Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.9/2004
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6A.9/2004 /kra

Urteil vom 23. April 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

Polizei Basel-Landschaft, 4415 Lausen,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Marco Albrecht,
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht,
Postfach 635, 4410 Liestal.

Entzug des Führerausweises,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom

26. November 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ fuhr einen entliehenen Ferrari mit 80 km/h auf einer
kurvenreichen, regennassen Kantonsstrasse. Er senkte die Geschwindigkeit
zunächst auf 70 km/h, um dann aus einer Kurve wieder zu beschleunigen. Dabei
verlor er die Beherrschung über das Fahrzeug. Dieses überquerte eine doppelte
Sicherheitslinie sowie eine Sperrfläche, gelangte auf die Gegenfahrbahn,
stiess gegen die angrenzende Mauer und blieb schliesslich quer auf der
Fahrbahn stehen.

B.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 18. November 2002 sprach das Strafgericht des
Kantons Tessin X.________ der einfachen Verkehrsregelverletzung (Art. 3, Art.
27 Abs. 1, Art. 31 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1, Art. 34 Abs. 2 und Art. 90 Ziff. 1
SVG) schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 700.--.

Im Anschluss an dieses Strafurteil entzog ihm die Polizei des Kantons
Basel-Landschaft am 14. Januar 2003 den Führerausweis für die Dauer eines
Monats. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons
Basel-Landschaft am 24. Juni 2003 ab. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft
hiess eine Beschwerde von X.________ am 26. November 2003 gut und wies die
Angelegenheit an die Vorinstanz zurück, damit diese abkläre, ob für den als
leicht eingestuften Fall eine Verwarnung gemäss Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
auszusprechen sei.

C.
Die Polizei des Kantons Basel-Landschaft, Hauptabteilung Verkehrssicherheit,
erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 26. November 2003 aufzuheben und
X.________ den Führerausweis für einen Monat zu entziehen, wobei ein neuer
Abgabetermin zu setzen sei. Eventualiter sei die Beschwerdeführerin mit der
Festsetzung eines neuen Abgabetermins zu beauftragen.

Das Kantonsgericht Basel-Landschaft verzichtet auf eine Stellungnahme. Der
Beschwerdegegner ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei, sowie um Bestätigung des angefochtenen Urteils. Das
Bundesamt für Strassen (ASTRA) erkennt auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Letztinstanzliche kantonale Entscheide über den Führerausweisentzug
unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 24
Abs. 2 SVG) Die Beschwerdeführerin ist als erstinstanzlich verfügende Behörde
legitimiert, gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zu erheben (Art. 103 lit. c
OG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 5 lit. a SVG). Auf die fristgerecht
eingereichte Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

Nicht zu hören ist die Beschwerdeführerin, soweit sich ihre Anträge auf die
Modalitäten des Führerausweisentzugs bei einer allfälligen Gutheissung der
Beschwerde beziehen. Wann der Führerausweis abgegeben werden muss, ist von
der zuständigen kantonalen Behörde anzuordnen.

2.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Kantonsgericht habe abweichend von den
beiden ersten Instanzen einen leichten Fall bejaht und damit Art. 16 Abs. 2
SVG verletzt. Es hätte einen mittelschweren Fall annehmen und den
Führerausweisentzug für die Minimaldauer von einem Monat bestätigen müssen.

2.1 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von
Bundesrecht, einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des
Ermessens, gerügt sowie eine unrichtige und unvollständige Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden (Art. 104 lit. a und b
OG). Nicht überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die Angemessenheit
des angefochtenen Entscheides (Art. 104 lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG
ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn
eine richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt hat.

2.2 Nach Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der
Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere
belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen
werden (Satz 2). Gemäss Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG muss der Führerausweis
entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat.
Das Gesetz unterscheidet somit den leichten Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG),
den mittelschweren Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG) und den schweren Fall
(Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG).

Nach der Rechtsprechung kann auf die Anordnung des Führerausweisentzugs
grundsätzlich nur verzichtet werden, wenn der Fall leicht im Sinne von Art.
16 Abs. 2 Satz 2 SVG ist. Die Schwere der Verkehrsgefährdung ist nur insoweit
von Bedeutung, als sie auch verschuldensmässig relevant ist (BGE 125 II 561
E. 2b; 126 II 202 E. 1a). Bei einem mittelschweren Fall kommt ein Verzicht
auf den Führerausweisentzug lediglich in Betracht, sofern besondere Umstände
vorliegen, wie sie in BGE 118 Ib 229 gegeben waren (vgl. auch BGE 123 II 106
E. 2b S. 111). Die Voraussetzungen für die Annahme eines leichten Falles im
Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG ergeben sich aus Art. 31 Abs. 2 Satz 2
der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum
Strassenverkehr (VZV; SR 741.51). Nach dieser Bestimmung kann eine Verwarnung
verfügt werden, wenn die Voraussetzungen für den fakultativen Entzug nach
Art. 31 Abs. 1 VZV erfüllt sind und der Fall nach dem Verschulden und dem
Leumund als Motorfahrzeugführer leicht erscheint. Der leichte Fall im Sinne
von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG setzt somit kumulativ ein leichtes Verschulden
und einen guten automobilistischen Leumund des fehlbaren Fahrzeuglenkers
voraus. Fehlt es an einem leichten Verschulden, fällt die Annahme eines
leichten Falles ausser Betracht, auch wenn der automobilistische Leumund
ungetrübt ist (vgl. zuletzt BGE 128 II 282). Nur besondere Umstände, wie z.B.
die Anwendung von Art. 66bis StGB (BGE 118 Ib 229), können gegebenenfalls
auch bei einem mittelschweren Fall zum Verzicht auf den Ausweisentzug führen
(BGE 126 II 202 E. 1b S. 205). Die berufliche Angewiesenheit des Betroffenen
auf ein Motorfahrzeug ist bei der Bemessung der Entzugsdauer zu
berücksichtigen (BGE 128 II 285).

2.3
2.3.1Die Vorinstanz ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen, den das
Strafgericht des Kantons Tessin im Urteil vom 18. November 2002 verbindlich
(vgl. BGE 124 II 103 E. 1c/aa) festgestellt hatte: X.________ entlieh sich
zum ersten Mal einen Ferrari 360 Modena (1. Verkehrszulassung: Oktober 2001)
und fuhr damit am 12. April 2002 um 12.45 h bei Regen auf der Kantonsstrasse
von Cadenazzo in Richtung Mezzovico. Auf einer kurvigen Strecke senkte er die
Geschwindigkeit auf 70 km/h, um bei Ausgang der Kurve wieder zu
beschleunigen. Er verlor dabei die Beherrschung über das Fahrzeug. In der
Folge überquerte er eine doppelte Sicherheitslinie sowie eine Sperrfläche,
gelangte auf die Gegenfahrbahn, stiess gegen die angrenzende Mauer und blieb
mit dem Fahrzeug schliesslich quer zur Fahrbahn stehen.

Der Beschwerdeführer wurde vom Strafrichter deswegen unter anderem des
Nichtbeherrschens des Fahrzeugs (Art. 31 Abs. 1 SVG), der Nichtanpassung der
Geschwindigkeit an die Umstände (Art. 32 Abs. 2 SVG) sowie der Überschreitung
der Sicherheitslinie (Art. 34 Abs. 2 SVG) schuldig gesprochen. An diese
rechtliche Würdigung war die Vorinstanz gebunden (vgl. BGE 124 II 103 E.
1c/bb mit Hinweisen).

2.3.2 Bei dieser Tatsachenlage und angesichts der rechtlichen Würdigung des
Strafrichters hat die Vorinstanz zu Unrecht einen leichten Fall im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG bejaht.

Der Beschwerdeführer lenkte zum ersten Mal den ihm unvertrauten Sportwagen.
Ein Ferrari Modena 360 weist für ein auf öffentlichen Strassen zugelassenes
Fahrzeug eine ungewöhnlich grosse Motorenleistung auf. Es ist allgemein
bekannt, dass solche Fahrzeuge besondere Übung, Fertigkeit und Vorsicht
voraussetzen, um im Strassenverkehr jederzeit beherrscht zu werden. Die
gewaltigen Antriebskräfte und das besondere Fahrverhalten von derartigen
Sportwagen gebieten besonders beim Beschleunigen erhöhte Vorsicht. Der
Beschwerdeführer musste angesichts der infolge Regens schlechten
Strassenverhältnisse zusätzlich besonders sorgfältig fahren. Wenn er trotz
dieser Umstände die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nahezu
ausfuhr und gegen Ausgang einer Kurve aus einer Geschwindigkeit von 70 km/h
heraus offensichtlich zu stark beschleunigte, missachtete er die ihm
obliegenden Vorsichtspflichten deutlich und schuf eine erhöhte abstrakte
Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer. Sein Verschulden wiegt nicht mehr
leicht, wie auch die Höhe der Busse von Fr. 700.-- zum Ausdruck bringt. Damit
ist die Annahme eines leichten Falles ausgeschlossen. Wie die beiden ersten
Instanzen zutreffend erkannt haben, ist ein mittelschwerer Fall im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG gegeben. Besondere Umstände, welche auch bei einem
mittelschweren Fall zum Verzicht auf den Ausweisentzug führen könnten, liegen
keine vor.

3.
Die Beschwerde erweist sich damit als begründet und ist gutzuheissen.

Hebt das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid auf, so entscheidet es
selbst in der Sache oder weist diese zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz
zurück (Art. 114 Abs. 2 OG). Die für einen Entscheid erforderlichen Elemente
liegen vor. Damit kann umgehend entschieden werden. Dem Beschwerdeführer ist
der Führerausweis für die gesetzliche Mindestdauer von einem Monat (Art. 17
Abs. 1 lit. a SVG) zu entziehen. Über die Modalitäten des Entzugs wird die
Entzugsbehörde zu entscheiden haben.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens, in welchem der Beschwerdegegner
vollständig unterlegen ist, hat er die Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist,
gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 26. November 2003 aufgehoben.
X.________ wird der Führerausweis für die Dauer von einem Monat entzogen.

2.
Die Akten gehen zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft zurück.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie dem Bundesamt für Strassen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. April 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: