Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.118/2004
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5P.118/2004 /dxc

Urteil vom 14. Mai 2004
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprech lic. iur. Beat Widmer,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Remo,
Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als
zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde,
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Art. 9 BV (persönlicher Verkehr mit dem Kind),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche
vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, vom 22. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
Aus der intimen Beziehung von Y.________ und X.________ ging am 27. Oktober
1994 das Kind Z.________ hervor, welches der Kindsvater am 6. Februar 1995
anerkannte. Da der Kindsvater sein nicht geregeltes Recht auf persönlichen
Verkehr mit dem Kind trotz verschiedener Versuche nicht wahrnehmen konnte,
beantragte er am 8. September 2000 beim Gemeinderat Gontenschwil als
zuständiger Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz des Kindes ein Besuchs- und
Ferienrecht. Mit Beschluss vom 21. Mai 2002 sah die Vormundschaftsbehörde
aufgrund der fehlenden bzw. ungenügenden Beziehung des Kindsvaters mit seinem
Kind von einem Besuchs- und Ferienrecht ab.

B.
Auf Beschwerde des Kindsvaters räumte ihm das Bezirksamt Kulm als untere
vormundschaftliche Aufsichtsbehörde ein begleitetes Besuchsrecht extern,
jeweils am ersten Sonntag des Monats von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in der
kinderfreundlichen Umgebung im Kinderhaus Aarau unter dem Patronat Pro
Juventute ein, wobei spätestens nach einem Jahr entschieden werden sollte, ob
ein Besuchsrecht am ersten und dritten Wochenende des Monats von Samstag,
11.00 Uhr, bis Sonntag, 19.30 Uhr, sowie - nach Absprache mit der Mutter -
zwei Wochen Ferien pro Jahr gewährt werden könne (Verfügung vom 4. Dezember
2002).

Mit Entscheid vom 22. Januar 2004 wies das Obergericht des Kantons Aargau,
Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche
Aufsichtsbehörde, (nachfolgend: das Obergericht) eine Beschwerde der
Kindsmutter ab und bestätigte das vom Bezirksamt Kulm gewährte, begleitete
Besuchsrecht des Kindsvaters für die Dauer eines Jahres. Des Weiteren
erklärte das Obergericht den Kindsvater in Abänderung der bezirksamtlichen
Verfügung für berechtigt, nach Ablauf eines Jahres seinen Sohn am ersten
Wochenende des Monats von Samstag, 11.00 Uhr, bis Sonntag, 19.30 Uhr, auf
eigene Kosten zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen und mit ihm 14
Tage Ferien zu verbringen, wobei die Ferien mindestens drei Monate im Voraus
mit der Kindsmutter abzusprechen sind.

C.
Hiergegen führt die Kindsmutter staatsrechtliche Beschwerde beim
Bundesgericht und beantragt, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und
dem Kindsvater das Besuchsrecht abzusprechen. Es ist keine Vernehmlassung
eingeholt worden. Des Weiteren hat die Beschwerdeführerin den Entscheid auch
mit Berufung angefochten.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Wird in der gleichen Sache sowohl Berufung als auch staatsrechtliche
Beschwerde erhoben, so ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche
Beschwerde zu befinden, und der Entscheid über die Berufung ist auszusetzen
(Art. 57 Abs. 5 OG). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu
verfahren.

2.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen
abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 126 III 534 E. 1c S. 536 f. mit
Hinweisen). Soweit die Beschwerdeführerin mehr als die Aufhebung des
Entscheides der letzten kantonalen Instanz verlangt, kann demnach auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin beanstandet die "Feststellungen" des Obergerichts
als aktenwidrig und willkürlich. Aufgrund des Berichtes des Sozialarbeiters
vom 5. September 2002 stehe fest, dass sich der Beschwerdegegner in keiner
Weise um seinen Sohn gekümmert habe. Weder habe er ihm zum Geburtstag oder zu
Weihnachten Geschenke gemacht, noch habe er ihm Briefe geschrieben oder
wenigstens telefonischen bzw. persönlichen Kontakt mit ihm gesucht, noch mit
ihm im gleichen Haushalt gelebt. Sodann habe er auch die Alimente nur
zögerlich bezahlt, weswegen er denn auch des Öfteren habe gemahnt werden
müssen und gegen ihn zweimal ein Verfahren wegen Vernachlässigung von
Unterstützungspflichten eröffnet worden sei. Der Kindsvater sei dem Kind
völlig fremd. Bei dieser Sachlage sei es geradezu willkürlich, wenn das
Obergericht zum Schluss gelange, eine Vernachlässigung liege nicht vor und
dem Kindsvater könne die mangelnde Beziehung zum Sohn nicht vorgeworfen
werden. Aus der Tatsache, dass der Beschwerdegegner zahlreiche Briefe an den
Sozialdienst geschrieben habe, ergebe sich nicht, dass er sich ersthaft darum
bemüht habe, sich um das Kind zu kümmern. Sodann habe das Obergericht sich in
willkürlicher Weise darauf beschränkt, den Kontakt zum Vater als für die
Identitätsfindung wertvoll zu bezeichnen, ohne allerdings zu berücksichtigen,
dass der Ehemann der Beschwerdeführerin in sozialer und psychischer Hinsicht
die Rolle des Vaters übernommen habe und dass in solchen Situationen die
Ausübung des Besuchsrechts durch einen dem Kind fremden Vater das Kindeswohl
ernsthaft beeinträchtige. Schliesslich handle das Obergericht die ablehnende
Haltung des Kindes mit der Bemerkung ab, der Prozess der Identitätsfindung
setze früher oder später ohnehin ein. Eine behördliche Durchsetzung des
Besuchsrechts sei mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren.

3.2 Mit diesen Ausführungen wirft die Beschwerdeführerin dem Obergericht vor,
es habe in willkürlicher Weise das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung
verneint, dass sich der Beschwerdegegner nicht ernsthaft um das Kind kümmere;
überdies habe es andere wesentliche Elemente nicht berücksichtigt, die für
den Entzug des Besuchsrechts sprechen (vgl. Art. 274 Abs. 2 ZGB). Die
Beschwerdeführerin kritisiert damit im Ergebnis eine willkürliche Anwendung
von Bundesrecht, welche indes mit staatsrechtlicher Beschwerde nicht geltend
gemacht werden kann, wenn - wie hier - die eidgenössische Berufung wegen
Verletzung von Bundesrecht offen steht (Art. 44 lit. d OG; Art. 84 Abs. 2 OG;
BGE 120 II 384 E. 4a S. 385). Mit ihrem Hinweis auf die Aktenwidrigkeit
beanstandet die Beschwerdeführerin zudem, das Obergericht habe eine
Aktenstelle unrichtig wahrgenommen bzw. übersehen, was im vorliegenden Fall
als offensichtliches Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG ebenfalls mit
Berufung geltend zu machen gewesen wäre (vgl. BGE 96 I 193). Im Übrigen zeigt
die Beschwerdeführerin auch nicht durch Auseinandersetzung mit den
obergerichtlichen Erwägungen auf, inwiefern in diesem Zusammenhang die
Beweiswürdigung des Obergerichts willkürlich sein könnte (BGE 119 Ia 197 E. d
S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282, mit
Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312). Ihre Argumentation beschränkt sich
vielmehr auf appellatorische und damit unzulässige Kritik am angefochtenen
Entscheid, indem sie einfach eine dem Obergericht widersprechende Sicht der
Dinge vertritt (BGE 127 III 279 E. 1c S. 282). Schliesslich findet sich im
angefochtenen Entscheid keine Feststellung, wonach sich das Kind geradezu
ablehnend gegenüber dem leiblichen Vater verhält. Die entsprechende
Behauptung gilt daher als neu und unzulässig, weshalb auf dieses Novum und
die darauf abgestützten Argumente nicht weiter einzugehen ist.

4.
Damit ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten. Bei diesem
Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens wird die Beschwerdeführerin
kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie schuldet dem Beschwerdegegner indes
keine Entschädigung, da keine Vernehmlassung eingeholt worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche
Aufsichtsbehörde, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Mai 2004

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: