Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.10/2004
Zurück zum Index Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 2004
Retour à l'indice Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 2004


7B.10/2004 /rov

Urteil vom 13. Februar 2004
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichterin Escher, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Schett.

Gemeinde Zollikofen, Sozialdienste,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Jürg M. Ammann,

gegen

Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern,
Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern.

Nichtigkeit einer Pfändung,

SchKG-Beschwerde gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern vom 5. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
Am 5. Dezember 2002 erwirkten die Sozialdienste der Gemeinde Zollikofen
(Gläubigerin) beim Gerichtspräsidenten 4 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen
gegen Y.________ (Schuldner) einen Arrestbefehl. Als Arrestgegenstand wurden
u.a. die Guthaben von Y.________ aus den Policen Nrn. xxx und yyy gegenüber
der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt (nachfolgend:
Rentenanstalt) bezeichnet. In Vollziehung dieses Arrestes stellte das
Betreibungsamt Bern-Mittelland am 24. Januar 2003 eine verarrestierbare
Einkommensquote von Fr. 24.45 fest und verzichtete deshalb auf eine
Arrestlegung. Auf Beschwerde der Gläubigerin und Anweisung der
Aufsichtsbehörde an das Betreibungsamt wurden am 14. Mai 2003 die sich aus
den beiden Policen ergebenden Kapitalguthaben des Schuldners gegenüber der
Rentenanstalt mit Arrest belegt.
Nach erfolgreicher Arrestprosequierung, Beseitigung des Rechtsvorschlages und
dem von der Gläubigerin verlangten Fortsetzungsbegehren pfändete die
Dienststelle Bern am 31. Oktober 2003 diverse Vermögensgegenstände, darunter
auch die beiden Guthaben aus den Lebensversicherungspolicen.

B.
Y.________ führte am 5. November 2003 Beschwerde mit dem Begehren um
Aufhebung der Ziffern 4 und 5 der Pfändungsurkunde und um Entlassung der
beiden Guthaben aus der Pfandhaft. Zur Begründung wurde im Wesentlichen
geltend gemacht, aus den beiden Lebensversicherungspolicen bestreite er in
Form von Renten seinen Lebensunterhalt und bei Verwertung dieser
Kapitalguthaben wäre sein Existenzminimum nicht mehr gedeckt.
Mit Entscheid vom 5. Januar 2004 stellte die Aufsichtsbehörde in Betreibungs-
und Konkurssachen für den Kanton Bern von Amtes wegen die Nichtigkeit der
Pfändung der beiden Guthaben des Schuldners gegenüber der Rentenanstalt fest.

C.
Die Sozialdienste der Gemeinde Zollikofen haben mit Eingabe vom 16. Januar
2004 bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts
Beschwerde eingereicht und beantragen die Aufhebung des Entscheids der
Aufsichtsbehörde. Sodann verlangen sie, der Beschwerde aufschiebende Wirkung
zu erteilen.
Die Aufsichtsbehörde hat bei der Übersendung der Akten unter Hinweis auf die
Motive des angefochtenen Entscheids auf Gegenbemerkungen verzichtet (Art. 80
OG). Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Vorinstanz führt aus, die Rechtsprechung bezeichne eine Pfändung als
nichtig und sie sei damit jederzeit von Amtes wegen aufzuheben, wenn sie
offensichtlich krass in das Existenzminimum des Schuldners eingreife und ihn
in eine unhaltbare Lage versetze (Vonder Mühll in: Kommentar zum Bundesgesetz
über Schuldbetreibung und Konkurs [Staehelin/Bauer/Staehelin], Basel 1998, N.
66 zu Art. 93). Vorliegend mache der Schuldner einen solchen Verstoss gegen
Art. 93 SchKG geltend, weshalb ungeachtet der rechtskräftigen Arrestlegung
auf die Beschwerde einzutreten sei. Bei den Policen Nrn. yyy und xxx handle
es sich um zwei dem VVG (SR 221.229.1) unterstellte gemischte
Lebensversicherungen, die beide im Erlebensfall am 1. November bzw. 1. Juli
2007 (65. Altersjahr) fällig würden. Inhalt beider Policen sei ferner eine
Zusatzversicherung bei Erwerbsunfähigkeit, mit Renten von jährlich Fr.
2'000.-- bzw. Fr. 12'000.--. Es sei unbestritten geblieben, dass der
Schuldner - offenbar auf Grund seiner Invalidität - diese Renten mittlerweile
ausbezahlt erhalte.

Die Vorinstanz fährt fort, beschränkt pfändbar sei alles, was Ersatz für
einen Erwerbsausfall darstelle, was auch immer der rechtliche Grund des
Anspruchs sein möge (Vonder Mühll, a.a.O., N. 15 zu Art. 93 SchKG). Es sei
deshalb unerheblich, ob die Renten aus der gebundenen oder freien Vorsorge
flössen. Entscheidend für die Frage der beschränkten Pfändbarkeit sei
vielmehr einzig, dass die beiden Renten als Ersatzeinkommen für einen
Erwerbsausfall des Schuldners ausbezahlt würden. Dabei unterliege auch
Ersatzeinkommen aus Vermögen den Regeln über die beschränkte Pfändbarkeit,
falls es zur Deckung des Existenzminimums notwendig sei. Das Einkommen des
Schuldners setze sich aus den Rentenleistungen der beiden Policen sowie einer
IV-Rente zusammen. Es sei selbst von der Gläubigerin im Verfahren nicht
geltend gemacht worden, der Schuldner beziehe daneben noch weitere Einkommen.
Insgesamt ergäben sich somit Einnahmen von Fr. 2'660.--, welchen ein
Existenzminimum von Fr. 2'635.55 gegenüberstehe.
Gestützt auf diese rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen hat die
Aufsichtsbehörde erkannt, die beiden Lebensversicherungspolicen könnten nicht
verwertet und somit auch nicht gepfändet werden, weil eine Verwertung zu
einem krassen Eingriff ins Existenzminimum des Schuldners führen würde.

1.2 Die Beschwerdeführerin erhebt dagegen folgende Einwände:
1.2.1Die kantonale Aufsichtsbehörde habe übersehen, dass der Beschwerdegegner
als IV-Rentner einen gesetzlichen Anspruch auf Ergänzungsleistungen habe
(Art. 2 und Art. 2c ELG; SR 831.30). Da der rechtserhebliche Sachverhalt
unvollständig festgestellt worden sei, habe die Vorinstanz gegen Art. 20a
Abs. 2 Ziff. 2 SchKG verstossen.
Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin hat die Aufsichtsbehörde den
Sachverhalt nicht unvollständig abgeklärt. Es ist weder ihre Aufgabe, noch
diejenige des Betreibungsamtes, allfällige Ansprüche nach ELG abzuklären.
Gepfändet wird, was vorhanden ist.

1.2.2 Insoweit die Beschwerdeführerin vorbringt, der Schuldner habe nur
deshalb Vermögen bilden können, da er seine Kinderalimente, welche
bevorschusst worden seien, nicht bezahlt habe, kann sie nicht gehört werden
(Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 81 OG). Auch wenn dem so wäre, änderte nichts
daran, dass auch für die dem Schuldner zukommenden Rentenleistungen die
Schranke des Notbedarfs gilt (BGE 115 III 45 E. 2c S. 50 mit Hinweisen). Der
weitere Einwand, es sei rechtsmissbräuchlich, wenn sich der Schuldner auf die
Unpfändbarkeit des Kapitalguthabens bzw. des Rückkaufswertes der
Versicherungspolicen berufe, geht demnach fehl. Ein invalider Schuldner ist
gegebenenfalls berechtigt, Ergänzungsleistungen zu verlangen. Verzichtet er
darauf, verhält er sich nicht rechtsmissbräuchlich. Solange er nach den
beiden Versicherungspolicen rentenberechtigt ist, dürfte er zudem keine
Ergänzungsleistungen erhalten (Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG). Im Übrigen sind
die Leistungen nach ELG der Zwangsvollstreckung entzogen (Art. 12 ELG).

1.3 Nach dem Ausgeführten hat die Vorinstanz keinen Ermessensmissbrauch
begangen, indem sie die Pfändung der Guthaben des Schuldners aus den
Lebensversicherungspolicen als nichtig erklärt hat.

2.
Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich kostenlos.(Art. 20a SchKG und Art.
61 Abs. 2 lit. a GebV SchKG), und es darf keine Parteientschädigung
zugesprochen werden (Art. 62 Abs. 2 GebV SchKG).

3.
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Beschwerdegegner (Y.________,
vertreten durch Fürsprecher Eric Clivaz), dem Betreibungsamt Bern-Mittelland,
Dienststelle Bern, Speichergasse 12, 3011 Bern, und der Aufsichtsbehörde in
Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Februar 2004

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin:  Der Gerichtsschreiber: