Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.181/2004
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5P.181/2004 /rov

Urteil vom 4. August 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl, Gerichtsschreiber Möckli.

Z. ________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Erne,

gegen

Y.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Pellegrini,
Obergericht des Kantons Zug, Justizkommission, Aabachstrasse 3, 6301 Zug,
Betreibungsamt Zug, 6301 Zug.

Art. 9 BV (definitive Rechtsöffnung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zug, Justizkommission, vom 15. April 2004.
Sachverhalt:

A.
Mit Versäumnisurteil vom 22. April 2002 verurteilte das Landgericht Frankfurt
am Main, 2. Kammer für Handelssachen, die in Zug domizilierte Z.________ AG,
der Y.________ AG, EUR 2'388'664.55 nebst Zinsen zu zahlen.

B.
Am 22. September 2003 leitete die Y.________ AG hierfür beim Betreibungsamt
Zug die Betreibung ein. Nachdem die Z.________ AG Rechtsvorschlag erhoben
hatte, erwirkte die Y.________ AG beim Kantonsgerichtspräsidium Zug die
definitive Rechtsöffnung für Fr. 3'715'568.-- nebst Zinsen. Am 15. April 2004
wies das Obergericht des Kantons Zug, Justizkommission, die dagegen erhobene
Beschwerde der Z.________ AG ab.

C.
Gegen dieses Urteil hat die Z.________ AG am 7. Mai 2004 staatsrechtliche
Beschwerde erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung und Verweigerung der
Rechtsöffnung. Mit Vernehmlassung vom 17. Juni 2004 hat die Y.________ AG auf
Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde geschlossen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im kantonalen Verfahren ging es um die Frage, ob das Versäumnisurteil der
Beschwerdeführerin im Sinn von Art. 47 Ziff. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 3 des
Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(Lugano-Übereinkommen, LugÜ, SR 0.275.11) zugestellt worden ist.

Das Obergericht hat hierzu erwogen, das LugÜ verweise für die Zustellung auf
das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und
aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen
(Haager Zustellungsübereinkommen, HZÜ, SR 0.274.131), und dieses wiederum
erkläre das Recht am Zustellungsort als massgeblich. Gemäss § 86 Abs. 1
GOG/ZG erfolge die Zustellung gerichtlicher Akten an die Parteien oder deren
Vertreter in der Regel durch die Post mit eingeschriebenem Brief oder gegen
Doppel mit Empfangsbestätigung. Im internationalen Rechtshilfeverkehr werde
die Zustellung in jahrzentelanger Praxis auf entsprechendes Ersuchen des
Obergerichts als zuständige Behörde im Sinn von Art. 18 HZÜ durch den
zuständigen Gemeindeweibel vorgenommen.

Das Obergericht hat weiter ausgeführt, vorliegend sei das deutsche Urteil
durch das Weibelamt der Stadt Zug am 11. Dezember 2002 an Herrn X.________
zugestellt worden. Bei diesem handle es sich um das
einzelzeichnungsberechtigte Mitglied des Verwaltungsrates der W.________ AG,
die Revisionsstelle der Beschwerdeführerin und an derselben Adresse
domiziliert sei. Zwar sei die Revisionsstelle im Bereich der Zustellung an
sich nicht zur Vertretung berufen, aber von einem gesetzlichen Organ der
Beschwerdeführerin müsste erwartet werden können, dass es die Entgegennahme
einer gerichtlichen Sendung ablehne, wenn es dazu nicht bevollmächtigt sei,
und andernfalls dürfe angenommen werden, dass die Entgegennahme mit Billigung
der Beschwerdeführerin erfolgt sei. Vorliegend komme hinzu, dass X.________
gemäss einer nachträglichen Bestätigung des Weibels angegeben habe, dass die
Beschwerdeführerin ihr Domizil bei der W.________ AG habe, und dieser
folglich als Vertreter der Domizilhalterin fungiere. Zudem sei bereits der
Zahlungsbefehl an eine Angestellte der W.________ AG zugestellt worden, ohne
dass sich die Beschwerdeführerin dagegen zur Wehr gesetzt hätte. Die
Angestellte der W.________ AG habe für die Beschwerdeführerin sogar
Rechtsvorschlag erhoben. Wenn der Weibel in seiner Bestätigung vom 2.
Dezember 2003 ausführe, er habe schon verschiedentlich Zustellungen an
X.________ vorgenommen, könne das nur so verstanden werden, dass es sich um
Zustellungen für die Beschwerdeführerin gehandelt habe. Darin sei aber
zumindest eine Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht zu erblicken, welche die
Beschwerdeführerin gegen sich gelten lassen müsse, da sie nicht dartue, dass
sie gegen solche Zustellungen je opponiert hätte.

2.
In diesen Erwägungen erblickt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs insofern, als sich das Obergericht zu den von ihr ins
Recht gelegten Mietverträgen nicht geäussert habe.

Sodann rügt sie eine Verletzung des Willkürverbots. In Bezug auf die
Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung macht sie geltend, entgegen den
vorgelegten Mietverträgen und dem Eintrag im Handesregister habe das
Obergericht unterstellt, dass die Revisionsstelle als Domizilhalterin
fungiere. In rechtlicher Hinsicht erachtet die Beschwerdeführerin als
willkürlich, dass das Obergericht die Erklärung des Weibels, er kenne
X.________ von verschiedenen anderen Zustellungen, ohne nähere Abklärungen so
ausgelegt habe, dass damit Zustellungen an sie gemeint seien.

3.
Wie die Beschwerdeführerin richtig festhält, geht aus der Erklärung des
Weibels nicht explizit hervor, dass es sich bei den erwähnten früheren
Zustellungen an X.________ um solche für die Beschwerdeführerin gehandelt
hat. Willkür liegt jedoch nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn
eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre
(BGE 129 I 9 E. 2.1; 128 II 259 E. 5 S. 280 f.; 127 I 54 E. 2b S. 56). Im
vorliegenden Fall sind ohne weiteres beide Interpretationen möglich, hat doch
der Weibel die Erklärung konkret für die Zustellung des deutschen
Versäumnisurteils und folglich mit Bezug auf die Beschwerdeführerin
abgegeben. Aus diesem Grund scheint die Ansicht des Obergerichts, die
Erklärung könne nur so verstanden werden, dass es um Zustellungen für die
Beschwerdeführerin gegangen sei, sogar den Vorzug zu verdienen; jedenfalls
aber ist sie nicht willkürlich.

Das Obergericht hat eine Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht nicht nur mit den
erwähnten früheren Zustellungen, sondern auch damit begründet, dass eine
Angestellte der W.________ AG in der vorliegenden Streitigkeit mit der
Beschwerdegegnerin bereits den Zahlungsbefehl entgegengenommen und bei der
Übergabe sogleich für die Beschwerdeführerin Rechtsvorschlag erklärt habe.
Dazu kann festgehalten werden, dass ein unmittelbar bei der Übergabe
erhobener Rechtsvorschlag auf beiden Ausfertigungen des Zahlungsbefehls
vermerkt wird. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass ihr der
Zahlungsbefehl anschliessend nicht übergeben worden wäre, und sie hätte somit
den für sie erhobenen Rechtsvorschlag ohne weiteres erkennen können. Es wäre
jedoch in der Tat nicht nachvollziehbar, weshalb die entgegennehmende
Revisionsstelle ohne jede (wenigstens stillschweigende) Vollmacht für die
Beschwerdeführerin Rechtsvorschlag erhoben hätte.
Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht willkürlich, wenn das
Obergericht von einer Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht der W.________ AG
ausgegangen ist, würde doch Willkür erst dann vorliegen, wenn der
angefochtene Entscheid mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt
oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I
49 E. 4 S. 58; 128 II 259 E. 5 S. 280 f.; 127 I 54 E. 2b S. 56).

4.
Durfte jedoch das Obergericht aufgrund der Erklärung des Weibels und der
Zustellung des Zahlungsbefehls an die (Rechtsvorschlag erhebende) W.________
AG willkürfrei von einer Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht ausgehen, wird die
Frage, ob die W.________ AG Domizilhalterin sei, gegenstandslos. Demnach
musste sich das Obergericht auch nicht mit den eingereichten Mietverträgen
der Beschwerdeführerin auseinander setzen und entsprechend stossen die in
diesem Zusammenhang erhobenen Rügen ins Leere. Nicht angefochten ist
schliesslich die (implizite) Erwägung, dass eine Zustellung gemäss § 86
GOG/ZG nicht persönlich erfolgen muss, sondern die Übergabe an einen
bevollmächtigten Stellvertreter genügt.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen
ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Beschwerdeführerin wird
demnach kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159
Abs. 2 OG). Ausgehend vom Streitwert ist die Gerichtsgebühr zwischen Fr.
7'000.-- und Fr. 40'000.-- anzusetzen (Ziff. 3 des Tarifs für die
Gerichtsgebühren im Verfahren vor dem Bundesgericht, SR 173.118.1). Das
Honorar für den Anwalt der Beschwerdegegnerin liegt vom massgeblichen
Tarifrahmen her zwischen Fr. 12'000.-- und Fr. 50'000.--, wobei es unter den
Minimalansatz herabzusetzen ist, wenn ein offenbares Missverhältnis zur
tatsächlich geleisteten Arbeit besteht (Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 des
Tarifes über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem
Bundesgericht, SR 173.119.1). Dies ist vorliegend der Fall, waren doch kaum
Abklärungen nötig und beschränken sich die Ausführungen in der Vernehmlassung
auf eineinhalb Seiten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 10'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug,
Justizkommission, sowie dem Betreibungsamt Zug schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. August 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: