Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.314/2004
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5P.314/2004 /rov

Urteil vom 1. November 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Marazzi, Gerichtsschreiber Zbinden.

Verein Z.________,
Beschwerdeführer,

gegen

1.Y.________ GmbH,
2.X.________ Ltd.,
3.W.________ SA,
Beschwerdegegnerinnen,
alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter A.
Pestalozzi,
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12, 8500 Frauenfeld.

Art. 6 EMRK (Kosten; vorsorgliche Massnahmen nach Art. 28c ZGB),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 12. Juli 2004.

Sachverhalt:

A.
A.a Auf Gesuch der Y.________ GmbH, X.________ Ltd., sowie der W.________ SA,
(nachstehend: Gesuchstellerinnen oder Beschwerdegegnerinnen) verbot der
Vizepräsident des Bezirksgerichts Münchwilen mit vorläufiger Verfügung vom 8.
April 2004 dem Verein Z.________, der Aktionsgemeinschaft V.________ sowie
deren Internet-Service-Providern unter anderem, Fotografien, Videosequenzen
und Filmmaterial, die auf dem Betriebsgelände der Y.________ GmbH aufgenommen
wurden, auf verschiedenen Websites zur Ansicht oder zum Herunterladen
anzubieten. Dieses Verbot erging unter der Androhung der Überweisung an den
Strafrichter im Sinn von Art. 292 StGB im Widerhandlungsfall.

A.b Nach Eingang der Stellungnahmen des Verein Z.________, der
Aktionsgemeinschaft V.________ sowie der Service-Provider verfügte der
Vizepräsident am 21. Mai 2004 die sofortige Aufhebung der vorläufigen
Verfügung und verbot dem Verein Z.________ und der Aktionsgemeinschaft
V.________ (Gesuchsgegnerinnen) unter Androhung der Überweisung ihrer Organe
an den Strafrichter nach Art. 292 StGB, ehr- und persönlichkeitsverletzende
Äusserungen über die Gesuchstellerinnen öffentlich zu tätigen oder über die
Medien zu verbreiten. Im Übrigen wies er das Gesuch um vorsorgliche
Massnahmen ab. Den Gesuchstellerinnen wurde für die Verfahrensgebühr von Fr.
1‘000.-- der Rückgriff für je Fr. 100.-- auf den Verein Z.________ und die
Aktionsgemeinschaft V.________ eingeräumt. Überdies wurden sie verpflichtet,
den Verein Z.________ mit Fr. 100.--, die Aktionsgemeinschaft V.________ mit
Fr. 1‘800.-- zuzüglich Mehrwertsteuer zu entschädigen.

B.
B.aDagegen rekurrierte der Verein Z.________ beim Obergericht des Kantons
Thurgau mit dem Begehren, ihm für das erstinstanzliche Verfahren eine
Entschädigung von Fr. 1‘950.-- zuzusprechen. In einer weiteren Eingabe
ersuchte er zudem um Feststellung, dass mit der vorläufigen Verfügung vom 8.
April 2004 die Medien- und Meinungsäusserungsfreiheit verletzt worden sei;
eventuell sei ihm eine Genugtuung zuzusprechen.

B.b In diesem Verfahren liessen die Gesuchstellerinnen vorerst ohne
Stellungnahme Abweisung des Rekurses beantragen. Im Anschluss an die
Rekursergänzung des Verein Z.________ reichten sie eine ausführliche Antwort
ein.

B.c Der Vizepräsident des Bezirksgerichts verwies in seiner Vernehmlassung
vom 16. Juni 2004 auf die Erwägungen der angefochtenen Verfügung. Ergänzend
fügte er zusammengefasst aus, der Verein Z.________ habe bis zum Zeitpunkt
des Entscheids keine Honorarnote eingereicht, aus welcher sich beispielsweise
die Aufwendungen für Dritte ergeben würden. Ausserdem gehörten die Kosten
einer privaten Expertise und andere nur indirekt durch den Prozess
verursachte Kosten und Einbussen nach dem Kommentator Merz nicht zu den
aussergerichtlichen Kosten und Umtrieben. Für sich selbst könne die Partei
bloss eine angemessene Entschädigung für ihre Umtriebe fordern, welche sich
zur Zeit je nach Aufwand zwischen Fr. 50.-- und Fr. 100.-- belaufe. Das
Obergericht des Kantons Thurgau wies am 12. Juli 2004 den Rekurs bezüglich
der Parteientschädigung ab; auf das Feststellungs- bzw. Genugtuungsbegehren
trat es dagegen nicht ein.

C.
C.aDer Verein Z.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Begehren,
den obergerichtlichen Beschluss aufzuheben. Er macht unter anderem geltend,
das Schreiben des Vizepräsidenten des Bezirksgerichts Münchwilen vom 16. Juni
2004 sei ihm erst zusammen mit dem angefochtenen Beschluss des Obergerichts
zugestellt worden, womit ihm eine Stellungnahme zu den Ausführungen des
Vizepräsidenten in Verletzung von Art. 6 EMRK verwehrt worden sei, obwohl die
Argumente der Vorinstanz in den angefochtenen Entscheid eingeflossen seien.
Des weiteren richtet er sich auch dagegen, dass auf sein Feststellungs- und
Genugtuungsbegehren nicht eingetreten wurde.

C.b Das Obergericht bestreitet in seiner Eingabe nicht, dass die
Vernehmlassung des Vizepräsidenten dem Beschwerdeführer erst zusammen mit dem
angefochtenen Beschluss zugestellt worden ist. Es weist aber darauf hin, dass
die ergänzenden Äusserungen des Vizepräsidenten nicht in das Urteil
eingeflossen seien.

C.c Die Beschwerdegegnerinnen bestätigen in ihrer Vernehmlassung vom 27.
September 2004, das Schreiben vom 16. Juni 2004 erhalten zu haben, und machen
geltend, dieses sei ihnen bereits am 18. Juni 2004 zugestellt worden. Dabei
handle es sich lediglich um eine Übersendung der Verfahrensakten an das
Obergericht verbunden mit der Information über die Nichteinreichung einer
Kostennote durch den Beschwerdeführer. Das Schreiben enthalte keinen Antrag
des Vizepräsidenten.

C.d Im Anschluss an diese Vernehmlassung hat sich der Beschwerdeführer mit
Eingabe vom 30. September 2004 erneut vernehmen lassen und seinen Standpunkt
bestätigt. Insbesondere bestritt er, die Vernehmlassung des Vizepräsidenten
bereits im Juni 2004 erhalten zu haben.

C.e Auf Ersuchen der Beschwerdegegnerinnen setzte ihnen die stellvertretende
Präsidentin der II. Zivilabteilung eine nicht erstreckbare Frist bis zum 18.
Oktober 2004, um zur Eingabe des Beschwerdeführers vom 30. September 2004
Stellung zu nehmen. In ihrer, dem Beschwerdeführer zugestellten Eingabe vom
14. Oktober 2004 betonen die Beschwerdegegnerinnen erneut, dass es sich beim
Schreiben vom 16. Juni 2004 nicht um eine Vernehmlassung des Vizepräsidenten
gehandelt habe. Im Übrigen bestreiten sie die Ausführungen des
Beschwerdeführers und bestätigen die Bemerkungen ihrer Eingabe vom 27.
September 2004.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich in seiner
Rechtsprechung zu Art. 6 EMRK verschiedentlich mit der Frage der Zustellung
von Aktenstücken befasst. In einem Fall, in dem das Bundesgericht über eine
Berufung erkannt hatte, ohne zuvor dem Berufungskläger Kenntnis von den
Bemerkungen der Vorinstanz gegeben zu haben, hat er entschieden, der in Art.
6 Ziff. 1 EMRK enthaltene Anspruch auf ein faires Verfahren verleihe den
Parteien das Recht, von sämtlichen dem Gericht eingereichten Eingaben oder
Vernehmlassungen Kenntnis zu erhalten und zu diesen Stellung zu nehmen.
Unerheblich sei, dass die Vernehmlassung der Vorinstanz an das Bundesgericht
weder Tatsachen noch Begründungen enthalte, die nicht bereits im
angefochtenen Urteil aufgeführt gewesen seien. Es obliege den Parteien, zu
entscheiden, ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen anbringen oder nicht. Der
Gerichtshof bejahte daher eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Urteil des
EGMR i.S. N.-H. gegen Schweiz vom 18. Februar 1997, Ziff. 24, 29, in: Recueil
CourEDH 1997-I S. 101; VPB 61/1997 Nr. 108 S. 961). Diese Rechtsprechung ist
später im Wesentlichen bestätigt worden (Urteil des EGMR i.S. R. gegen
Schweiz vom 28. Juni 2001, in: VPB 65/2001, S. 1347 Nr. 129). Eine Verletzung
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK erblickte der Gerichtshof sodann in einem weiteren,
die Schweiz betreffenden Fall, in dem der Rekurrent weder von der
Stellungnahme der Vorinstanz noch von jener der Gegenpartei Kenntnis erhalten
hatte; dabei hob er zusätzlich hervor, auf den möglichen tatsächlichen
Einfluss von Bemerkungen der Parteien auf das Urteil komme es nicht an
(Urteil des EGMR i.S. Z. gegen Schweiz vom 21. Februar 2002, Ziff. 33 und 38,
in: VPB 66/2002 S. 1307 Nr. 113). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat
sich der Praxis des Gerichtshofs angeschlossen (Urteil H 213 1998 vom 1.
Februar 1999, E. 1a, auszugsweise in: SZIER 1999 S. 553). Das Bundesgericht
hat diese Rechtsprechung später unter anderem in zwei den Kanton Thurgau
betreffenden Fällen bestätigt (Urteile 5P.446/2003 und 5P.18/2004, je vom 2.
März 2004).

1.2 Das Obergericht bestreitet nicht, dass dem Beschwerdeführer die
Vernehmlassung des Vizepräsidenten des Bezirksgerichts vom 16. Juni 2004
erstmals zusammen mit dem angefochtenen Beschluss zugestellt worden ist. Dies
ist daher als erstellt zu betrachten, zumal der Beweis des Gegenteils nicht
erbracht worden ist (vgl. zur Beweislast bezüglich der Zustellung BGE 117 V
261 E. 3b S. 264 mit Hinweis). Entgegen der Auffassung der
Beschwerdegegnerinnen handelt es sich bei der Eingabe des Vizepräsidenten vom
16. Juni 2004 um eine Vernehmlassung im besagten Verfahren. Wie das
Obergericht und die Beschwerdegegnerinnen zwar zu Recht bemerken, hat der
Vizepräsident in seiner Vernehmlassung nicht auf Abweisung des Rekurses
geschlossen. Doch enthält das Schreiben nicht nur einen Verweis auf die
Motive der erstinstanzlichen Verfügung, wie dies die Erwägungen des
angefochtenen Beschlusses vorgeben, und es handelt sich dabei auch nicht
lediglich um eine Information über das Nichteinreichen einer Kostennote, wie
die Beschwerdegegnerinnen behaupten. In seinen ergänzenden Bemerkungen hat
der Vizepräsident vielmehr zur wesentlichen Streitfrage des Rekurses, zur
Parteikostenentschädigung, Stellung genommen und begründet, weshalb seiner
Ansicht nach Ausgaben für Privatgutachten im Rahmen der Parteientschädigung
nicht berücksichtigt werden können. Ob diese Ausführungen letztlich in das
Urteil eingeflossen sind, ist nach der zitierten Rechtsprechung unerheblich.
Abgesehen davon ist fraglich, ob sich dieses Schreiben nicht auf den
Beschluss ausgewirkt hat, zumal darin zum Teil die gleiche
Argumentationslinie vertreten wird. Im Lichte der aufgezeigten Rechtsprechung
hat das Obergericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf ein faires
Verfahren verletzt. Da das Bundesgericht in der Sache nicht über die gleiche
Kognition wie das Obergericht verfügt, kommt eine Heilung des Mangels nicht
in Frage (zu den Heilungsvoraussetzungen im Verfahren der staatsrechtlichen
Beschwerde: BGE 126 I 68 E. 2 S. 72). Der Beschwerdeführer war daher auch
nicht gehalten, in der staatsrechtlichen Beschwerde zur Vernehmlassung des
Vizepräsidenten Stellung zu nehmen.

2.
Der Beschwerdeführer beantragte im kantonalen Rekurs die Feststellung der
Verletzung der Medien- und Meinungsäusserungsfreiheit durch die vorläufige
Verfügung vom 8. April 2004 und ersuchte eventualiter um Zusprechung einer
Genugtuung. Das Obergericht hat dafürgehalten, die auf § 163 ZPO gestützte
vorläufige Verfügung vom 8. April 2004 sei gemäss § 235 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO
mit keinem ordentlichen Rechtsmittel anfechtbar. Dieser Ausschluss könne
nicht auf dem Umweg eines nachträglichen Feststellungsbegehrens umgangen
werden, weshalb auf den Antrag nicht eingetreten werden könne. Gegenstand des
Rekursverfahrens sei allein die Verfügung vom 21. Mai 2004, mit der die
vorläufige Verfügung per sofort aufgehoben worden sei. Einzig die Anordnung
gemäss Ziff. 5 des Dispositivs der vorläufigen Verfügung sei in den Entscheid
vom 21. Mai 2004 aufgenommen worden; diesen Punkt habe der Beschwerdeführer
allerdings nicht angefochten. Das Feststellungsbegehren verfolge vorab das
Ziel, den Staat zu einer Entschädigung in Form einer Genugtuung zu
verpflichten. Solche Ansprüche könnten weder im Rekurs noch im Verfahren der
Aufsichtsbeschwerde durchgesetzt werden, sondern hätten gestützt auf das
Verantwortlichkeitsgesetz beim Verwaltungsgericht geltend gemacht werden
müssen. Das Obergericht trat daher auch auf das Begehren um Genugtuung nicht
ein.

Der Beschwerdeführer ergeht sich über weite Strecken in theoretischen
Ausführungen. Mit seinem Hinweis auf eine Gesetzeslücke setzt er sich nicht
rechtsgenügend mit den Erwägungen des Obergerichts auseinander. Namentlich
äussert er sich mit keinem Wort dazu, dass Entschädigungen gemäss
Verantwortlichkeitsgesetz beim Verwaltungsgericht geltend zu machen sind.
Insoweit kann daher auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten
werden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 119 Ia 197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E.
3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282, mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a
S. 312).

3.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, soweit
damit der Rekurs des Beschwerdeführers abgewiesen worden ist und ihm eine
Verfahrensgebühr sowie eine Entschädigung an die Gegenparteien auferlegt
worden sind. Das Obergericht wird nunmehr erneut über die Frage der
Parteientschädigung und über die Gerichtskosten und die Entschädigung für die
Umtriebe des Rekursverfahrens zu entscheiden haben.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend werden die Gerichtskosten den
Parteien je zur Hälfte auferlegt (Art. 156 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer
hat den Beschwerdegegnerinnen für die Umtriebe des bundesgerichtlichen
Verfahrens eine reduzierte Entschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 2 OG).
Der ohne Rechtsbeistand prozessierende Beschwerdeführer hat keinen Anspruch
auf Entschädigung (BGE 113 Ib 353 E. 6b S. 357).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten
ist. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 12. Juli 2004
wird aufgehoben, soweit damit der Rekurs des Beschwerdeführers abgewiesen
worden ist und ihm eine Verfahrensgebühr sowie eine Entschädigung an die
Gegenparteien auferlegt worden sind.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2‘000.-- wird den Parteien je zur Hälfte
auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerinnen für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. November 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: