Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.44/2004
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6A.44/2004 /kra

Urteil vom 8. September 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Briw.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Raess,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090
Zurich,
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, Militärstrasse 36,
Postfach, 8021 Zürich.

Probeweise Entlassung aus der Verwahrung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 25. Mai 2004.

Sachverhalt:

A.
X.  ________ (Jahrgang 1939) setzte am Abend des 13. Dezember 1994 den seit
mehreren Monaten wegen familiärer Schwierigkeiten gehegten Plan, in der
ehelichen Wohnung im Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses einen Brand zu
legen, in die Tat um. Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach ihn
deshalb am 22. März 1996 der Brandstiftung schuldig (Art. 221 Abs. 1 und 2
StGB) und bestrafte ihn mit dreieinhalb Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung
von 464 Tagen erstandener Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Es ordnete eine
Verwahrung im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB an und schob den Vollzug
der Freiheitsstrafe zu diesem Zwecke in Anwendung von Art. 43 Ziff. 2 Abs. 1
StGB auf. Der Kassationshof des Bundesgerichts hob dieses Urteil in der Folge
im Schuldpunkt auf, bestätigte aber die Anordnung der Verwahrung (BGE 123 IV
128 und nicht veröffentlichte E. 5). Bei der Neubeurteilung vom 30. September
1997 sprach ihn das Geschworenengericht der versuchten Brandstiftung schuldig
(Art. 221 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) und bestrafte ihn mit drei
Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von 1021 Tagen Untersuchungs- und
Sicherheitshaft sowie vorzeitigem Massnahmevollzug. Auf die gegen dieses
Urteil eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde trat der Kassationshof des
Bundesgerichts am 28. Oktober 1998 nicht ein (BGE 6S.138/1998).

B.
Das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich verweigerte am 11. November 2003
im Rahmen der jährlichen Prüfung nach Art. 45 Ziff. 1 StGB eine probeweise
Entlassung von X.________.

Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich wies am 10.
Februar 2004 den Rekurs gegen diesen Entscheid ab.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (4. Abteilung) wies am 25. Mai 2004
die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

C.
X. ________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den
Entscheid
des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2004 aufzuheben, ihn probeweise aus dem
Verwahrungsvollzug zu entlassen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren.

Zusätzlich zu dieser Verwaltungsgerichtsbeschwerde reicht X.________ einen
"Nachtrag" vom 10. August 2004 mit einem "12 Punkte umfassenden Bericht" ein.

Das Verwaltungsgericht beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde
abzuweisen. Es verweist auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheids.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
In seinem Nachtrag macht der Beschwerdeführer geltend, es sei nicht das nicht
mehr aktuelle psychiatrische Gutachten vom 29. Oktober 2002 der
Psychiatrischen Universitätsklinik Basel (act. 215) massgebend, sondern der
"Bericht" von Dr. J.________ aus dem Jahre 2003. Die Vorinstanz
berücksichtigt einen von Dr. J.________ verfassten Jahresbericht des
Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes vom 27. Oktober 2003 (angefochtenes
Urteil S. 10; act. 261). Der Beschwerdeführer scheint indessen unter dem
"Bericht" den von ihm verfassten "12 Punkte umfassenden Bericht aus den 35
Gesprächen" mit Dr. J.________ aus dem Jahre 2003 zu verstehen. In diesem
Bericht behauptet er ein "Justiz-Verbrechen" an seiner Person. Dieser Eingabe
kommt neben der von seinem Rechtsvertreter eingereichten Beschwerde keine
selbständige Bedeutung zu. Massgeblich ist das Gutachten vom 29. Oktober 2002
(vgl. BGE 128 IV 241 E. 3.2 und 3.4).

2.
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, nicht aber
Unangemessenheit gerügt werden (Art. 104 OG; vgl. BGE 127 II 297 E. 2a).
Nachdem als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden hat, ist das
Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, da dieser nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist (Art. 105 Abs. 2 OG; vgl. BGE
127 II 297 E. 2a).

3.
Gemäss Art. 43 Ziff. 4 StGB beschliesst die zuständige Behörde die Aufhebung
der Massnahme, wenn ihr Grund weggefallen ist (Abs. 1 ). Ist der Grund der
Massnahme nicht vollständig weggefallen, so kann die zuständige Behörde eine
probeweise Entlassung aus der Anstalt oder der Behandlung anordnen (Abs. 2).
Gemäss Art. 45 Ziff. 1 StGB prüft die zuständige Behörde von Amtes wegen, ob
und wann die bedingte oder probeweise Entlassung anzuordnen ist (Abs. 1). In
Bezug auf die bedingte oder probeweise Entlassung aus einer Anstalt nach Art.
43 StGB hat die zuständige Behörde mindestens einmal jährlich Beschluss zu
fassen (Abs. 2).

3.1  Der Beschwerdeführer macht geltend, da die Vollzugsbehörde bei der
Jahresprüfung gemäss Art. 45 Ziff. 1 StGB das Fortbestehen der
Voraussetzungen einer Verwahrung umfassend prüfe, müsse sie sich auch mit der
Frage der Kausalität zwischen der Störung und der Anlasstat im Zeitpunkt der
Tat auseinander setzen. Aus einer Textstelle im Gutachten (S. 30) und einer
Stellungnahme des Fachausschusses für Vollzugsfragen vom 12. Mai 1997
(zitiert im Gutachten S. 8) würde sich ergeben, dass die wahnhafte Störung
noch nie unmittelbar eine Tat verursacht habe. Es fehle somit eine
Hauptvoraussetzung der Verwahrung. Schon aus diesem Grund sei er unverzüglich
aus der Verwahrung zu entlassen. Die Voraussetzungen der Verwahrung seien zu
keinem Zeitpunkt erfüllt gewesen und seien es auch heute noch nicht
(Beschwerde S. 4, 7).

Damit bestreitet der Beschwerdeführer die Rechtmässigkeit der angeordneten
Verwahrung. Die Verwahrung des Beschwerdeführers wurde im Urteil des
Geschworenengerichts vom 22. März 1996 angeordnet und vom Kassationshof am 2.
Juli 1997 bestätigt (oben Bst. A). Die Verwahrung erfolgte somit rechtmässig.
Ein Wiederaufnahmegesuch wies die Revisionskammer des Obergerichts des
Kantons Zürich letztmals mit Beschluss vom 17. März 2004 ab, soweit sie
darauf eintrat. Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers können
die zuständigen Behörden bei ihrer Prüfung gemäss Art. 45 Ziff. 1 StGB das
Strafurteil grundsätzlich nicht überprüfen. Etwas anderes ergibt sich auch
nicht aus der vom Beschwerdeführer zitierten Literatur (Marianne Heer, Basler
Kommentar, Strafgesetzbuch I, Art. 45 N. 16; Matthias Brunner, in:
Niggli/Weissenberger (Hrsg.), Strafverteidigung, Rz. 6.104). Insoweit ist auf
die Beschwerde nicht einzutreten (vgl. dazu auch das angefochtene Urteil S.
8).

3.2  Der Beschwerdeführer bringt vor, selbst wenn die Verwahrung nicht sofort
beendet werden könne, so sei er zumindest probeweise aus der Verwahrung zu
entlassen, da heute der Grund für die Verwahrung zumindest teilweise
weggefallen sei. Die Vorinstanz habe aus der Annahme der Gutachterin, dass
die wahnhafte Störung noch fortbestehe, geschlossen, es bestehe deshalb auch
eine Rückfallgefahr. Ein solcher Schluss sei aber in dieser absoluten Form
unzulässig. Eine psychische Erkrankung impliziere keineswegs eine erhöhte
Deliktsgefahr. Auch die Gutachterin gehe nur davon aus, dass weitere
strafbare Handlungen nicht völlig unwahrscheinlich seien. Es sei nicht
nachvollziehbar, wie die Vorinstanz auf eine hohe Wahrscheinlichkeit einer
schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit habe schliessen können
(Beschwerde S. 4 ff.).

Es sind nicht die Voraussetzungen der Anordnung einer Verwahrung, sondern
jene einer probeweisen Entlassung zu beurteilen. Die Vorinstanz setzt sich
mit diesen vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen im angefochtenen Urteil
nicht weiter auseinander. Sie stützt sich jedoch in ihrer Entscheidung auf
das Gutachten. Darin wird die Kausalität zwischen der Störung und der
Anlasstat relativiert, aber nicht verneint (angefochtenes Urteil S. 8;
Gutachten S. 29 f.). Weder die Störung noch die Rückfallgefahr sind
weggefallen, wenn sie auch von der Gutachterin heute etwas anders
eingeschätzt werden. Die Gutachterin führt zwar aus, dass mit Fortbestehen
der Störung ohne therapeutischen Support weitere strafbare Handlungen nicht
völlig unwahrscheinlich seien. Sie fährt aber fort, scheine die Legalprognose
auch etwas günstiger als anlässlich früherer Begutachtungen, so sei z.B.
nicht vorherzusehen, ob die Wahndynamik bei Veränderung der
Umgebungsbedingungen eine weitere Ab- oder eine erneute Zunahme erfahren
werde (Gutachten S. 31). Dieser Ungewissheit muss eine probeweise Entlassung
aus der Verwahrung Rechnung tragen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich
der Beschwerdeführer krankheitsuneinsichtig zeigt (Gutachten S. 29).
Schliesslich lassen sich auch die Tatsachen, die zur Anordnung der Massnahme
geführt haben und die nicht nur die versuchte qualifizierte Brandstiftung
betreffen (vgl. Urteil des Geschworenengerichts vom 22. März 1996, S. 78 f.),
nicht einfach beiseite schieben. Die Gutachterin empfiehlt dann erste
Lockerungen, wenn es gelingt, einen therapeutischen Rahmen zu etablieren, der
es ermöglicht, die weitere Entwicklung des Beschwerdeführers zu begleiten
(Gutachten S. 31).

Die Vorinstanz führt aus, es zeige sich, dass der Vollzug durch die
inzwischen erfolgten begleiteten Urlaube Lockerungen erfahren habe und dass
die in diesem Zusammenhang wieder stattfindenden psychiatrischen Vor- und
Nachbearbeitungen bei positivem Verlauf weiter Bewegung in diese Richtung
bringen. Zurzeit könne aber noch nicht auf eine entsprechende Kontinuität
geschlossen werden, welche schon jetzt ohne die Vornahme weiterer
vorangehender Vollzugslockerungen eine probeweise Entlassung, und sei diese
verbunden mit Auflagen, rechtfertigen würde, zumal zwischenzeitlich die im
Zusammenhang mit den begleiteten Urlauben angeordnete therapeutische
Begleitung unterbrochen worden sei. Nach dem Gutachten sei bezüglich der
möglichen Lockerungsschritte vorerst an begleitete Ausgänge zu denken, die
anschliessend zu evaluieren und nur bei positivem Verlauf fortzusetzen seien.
Solche Ausgänge hätten mittlerweile stattgefunden, doch bedürfe deren
Evaluierung einer längerfristigen Kontinuität. Einer probeweisen Entlassung
hätten sodann unbegleitete Urlaube voranzugehen, was eine erneute
forensisch-psychiatrische Begutachtung voraussetze. Somit bedürfe es vorerst
weiterer begleiteter Ausgänge, welche gegebenenfalls in zeitlicher Hinsicht
auszudehnen seien. Bei positivem Verlauf wäre sodann nach entsprechender
forensisch-psychiatrischer Evaluation zu prüfen, ob unbegleitete Ausgänge in
Frage kommen könnten. Sollten auch diese positiv verlaufen, könnte nach
erneuter forensisch-psychiatrischer Überprüfung eine probeweise Entlassung
ins Auge gefasst werden. Deren Voraussetzungen seien also noch keineswegs
erfüllt, woran auch der geltend gemachte schlechte Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers sowie sein fortgeschrittenes Alter nichts änderten
(angefochtenes Urteil S. 10 f.).

Der Beschwerdeführer wendet ein, diese von der Gutachterin dargestellte
schrittweise Vollzugslockerung würde für ihn bedeuten, dass er noch mehrere
Jahre in der Verwahrung bleiben müsse. Bei der momentanen guten psychischen
Verfassung und der geringen Rückfallgefahr erscheine ein längeres
Aufrechterhalten der Verwahrung als unverhältnismässig. Dies würde auch gegen
den Grundsatz verstossen, dass eine Verwahrung ultima ratio sei (Beschwerde

S. 7).

Nach dem Gutachten lässt sich nicht vorhersehen, in welche Richtung sich die
Wahndynamik entwickeln wird. Eine Entlassung aus einer stationären Massnahme
muss vorbereitet werden, damit sie verantwortet werden kann.
Vollzugslockerungen tragen entscheidend dazu bei, zuverlässige Grundlagen für
die Prognose zu schaffen. Bei den Vollzugslockerungen geht es auch darum, in
Nachachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips einem Internierten das
verantwortbare Mass an Freiheit einzuräumen und ihm Gelegenheit zur Bewährung
zu geben (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 235; Heer, a.a.O., Art. 43 N. 245, 248).
Wie sich den vorinstanzlichen Erwägungen eindeutig entnehmen lässt, handelt
es sich im heutigen Zeitpunkt darum, eine probeweise Entlassung des
Beschwerdeführers aus der Verwahrung stufengerecht vorzubereiten. Ihm wird
dadurch eine klare Perspektive aufgezeigt. Dieser Ansatzpunkt berücksichtigt
die günstigere Einschätzung der Legalprognose aus medizinisch-psychiatrischer
Sicht und entspricht den gutachterlichen Vorschlägen sowie den geltend
gemachten Interessen des Beschwerdeführers.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Weil das
Rechtsbegehren als aussichtslos bezeichnet werden muss, ist das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG; vgl. BGE
128 I 225 E. 2.5.3). Den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers ist
mit einer herabgesetzten Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug des
Kantons Zürich und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. September 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: