Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.6/2004
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 2004
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 2004


6A.6/2004 /kra

Urteil vom 8. Juni 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Schönknecht.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Andreas Maeschi,

gegen

Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern,
Kramgasse 20, 3011 Bern.

Entzug des Führerausweises,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission des
Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern vom 26. November 2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 18. Dezember 2002 war X.________ der Führerausweis für die
Dauer von einem Monat entzogen worden. Nach rechtskräftiger Abweisung einer
gegen die Entzugsverfügung erhobenen Beschwerde und Bewilligung eines Gesuchs
um Vollstreckungsaufschub begann der Vollzug der Massnahme am 1. Juli 2003 zu
laufen. Obwohl X.________ von diesem Zeitpunkt an lediglich zum Führen eines
Motorfahrrades berechtigt gewesen wäre, lenkte er anfangs Juli 2003 auf der
Strecke Niederscherli-Bern mehrmals ein Motorrad mit einem Hubraum von 125
cm3. Dabei ging er fälschlicherweise davon aus, das Führen des Motorrades sei
ihm aufgrund des Führerausweisentzugs nicht untersagt, zumal sein Ausweis das
Führen der fraglichen Fahrzeugkategorie mitumfasst hätte.
Unter Annahme eines Sachverhaltsirrtums verurteilte der zuständige
Untersuchungsrichter X.________ mit Strafmandat vom 24. Juli 2003 wegen
Führens eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis im Sinne von Art. 95 Ziff. 1
SVG zu einer Busse von Fr. 600.--. Diese Verurteilung ist rechtskräftig
geworden.

B.
Gestützt auf Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG entzog das Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons Bern X.________ am 15. August 2003 den
Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten. Die dagegen erhobene
Beschwerde wurde von der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen
gegenüber Fahrzeugführern am 26. November 2003 abgewiesen.

C.
X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben.
Die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber
Fahrzeugführern beantragt in ihrer Vernehmlassung, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz sei in ihrem Entscheid von
den tatsächlichen Feststellungen im Strafmandat des Untersuchungsrichteramt
Bern-Mittelland abgewichen und habe damit in verschiedener Hinsicht
Bundesrecht verletzt.
Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass eine
Verwaltungsbehörde nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich an
tatsächliche Feststellung im Strafurteil gebunden ist und davon nur in
bestimmten Fällen abweichen darf (vgl. BGE 124 II 103 E. 1c aa). Eine solche
Abweichung liegt vorliegend indes nicht vor. Denn entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers nimmt die Vorinstanz wie das Untersuchungsrichteramt an,
dass er zum Tatzeitpunkt davon ausgegangen sei, ein Motorrad mit einem
Hubraum von 125 cm3 führen zu dürfen. Deutlich wird dies im Zusammenhang mit
den Erwägungen zur Frage der Fahrlässigkeit, wo die Vorinstanz prüft, ob dem
Beschwerdeführer aufgrund seines Irrtums grobe oder nur leichte
Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob
eine Abweichung von den tatsächlichen Feststellungen im Strafmandat mit
Bundesrecht vereinbar gewesen wäre. Damit brauchen namentlich auch die
Einwände nicht geprüft zu werden, es liege eine Verletzung des
Willkürverbots, der Unschuldsvermutung, des Untersuchungsgrundsatzes und des
rechtlichen Gehörs vor.

2.
Sodann macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz sei von der
rechtlichen Würdigung im Strafmandat abgewichen, indem sie ihm den
Führerausweis gestützt auf Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG für die Dauer von sechs
Monaten entzogen habe. Dies sei mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren.

2.1 Das Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland verurteilte den
Beschwerdeführer gestützt auf Art. 95 Ziff. 1 SVG. Danach wird unter anderem
mit Haft oder Busse bestraft, wer ohne den erforderlichen Führerausweis ein
Motorfahrzeug führt. Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG sieht einen
Führerausweisentzug von mindestens sechs Monaten demgegenüber für denjenigen
vor, der trotz Ausweisentzugs ein Motorfahrzeug geführt hat. Damit deckt sich
die Bestimmung mit dem Straftatbestand von Art. 95 Ziff. 2 SVG, der im
Vergleich zu Art. 95 Ziff. 1 SVG eine erhöhte Strafandrohung vorsieht. Die
Vorinstanz ist demnach von der rechtlichen Würdigung im Strafmandat
abgewichen.

2.2 Nach der Rechtsprechung ist eine Verwaltungsbehörde an die rechtliche
Qualifikation das Sachverhalts im Strafurteil gebunden, sofern die rechtliche
Würdigung sehr stark von der Würdigung von Tatsachen abhängt, die der
Strafrichter besser kennt als die Verwaltungsbehörde. Dies ist namentlich der
Fall, wenn der Strafrichter den Beschuldigten persönlich einvernommen hat
(BGE 124 II 103 E. 1c bb mit Hinweisen).

2.3 Der Untersuchungsrichter hat den Beschwerdeführer im
Strafmandatsverfahren nicht persönlich befragt, sondern allein aufgrund der
Strafanzeige der Kantonspolizei Bern vom 15. Juli 2003 entschieden. Abgesehen
davon liegt eine enge Verknüpfung von Sachverhaltsfeststellung und
Rechtsanwendung nicht vor, weshalb die Vorinstanz an die rechtliche Würdigung
im Strafmandat nicht gebunden war. Zu prüfen bleibt, ob die Voraussetzungen
für eine Anwendung von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG vorlagen.

2.4 Art. 95 Ziff. 1 Abs. 1 SVG setzt objektiv voraus, dass der Täter gar
nicht Inhaber eines Führerausweises für die betreffende Fahrzeugkategorie ist
(BGE 98 IV 55 E. 2; Hans Giger, SVG Strassenverkehrsgesetz, 6. Auflage,
Zürich 2002, S. 271). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr hat der
Beschwerdeführer ein Motorfahrzeug geführt, obwohl ihm sein Fahrausweis
rechtskräftig entzogen worden war. Damit sind die Tatbestände von Art. 95
Ziff. 2 und 17 Abs. 1 lit. c SVG in objektiver Hinsicht erfüllt. Subjektiv
verlangt Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG ein Verschulden des Fahrzeuglenkers (René
Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band III:
Die Administrativmassnahmen, Bern 1995, N 2494; vgl. BGE 129 II 92 E. 2.1).
Die von der Bestimmung vorgesehene Mindestentzugsdauer von sechs Monaten
gelangt dabei nur bei Vorsatz und Grobfahrlässigkeit zu Anwendung. Ist dem
Fahrzeugführer lediglich einfache Fahrlässigkeit vorzuwerfen, wird ein
besonders leichter Fall angenommen und ist auf einen Entzug von mindestens
einem Monat zu erkennen (Entscheid des Kassationshofs vom 5. Februar 2003,
6A.97/2002, E. 3.2, veröffentlicht in Pra 2003 Nr. 148; BGE 124 II 103 E.
2a).
Der Untersuchungsrichter qualifizierte den Umstand, dass der Beschwerdeführer
davon ausging, ein Motorrad mit einem Hubraum von 125 cm3 führen zu dürfen,
als Sachverhaltsirrtum. Ob der Beschwerdeführer vorliegend tatsächlich in
einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt handelte oder sich vielmehr in
einem Rechtsirrtum befand, lässt sich aufgrund der tatsächlichen
Feststellungen im Strafmandat nicht ohne weiteres beantworten. Wie
nachfolgend zu zeigen sein wird, hat die rechtliche Qualifikation des Irrtums
auf den Ausgang des Verfahrens jedoch keinen Einfluss.
Irrte der Beschwerdeführer über den Sachverhalt, so handelte er nicht
vorsätzlich (vgl. Jörg Rehberg/ Andreas Donatsch, Strafrecht I,
Verbrechenslehre, 7. Auflage, Zürich 2001, S. 98). Analog zu Art. 19 Abs. 2
StGB käme Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG nichtsdestotrotz zur Anwendung, sofern er
den Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht hätte vermeiden können. Die
Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer denn auch kein vorsätzliches Verhalten
vor, sondern gelangt mit überzeugenden Argumenten zum Schluss, er habe
grobfahrlässig geirrt. In der Tat musste dieser aufgrund der konkreten
Umstände klarerweise an der eigenen Rechtsauffassung zweifeln und sich daher
an kompetenter Stelle im Detail vergewissern, ob er wirklich zum Führen eines
Motorrads mit einem Hubraum von 125 cm3 berechtigt war. Insoweit kann auf die
zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden, zumal
der Beschwerdeführer die rechtliche Würdigung in Bezug auf den Grad der ihm
vorzuwerfenden Fahrlässigkeit nicht beanstandet.
Befand sich der Beschwerdeführer dagegen in einem Rechtsirrtum, entfällt sein
Vorsatz nicht (Jörg Rehberg/Andreas Donatsch, a.a.O., S. 233). In analoger
Anwendung von Art. 20 StGB könnte er sich bei Vorliegen zureichender Gründe
hingegen auf einen Schuldausschluss- bzw. Schuldmilderungsgrund berufen. Dies
setzt nach der Rechtsprechung neben dem Fehlen eines Unrechtsbewusstseins
voraus, dass der Irrtum bei Beachtung der pflichtgemässen Sorgfalt
unvermeidbar gewesen wäre (BGE 129 IV 6 E. 4.1; Jörg Rehberg/Andreas
Donatsch, a.a.O., S. 237 ff.). Nachdem die Vorinstanz - ohne Bundesrecht zu
verletzen - zum Schluss gelangt ist, der Beschwerdeführer habe grobfahrlässig
geirrt, sind diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt.
Unabhängig davon, ob sich der Beschwerdeführer in einem Sachverhalts- oder in
einem Rechtsirrtum befand, gelangt damit die sechsmonatige
Mindestentzugsdauer von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG zur Anwendung. Der Einwand
des Beschwerdeführers erweist sich daher als unbegründet.

3.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach abzuweisen. Dementsprechend
wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 156 Abs. 1 OG).
Das Gesuch des Beschwerdeführers, der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 111 Abs. 2 OG aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird mit dem Entscheid
in der Sache gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Rekurskommission des Kantons
Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern sowie dem Strassenverkehrsamt
des Kantons Bern und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Juni 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: