gegen den Entscheid die Einreden nach Art. 81 Abs. 2 SchKG
erheben kann (Abs. 2). Eine Krankenkasse - als juristische Person des
privaten oder öffentlichen Rechts vom Eidg. Departement des Innern als
Versicherer zugelassen (Art. 12 f. KVG) - ist keine Bundesbehörde, auch wenn
sie gestützt auf Bundesrecht entscheidet und das Bundesrecht die
entsprechende Verfügung als vollstreckbar erklärt (BGE 128 III 246 S.
247/248). Die Rechtsprechung ging dabei - ohne dies näher zu begründen -
davon aus, dass Krankenkassen und deren Verfügungen gleich wie die
Rechtsmittelentscheide der kantonalen Verwaltungs- und Versicherungsgerichte
den Kantonen zugehörten und erst das Urteil des eidgenössischen
Versicherungsgerichts von einer Behörde des Bundes stamme (so ausdrücklich
BGE 119 V 329 E. 5b S. 334). Die Rechtsprechung hat also bei der Anwendung
von Art. 81 SchKG die Unterscheidung getroffen, ob der Rechtsmittelweg im
Kanton oder im Bund beginnt. Art. 81 SchKG unterscheidet denn auch zwischen
den Entscheiden des Bundes und des eigenen Kantons (Abs. 1), der anderen
Kantone (Abs. 2) und fremden Staaten (Abs. 3) und sieht je unterschiedliche
Verteidigungsmöglichkeiten vor. Da der Rechtsweg von Einsprachen gegen
Verfügungen der Krankenkassen im Kanton beginnt und über die kantonalen
Verwaltungsgerichte an das eidgenössische Versicherungsgericht führt (Art. 57
und 62 ATSG; SR 830.1), stehen den Schuldnern die Einwendungen gemäss Art. 81
Abs. 2 SchKG nur dann zu, wenn eine Krankenkasse ausserhalb des Kantons der
Betreibung mit der Verfügung über die Zahlungspflicht des Versicherten auch
den Rechtsvorschlag beseitigt (BGE 128 III 246 E. 2 S. 248).
Die Schweizerische Inkassostelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren ist
zuständig, eine erstinstanzliche Verfügung zu erlassen (Art. 48 Abs. 2 lit. c
RTVV). Bei der Ausübung dieser Funktion verfügt die Beschwerdeführerin -
ähnlich einer Abteilung der Bundesverwaltung - in Anwendung des VwVG
erstinstanzlich für das ganze Gebiet der Schweiz. Diese Verfügung kann beim
BAKOM angefochten werden (Art. 50 Abs. 3 RTVV). Letztinstanzlich ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht zulässig (BGE 128 II 39 E.
4b S. 44). Die Beschwerdeführerin ist somit vollumfänglich in das
Verwaltungsverfahren des Bundes eingebettet und damit eine Bundesbehörde im
Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG. Das hat zur Folge, dass dem Schuldner
die Einwendungen gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG versagt bleiben.

1.2.4 Die Beschwerde ist somit nach dem Ausgeführten gutzuheissen und der
Entscheid der Aufsichtsbehörde aufzuheben. Das Betreibungsamt ist anzuweisen,
die Betreibung Nr. xxx fortzusetzen.

2.
Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich kostenlos (Art. 20a SchKG und Art.
61 Abs. 2 lit. a GebV SchKG), und es darf keine Parteientschädigung
zugesprochen werden (Art. 62 Abs. 2 GebV SchKG).

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid der Aufsichtsbehörde in
Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern vom 13. April 2004 wird
aufgehoben. Das Betreibungs- und Konkursamt Berner Oberland, Dienststelle
Thun, wird angewiesen, die Betreibung Nr. xxx fortzusetzen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Betreibungs- und Konkursamt Berner
Oberland, Dienststelle Thun, und der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Juni 2004

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin:  Der Gerichtsschreiber: