Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.396/2004
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5P.396/2004/blb

Urteil vom 1. März 2005
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Hanspeter Thür,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
Obergericht (2. Zivilkammer) des Kantons Aargau, Obere Vorstadt 38, 5000
Aarau.

Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Abänderung des Scheidungsurteils),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts (2.
Zivilkammer) des Kantons Aargau vom 19. August 2004.

Sachverhalt:

A.
Durch Urteil des Gerichtspräsidiums M. vom 31. Mai 1999 wurde die Ehe von
Y.________ und X.________ geschieden. Die beiden Kinder A.________, geboren
am xxxx, und B.________, geboren am xxxx, wurden unter die elterliche Gewalt
der Mutter gestellt. Y.________ wurde verpflichtet, an den Unterhalt der
Kinder bis zum Erreichen des 20. Altersjahres monatliche Beiträge von je Fr.
1'850.--, zuzüglich allenfalls bezogener Kinderzulagen, zu zahlen. Ferner
genehmigte das Gericht die Scheidungskonvention der Parteien vom 24. März
1999, worin sich Y.________ verpflichtet hatte, X.________ während zehn
Jahren ab Rechtskraft des Scheidungsurteils Unterhaltsbeiträge im Sinne von
(a)Art. 151 ZGB von Fr. 2'000.-- im Monat zu zahlen.

B.
Im Mai 2002 erhob Y.________ beim Bezirksgericht M. Klage auf Abänderung des
Scheidungsurteils und verlangte, die den Kindern zugesprochenen
Unterhaltsbeiträge auf monatlich je Fr. 700.-- herabzusetzen und die
Unterhaltspflicht gegenüber X.________ mit Wirkung ab Einreichung der Klage
vollständig aufzuheben.

Das Bezirksgericht N. (an das die Inspektionskommission des Obergerichts des
Kantons Aargau das Verfahren in Gutheissung eines Austrittsgesuchs des
Bezirksgerichts M. überwies) hiess die Klage mit Urteil vom 7. Mai 2003
teilweise gut und erkannte, dass mit Wirkung ab 7. Mai 2002 die
Unterhaltsbeiträge für die Kinder auf monatlich Fr. 1'200.-- und die
X.________ zustehende Rente auf monatlich Fr. 1'600.-- herabgesetzt würden.

Die von X.________ hiergegen eingereichte Appellation wies das Obergericht
(2. Zivilkammer) des Kantons Aargau am 19. August 2004 ab.

C.
Gegen dieses Urteil hat X.________ sowohl staatsrechtliche Beschwerde als
auch eidgenössische Berufung erhoben. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde
verlangt sie, den Entscheid des Obergerichts vom 19. August 2004 aufzuheben
und die Sache zu neuer Beurteilung an die kantonale Instanz zurückzuweisen.

Vernehmlassungen zur Beschwerde sind nicht eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Obergericht hält fest, die Parteien seien im Scheidungsverfahren von
einem monatlichen Einkommen des Beschwerdegegners aus seiner Tätigkeit als
Rechtsanwalt von netto rund Fr. 12'000.-- ausgegangen. Es sei dem
Beschwerdegegner in der Folge nahe gelegt worden, aus der Anwaltsgemeinschaft
..., der er damals angehört habe, auszutreten, worauf er sich als Partner dem
Anwaltsbüro K.________ ... angeschlossen habe. Im ersten Jahr seiner
Tätigkeit am neuen Arbeitsort habe der Beschwerdegegner praktisch nichts
verdient bzw. einen bloss höchst bescheidenen Gewinn erzielt. Diesen habe er
im zweiten Jahr wohl beträchtlich gesteigert, ohne jedoch auf ein für seine
Tätigkeit auch nur annähernd übliches Einkommen zu gelangen. Weitere Zahlen
lägen zur Zeit nicht vor. Ihre Erhebung erübrige sich indessen, da der
Beschwerdegegner selbst davon ausgehe, künftig im Monat Fr. 8'000.-- zu
erzielen, und sich auch gegen die Feststellung des Bezirksgerichts, es sei
ihm ein Einkommen von netto Fr. 9'500.-- im Monat zuzumuten, nicht wehre. Der
Betrag von Fr. 9'500.-- entspreche den gegebenen Verhältnissen und der zu
erwartenden Entwicklung, so dass mit der ersten Instanz von einem zumutbaren
Einkommen in dieser Höhe auszugehen sei. Die kantonale Appellationsinstanz
hält alsdann dafür, dass die Einkommensveränderung auf Seiten des
Beschwerdegegners entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin als erheblich
und dauerhaft zu bezeichnen sei.

2.
Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) missachtet zu haben, weil es die zu
mehreren Punkten anerbotenen Beweise nicht abgenommen habe. Diese Rüge ist
hier nicht zu hören: Für Zivilstreitigkeiten ergibt sich der
Beweisführungsanspruch einer Partei aus Art. 8 ZGB, und die Verletzung von
Bundesrecht kann im vorliegenden Fall, wo gegen den kantonalen Entscheid die
Berufung offen steht, mit diesem Rechtsmittel geltend gemacht werden (vgl.
Art. 43 Abs. 1 und Art. 84 Abs. 2 OG).

3.
In verschiedener Hinsicht bezeichnet die Beschwerdeführerin die tatsächlichen
Feststellungen des Obergerichts als willkürlich.

3.1 Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht
schon dann vor, wenn eine andere Lösung als die beanstandete ebenfalls
vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen
kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur dann auf, wenn
er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder sonst wie in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft (dazu BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9 mit Hinweisen). Wegen
willkürlicher Feststellung von Tatsachen greift das Bundesgericht ein, wenn
jene offensichtlich unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch steht, auf einem offenkundigen Versehen beruht oder sich
sachlich in keiner Weise rechtfertigen lässt (BGE 128 I 81 E. 2 S. 86; 120 Ia
31 E. 4b S. 40 mit Hinweisen). Die Aufhebung eines kantonalen Entscheids
rechtfertigt sich in jedem Fall nur dort, wo nicht nur die Begründung,
sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 129 I 49 E. 4 S. 58; 128 I 81 E.
2 S. 86 mit Hinweis).

3.2 Das Bundesgericht prüft nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler
Entscheid verfassungswidrig ist. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG verlangt die
Darlegung, inwiefern verfassungsmässige Rechte und Rechtssätze verletzt
worden seien, was appellatorische Kritik, wie sie allenfalls im Rahmen eines
Berufungsverfahrens zulässig ist, ausschliesst (BGE 128 I 295 E. 7a S. 312;
117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.). Wird Willkür gerügt, ist klar und detailliert
aufzuzeigen, inwiefern der kantonale Entscheid qualifiziert unrichtig sein
soll (BGE 122 I 70 E. 1c S. 73 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 129 I 185 E. 1.6
S. 189 mit weiteren Hinweisen).

4.
4.1 Unter Hinweis auf die Aussagen des Zeugen S.________, aus denen für 2001
ein Einkommen des Beschwerdegegners von mindestens Fr. 90'000.--, d.h. von
deutlich mehr als von diesem selbst angegeben, abzuleiten sei, bezeichnet die
Beschwerdeführerin die Feststellung des Obergerichts, der Beschwerdegegner
habe im ersten Jahr seiner Tätigkeit am neuen Arbeitsplatz bloss einen höchst
bescheidenen Gewinn erzielt, als willkürlich. Was hierzu weiter vorgebracht
wird, stellt eine rein appellatorische Kritik dar und ist im Übrigen von
vornherein nicht geeignet, die Annahme des Obergerichts, es sei von einem
gegenwärtigen (hypothetischen) Einkommen von Fr. 9'500.-- im Monat (d.h. Fr.
114'000.-- im Jahr) auszugehen, in Frage zu stellen.

4.2 Das Obergericht hat sich eingehend mit der Frage befasst, von welchem
Einkommen des Beschwerdegegners die Parteien im Scheidungsverfahren
ausgegangen seien, und gelangte zum Schluss, es müssten netto rund Fr.
12'000.-- gewesen sein. In diesem Zusammenhang weist es darauf hin, dass die
Beschwerdeführerin selbst in der Klageantwort den Beschwerdegegner zunächst
bei dessen Angabe behaftet habe, es sei damals von einem Einkommen von Fr.
11'600.-- bis Fr. 12'500.-- ausgegangen worden. Die kantonale
Appellationsinstanz hält ferner dafür, es erübrige sich, weitere
Beweismittel, wie die von der Beschwerdeführerin angerufenen Lohnausweise für
1999 und 2000 und die betreffende Steuererklärung, einzuholen, da wohl
allenfalls nachgewiesen werden könnte, dass das Einkommen des
Beschwerdegegners bereits damals nicht mehr so hoch gewesen sei, jedoch damit
nichts für die Beantwortung der Frage gewonnen wäre, wovon die Parteien,
ungeachtet der effektiven Verhältnisse, im Scheidungsverfahren tatsächlich
ausgegangen seien.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, es müsse vom unteren Betrag der vom
Beschwerdegegner genannten Einkommensspanne, d.h. von Fr. 11'600.--,
ausgegangen werden und es sei bereits im Vorfeld der Scheidung bekannt
gewesen, dass der Beschwerdegegner im Anwaltsbüro L.________ weniger
verdiene, was zu einer Reduktion der ursprünglich diskutierten
Unterhaltsbeiträge geführt habe. Soweit die Vorbringen der Beschwerdeführerin
überhaupt eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Obergerichts
enthalten, genügen sie den an die Begründung einer Willkürbeschwerde
gestellten Anforderungen in keiner Weise. Es ist darauf deshalb nicht
einzutreten.

4.3
4.3.1Die Beschwerdeführerin hatte im kantonalen Verfahren geltend gemacht,
der Beschwerdegegner könnte in einem Anstellungsverhältnis - im Staatsdienst
oder auch in der Privatwirtschaft - mindestens Fr. 130'000.-- im Jahr
verdienen. So sei er zwischen 1978 und 1988 im Staatsdienst tätig gewesen und
habe zuletzt als stellvertretender Chef im Rechtsdienst des Regierungsrates
bereits 1988 rund Fr. 8'500.-- monatlich verdient, was teuerungsbedingt heute
rund Fr. 145'000.-- (im Jahr) ausmachen würde. Mit seiner langen
Berufserfahrung könnte er (heute) als Gerichtsschreiber einen Lohn erzielen,
der im oberen Bereich des bis Fr. 150'000.-- reichenden Bandes liege, mit
Sicherheit aber mindestens Fr. 130'000.-- betragen würde.

Diesen Vorbringen hält das Obergericht entgegen, das Lohnband für die
Bezirksgerichtsschreiber sei in der fraglichen Zeit erheblich stärker
eingeschränkt gewesen als heute. Ausserdem sei äusserst fraglich, ob innert
vernünftiger Zeit eine Anstellung als Gerichtsschreiber mit einem Gehalt
zustande gekommen wäre, das das dem Beschwerdegegner im erstinstanzlichen
Urteil zugemessene hypothetische Einkommen (von Fr. 9'500.--) überstiegen
hätte. Das Gleiche gelte für andere Anstellungen im Staatsdienst bzw. in der
Privatwirtschaft.

4.3.2 Die Beschwerdeführerin begnügt sich im Wesentlichen damit, den
Erwägungen des Obergerichts in appellatorischer Form ihre eigene Sicht der
Dinge entgegenzuhalten. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, inwiefern der
von ihr im kantonalen Verfahren verlangte Beizug der Lohnausweise für die
Jahre 1978 bis 1988 an der Schlussfolgerung des Obergerichts etwas zu ändern
vermocht hätte und die dem Verzicht auf den Beizug zugrunde liegende
vorweggenommene Beweiswürdigung willkürlich sein könnte. Die Vorbringen, der
Beschwerdegegner sei früher in leitender Stellung im Staatsdienst tätig
gewesen und habe mindestens zwei Jahre Zeit gehabt, um auch die Option einer
Tätigkeit als Gerichtsschreiber zu prüfen, sind in keiner Weise geeignet, die
Annahme des Obergerichts, er hätte auch im Staatsdienst keine Stelle mit
einem Salär von mehr als Fr. 9'500.-- gefunden, als willkürlich erscheinen zu
lassen. Das Gleiche gilt für den Hinweis auf die Ausführungen der Zeugin
T.________ (Buchhalterin des Anwaltsbüros), die eine vage Schätzung der
Entwicklung des Einkommens des Beschwerdegegners für 2002 machte, und des
Zeugen S.________ (Partner im erwähnten Anwaltsbüro), dessen Aussagen die
eigenen Verhältnisse betrafen.

4.4 Als willkürlich bezeichnet die Beschwerdeführerin ferner die Feststellung
des Obergerichts, gegenüber dem Zeitpunkt der Scheidung hätten sich die
Lebenshaltungskosten des Beschwerdegegners nicht verändert. Was sie in diesem
Zusammenhang im Einzelnen ausführt, hatte sie in der kantonalen Appellation
nicht vorgetragen und ist somit neu und unzulässig (vgl. BGE 127 I 145 E.
5c/aa S. 160 mit Hinweisen). Dem Vorbringen, der Beschwerdegegner leiste sich
den Luxus einer Zweitwohnung, ist im Übrigen entgegenzuhalten, dass die
Beschwerdeführerin selbst erklärt, die Wohnung, die der Beschwerdegegner mit
seiner Freundin bewohne, werde von dieser bezahlt.

4.5 Die Beschwerdeführerin hatte bereits im kantonalen Verfahren geltend
gemacht, die Lebenshaltungskosten auf ihrer Seite seien gestiegen, weil der
Sohn wegen schulischer Probleme eine Privatschule besuchen müsse, was
monatlich Fr. 1'800.-- koste, und die Sprachstörungen der Tochter zusätzliche
Kosten von monatlich Fr. 600.-- verursachten. Hierzu hat das Obergericht
bemerkt, die geltend gemachten Auslagen seien nicht belegt; weder stehe fest,
dass bei der Tochter erhöhte Kosten anfielen bzw. die Beschwerdeführerin in
ihrer eigenen Erwerbstätigkeit beeinträchtigt werde, noch sei dargetan, dass
der Besuch der Privatschule einer Notwendigkeit für die Entwicklung des
Sohnes entspreche. Ausserdem werde im vorliegenden Verfahren festgestellt,
dass die Leistungsfähigkeit des Beschwerdegegners reduziert sei und dieser
selbst bei gesteigerten Bedürfnissen der Kinder nicht in der Lage wäre, unter
den neuen Verhältnissen die Unterhaltsbeiträge in der ursprünglichen Höhe
weiterhin zu bezahlen.

Die Beschwerdeführerin hält es für willkürlich, dass das Obergericht ohne
Bestreitung durch den Beschwerdegegner davon ausgehe, die von ihr geltend
gemachten Positionen seien nicht belegt. Mit der selbständigen Begründung der
kantonalen Instanz, wonach eine allfällige Zunahme der Aufwendungen für die
Kinder angesichts der festgestellten Verschlechterung der wirtschaftlichen
Verhältnisse auf Seiten des Beschwerdegegners ohne Belang sei, setzt sich die
Beschwerdeführerin indessen in keiner Weise auseinander. Da somit eine den
gesetzlichen Anforderungen genügende Begründung fehlt, ist in diesem Punkt
auf die Beschwerde von vornherein nicht einzutreten (BGE 129 I 185 E. 1.6 S.
189; 121 IV 94 E. 1b S. 95).

5.
Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist, ist sie nach dem
Gesagten abzuweisen. Die Gerichtsgebühr ist mithin der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da keine Vernehmlassung eingeholt worden
ist und dem Beschwerdegegner demnach keine Kosten erwachsen sind, entfällt
die Zusprechung einer Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (2. Zivilkammer) des
Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. März 2005

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: