Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.277/2004
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5P.277/2004 /rov

Urteil vom 9. September 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiberin Scholl.

Z. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Kurt Gaensli,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin
handelnd durch ihre Beiständin X.________,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Künzler,
Appellationshof des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, Postfach 7475, 3001 Bern.

Art. 9 und 29 BV (Vaterschaft),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Appellationshofs des Kantons
Bern, 2. Zivilkammer,
vom 15. April 2004.

Sachverhalt:

A.
Am 30. Mai 2000 brachte W.________ das Kind Y.________ zur Welt. Sie gab an,
Vater ihrer Tochter sei ihr eigener Vater, Z.________. Im Rahmen eines
Strafverfahrens gegen Z.________ wurde vom zuständigen Untersuchungsrichter
beim Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern (nachfolgend: IRM) ein
Vaterschaftsgutachten in Auftrag gegeben. Gemäss diesem Gutachten vom 5.
Dezember 2001 ist Z.________ mit einer Wahrscheinlichkeit von 99.999 % der
Vater von Y.________.

Nachdem Z.________ im Strafverfahren den Verdacht geäussert hatte, als
Kindsvater komme auch ein Bruder oder ein Cousin 1. Grades der Kindsmutter in
Frage, wurde eine Ergänzung des Gutachtens eingeholt. Mit Bericht vom 6. Juni
2003 führte das IRM aus, die Resultate seiner Analyse seien für die
statistischen Berechnungen an Prof. V.________ der Universität Bonn gesandt
worden, welcher für Z.________ nunmehr eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit
von 97.863 % errechnet habe. Die Wahrscheinlichkeit einer Vaterschaft für
einen Bruder der Kindsmutter wurde mit 2.133 %, diejenige für einen Cousin 1.
Grades mit 0.004 % angegeben.

In der Folge wurde vom Untersuchungsrichter eine Erweiterung der Untersuchung
mit der Analyse von zusätzlichen STR-Loci (Short Tandem Repeats Loci)
angeordnet, welche wiederum zur statistischen Berechnung an Prof. V.________
weitergeleitet wurde. Mit Schreiben vom 16. Juli 2003 bezeichnete das IRM
daraufhin die Vaterschaftswahrscheinlichkeit von Z.________ mit 99.2627 %.
Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Brüder der Kindsmutter der Vater sei,
liege bei 0.7370 %, bzw. bei 0.0003 % für einen Cousin 1. Grades.
Auf telefonische Nachfrage der Gerichtspräsidentin 2 des Gerichtskreises XI
Interlaken-Oberhasli vom 1. September 2003 führte der Verfasser der
IRM-Berichte aus, die Vaterschaftswahrscheinlichkeit hänge davon ab, von
welcher Gegenhypothese ausgegangen werde. Nach wie vor liege bei der
Gegenhypothese, eine beliebige Drittperson sei der Vater von Y.________, die
Vaterschaftswahrscheinlichkeit von Z.________ bei mehr als 99.999 %. Bei der
Gegenhypothese, eine mit Z.________ verwandte Person sei der Vater des
Kindes, reduziere sich die Vaterschaftswahrscheinlichkeit von Z.________ auf
99.2627 %. Die Vaterschaftswahrscheinlichkeit sinke regelmässig unter 99.8 %,
wenn der Berechnung als Gegenhypothese die Vaterschaft einer mit dem
Präsumtivvater eng verwandten Person zu Grunde gelegt werde.

B.
Am 16. April 2003 erhob Y.________ Vaterschafts- und Unterhaltsklage und
verlangte, es sei festzustellen, dass Z.________ ihr Vater sei und dieser sei
zu verurteilen, ihr Unterhaltsbeiträge zu leisten. Mit Urteil vom 16.
September 2003 stellte die Gerichtspräsidentin 2 des Gerichtskreises XI
Interlaken-Oberhasli fest, dass Z.________ der Vater von Y.________ ist.
Zudem verpflichtete sie ihn zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen.
Auf Appellation von Z.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons
Bern, 2. Zivilkammer, am 15. April 2004 das erstinstanzliche Urteil
vollumfänglich.

C.
Z. ________ gelangt mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Er
verlangt die Aufhebung des Urteils vom 15. April 2004. Strittig ist einzig
die Feststellung der Vaterschaft. Im Weiteren stellt er ein Gesuch um
unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung für das bundesgerichtliche
Verfahren.

In der gleichen Sache hat Z.________ beim Bundesgericht auch eidgenössische
Berufung erhoben (Verfahren 5C.156/2004).

Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Wird in der gleichen Sache sowohl Berufung als auch staatsrechtliche
Beschwerde erhoben, so ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche
Beschwerde zu befinden, und der Entscheid über die Berufung ist auszusetzen
(Art. 57 Abs. 5 OG). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu
verfahren.

2.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und in
welchem Umfang auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE 129
I 302 E. 1 S. 305; 130 II 65 E. 1 S. 67).

2.1  Die Feststellung der Vaterschaft stellt eine nicht vermögensrechtliche
Zivilrechtsstreitigkeit dar, so dass grundsätzlich die eidgenössische
Berufung offen steht (Art. 44 OG). Soweit der Beschwerdeführer jedoch die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügt, erweist sich die staatsrechtliche
Beschwerde als zulässig (Art. 43 Abs. 1 OG). Ob auf Grund der Gutachten sowie
weiterer Indizien die Vaterschaft des Beschwerdeführers festgestellt werden
kann, stellt indes eine Rechtsfrage dar, die der Berufung zugänglich ist. Auf
die entsprechenden Ausführungen ist daher im Rahmen des vorliegenden
Verfahrens nicht einzutreten (Art. 84 Abs. 2 OG; BGE 129 III 301 E. 1 S.
303).

2.2  Mit staatsrechtlicher Beschwerde können zudem grundsätzlich keine
Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden, welche nicht bereits im
kantonalen Verfahren geltend gemacht worden sind (BGE 118 Ia 20 E. 5a S. 26;
129 I 49 E. 3 S. 57). Der vor Bundesgericht neu eingereichte Brief der
Kindsmutter vom 16. Juni 2004 ist daher aus den Akten zu weisen.

3.
Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, der Verzicht des
Obergerichts auf Abnahme weiterer, rechtzeitig beantragter Beweise verstosse
gegen das rechtliche Gehör.

3.1  Soweit der Beschwerdeführer sich mit dieser Rüge auf das in Art. 29 Abs.
2 BV enthaltene Recht auf Abnahme formrichtig und rechtzeitig angebotener
Beweise beruft (BGE 106 Ia 161 E. 4b S. 162; 122 II 464 E. 4a S. 469; 127 I
54 E. 2b S. 56), ist darauf hinzuweisen, dass dieses auch in Art. 8 ZGB
enthalten ist (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223; 126 III 315 E. 4a S. 317) und
daher mit Berufung vorzubringen wäre. Aus dem angefochtenen Urteil wird
jedoch ersichtlich, dass das Obergericht in antizipierter Beweiswürdigung auf
die Abnahme der beantragten Beweismittel verzichtet hat. Einer solchen steht
Art. 8 ZGB nicht entgegen; indes kann die Beweisbeschränkung unter Umständen
gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) verstossen, was wiederum mit
staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann (BGE 114 II 289 E. 2 S. 291;
124 I 208 E. 4a S. 211). Inwiefern Willkür gegeben ist, hat der
Beschwerdeführer durch präzise Argumentation im Einzelnen aufzuzeigen. Im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar
und detailliert erhobene Rügen. Auf ungenügend begründete Vorbringen und rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (Art. 90
Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3; 125 I 492 E. 1b S. 495; 129 II 297

E. 2.2.2 S. 301).

3.2  Von der Einvernahme der Kindsmutter sowie der Ehefrau des
Beschwerdeführers hat das Obergericht mit der Begründung abgesehen, diese
seien bereits im Strafverfahren befragt worden. Auf Grund der Aktenlage sei
eine (erneute) Einvernahme im Zivilverfahren überflüssig.

In der Beschwerdeschrift fehlt eine detaillierte Bezugnahme auf diese
obergerichtlichen Ausführungen. Insbesondere bezüglich der Aussage seiner
Ehefrau legt der Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern davon im Vergleich zum
Strafverfahren neue Erkenntnisse zu erwarten wären (Art. 90 Abs. 1 lit. b
OG).

Zum Antrag auf Einvernahme der Kindsmutter gibt der Beschwerdeführer an,
diese habe im Strafverfahren äusserst widersprüchlich ausgesagt. Auf die
widersprüchlichen Aussagen ist das Obergericht indes ausdrücklich eingegangen
und hat erläutert, diese seien gerade typisch für den Fall von sexuellem
Missbrauch. Das Aussageverhalten sei geprägt von Scham und Schuldgefühlen,
von der Angst vor dem Vater und eines inneren Loyalitätskonflikts. Dass die
Kindsmutter anfänglich nur von einem Vorfall gesprochen, und erst später von
zahlreichen und wiederholten Übergriffen erzählt habe, sei keinesfalls ein
Zeichen für ihre Unglaubwürdigkeit, sondern im Gegenteil bezeichnend für die
vorliegende Konstellation. Auf diese Erwägungen geht der Beschwerdeführer mit
keinem Wort ein. Er zeigt insbesondere nicht auf, dass das Obergericht bei
der Würdigung der Aussagen der Kindsmutter falsche Grundsätze angewandt
hätte. Folglich kann auf diese Rüge nicht eingetreten werden (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG).

3.3  Abgewiesen hat das Obergericht auch die Anträge auf Einvernahme der
sechs
Brüder des Beschwerdeführers (Onkel der Kindsmutter) bzw. auf Erstellung
diesbezüglicher Vaterschaftsgutachten. Es hat ausgeführt, konkrete
Anhaltspunkte für eine mögliche Vaterschaft eines Bruders des
Beschwerdeführers würden fehlen. Es gehe nicht an, den Kreis der Verdächtigen
stets weiter zu ziehen (im erstinstanzlichen Verfahren hatte der
Beschwerdeführer die Brüder und Cousins der Kindsmutter bzw. einen Dritten
als mögliche Väter bezeichnet) und schliesslich einfach eine Auswahlsendung
von möglichen Vätern zu liefern. Der Beschwerdeführer habe seine Behauptungen
in keiner Art und Weise substanziiert.
Auch in diesem Punkt setzt sich der Beschwerdeführer nur unzureichend mit dem
angefochtenen Urteil auseinander und weist nicht nach, dass er sein
Vorbringen bereits im kantonalen Verfahren ausreichend substanziiert hat. Im
bundesgerichtlichen Verfahren behauptet er einzig, der Verdacht gegenüber
seinen Brüdern sei erhärtet, da die Kindsmutter anlässlich der Ferien mit
ihnen zusammengetroffen sei. Es liege daher nahe, dass es zu Kontakten
gekommen sei. Diese Ausführungen gehen über appellatorische Kritik nicht
hinaus, so dass darauf nicht einzutreten ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Im
Übrigen belegt der Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise, dass die
fraglichen Ferien während der möglichen Empfängniszeit stattgefunden haben.

4.
Schliesslich weist der Beschwerdeführer auf die schwierigen Umstände in
diesem Fall hin, da er sich im Gefängnis befinde, während sich seine
Familienangehörigen in Frankreich aufhalten würden. Zudem sei auf Grund von
Sprachschwierigkeiten die Kommunikation mit seinem Rechtsvertreter äusserst
schwierig. Es bedeute eine unfaire Benachteiligung, diese Umstände gegen ihn
auszulegen. Die Anforderungen an die Substanziierung der Beweisanträge
dürften daher nicht zu hoch angesetzt werden.

Es ist aus der Beschwerde nicht ersichtlich, welches verfassungsmässige Recht
in diesem Punkt gerügt wird. Allenfalls kann darin ein Vorwurf der Verletzung
des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 254 Ziff. 1 ZGB gesehen werden. Dieser
ist jedoch als Verletzung von Bundesrecht mit Berufung geltend zu machen.
Damit kann auch in diesem Punkt nicht auf die Beschwerde eingetreten werden.

5.
Dementsprechend kann auf die staatsrechtliche Beschwerde insgesamt nicht
eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er
schuldet der Beschwerdegegnerin allerdings keine Parteientschädigung für das
bundesgerichtliche Verfahren, da keine Vernehmlassung eingeholt worden ist.

5.1  Der Beschwerdeführer stellt für das bundesgerichtliche Verfahren ein
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Diese ist einer Partei zu bewilligen,
die bedürftig und deren Sache nicht aussichtslos ist (Art. 152 Abs. 1 OG).
Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich
geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft
bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos,
wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder
jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die
über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger
Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 125 II 265 E. 4b S. 275;
127 I 202 E. 3b S. 205; 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.).
5.2  Im vorliegenden Fall konnte auf Grund der mangelhaften Begründung der
Beschwerde auf keine der Rügen eingetreten werden. Die Verlustgefahren haben
damit von vornherein überwogen, so dass das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege des Beschwerdeführers wird
abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, 2.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. September 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: