Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.377/2004
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5P.377/2004 /bnm

Urteil vom 1. November 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Schett.

X. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Philipp Studer,

gegen

Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, I. Zivilkammer, Postfach 7475,
3001 Bern.

Art. 9 BV etc. (unentgeltliche Rechtspflege; Alimentenforderung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Bern, Appellationshof, I. Zivilkammer, vom 24. August 2004.

Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 15. Juli 2004 wies der Gerichtspräsident 2 des
Gerichtskreises XIII Obersimmental-Saanen das Gesuch von X.________ um
unentgeltliche Rechtspflege im Anerkennungsprozess ab. Am 24. August 2004
wies das Obergericht des Kantons Bern den von X.________ gegen diesen
Entscheid erhobenen Rekurs ebenfalls ab.

B.
Gegen diesen Entscheid hat X.________ am 27. September 2004 staatsrechtliche
Beschwerde erhoben im Wesentlichen mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid
sei aufzuheben. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Obergericht ist zum Schluss gelangt, die Beschwerdeführerin könne die
mutmasslichen Prozesskosten von Fr. 8'000.-- bis Fr. 9'000.-- entweder aus
dem Vermögen oder dem Einkommensüberschuss finanzieren. Deshalb sei sie klar
nicht prozessarm. Das Gericht hat demnach für die Abweisung des Gesuchs um
unentgeltliche Rechtspflege zwei Gründe angegeben. Was insbesondere die
Schlussfolgerung anbelangt, die Beschwerdeführerin könne den Prozess aus dem
Vermögen finanzieren, hat die Beschwerdeführerin ein Schreiben der Bank
Y.________ vom 23. Juli 2004 zu den Akten gegeben, wonach eine Erhöhung der
Hypothek für die Liegenschaft der Beschwerdeführerin in A.________ nicht
möglich sei, insbesondere wenn der Erhöhungsbetrag nicht für Investitionen in
die Liegenschaft verwendet werde. Sollten sich später neue Voraussetzungen
ergeben, sei sie gerne bereit, ein Erhöhungsgesuch zu prüfen. Das Obergericht
hat dazu ausgeführt, die Bedeutung des Schreibens sei zu relativieren. Die
Frage einer zusätzlichen Belastbarkeit sei abstrakt zu beurteilen, zumal
Banken und Versicherungen erfahrungsgemäss rasch bereit seien, auf Gesuch
ihrer Klienten zu bestätigen, dass kein zusätzlicher Kredit gewährt werden
könne. Gemäss Liegenschaftssteuerrechnung vom 31. Dezember 2001 betrage der
amtliche Wert der Liegenschaft Fr. 175'300.--. Erfahrungsgemäss belaufe sich
der Verkehrswert auf mindestens das Doppelte des amtlichen Werts. Damit wäre
von einem minimalen Marktwert der Liegenschaft von Fr. 350'000.-- auszugehen.
Dass ein solcher Wert keineswegs unrealistisch sei, zeige die Prämienrechnung
für die Gebäudeversicherung, welche einen Versicherungswert der Liegenschaft
von Fr. 475'000.-- ausweise. Die Liegenschaft sei mit einem Kredit von Fr.
250'000.-- belastet. Praxisgemäss würden von den Banken zur Finanzierung von
Liegenschaften 20-25 % Eigenmittel verlangt. Bei einem geschätzten minimalen
Marktwert von Fr. 350'000.-- belaufe sich die Fremdfinanzierung auf rund 71,5
%. Daher wäre eine geringfügige zusätzliche Belastung von mindestens 3,5 %
des Verkehrswerts ohne weiteres möglich. Dies entspreche Fr. 12'250.--. Mit
dieser Summe könnten die im Hauptprozess mutmasslich anfallenden
Prozesskosten sowie der zusätzliche Zinsaufwand für die Darlehenserhöhung
problemlos beglichen werden.

1.2 Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, bei der Liegenschaft
B.________ in A.________ handle es sich um ein altes Haus mit einer
schlechten Bausubstanz, welches über veraltete technische Einrichtungen
(namentlich Boiler und Heizung) verfüge, zudem sehr schlecht erschlossen sei
und dementsprechend besonders im Winter erhebliche Schwierigkeiten biete.
Aufgrund dieser Darlegungen urteile das Gericht willkürlich, wenn es sich
bloss auf Zahlen und Erfahrungswerte abstütze. Diese durchschnittlichen
Erfahrungswerte seien bei dieser sehr abseits gelegenen, schlecht
erschlossenen und sehr alten Liegenschaft eben gerade nicht anwendbar.

1.3 Nach der Rechtsprechung gilt eine Partei als bedürftig, wenn sie die
erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur bezahlen kann, falls sie die
Mittel angreift, deren sie zur Deckung des Grundbedarfs für sich und für ihre
Familie bedarf, wobei nicht nur die Einkommenssituation, sondern auch die
Vermögensverhältnisse zu beachten sind (BGE 124 I 1 E. 2a und 97 E. 3b, je
mit Hinweisen). Von einer über Grundeigentum verfügenden Partei darf verlangt
werden, dass sie ihren Grundbesitz heranzieht und einen dadurch gesicherten
Kredit aufnimmt, um die Prozess- und Anwaltskosten zu bestreiten, jedenfalls
soweit das Grundstück noch belastet werden kann (BGE 119 Ia 11). Diese
Grundsätze sind unbestritten. Die Beschwerdeführerin macht lediglich geltend,
das Obergericht habe den Verkehrswert willkürlich festgesetzt und als Folge
davon die Belastbarkeit der Liegenschaft willkürlich bejaht. Dies trifft
nicht zu. Die Beschwerdeführerin bestreitet die Annahme des Obergerichts
nicht, dass sich am fraglichen Ort nach den durchschnittlichen
Erfahrungswerten der Verkehrswert auf mindestens das Doppelte des amtlichen
Werts belaufe. Der erstinstanzliche Richter, der den örtlichen Verhältnissen
näher steht, führte sogar aus, der Verkehrswert einer Liegenschaft liege
normalerweise in zwei- bis dreifacher Höhe des amtlichen Werts. Bei der
Festsetzung des amtlichen Werts werden aber die Lage und die Erschliessung
der Parzelle sowie das Alter der Gebäude berücksichtigt (vgl. z.B. Hans
Gruber, Handkommentar zum bernischen Gesetz über die direkten Staats- und
Gemeindesteuern, 5. Aufl., N. 2 und 6 zu Art. 54 StG). Auf den Wert des
Gebäudes weist auch dessen Versicherungswert, welcher vorliegend
unbestrittenermassen Fr. 474'300.-- beträgt. Es ist keineswegs willkürlich,
vom amtlichen Wert und vom Gebäudeversicherungswert geeignet auf den
Verkehrswert zu schliessen. Mit der blossen unbelegten Behauptung, der
wirkliche Wert sei tiefer als von den kantonalen Behörden angenommen, vermag
die Beschwerdeführerin keine Willkür zu belegen.

1.4 Da die kantonalen Behörden, ohne in Willkür zu verfallen, annehmen
durften, die Beschwerdeführerin könne den Prozess unter Inanspruchnahme ihres
Vermögens bezahlen, braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob das Obergericht
ebenfalls willkürfrei zum Schluss gelangen durfte, auch das Einkommen allein
genüge, um den Prozess zu finanzieren.

2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die
Verfahrenskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung ist nicht zu
sprechen, da keine Vernehmlassung eingeholt worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons
Bern, Appellationshof, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. November 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: