Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.43/2004
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5P.43/2004 /bmt

Urteil vom 22. April 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Hohl,
Gerichtsschreiber Levante.

T.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Monika
Lütolf-Geiser,

gegen

F.________, Beschwerdegegner,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Hirschengraben 16, Postfach, 6002
Luzern.

Art. 9 BV (Kindesunterhalt),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern, II. Kammer, vom 4. Dezember 2003 (Nr. 22 03 50).

Sachverhalt:

A.
Am 27. August 2002 erhob F.________ (geboren 2002) Vaterschafts- und
Unterhaltsklage gegen T.________, welche das Amtsgericht Luzern-Land mit
Urteil vom 16. April 2003 guthiess. Das Amtsgericht stellte fest, dass
zwischen den Parteien ein Kindesverhältnis besteht, und verpflichtete
T.________, seinem Kind rückwirkend ab dem 26. April 2002 einen monatlichen
und indexierten Unterhaltsbeitrag von Fr. 300.-- zuzüglich Kinderzulagen zu
bezahlen. Hiergegen erhob T.________ Appellation und verlangte die Aufhebung
der Pflicht zur Leistung von Unterhaltszahlungen. Das Obergericht, II.
Kammer, des Kantons Luzern hiess die Appellation mit Urteil vom 4. Dezember
2003 teilweise gut und änderte das Urteil des Amtsgerichts dahingehend ab,
dass der Unterhaltsbeitrag erst ab 1. April 2004 zu bezahlen sei.

B.
T.________ führt mit Eingabe vom 2. Februar 2004 staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 9 BV (Willkürverbot) mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben. Weiter beantragt er aufschiebende Wirkung und
(sinngemäss) die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Auf das Einholen von Vernehmlassungen wurde verzichtet.

C.
In der gleichen Sache gelangt T.________ auch mit Berufung an das
Bundesgericht (Verfahren 5C.34/2004).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Urteil des Obergerichts ist als letztinstanzlicher kantonaler Entscheid
mit staatsrechtlicher Beschwerde grundsätzlich anfechtbar (Art. 86 Abs. 1
OG). Erhebt eine Partei gleichzeitig staatsrechtliche Beschwerde und
Berufung, so ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche Beschwerde zu
befinden, und der Entscheid über die Berufung wird ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5
OG). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu verfahren. Das
Gesuch um aufschiebende Wirkung erweist sich als gegenstandslos, da der
ebenfalls erhobenen Berufung von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt
(Art. 54 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG hat der Beschwerdeführer die wesentlichen
Tatsachen zu nennen und darzulegen, welche verfassungsmässigen Rechte bzw.
welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid
verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert
erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 125 I 71 E. 1c S. 76).

2.2 Ein Entscheid verstösst gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV), wenn er
offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
Hingegen erweist sich ein Entscheid nicht bereits dann als willkürlich, wenn
eine andere Lösung ebenfalls vertretbar ist oder gar vorzuziehen wäre. Zudem
muss jeweils nicht nur die Begründung des Entscheids, sondern auch das
Ergebnis unhaltbar sein (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Im Zusammenhang mit
Beweiswürdigung gilt ein Entscheid namentlich dann als willkürlich, wenn der
Sachrichter aus dem Ergebnis des Beweisverfahrens voreilige Schlüsse zieht
(BGE 101 Ia 545 E. 4d S. 551 f.; 118 Ia 28 E. 1b S. 30) oder wenn er
einseitig einzelne Beweise berücksichtigt und andere, aus denen sich
Gegenteiliges ergeben könnte, ausser Betracht lässt (BGE 112 Ia 369 E. 3 S.
371; 118 Ia 28 E. 1b S. 30).

3.
3.1 Das Obergericht hat festgehalten, dass dem Beschwerdeführer die Erzielung
eines hypothetischen Nettoeinkommens von Fr. 3'000.-- pro Monat ab dem 1.
April 2004 zuzumuten sei, so dass er nach Abzug der Auslagen unter
Berücksichtigung der Unterhaltspflichten gegenüber seinen beiden anderen
Kinder dem Beschwerdegegner einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 300.-- zu
bezahlen habe. Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht Willkür in der
Beweiswürdigung vor, weil es für ihn ein hypothetisches Einkommen von Fr.
3'000.-- ermittelt habe, obwohl seine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit
ärztlich attestiert und das Einspracheverfahren gegen die IV-Verfügung hängig
sei. Das Obergericht führe keine Gründe an, weshalb das Arztzeugnis nicht zu
berücksichtigen sei; zudem sei bei hängigem IV-Verfahren nicht mit einer
Stellensuche und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu rechnen.

3.1.1 Bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen darf vom tatsächlichen
Leistungsvermögen des Pflichtigen, das Voraussetzung und Bemessungsgrundlage
der Beitragspflicht bildet, abgewichen und statt dessen von einem
hypothetischen Einkommen ausgegangen werden, falls und soweit der Pflichtige
bei gutem Willen bzw. bei ihm zuzumutender Anstrengung mehr zu verdienen
vermöchte, als er effektiv verdient (BGE 128 III 4 E. 4a S. 5). Diesen
Grundsatz hat das Bundesgericht auch für den Unterhaltsbeitrag nach Art. 285
Abs. 1 ZGB festgehalten (Urteil 5C.32/2002, E. 5b). Ob dem
Unterhaltspflichtigen ein hypothetisches Einkommen zugemutet werden kann, ist
Rechtsfrage, ob dessen Erzielung auch als tatsächlich möglich erscheint, ist
hingegen Tatfrage, wobei Annahmen der kantonalen Instanz über hypothetische
Geschehensabläufe, die auf Schlussfolgerungen aus konkreten Anhaltspunkten
beruhen, das Ergebnis von Beweiswürdigung sind. Vorbehalten bleiben
Schlussfolgerungen, die ausschliesslich auf allgemeiner Lebenserfahrung
beruhen (BGE 128 III 4 E. 4c/bb S. 7; 126 III 10 E. 2b S. 12).

3.1.2 Das Obergericht hat festgestellt, dass der Beschwerdeführer aufgrund
des Arztzeugnisses vom 19. August 2003 seit dem 9. April 2003 zu 100%
arbeitsunfähig und wegen seiner Suchtprobleme zur weiteren Betreuung beim
Sozialberatungszentrum angemeldet sei. Es hat weiter gestützt auf die Angaben
des Arztes vom 28. April 2003 zuhanden der IV-Stelle festgehalten, dass die
Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers am bisherigen Arbeitsplatz bzw. im
bisherigen Tätigkeitsbereich verbessert werden und er eine andere Tätigkeit
mit leichteren körperlichen Arbeiten ausüben könne. Wenn das Obergericht
unter diesen Umständen geschlossen hat, der krankgeschriebene
Beschwerdeführer erscheine grundsätzlich arbeitsfähig, kann nicht von einer
unhaltbaren Schlussfolgerung gesprochen werden. Entgegen der Darstellung des
Beschwerdeführers hat das Obergericht aus der nicht rechtskräftigen
IV-Verfügung, mit welcher die Invalidität des Beschwerdeführers verneint
wird, keine voreiligen Schlüssen gezogen. Der Willkürvorwurf geht insoweit
fehl. Ob dem Beschwerdeführer zugemutet werden könne, trotz des hängigen
IV-Verfahrens eine Stelle zu suchen und dadurch mehr zu verdienen, ist eine
Rechtsfrage, die in einer - wie hier - berufungsfähige Sache im Verfahren der
staatsrechtlichen Verfahren nicht überprüft werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG).

3.2 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, das Obergericht habe auf sein
ab 1997 für eineinhalb Jahre erzieltes Monatseinkommen von Fr. 2'700.--
abgestellt, indessen keine Argumente genannt, weshalb er in der Vergangenheit
ein höheres Einkommen hätte erzielen können. Dieses Vorbringen geht an der
Sache vorbei: Das Obergericht hat festgestellt, dass für den Beschwerdeführer
erst ab 1. April 2004 die Erzielung eines höheren Einkommens tatsächlich
möglich erscheint.

3.3 Weiter rügt der Beschwerdeführer als willkürlich, dass das Obergericht
die Erzielung eines Lohnes von Fr. 3'300.-- für möglich halte, obwohl nach
dem im Gastgewerbe massgebenden Gesamtarbeitsvertrag für Mitarbeiter ohne
Berufslehre im Jahre 2004 lediglich ein Mindestlohn von Fr. 3'120.-- gelte.
Das Obergericht hat den tatsächlich erzielbaren Nettolohn von Fr. 3'000.--
vom tiefsten bezahlten Lohn (Fr. 3'300.--) für Männer gemäss der
Lohnstrukturerhebung 2002 des Bundesamtes für Statistik abgeleitet und sich
dabei auf den Bruttolohn von im Gastgewerbe Beschäftigen, die in
Arbeitsplätzen mit tiefstem Anforderungsniveau tätig sind, bezogen. Es ist
nicht ersichtlich, inwiefern es sachlich unhaltbar sein soll, wenn das
Obergericht nicht den Gesamtarbeitsvertrag bzw. die darin vereinbarten
Mindestlöhne, sondern die Schweizerische Lohnstrukturerhebung, welche einen
repräsentativen Überblick über die Lohnsituation der Beschäftigten gibt, als
Grundlage zur Feststellung des tatsächlich erzielbaren Lohnes genommen hat
(BGE 128 III 4 E. 4c/bb S. 7). Die Beschwerde ist insoweit unbegründet.

3.4 Nach den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen hat der Beschwerdeführer
allein bei der Y.________-Firma ein Jahr und sieben Monate und zuletzt im
Hotel X.________ drei bis vier Monate als Hausbursche gearbeitet. Der
Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern das Obergericht unter diesen
Umständen in Willkür verfallen sein soll, wenn es im Hinblick auf den
tatsächlich erzielbaren Lohn von einer nicht zu vernachlässigenden
Berufserfahrung ausgegangen ist. Insoweit kann auf die Beschwerde mangels
Substantiierung nicht eingetreten werden.

3.5 Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, der im angefochtenen Urteil
festgesetzte Zeitpunkt (1. April 2004), ab dem die Erzielung eines
Nettoeinkommens von Fr. 3'000.-- tatsächlich möglich erscheine, sei
willkürlich, weil das Obergericht weder die uneinheitlichen bzw. eher
negativen Wirtschaftsprognosen für das Jahr 2004, noch das Erfordernis der
rund 12 Monate dauernden Krankheitsbehandlungen berücksichtigt habe. Das
Obergericht hat dem Beschwerdeführer das hypothetische Nettoeinkommen unter
Hinweis auf den im Frühjahr günstigeren Arbeitsmarkt erst ab 1. April 2004
angerechnet. Die Annahme des Obergerichts, dass der Arbeitsmarkt - gerade im
Gastgewerbe (vgl. E. 3.3) - tatsächlich saisonalen Schwankungen unterliege,
erscheint in keiner Weise unhaltbar, und von einer willkürlichen Annahme des
Obergerichts kann keine Rede sein. Das weitere Vorbringen des
Beschwerdeführers, er benötige eine Krankheitsbehandlung von einem Jahr,
findet im angefochtenen Urteil keine Stütze und stellt ein neue
Tatsachenbehauptung dar, welche im vorliegenden Verfahren nicht
berücksichtigt werden kann (BGE 119 II 6 E. 4a S. 7). Ob das Obergericht bei
der Ansetzung einer angemessenen Frist, innert der sich ein
Unterhaltspflichtiger auf veränderte Verhältnisse einzustellen hat (BGE 129
III 417 E. 2.2 S. 421), auf ein - wie der Beschwerdeführer meint -
unsachliches Kriterium abgestellt bzw. ein wesentliches Kriterium nicht
berücksichtigt habe, stellt schliesslich eine Frage der Ermessensausübung
nach Art. 4 ZGB dar (vgl. BGE 107 II 406 E. 2c S. 410), die im vorliegenden
Verfahren nicht überprüft werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG).

4.
Nach dem Dargelegten ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde
abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
Eine Parteientschädigung an den Beschwerdegegner entfällt, da ihm in der
Sache keine Kosten entstanden sind. Dem Gesuch des Beschwerdeführers um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege kann nicht entsprochen werden, da
die Beschwerde teilweise bereits an den formellen Voraussetzungen scheitert
und im Übrigen aussichtslos ist (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II.
Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. April 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: