Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.56/2004
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6A.56/2004 /pai

Urteil vom 29. November 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Zünd,
Gerichtsschreiber Borner.

B. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Schatzmann,

gegen

Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern,
Kramgasse 20, 3011 Bern.

Entzug des Führerausweises (Art. 24 Abs. 2 SVG),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission des
Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern vom 26. Mai 2004.

Sachverhalt:

A.
Die Strafabteilung des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen büsste B.________ am
11. November 2003 wegen ungenügenden Abstandhaltens beim Hintereinander- und
Nebeneinanderfahren mit Personenwagen in Anwendung von Art. 90 Abs. 1 SVG mit
Fr. 800.--. Gleichzeitig wurde Z.________, die Anzeige gegen B.________
erstattet hatte, von der Anschuldigung der Nichtfreigabe der Überholspur auf
der Autobahn freigesprochen. Auf eine schriftliche Begründung des im
Dispositiv eröffneten Urteils verzichteten die Parteien, so dass es in
Rechtskraft erwuchs.

B.
Gestützt auf das Strafurteil entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt
des Kantons Bern B.________ am 20. Februar 2004  den Führerausweis für die
Dauer eines Monats.
Eine Beschwerde von B.________ wies die Rekurskommission des Kantons Bern für
Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern am 26. Mai 2004 ab.

C.
B.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und von einem Führerausweisentzug sei
abzusehen, eventuell sei eine Verwarnung auszusprechen.
Die Rekurskommission beantragt Abweisung der Beschwerde (act. 6).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens gerügt
sowie eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts geltend gemacht werden (Art. 104 lit. a und b OG). Nicht
überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die Angemessenheit des
angefochtenen Entscheides (Art. 104 lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist
das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn eine
richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt hat. An die Begründung der Begehren ist
es nicht gebunden (Art. 114 Abs. 1 OG).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, widersprüchlich entschieden
zu haben: Einerseits habe sie sich an die tatsächlichen Feststellungen des
Strafrichters für gebunden erachtet und anderseits dennoch die im
Strafverfahren gemachten Aussagen eigenständig gewürdigt. Dieser Widerspruch
beruhe darauf, dass das Strafurteil nur im Dispositiv vorliege. Er habe
darauf verzichtet, ein begründetes Urteil zu verlangen, weil einerseits die
Sachbearbeiterin des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamtes ihm auf Anfrage
erklärt habe, er brauche das Strafurteil nicht beizubringen, da sie ein
solches zusammen mit den Strafakten erhalten würde, anderseits habe der
Gerichtspräsident zu verstehen gegeben, dass bereits aus dem Dispositiv des
Strafurteils das lediglich leichte Verschulden des Beschwerdeführers
hervorgehe, womit ein Führerausweisentzug entfalle. Da der im Strafentscheid
festgestellte Sachverhalt für die Verwaltungsbehörde verbindlich sei, der
Gerichtspräsident sich aber auf den Standpunkt stelle, nachträglich könne der
Beschwerdeführer keine schriftliche Begründung mehr verlangen, wäre die
Vorinstanz ihrerseits verpflichtet gewesen, die schriftliche Begründung des
Strafurteils zu erwirken oder aber den Gerichtspräsidenten zu seinen
Feststellungen zu befragen bzw. einen schriftlichen Bericht dazu einzuholen.

2.2 Nach der Rechtsprechung darf die Verwaltungsbehörde von den tatsächlichen
Feststellungen im Strafurteil nur abweichen, wenn sie Tatsachen feststellt
und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren, oder
wenn sie zusätzliche Beweise erhebt, sowie wenn der Strafrichter bei der
Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht sämtliche Rechtsfragen abgeklärt
hat. Die Verwaltungsbehörde hat vor allem auf die Tatsachen im Strafurteil
abzustellen, wenn dieses im ordentlichen Verfahren mit öffentlicher
Verhandlung unter Anhörung von Parteien und Einvernahme von Zeugen ergangen
ist (BGE 123 II 97 E. 3c; 119 Ib 158 E. 3; 109 Ib 203).
Das den Beschwerdeführer betreffende Strafurteil ist zwar im ordentlichen
Verfahren ergangen, es wurde jedoch nur im Dispositiv ausgefertigt, weil der
Beschwerdeführer keine schriftliche Begründung des Entscheids verlangte. Aus
dem Dispositiv geht indessen zwingend hervor, dass der Beschwerdeführer
sowohl beim Hintereinander- wie beim Nebeneinanderfahren den erforderlichen
Abstand nicht einhielt, während umgekehrt der Strafanzeigerin, welche
freigesprochen wurde, keinerlei Verfehlungen zur Last zu legen waren. Darauf
konnte die Vorinstanz abstellen. Für Einzelheiten kam sie indessen nicht
darum herum, die Strafakten selbständig zu würdigen. Dass sie dies nicht
hätte tun dürfen, sondern statt dessen einen Bericht des Strafrichters hätte
einholen oder diesen befragen müssen, ergibt sich aus Bundesrecht nicht.

2.3 Der Beschwerdeführer rügt, das von der Vorinstanz durchgeführte
Beweisverfahren sei ungenügend, indem sich dieses auf die Würdigung der
Strafakten beschränkt habe. Der Vorwurf ist  unbegründet. Der Vorinstanz
lagen die im Strafverfahren protokollierten Aussagen der Beteiligten sowie
einer Zeugin vor, welche die Vorinstanz entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers nicht zu wiederholen hatte. Zudem konnte sich der
Beschwerdeführer vor der Rekurskommission persönlich äussern.

2.4 Die Feststellungen der Vorinstanz sind auch nicht offensichtlich
unrichtig, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich sind (Art. 105 Abs.
2 OG). Die Vorinstanz hielt nach umfassender Würdigung der Aussagen fest,
dass der Beschwerdeführer auf der Überholspur zu nahe auf das Fahrzeug der
Strafanzeigerin aufschloss, diese bedrängte und, nachdem sie auf die
Normalspur hatte wechseln können, neben sie fuhr und einen Schwenker nach
rechts machte. Seine These, wonach sie es gewesen sei, welche einen Schwenker
nach links gemacht haben soll, ist schon mit dem Urteil des Strafrichters
nicht vereinbar, welcher die Strafanzeigerin freisprach und den
Beschwerdeführer nicht nur wegen ungenügenden Abstandhaltens beim
Hintereinander-, sondern auch beim Nebeneinanderfahren verurteilte. Im
Übrigen kann in tatsächlicher Hinsicht auf die überzeugenden und zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden.

3.
3.1 Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der
Lenker Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere
belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen
werden (Satz 2). Nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG muss der Führerausweis
entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat.
Das Gesetz unterscheidet somit:

• den leichten Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG),
• den mittelschweren Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG) und
• den schweren Fall (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG).

Gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG wird mit Haft oder mit Busse bestraft, wer
Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des
Bundesrates verletzt. Ziff. 2 bedroht mit Gefängnis oder Busse, wer durch
grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit
anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. In schwerer Weise gefährdet den
Verkehr im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG, wer durch grobe Verletzung
der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG eine ernstliche Gefahr
für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Diese beiden
Vorschriften stimmen inhaltlich miteinander überein (BGE 128 II 86 E. 2a, 126
II 202 E. 1a S. 204; 123 II 37 E. 1a/b, 106 E. 2a mit Hinweisen).

Findet der schwere Fall gemäss Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG seine Entsprechung
in der groben Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 2 SVG, so
deckt die einfache Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG
sowohl den leichten wie den mittelschweren Fall gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG ab.
Eine strafrechtliche Verurteilung wegen einfacher Verletzung der
Verkehrsregeln bedeutet also nicht zwangsläufig, dass es sich um einen
leichten Fall im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG handeln muss. Es kann
durchaus auch ein mittelschwerer Fall vorliegen.

Nach der Rechtsprechung kann auf den Führerausweisentzug grundsätzlich nur
verzichtet werden, wenn der Fall leicht im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2
SVG ist. Bei einem mittelschweren Fall kommt ein Verzicht auf den
Führerausweisentzug nur in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, wie
sie in BGE 118 Ib 229 gegeben waren. Ob der Fall leicht im Sinne von Art. 16
Abs. 2 Satz 2 SVG ist, beurteilt sich nach dem Verschulden des
Fahrzeuglenkers und seinem automobilistischen Leumund. Die Schwere der
Verkehrsgefährdung ist insoweit von Bedeutung, als sie auch
verschuldensmässig relevant ist (BGE 126 II 202 E. 1a, 192 E. 2b/c; 125 II
561 E. 2b S. 567, je mit Hinweisen).

3.2 Der Beschwerdeführer schloss auf der Überholspur zu nahe auf die spätere
Strafanzeigerin auf und bedrängte diese. Nachdem sie auf die Normalspur hatte
wechseln können, lenkte er sein Fahrzeug mit einem Schwenker auch seitlich zu
nahe an sie heran. Die Vorinstanz hat dieses Verhalten, welches die
Sicherheit der Strafanzeigerin und deren Kinder gefährdete, als nicht mehr
leichten Fall qualifiziert und den Führerausweis für die Dauer eines Monats
entzogen. Diese Beurteilung steht im Einklang mit Bundesrecht.

4.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist
abzuweisen.
Entsprechend dem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Rekurskommission des Kantons
Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern sowie dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons Bern und dem Bundesamt für Strassen schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 29. November 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: