Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.158/2004
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5P.158/2004 /bnm

Urteil vom 21. Juni 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiberin Scholl.

J. A.________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprech Friedrich Affolter,

gegen

M.A.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Fürsprecher Urs Matzinger,
Appellationshof des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, Hochschulstrasse. 17, 3012
Bern.

Art. 9 BV etc. (Weisung betreffend Regelung der elterlichen Obhut),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationshofes des
Kantons Bern, 2. Zivilkammer, vom 15. März 2004.

Sachverhalt:

A.
Auf Grund einer Gefährdungsmeldung von Anfang Juli 2002 erliess die
Sozialkommission X.________ (Vormundschaftsbehörde) am 30. August 2002 an
J.A.________ und M.A.________ eine Weisung betreffend ihre beiden Kinder
A.A.________, geb. 1994, und B.A.________, geb. 1998. Am 21. August 2002
reichte M.A.________ beim Gerichtskreis XII Frutigen-Niedersimmental ein
Eheschutzgesuch ein. Am 10. Oktober 2002 erliess die Sozialkommission
X.________ eine Verfügung, gemäss welcher die beiden Kinder vorläufig, bis
zum definitiven Entscheid im Eheschutzverfahren, bei der Mutter in Thun
platziert wurden. Dem Vater wurde ein Besuchsrecht eingeräumt. Im
Eheschutzverfahren stellte der zuständige Gerichtspräsident am 21. Oktober
2002 die Kinder vorläufig unter die Obhut der Mutter.

Gegen die Verfügung der Sozialkommission vom 10. Oktober 2002 führte
J.A.________ Beschwerde an das Regierungsstatthalteramt Niedersimmental,
welches das Verfahren am 11. November 2002 als gegenstandslos abschrieb.
Einen Weiterzug der Beschwerde wies der Appellationshof des Kantons Bern am
18. Februar 2003 mit der Begründung ab, da die Verfügung der
Vormundschaftsbehörde nur für eine kurze Zeit - nämlich bis zum definitiven
Entscheid des Eheschutzrichters - Bestand habe, bestehe kein
Rechtsschutzinteresse an deren Anfechtung. Gegen diesen Entscheid gelangte
J.A.________ mit Berufung, die als staatsrechtlicher Beschwerde entgegen
genommen wurde, an das Bundesgericht, welche dieses mit Urteil vom 25. August
2003 guthiess und den angefochtenen Entscheid aufhob (5C.78/2003).

B.
Am 12. Januar 2004 befasste sich das Regierungsstatthalteramt Niedersimmental
daraufhin aufs Neue mit der Beschwerde gegen die Verfügung vom 10. Oktober
2002 und wies sie ab, soweit es darauf eintrat. Dagegen erhob J.A.________
"Rechtsverweigerungsbeschwerde" an den Appellationshof des Kantons Bern.
Dieser bestätigte am 15. März 2004 (mit Berichtigung vom 27. April 2004) den
angefochtenen Entscheid, erhöhte indes die an den Rechtsvertreter von
J.A.________ zu entrichtende Parteientschädigung.

C.
J. A.________ gelangt erneut mit staatsrechtlicher Beschwerde an das
Bundesgericht und verlangt im Wesentlichen die Aufhebung des Entscheides des
Appellationshofes vom 15. März 2004. Zudem stellt er ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche
Verfahren.

Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und in
welchem Umfang auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE 127
III 41 E. 2a S. 42; 129 I 302 E. 1 S. 305).

Anfechtungsobjekt der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde ist allein
der Entscheid des Appellationshofes als letztinstanzliches kantonales Urteil
(Art. 86 Abs. 1 OG). Soweit sich die Rügen gegen den Entscheid des
Regierungsstatthalteramtes richten, kann damit von vornherein nicht auf die
Beschwerde eingetreten werden.

Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich rein kassatorischer Natur
(BGE 120 Ia 256 E. 1b S. 257; 125 I 104 E. 1b S. 107). Es kann regelmässig
nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragt werden. Soweit der
Beschwerdeführer mehr verlangt, namentlich den Erlass von Anordnungen
betreffend Vollstreckung, erweist sich die Beschwerde als unzulässig.

2.
Der Beschwerdeführer macht eine formelle Rechtsverweigerung geltend, weil der
Appellationshof (wie bereits das Regierungsstatthalteramt) die Zuständigkeit
der Vormundschaftsbehörde betreffend Obhutszuteilung verneint habe.

Eine formelle Rechtsverweigerung kann nicht nur vorliegen, wenn eine Behörde
jedwelchen Entscheid verweigert, sondern auch, wenn sie zu Unrecht auf ein
Rechtsmittel nicht eintritt (BGE 125 III 440 E. 2a S. 441). Im Entscheid vom
15. März 2004 hat der Appellationshof die "Rechtsverweigerungsbeschwerde" des
Beschwerdeführers indes materiell behandelt und sich mit den vorgebrachten
Rügen einlässlich auseinandergesetzt; eine formelle Rechtsverweigerung fällt
damit  ausser Betracht. Insbesondere liegt eine solche nicht darin, dass der
Appellationshof die Zuständigkeit der Vormundschaftbehörde für die
Obhutzuteilung verneint und deren Entscheid vom 10. Oktober 2002 teilweise
aufgehoben hat.

Eine andere Frage ist, ob die vom Appellationshof angenommene
Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Vormundschaftsbehörde und Eheschutzrichter
dem Willkürverbot standhält, mithin ob eine willkürliche Verletzung der
einschlägigen bundesrechtlichen Vorschriften vorliegt. Entsprechende Rügen
bringt der Beschwerdeführer indes nicht substantiiert vor (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG), so dass dies vorliegend offen gelassen werden kann. Im Gegensatz
zur Auffassung des Beschwerdeführers hat das Bundesgericht zudem im Urteil
5C.78/2003 vom 25. August 2003 einzig die Frage des Rechtsschutzinteresses
behandelt; zum Vorliegen weiterer Prozessvoraussetzungen hat es sich nicht
geäussert. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Eheschutzrichter am
13. November 2003 seinen definitiven Entscheid gefällt hat, so dass
unterdessen das aktuelle und praktische Interesse (Art. 88 OG) an der
Beschwerdeführung - soweit die Kinderbelange betreffend - wohl ohnehin nicht
mehr gegeben wäre.

3.
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer die Kostenregelung als willkürlich.

Diese Rüge ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Erhöhung der
Parteientschädigung zu Gunsten seines unentgeltlichen Rechtsvertreters
fordert, da er diesbezüglich nicht legitimiert ist: Entschädigt der Staat den
amtlichen Vertreter, kann dieser keine weitergehende Honorarforderung an die
von ihm vertretene Partei stellen (BGE 108 Ia 11 E. 1 S. 12; 117 Ia 22 E. 4e
S. 26; 122 I 322 E. 3b S. 325 f.). Somit ist der Beschwerdeführer durch die
Festsetzung der Entschädigung für seinen Rechtsvertreter nicht beschwert und
hat in diesem Punkt kein aktuelles und praktisches Interesse an der Aufhebung
des angefochtenen Entscheids (Art. 88 OG).

Bezüglich der Gerichtskosten kann insoweit nicht auf die Beschwerde
eingetreten werden, als der Beschwerdeführer die Regelung des
Regierungsstatthalteramts anficht, da er in seiner
"Rechtsverweigerungsbeschwerde" an den Appellationshof diese nicht gerügt hat
und dieses Vorbringen daher ein unzulässiges Novum darstellt (BGE 129 I 49 E.
3 S. 57). Die oberinstanzlichen Gerichtskosten hat der Appellationshof
vollständig dem Beschwerdeführer auferlegt und erwogen, dieser sei im
Verfahren vor Appellationshof praktisch vollumfänglich unterlegen und allein
die Erhöhung der Anwaltsgebühr rechtfertige keine Aufteilung der
Prozesskosten. Mit dieser Begründung setzt sich der Beschwerdeführer nicht
auseinander und zeigt insbesondere nicht auf, inwiefern der Appellationshof
in Willkür verfallen sein soll. Demnach kann darauf ebenfalls nicht
eingetreten werden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).

4.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit überhaupt darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er schuldet der
Beschwerdegegnerin allerdings keine Parteientschädigung für das
bundesgerichtliche Verfahren, weil keine Vernehmlassung eingeholt worden ist.

Der Beschwerdeführer hat für das bundesgerichtliche Verfahren ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gestellt: Diese ist einer Partei zu bewilligen,
die bedürftig und deren Sache nicht aussichtslos ist (Art. 152 Abs. 1 OG).
Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich
geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft
bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos,
wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder
jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die
über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger
Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 125 II 265 E. 4b S. 275;
127 I 202 E. 3a und b S. 204; 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.).

Im vorliegenden Fall konnte auf eine Vielzahl der Rügen überhaupt nicht
eingetreten werden und die übrigen Vorbringen haben sich als offensichtlich
haltlos erwiesen. Damit haben die Verlustgefahren von vornherein deutlich
überwogen, so dass die Beschwerde als aussichtslos anzusehen ist. Das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege ist damit abzuweisen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege des Beschwerdeführers wird
abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, 2.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Juni 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: