Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.228/2004
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 2004
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 2004


5P.228/2004 /bnm

Urteil vom 15. September 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Kantonsgericht Freiburg (II. Appellationshof), Rathausplatz 2A, Postfach 56,
1702 Freiburg.

Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Rechtsverbeiständung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg
(II. Appellationshof) vom 10. Mai 2004.

Sachverhalt:

A.
Durch Urteil des Bezirksgerichts der Sense vom 4. Mai 1999 wurde die Ehe von
X.________ und Y.________ geschieden. Gleichzeitig genehmigte das Gericht die
Vereinbarung der Ehegatten über die Nebenfolgen, worin unter anderem
festgelegt worden war, dass X.________ die unter die elterliche Obhut der
Mutter gestellten Kinder Z.________, geboren am 21. April 1990, und
W.________, geboren am 4. Juni 1993, grundsätzlich jedes zweite Wochenende
(von Freitag 18.00 Uhr bis Sonntag 18.00 Uhr) zu sich auf Besuch und zwei
Wochen im Sommer sowie zweimal eine Woche in den übrigen Schulferien in die
Ferien nehmen könne.

Am 3. Juli 2003 ersuchten Z.________ und W.________ um Änderung der Regelung
des Besuchs- und Ferienrechts.

Das Friedensgericht des 3. Sensekreises in A.________ beschloss am 11.
September 2003, das Besuchsrecht auf ein Wochenende im Monat und das
Ferienrecht auf je eine Woche im Sommer, an Weihnachten und an Ostern zu
reduzieren.

B.
Mit Eingabe vom 13. September 2003 erhob X.________ Beschwerde bei der
Vormundschaftskammer des Sensebezirks. Der Gerichtspräsident forderte ihn am
22. September 2003 auf, die Beschwerde zu verbessern. X.________ kam dieser
Aufforderung am 29. September 2003 nach, wobei er gleichzeitig um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege nachsuchte. Am 7. Januar 2004 stellte
Rechtsanwalt V.________ im Namen von X.________ das Begehren, diesem die
vollständige unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und ihn zum
unentgeltlichen Rechtsbeistand zu ernennen.

Der Gerichtspräsident der Sense verfügte am 9. März 2004, dass X.________
insofern unentgeltliche Rechtspflege gewährt werde, als dieser von der
Bezahlung von Gerichtskosten und von Kostenvorschüssen befreit werde, der
Antrag auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung dagegen abgewiesen werde. Eine
gleichlautende Verfügung erliess er am gleichen Tag bezüglich des auch von
Y.________ gestellten Armenrechtsgesuchs.

Die von X.________ hierauf mit Eingabe vom 19. März 2004 erhobene Berufung
wies das Kantonsgericht Freiburg (II. Appellationshof) am 10. Mai 2004 ab.

C.
Den Entscheid des Kantonsgerichts hat X.________ mit einer als Berufung
bezeichneten Eingabe vom 4. Juni 2004 beim Bundesgericht angefochten.

Das Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung zur Eingabe ausdrücklich
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
X.  ________ beanstandet in klarer Weise, dass ihm das Kantonsgericht keinen
unentgeltlichen Rechtsbeistand zugestanden hat. Dem Sinne nach macht er damit
eine Missachtung von Art. 29 Abs. 3 (zweiter Satz) der Bundesverfassung (BV)
geltend. Eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger ist mit
staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen (Art. 84 Abs. 1 lit. a und Art. 43 Abs.
1 zweiter Satz des Bundesgesetzes über die Organisation der
Bundesrechtspflege [OG]). Die als Berufung bezeichnete Eingabe ist daher als
staatsrechtliche Beschwerde entgegenzunehmen.

2.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht in Betracht fallenden
Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131
f. mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer die Beiordnung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes, d.h. mehr als die Aufhebung des
kantonsgerichtlichen Entscheids verlangt, ist auf die Beschwerde daher nicht
einzutreten.

3.
Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen
Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint,
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Falls es zur Wahrung ihrer Rechte
notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.

Ob eine Rechtsverbeiständung sachlich notwendig ist, beurteilt sich nach den
konkreten Umständen des Einzelfalles. Die Rechtsnatur des Verfahrens ist ohne
Belang. Grundsätzlich fällt die unentgeltliche Verbeiständung für jedes
staatliche Verfahren in Betracht, in das der Gesuchsteller einbezogen wird
oder das zur Wahrung seiner Rechte notwendig ist (BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 227
mit Hinweisen). Die bedürftige Partei hat Anspruch auf unentgeltliche
Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind
und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten
bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Droht das
in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtsposition der
betroffenen Person einzugreifen, ist die Bestellung eines unentgeltlichen
Rechtsvertreters grundsätzlich geboten, sonst nur dann, wenn zur relativen
Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten
hinzukommen, denen der Gesuchsteller auf sich alleine gestellt nicht
gewachsen wäre (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232; 125 V 32 E. 4b S. 35 f., mit
Hinweisen).

4.
4.1 Die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung hat das Kantonsgericht
mit
der Begründung verneint, das Verfahren zur Anordnung von Massnahmen über den
persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern sei der Offizial- und der
Untersuchungsmaxime unterworfen. Die Behörde sei folglich nicht an die
Anträge der Beteiligten gebunden und habe alle für ihre spezifische Aufgabe
betreffend den persönlichen Verkehr wesentlichen Umstände abzuklären. Hier
gehe es nicht um den Entzug, sondern um die Einschränkung des in der
gerichtlich genehmigten Vereinbarung vorgesehenen grosszügigen Besuchsrechts,
so dass nicht ein besonders starker Eingriff in die Rechtsstellung des
Beschwerdeführers drohe. Dass sich besonders schwierige Rechts- und
Sachverhaltsfragen stellen würden, sei nicht ersichtlich und werde auch nicht
geltend gemacht. Soweit der Beschwerdeführer sich auf eine persönliche
Unfähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden, berufe, sei ihm
entgegenzuhalten, dass der Gerichtspräsident auf die verbesserte Beschwerde
vom 29. September 2003 eingetreten sei und der Beschwerdeführer sich in der
Berufungsschrift an das Kantonsgericht klar und verständlich ausdrücke. Da
auch Y.________ für das hängige Verfahren die Beiordnung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes verweigert worden sei und dieser Entscheid
bestätigt werde, stelle sich die Frage der Waffengleichheit nicht.

4.2 Die vom Kantonsgericht erwähnte Untersuchungsmaxime lässt eine
anwaltliche
Vertretung der am Verfahren Beteiligten nicht ohne weiteres als unnötig
erscheinen (vgl. BGE 125 V 32 E. 4b S. 36):
4.2.1Abgesehen davon, dass der genannte Verfahrensgrundsatz allfällige
Fehlleistungen der Behörde nicht zu verhindern vermag, ist zu bedenken, dass
er nicht unbegrenzt ist. Er verpflichtet die Behörde zwar, von sich aus alle
Elemente in Betracht zu ziehen, die entscheidwesentlich sind, und unabhängig
von den Anträgen der Parteien Beweise zu erheben. Diese Pflicht entbindet die
Beteiligten indessen nicht davon, durch Hinweise zum Sachverhalt oder
Bezeichnung von Beweisen am Verfahren mitzuwirken (dazu BGE 128 III 411 E.

3.2.1  und 3.2.2 S. 412 ff.).
4.2.2  Es ist sodann darauf hinzuweisen, dass das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtsverbeiständung im Verlaufe eines Rechtsmittelverfahrens
gestellt worden ist: Nachdem der Gerichtspräsident die bei der
bezirksgerichtlichen Vormundschaftskammer gegen den Beschluss des
Friedensgerichts eingereichte Beschwerde vom 13. September 2003 zur
Verbesserung zurückgewiesen hatte, weil aus ihr nicht klar hervorgehe, was
beantragt und wie die Beschwerde begründet werde, ersuchte der
Beschwerdeführer in seiner ergänzenden Eingabe vom 29. September 2003 um
Gewährung des Armenrechts für den Fall, dass es zu einer Verhandlung kommen
sollte. Mit Gesuch vom 7. Januar 2004 begründete und präzisierte Rechtsanwalt
V.________ dieses Begehren und verlangte ausdrücklich, dass er zum
unentgeltlichen Rechtsbeistand bestellt werde.

Die beiden vom Beschwerdeführer persönlich verfassten Eingaben an die
bezirksgerichtliche Vormundschaftskammer zeugen von grosser Unbeholfenheit.
Dass der Gerichtspräsident auf die mit Eingabe vom 29. September 2003
verbesserte Beschwerde eingetreten ist, ist insofern nicht stichhaltig, als
die Präsidialverfügung vom 9. März 2004 einzig das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege samt Beiordnung eines Rechtsvertreters zum
Gegenstand hat und keinen Entscheid zur Sache selbst enthält. Bei ihrer
weiteren Feststellung, die Berufungsschrift vom 19. März 2004 sei klar und
verständlich, verkennt die kantonale Instanz, dass darin ausdrücklich stand,
die Eingabe sei aus terminlichen und anderen Gründen nicht vom Anwalt, aber
auch nicht vom Beschwerdeführer persönlich, der dazu selbst nicht in der Lage
gewesen wäre, verfasst worden, sondern von einer Drittperson. Ebenso hat das
Kantonsgericht übergangen, dass in der genannten Rechtsschrift ausgeführt
worden war, der Beschwerdeführer sei nach zwei Hirnschlägen physisch und
psychisch angeschlagen und leide bei starker Belastung durch ein Problem, wie
beispielsweise hier die Auseinandersetzung um das Besuchs- und Ferienrecht,
an extremen Kopfschmerzen, die dann ihrerseits zu
Konzentrationsschwierigkeiten und zur Unmöglichkeit führten, seine Anliegen
klar vorzutragen.

4.3  Durch die Anordnungen, die zum Verkehr mit seinen Kindern zu treffen
sein
werden, sind persönliche Interessen des Beschwerdeführers ernsthaft
betroffen, auch wenn nicht ein Entzug, sondern lediglich eine Einschränkung
des Besuchs- und Ferienrechts droht. Vor allem aber ergibt sich aus den
vorstehenden Darlegungen, dass der Beschwerdeführer aus Gründen, die in
seiner Person liegen, den Anforderungen, die das vor der bezirksgerichtlichen
Vormundschaftskammer hängige Verfahren an ihn stellt, offensichtlich nicht
gewachsen ist. Es ist unter den dargelegten Umständen unerheblich, dass auch
der geschiedenen Ehefrau die Beiordnung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes verweigert worden ist.

5.
Der mit der fehlenden Notwendigkeit begründete Entscheid des Kantonsgerichts,
dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtsverbeiständung für das vor der
bezirksgerichtlichen Vormundschaftskammer hängige Beschwerdeverfahren zu
verweigern, verstösst nach dem Gesagten gegen Art. 29 Abs. 3 BV. Soweit auf
die Beschwerde einzutreten ist, ist sie daher gutzuheissen. Bei diesem
Ausgang ist keine Gerichtsgebühr zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Dem vor
Bundesgericht nicht vertretenen Beschwerdeführer ist durch die Abfassung der
Beschwerde kein Aufwand erwachsen, der die Zusprechung einer
Parteientschädigung zu rechtfertigen vermöchte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist, wird sie
gutgeheissen, und der Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg (II.
Appellationshof) vom 10. Mai 2004 wird aufgehoben.

2.
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

3.
Dem Beschwerdeführer wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Kantonsgericht Freiburg (II.
Appellationshof) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. September 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: