Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.85/2004
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4C.85/2004 /grl

Urteil vom 22. April 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Favre, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.

A. ________ GmbH,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch
Advokat Dr. Beat Fürstenberger,

gegen

Erbengemeinschaft B.________, bestehend aus:
N.B.________ und M.B.________,
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch
Advokat Alois J. Zimmermann.

Mietvertrag; Ausweisung,

Berufung gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 28. November 2003.

Sachverhalt:

A.
B. ________ vermietete der A.________ GmbH (Beklagten) mit schriftlichem
Vertrag vom 1. Juli 2002 seine Liegenschaft X.________strasse 11 in Basel.
Der Vertrag enthält in Ziffer 22.5 folgende Klausel:
"Der Vertrag wird erst mit der Bezahlung
der Miete Art. 5.1 Fr. 20'000.--
der Kaution Art. 6.1 Fr. 60'000.--
Einrichtung Art. 22.8 Fr. 150'000.--
Material Art. 22.11 Fr. 65'000.--
Feldschlösschen Art. 20.10 Fr. 50'000.--
Fr. 345'000.--
und der Unterzeichnung durch alle Vertragsparteien gültig."
Der Mietvertrag sollte am 1. Juli 2002 beginnen und die Beklagte befindet
sich auch seit Juli 2002 im Mietobjekt. Mit Schreiben vom 24. Juli 2002
teilte B.________ der Beklagten mit, die im Vertrag vereinbarte Zahlung von
Fr. 345'000.-- sei nicht eingegangen, weshalb er "nicht länger an diesen
Vertrag gebunden" sei. Am 15. August 2002 sprach er zudem gegenüber der
Beklagten auf einem amtlichen Formular die sofortige Kündigung aus und führte
zur Begründung aus:
"Miet-/Pachtvertrag kam nie zustande, da Bedingung gemäss Ziff. 22.5 des
Mietvertrages, wonach Vertrag erst zustandekommt mit Bezahlung der Miete,
Kaution, Einrichtung u.a.m., verbindlich wird."

Die Beklagte teilte B.________ am 26. August 2002 mit, sie habe das
Mietzinsdepot von Fr. 60'000.-- und die beiden Mietzinse für Juli und August
im Betrag von je Fr. 20'000.-- bezahlt. Im Mietobjekt seien schwerwiegende
Mängel zum Vorschein gekommen und sie habe für das "Restaurant und die Bar"
bereits über Fr. 70'000.-- investiert. Die Angelegenheit mit der Firma
Feldschlösschen habe sie im Sinne des Vertrages erledigt. Sodann erhob die
Beklagte verschiedene Einwendungen gegen die vertraglichen Zahlungspflichten
von Fr. 150'000.-- für Einrichtung und Fr. 65'000.-- für Material. Ferner
erklärte sie, dass sie die Kündigung vom 15. August 2002 nicht akzeptiere und
als gegenstandslos ansehe.

B.
Am 11. September 2002 beantragte die Beklagte bei der Schlichtungsstelle in
Mietsachen, die Kündigung vom 15. August 2002 aufzuheben, eventuell das
Mietverhältnis um sechs Jahre, d.h. bis zum 31. August 2008 zu erstrecken.
B.________ stellte am 7. März 2003 beim Präsidium des Zivilgerichts
Basel-Stadt das Begehren, die Beklagte aus der Liegenschaft X.________strasse
11 in Basel auszuweisen. In der Folge überwies die Schlichtungsbehörde das
bei ihr hängige Verfahren gestützt auf Art. 274g OR an die zuständige
Zivilgerichtspräsidentin. B.________ verstarb während des Verfahrens vor
Zivilgericht. An seiner Stelle traten seine Erben, N.B.________ und
M.B.________ (Kläger), in den Prozess ein. Die Zivilgerichtspräsidentin
befahl der Beklagten mit Urteil vom 24. Juni 2003, die Liegenschaft zu
räumen. Die vor der Schlichtungsbehörde gestellten Rechtsbegehren der
Beklagten wies sie ab.

Eine von der Beklagten dagegen erhobene Beschwerde mit den Anträgen, das
Ausweisungsbegehren unter Aufhebung des Urteils vom 24. Juni 2003 abzuweisen
und die vor der Schlichtungsbehörde gestellten Begehren gutzuheissen, wies
das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 28. November 2003 ab. Es
erwog im Wesentlichen, die in Ziffer 22.5 des Mietvertrags vereinbarte
Suspensivbedingung sei unbestrittenermassen nicht erfüllt, womit der
Beklagten eine Rechtsgrundlage für den Verbleib in der Liegenschaft fehle.
Der Nachweis, dass die Suspensivbedingung ein unzulässiges Koppelungsgeschäft
zum Gegenstand habe, sei der Beklagten nicht gelungen.

C.
Die Beklagte beantragt mit eidgenössischer Berufung, das Urteil des
Appellationsgerichts aufzuheben, das Ausweisungsbegehren abzuweisen und die
Kündigung vom 15. August 2002 aufzuheben. Eventuell sei das Mietverhältnis
bis zum 31. August 2008 zu erstrecken.

Die Kläger schliessen auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Appellationsgericht stellte fest, die Beklagte habe die Kündigung vom 15.
August 2002 nach Art. 273 OR bei der Schlichtungsstelle angefochten, und
entschied in Anwendung von Art. 274g OR mit voller Kognition und endgültig
über sämtliche streitigen Begehren. Sein Entscheid stellt damit ein kantonal
letztinstanzliches Endurteil dar, gegen das die eidgenössische Berufung
grundsätzlich zulässig ist (Art. 48 Abs. 1 OG; vgl. dazu BGE 122 III 92 E.
2d; 119 II 141 E. 4b, 241 E. 4b).

Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen
Bemerkungen Anlass, sodass auf das Rechtsmittel einzutreten ist.

2.
Es ist unbestritten, dass die Beklagte die im ursprünglichen Mietvertrag vom
1. Juli 2002 vereinbarten Zahlungen von Fr. 150'000.- für "Einrichtung" und
von Fr. 65'000.-- für "Material" nicht geleistet hat und dass diese Zahlungen
eine Suspensivbedingung für die Gültigkeit dieses Vertrags waren. Die
Beklagte hält indessen dafür, B.________ habe mit seinem Verhalten mehrfach
manifestiert, dass er trotzdem am Vertrag festhalten wolle; die Parteien
hätten sich konkludent auf das Zustandekommen eines Mietvertrages bzw. auf
die Abänderung des schriftlich vereinbarten Textes in dem Sinne geeinigt,
dass die Zahlung der genannten Beträge nicht mehr Bedingung für die
Gültigkeit des Vertrages sein sollte.

2.1 Zur Begründung ihres Standpunkts macht die Beklagte unter anderem
geltend, das Mietobjekt habe sich bei der Übernahme nicht in vertragsgemässem
Zustand befunden, weshalb sie in eigenem Namen und auf eigene Rechnung
notwendige Sanierungsarbeiten vorgenommen habe, die von B.________ durch
stillschweigende Duldung gebilligt worden seien. Diese Behauptungen finden in
den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil keine Stütze und die
Beklagte macht in diesem Zusammenhang keine Ausnahme von der Bindung des
Bundesgerichts an die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen im Sinne
von Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG geltend. Die Vorbringen können daher nicht
gehört werden (vgl. BGE 127 III 248 E. 2c; 115 II 484 E. 2a).

2.2 Die Parteien vereinbarten im Mietvertrag vom 1. Juli 2002, dass der
Vertrag nur in schriftlicher Form abgeändert werden könne. Dieser
Schriftlichkeitsvorbehalt steht der Annahme einer Vertragsänderung in anderer
Form nicht von vornherein entgegen, da auch nachträglich durch konkludentes
Verhalten auf die vorbehaltene Form verzichtet werden kann (BGE 125 III 263
E. 4c S. 268; Schmidlin, Berner Kommentar, N. 45 zu Art. 16 OR; Schwenzer,
Basler Kommentar, N. 10 zu Art. 16 OR). Der entsprechende gemeinsame Wille
der Parteien muss sich allerdings eindeutig aus den Umständen ergeben
(Schmidlin, a.a.O., N. 49 zu Art. 16 OR). Ein Verzicht auf eine vorbehaltene
Schriftform ist anzunehmen, wenn die vertraglichen Leistungen trotz
Nichteinhaltung der Form vorbehaltlos erbracht und entgegengenommen werden
(BGE 105 II 75 E. 1 S. 78; Jäggi, Zürcher Kommentar, N. 26 und 41 zu Art.
16). Von dieser Rechtslage ist auch die Vorinstanz zutreffend ausgegangen,
indem sie trotz Fehlens einer schriftlichen Vertragsänderung geprüft hat, ob
ein Verhalten vorliege, aus dem nach Treu und Glauben auf einen Verzicht auf
die Suspensivbedingung nach Ziffer 22.5 des Vertrages geschlossen werden
könnte.

Dass ein solches Verhalten gegeben sei, hat die Vorinstanz zutreffend
verneint. Zunächst kann vorliegend nicht von einer vorbehaltlosen
Entgegennahme der vertraglichen Leistungen der Beklagten durch die Kläger
bzw. ihren Rechtsvorgänger gesprochen werden. B.________ erklärte am 24. Juli
2002 gegenüber der Beklagten, dass er nicht länger an den Vertrag gebunden
sei. Überdies sprach er am 15. August 2002 die sofortige Kündigung unter
Hinweis darauf aus, dass der Vertrag nie zustande gekommen sei. Damit brachte
er klar zum Ausdruck, dass er den Vertrag als unverbindlich betrachtete und
nicht daran gebunden sein wollte. Unter diesen Umständen lässt sich die
Auffassung der Beklagten, B.________ habe sich mit der Kündigung
widersprüchlich verhalten und aufgezeigt, dass er von einem bestehenden
Mietverhältnis ausging, nicht nachvollziehen; die Kündigung kann nach Treu
und Glauben nur als Erklärung für den Eventualfall verstanden werden, dass
trotz des Nichteintritts der Suspensivbedingung ein Mietvertrag zustande
gekommen sein sollte. Die Vorinstanz verletzte auch kein Bundesrecht, indem
sie darin, dass sich B.________ in späteren Schreiben teilweise so äusserte,
als ob er von einem gültigen Mietvertrag ausgehe, nicht eine eindeutige
Willensäusserung auf Ausserkraftsetzung der vereinbarten Formvorschrift für
Vertragsänderungen sah. Überdies hat sie zu Recht erkannt, dass aus der
Entgegennahme von Mietzinszahlungen nicht auf einen unter Abweichung vom
vertraglichen Formvorbehalt getroffenen, stillschweigenden Vertragsschluss
trotz nicht erfüllter Suspensivbedingung geschlossen werden kann, da
finanzielle Leistungen auch im Rahmen eines faktischen Vertragsverhältnisses
geschuldet sein könnten (vgl. Gauch/Schluep/Schmid, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl., Zürich 2003, Rz. 1189). Die
Vorinstanz hat demnach bundesrechtskonform erkannt, dass die Beklagte über
keine Rechtsgrundlage für den Verbleib in der Liegenschaft verfüge. Besteht
zwischen den Parteien kein Mietverhältnis, erübrigt sich eine Aufhebung der
Kündigung vom 15. August 2002 und fehlt es auch von vornherein an einer
Grundlage für eine Erstreckung des Mietverhältnisses (vgl. Higi, Zürcher
Kommentar, N. 50 ff. zu Art. 272 OR).

3.
Die Beklagte wirft den Klägern vor, sie hätten rechtsmissbräuchlich
gehandelt, indem sie bzw. ihr Rechtsvorgänger den Anschein erweckt hätten,
trotz Nichteintritts der Suspensivbedingung am Mietverhältnis festzuhalten,
und erst im März 2003 ein Ausweisungsbegehren gestellt hätten. Sie hält
dafür, die Kläger hätten dieses bereits im Juli 2002 nach dem Nichteingang
der vereinbarten Zahlungen stellen müssen.

Selbst eine sehr lange widerspruchslose Duldung der Nutzung einer Sache kann
das Zurückkommen auf die Bereitschaft zur Überlassung erst als
rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen, wenn der Überlassende beim zur
Rückgabe Verpflichteten die bestimmte Erwartung geweckt hat, er werde sein
Recht nicht durchsetzen, und dann (insoweit widersprüchlich) trotzdem auf
seinem Recht beharrt. Blosses Zuwarten mit der Rechtsausübung begründet noch
nicht Rechtsmissbrauch (BGE 127 III 506 E. 4a S. 513 mit Hinweisen). Zum
blossen Zeitablauf müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die
Rechtsausübung mit der früheren Untätigkeit des Berechtigten in einem
unvereinbaren Widerspruch erscheinen lassen (vgl. BGE 129 III 493 E. 5.1 S.
498; 116 II 428 E. 2, je mit Hinweisen). Solche können darin bestehen, dass
dem Verpflichteten aus der verzögerten Geltendmachung in erkennbarer Weise
Nachteile erwachsen sind und dem Berechtigten die Rechtsausübung zumutbar
gewesen wäre, oder darin, dass der Berechtigte mit der Geltendmachung des
Anspruchs zuwartet, um sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen
(Merz, Berner Kommentar, N. 512 zu Art. 2 ZGB; Baumann, Zürcher Kommentar, N.
401 f. zu Art. 2 ZGB; Honsell, Basler Kommentar, N. 49 zu Art. 2 ZGB;
Hausheer/Jaun, Die Einleitungstitel des ZGB, Bern 2003, N. 136 f. zu Art. 2).

Den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Urteil sind
keine Umstände zu entnehmen, die das Zuwarten mit der Stellung des
Ausweisungsbegehrens bis im März 2003 als rechtsmissbräuchlich erscheinen
liessen. Soweit die Beklagte geltend macht, die Kläger hätten gebilligt, dass
sie notwendige Sanierungsarbeiten am Mietobjekt ausgeführt habe, ist sie auch
in diesem Zusammenhang nicht zu hören (vgl. Erwägung 2.1 vorne). Den Klägern
ist auch sonst kein Verhalten zuzurechnen, aus dem die Beklagte nach Treu und
Glauben schliessen durfte, sie würden ihr Recht auf Rückgabe des Mietobjekts
nicht durchsetzten. Ihr Rechtsvorgänger hatte der Beklagten vielmehr sofort
nach Ausbleiben der vereinbarten Zahlungen für Einrichtung und Material
unmissverständlich klar gemacht, dass er den Mietvertrag nicht als zustande
gekommen betrachtete und ein Mietverhältnis ablehnte. Das übrige Verhalten
der Kläger bzw. ihres Rechtsvorgängers bis zur Stellung des
Ausweisungsbegehrens lässt die Durchsetzung ihres Räumungsanspruchs ebenso
wenig als missbräuchlich erscheinen, wie es geeignet ist, nach Treu und
Glauben auf einen stillschweigenden Vertragsschluss unter Abweichung vom
Formvorbehalt vom 1. Juli 2002 schliessen zu lassen (vgl. die vorstehende
Erwägung 2.2). Der Vorwurf des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erweist sich
als unbegründet.

4.
Die Berufung ist aus den dargelegten Gründen abzuweisen. Ausgangsgemäss wird
die Beklagte für das Verfahren vor Bundesgericht kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat die Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit
insgesamt Fr. 9'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. April 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: