Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.66/2004
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 2004
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 2004


6A.66/2004 /pai

Urteil vom 7. Dezember 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Schönknecht.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Christian Gerber,

gegen

Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern,
Kramgasse 20, 3011 Bern.

Sicherungsentzug des Führerausweises,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission des
Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern vom 18. August 2004.

Sachverhalt:

A.
X. ________ verursachte am 26. August 2003 mit seinem Personenwagen Mini
Cooper einen Selbstunfall. Er fuhr in der starken Rechtskurve der Ausfahrt
Kiesen der Autobahn A6 geradeaus und kollidierte mit einem Kurvensignal und
einem Strassenleitpfosten. Die angeordnete Blutprobe ergab eine
Blutalkoholkonzentration im Unfallzeitpunkt von mindestens 2,66
Gewichtspromillen. Bis zur Abklärung der Fahreignung wurde X.________ am 11.
September 2003 der Führerausweis vorsorglich entzogen. Das eingeholte
ärztliche Zeugnis von Dr. A.________ vom 10. Oktober 2003 stellte keine
Alkoholabhängigkeit fest. Die ermittelten Leberwerte waren mit Ausnahme des
CDT-Werts normal. Letzterer war massiv erhöht.

Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern entzog X.________
am 7. November 2003 den Führerausweis für drei Monate, wobei der Beginn der
Entzugsdauer auf den 26. August 2003 festgesetzt wurde. Zugleich verfügte es,
dass X.________ nach der Aushändigung des Führerausweises während der Dauer
eines Jahres alle drei Monate die Leberwerte bei einem Arzt kontrollieren
lassen und dem Amt ein Zeugnis mit den Befunden einreichen müsse. Ab dem 26.
November 2003 war X.________ wieder fahrberechtigt.

B.
Kurz nach der Wiedererteilung des Führerausweises wurde das erste ärztliche
Zeugnis über die Leberwerte erstellt. Es wies wiederum einen stark erhöhten
CDT-Wert (7,1 bei einem Referenzwert von weniger als 3,0) aus. Das Zeugnis
veranlasste das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt, am 9. Januar 2004
erneut einen vorsorglichen Führerausweisentzug anzuordnen und die Fahreignung
näher abzuklären. Die Eignungsuntersuchung der psychiatrischen
Universitätspoliklinik des Inselspitals in Bern ergab, dass X.________ zur
Zeit der Exploration im Februar 2004 nicht trunksüchtig war, hingegen eine
Alkoholabhängigkeit bis Ende Dezember 2003 vorgelegen habe.

Gestützt auf diesen Befund verfügte das genannte Amt am 15. März 2004 einen
Sicherungsentzug des Führerausweises auf unbestimmte Zeit, mindestens jedoch
bis Ende Dezember 2004. Die Wiedererteilung des Führerausweises wurde an die
Bedingung geknüpft, dass bis zum Ablauf der Probezeit eine strikte
Alkoholabstinenz befolgt und diese durch zweimonatliche Arztzeugnisse belegt
werde. Die dagegen ergriffene Beschwerde wies die Rekurskommission des
Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern am 18. August 2004 ab.

C.
X.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht und
beantragt, es seien die Entscheide des Amts und der Rekurskommission
aufzuheben und es sei ihm der Führerausweis wiederzuerteilen. Eventuell sei
die Sache an das Amt zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
Die Rekurskommission ersucht in ihrer Vernehmlassung um Abweisung der
Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, im angefochtenen Entscheid werde zu
Unrecht angenommen, dass er an einer Trunksucht im Sinne von Art. 14 Abs. 2
lit. c SVG leide. Eine solche habe im Zeitpunkt der Anordnung des
Sicherungsentzugs am 15. März 2004 selbst nach dem Gutachten der
psychiatrischen Universitätspoliklinik nicht bestanden. Aber auch für den
Zeitraum bis Dezember 2003 sei seine Alkoholabhängigkeit nicht genügend
nachgewiesen.

2.
Gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG darf der Führerausweis nicht erteilt werden,
wenn der Bewerber dem Trunke oder anderen die Fahrfähigkeit herabsetzenden
Süchten ergeben ist. Wird nachträglich festgestellt, dass die gesetzlichen
Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen, ist der
Führerausweis zu entziehen (Art. 16 Abs. 1 SVG). Ein solcher Sicherungsentzug
dient gemäss Art. 30 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen
und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) der Sicherung des
Verkehrs vor Fahrzeuglenkern, die aus medizinischen oder charakterlichen
Gründen, wegen Trunksucht oder anderen Süchten oder wegen einer anderen
Unfähigkeit zum Führen von Motorfahrzeugen nicht geeignet sind.

2.1 Trunksucht im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG ist zu bejahen, wenn
der Betreffende regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine
Fahrfähigkeit vermindert wird, und er diese Neigung zum übermässigen
Alkoholgenuss durch den eigenen Willen nicht zu überwinden oder zu
kontrollieren vermag. Er muss mithin in einem Masse abhängig sein, dass er
mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich in einem Zustand
ans Steuer eines Fahrzeugs zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr
gewährleistet. Nach der Rechtsprechung darf auf fehlende Fahreignung
geschlossen werden, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist,
Alkoholkonsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder wenn die nahe
liegende Gefahr besteht, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten
Strassenverkehr teilnimmt (BGE 129 II 82 E. 4.1 S. 86 f.; 127 II 122 E. 3c S.
126).
Der Suchtbegriff des Verkehrsrechts deckt sich somit nicht mit dem
medizinischen Begriff der Alkoholabhängigkeit. Auch bloss suchtgefährdete
Personen, bei denen aber jedenfalls ein Alkoholmissbrauch vorliegt, sind vom
Führen eines Motorfahrzeugs auszuschliessen (BGE 129 II 82 E. 4.1 S. 87; vgl.
auch René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts,
Band III: Die Administrativmassnahmen, Bern 1995, N. 2098).

2.2 Der angefochtene Entscheid stützt sich bei der Beurteilung der Trunksucht
des Beschwerdeführers vor allem auf das Gutachten der psychiatrischen
Universitätspoliklinik. Dieses bejaht eine Alkoholabhängigkeit bis Dezember
2003, verneint dagegen eine solche für den Explorationszeitpunkt im Februar
2004. Die Rekurskommission nimmt gestützt auf diesen Befund zunächst an, der
Beschwerdeführer sei bis Ende Dezember 2003 trunksüchtig im oben erwähnten
verkehrsrechtlichen Sinne gewesen. Weiter verweist sie auf die
Rechtsprechung, wonach bei einmal festgestellter Alkoholabhängigkeit der
Nachweis, dass die Sucht überwunden sei, nur durch die Einhaltung einer
mindestens einjährigen Totalabstinenz erbracht werden könne. Da ein solcher
Nachweis im März 2004 nicht vorlag, bejahte sie auch in diesem Zeitpunkt eine
Suchtgefährdung.
Ein Sicherungsentzug nach Art. 16 Abs. 1 in Verbindung mit 14 Abs. 2 lit. c
SVG kann nur angeordnet werden, wenn die Trunksucht im verkehrsrechtlichen
Sinne im Zeitpunkt der Anordnung noch besteht. Da der Massnahme eine
sichernde Funktion - die Freihaltung des Strassenverkehrs von ungeeigneten
Lenkern - zukommt (vgl. BGE 130 II 25 E. 3.1 S. 28), kann sie nur verfügt
werden, solange die Fahreignung tatsächlich fehlt. Der angefochtene
Sicherungsentzug durfte demnach nur ausgesprochen werden, wenn der
Beschwerdeführer am 15. März 2004 trunksüchtig im Sinne von Art. 14 Abs. 2
lit. c SVG war.
Das erwähnte Gutachten beurteilt die Alkoholabhängigkeit des
Beschwerdeführers in erster Linie nach medizinischen Kriterien und nicht nach
den oben dargestellten verkehrsrechtlichen Massstäben. Die darin enthaltene
Feststellung, eine Trunksucht sei bis Dezember 2003 zu bejahen, habe aber im
Februar 2004 nicht mehr bestanden, ist daher als medizinische Aussage zu
verstehen, die einer zusätzlichen Würdigung unter verkehrsrechtlichen
Gesichtspunkten bedarf. Gestützt auf eine solche Prüfung gelangt die
Rekurskommission zum Schluss, dass der Beschwerdeführer auch am 15. März 2004
noch trunksüchtig war, ohne dies freilich mit der wünschbaren Klarheit
festzuhalten.

3.
Bei dieser Ausgangslage fragt sich, ob die Trunksucht des Beschwerdeführers
am 15. März 2004 bejaht werden durfte. Dieser macht geltend, er sei nie
trunksüchtig gewesen, weder im Dezember 2003 noch am 15. März 2004.

3.1 Nach der jüngst eingehend begründeten Rechtsprechung des Bundesgerichts
erlaubt ein pathologischer CDT-Wert nicht den Schluss auf eine
Alkoholabhängigkeit, wenn sich die übrigen Leberwerte im normalen Bereich
bewegen. Dieser Befund gibt vielmehr Anlass, weitere Abklärungen zu treffen,
die Aufschluss über eine allfällige Trunksucht im Sinne von Art. 14 Abs. 2
lit. c SVG geben können. Dazu gehören insbesondere Erhebungen über die
persönlichen Verhältnisse der fraglichen Person, ihr Trinkverhalten und ihre
subjektive Einstellung dazu sowie über weitere alkoholbedingte medizinische
Veränderungen (BGE 129 II 82 E. 6.2.2 S. 91).
Die Laboruntersuchungen, die nach dem Selbstunfall vom 26. August 2003
vorgenommen wurden, zeigten immer normale Leberwerte mit Ausnahme des CDT,
das am 2. Oktober 2003 und 2. Dezember 2003 stark erhöht war, dagegen am 18.
Februar 2004 im Graubereich, d.h. leicht über der Norm lag. In
Übereinstimmung mit der angeführten Rechtsprechung wurden die ärztlichen
Untersuchungen an der psychiatrischen Universitätspoliklinik auch auf das
Trinkverhalten im fraglichen Zeitraum und die weiteren relevanten Umstände
erstreckt. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Rekurskommission stütze die
Bejahung der Trunksucht letztlich nur auf den erhöhten CDT-Wert, die beim
Selbstunfall festgestellte hohe Blutalkoholkonzentration sowie auf den
Rückfall beim Fahren in angetrunkenem Zustand, erweist sich daher als
unbegründet. Die Würdigung der im Gutachten festgestellten Umstände, die
klarerweise auf eine Alkoholabhängigkeit hindeuten, bietet keinen Anlass zur
Kritik.

3.2 Hat einmal eine Trunksucht im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG
vorgelegen, so wird eine Heilung nach der Rechtsprechung in der Regel erst
nach einer mindestens einjährigen kontrollierten Abstinenz angenommen (BGE
129 II 82 E. 2.2 S. 84). Die Rekurskommission folgert im Lichte dieser Praxis
zu Recht, dass am 15. März 2004 die Alkoholabhängigkeit des Beschwerdeführers
noch nicht als überwunden gelten konnte. Auch wenn im Februar 2004 der
CDT-Wert fast in den normalen Bereich abgesunken war, da der Beschwerdeführer
nach eigenen Angaben begonnen hatte, abstinent zu leben, konnte zu diesem
Zeitpunkt die Trunksucht im verkehrsrechtlichen Sinne noch keineswegs als
behoben gelten. Gleich verhielt es sich auch noch am 15. März 2004 angesichts
der erforderlichen längeren Periode, die abstinent zu verbringen ist. Der
angefochtene Entscheid verletzt daher kein Bundesrecht.

4.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich demnach als unbegründet und
ist abzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (vgl. Art. 156 Abs. 1 OG).

Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um Gewährung der
aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Rekurskommission des Kantons
Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern sowie dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons Bern und dem Bundesamt für Strassen schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 7. Dezember 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: