Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.6/2004
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4C.6/2004 /lma

Urteil vom 17. Februar 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Favre,
Gerichtsschreiber Arroyo.

A. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Advokat Dr. Michael Kull,

gegen

B.________ Bank,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Advokat Bernhard Simonetti.

Auftrag; Sorgfaltspflicht der Bank,

Berufung gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 14. November 2003.

Sachverhalt:

A.
A. ________ (Kläger) ist Inhaber eines Privatkontos bei der B.________ Bank
(Beklagte). Bei der Kontoeröffnung wurde dem Kläger eine M-Kontokarte mit
persönlicher Identifikations-Nummer (PIN) zur Verfügung gestellt. Der
PIN-Code wurde ihm mit separater Post mitgeteilt. Am 20. und 21. Mai 1999
wurden ab dem Konto des Klägers zwei Bezüge in Höhe von Fr. 100.-- und Fr.
15'700.-- getätigt. Der Kläger behauptete, jedenfalls die Auszahlung von Fr.
15'700.--, möglicherweise auch diejenige von Fr. 100.--, sei nicht an ihn
erfolgt, sondern aufgrund einer Vertragsverletzung der Beklagten an einen
Dritten.

B.
Am 24. Oktober 2001 gelangte der Kläger an das Zivilgericht Basel-Stadt mit
dem Begehren, die Beklagte sei zur Zahlung von Fr. 15'700.-- nebst Zins zu 5
% seit dem 21. Mai 1999 an ihn zu verpflichten. Das Gericht wies die Klage
mit Urteil vom 29. November 2002 ab. Es kam zum Schluss, dass kein
vertragswidriges Handeln auf Seiten der Beklagten nachgewiesen worden sei.
Gemäss der überzeugenden Aussage der Auskunftsperson C.________ müsse davon
ausgegangen werden, dass die vorgeschriebene und vertraglich zugesicherte
weitere Identitätskontrolle neben der Eingabe des korrekten PIN-Codes bei der
Auszahlung des Betrages vorgenommen worden sei. Denn C.________ habe sich am
Schalter vom Bezüger der fraglichen Auszahlung ein Ausweispapier in Gestalt
eines Führerausweises vorlegen lassen.

Mit Urteil vom 14. November 2003 bestätigte das Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt das erstinstanzliche Urteil gestützt auf die
tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des Zivilgerichts.

C.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingereicht mit dem
Rechtsbegehren, es sei das Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihm einen Betrag von Fr. 15'700.-- nebst Zins zu 5 % seit dem 21. Mai 1999 zu
bezahlen. Eventuell sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

D.
Mit Beschluss vom 15. Januar 2004 wurde dem Kläger die unentgeltliche
Rechtspflege gewährt und es wurde ihm ein Anwalt beigestellt.

E.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Kläger rügt zunächst, die Vorinstanz habe Art. 8 ZGB verletzt, indem sie
auf die Aussagen der Auskunftsperson C.________ ohne das Vorliegen weiterer
Indizien abgestellt habe. Da C.________ noch immer bei der Beklagten arbeite
und sich mit der Behauptung, sie habe sich einen Führerausweis vorlegen
lassen, mindestens teilweise habe entlasten können, hätte ihre inhaltlich
bestrittene Aussage lediglich als Parteiaussage ohne erhöhte Beweiskraft
qualifiziert werden dürfen. Die Beklagte habe deshalb der ihr obliegenden
Beweispflicht nicht genügt, so dass sie die Folgen der Beweislosigkeit zu
tragen habe.

Mit diesem Vorbringen verkennt der Kläger, dass nach ständiger Praxis des
Bundesgerichts die Frage der Beweislastverteilung nach Art. 8 ZGB
gegenstandslos wird, wenn das Sachgericht in Würdigung der Beweise eine
Tatsache als bewiesen annimmt (BGE 118 II 142 E. 3a). Die Schlüsse, die das
kantonale Gericht in tatsächlicher Hinsicht aus Beweisen und konkreten
Umständen zieht, sind im Berufungsverfahren nicht überprüfbar (BGE 122 III
219 E. 3c mit Verweisen). Dies gilt auch für die Schlüsse, welche die
Vorinstanz aus der Aussage von C.________ gezogen hat.

2.
2.1 Der Kläger rügt, das Appellationsgericht habe eine Vertragsverletzung der
Beklagten bundesrechtswidrig verneint. Da sich die für die Beklagte tätige
C.________ anlässlich des streitigen Bezugs nach der PIN-Eingabe lediglich
einen Führerausweis der unbekannten Person habe vorweisen lassen, ohne dessen
Registrationsnummer zu notieren oder den Bezüger mittels Einholung einer
Unterschrift zu identifizieren, habe sie die der Beklagten nach der
PIN-Erklärung obliegende Vertragspflicht verletzt. Denn bei Bezügen von über
Fr. 10'000.-- sei nach dieser Erklärung immer eine Unterschrift zu verlangen.

2.2 Die von der Beklagten vorformulierte und vom Kläger unterzeichnete
PIN-Erklärung enthält folgenden Absatz:
"Der Unterzeichnete hat davon Kenntnis, dass bei Vorlegung der M-Kontokarte
und Eingabe der von ihm gewählten persönlichen Identifikations-Nummer Bezüge
vom entsprechenden Konto ohne weiteren Identitätsnachweis möglich sind. Bei
Bezügen unter Fr. 10'000.-- wird keine Unterschrift des Kunden bzw. des
Bevollmächtigten verlangt. Die Bank behält sich aber das Recht vor, den
Identitätsnachweis und/oder eine Unterschrift zu verlangen. Der Kunde
verpflichtet sich für sich und seine Bevollmächtigten, dass seine persönliche
Identifikations-Nummer streng geheim gehalten wird. Er anerkennt alle auf
seinem Konto, unter Anwendung seiner persönlichen Identifikations-Nummer
vorgenommenen Belastungen. Für Schäden, die aus missbräuchlicher Verwendung
der persönlichen Identifikations-Nummer entstehen, übernimmt der Kunde die
Haftung, sofern kein Verschulden der Bank vorliegt."
2.3 Die Vorinstanz hat diese Erklärung in dem Sinne ausgelegt, dass bei
Bezügen über Fr. 10'000.-- eine weitere Identitätsprüfung vereinbart sei, und
zwar entweder die Kontrolle eines vorgelegten Ausweispapiers oder das
Einholen einer Unterschrift. Der Kläger vertritt dagegen die Ansicht, diese
Wahlmöglichkeit bei der Identitätsprüfung sei nur für die der Bank
vorbehaltene fakultative Kontrolle bei Bezügen unter Fr. 10'000.--
vereinbart, während nach dem Umkehrschluss aus dem vorhergehenden Satz bei
Bezügen über Fr. 10'000.-- immer eine Unterschrift des Kunden bzw. des
Bevollmächtigten verlangt werden müsse. Diese Auslegung ergebe sich aus dem
klaren Wortlaut der Erklärung, entspreche dem Verständnis des Kunden nach dem
Vertrauensprinzip und könne sich für die vorliegende allgemeine
Geschäftsbedingung auch auf die Unklarheitenregel stützen. Das Interesse des
Klägers an der Unterschrift liege darin, dass er bei Unterzeichnung durch die
unbekannte Person mit einem graphologischen Gutachten den Beweis hätte
erbringen können, dass eine Drittperson die Bezüge getätigt habe. Dies sei
ihm durch die Vertragsverletzung der Beklagten verunmöglicht worden.

2.4 Die Formulierung der PIN-Erklärung ist nach dem Vertrauensprinzip (vgl.
BGE 129 III 702 E. 2.4) in dem Sinne zu verstehen, wie sie der Kläger
auslegt. Die Beklagte vereinbart zunächst mit ihren Kunden, dass sie
Auszahlungen zu Lasten des Konto-Inhabers gegen Vorweisung der M-Kontokarte
und Eingabe des PIN-Codes gültig vornehmen kann, ohne die Berechtigung des
Bezügers zu überprüfen. Sodann wird festgehalten, dass eine Unterschrift für
Bezüge unter einem bestimmten Betrag nicht erforderlich ist. Diese Bestimmung
wäre überflüssig, wenn daraus allein die Bestätigung des ersten Satzes
abzuleiten wäre. Daraus ergibt sich durch Umkehrschluss, dass die
Unterschrift bei Bezügen über Fr. 10'000.-- trotz Vorweisung der M-Kontokarte
und Eingabe des PIN-Codes erforderlich ist, damit die Beklagte mit
befreiender Wirkung Auszahlungen zu Lasten des Konto-Inhabers vornehmen kann.
Dieses Verständnis wird durch den nächsten Satz bestätigt, in dem sich die
Beklagte vorbehält, auch bei kleineren Beträgen eine Identitätsprüfung - sei
es durch Unterschrift oder sonst wie - vorzunehmen. Dass die Beklagte die
Berechtigung des Empfängers für Auszahlungen ab einer bestimmten Höhe nicht
allein aufgrund der vorgewiesenen Kontokarte und des eingegebenen Codes
prüft, entspricht der Interessenlage der Parteien. Insbesondere wird dadurch
dem Schutzbedürfnis des Kunden Rechnung getragen. Denn dieser übernimmt nach
der - im Übrigen nicht auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfenden - PIN-Erklärung
grundsätzlich das Risiko für Auszahlungen aufgrund missbräuchlicher
Verwendung seines Codes.

2.5 Im vorliegenden Fall hat die Angestellte der Beklagten keine Unterschrift
des Empfängers verlangt, obwohl der ausbezahlte Betrag Fr. 10'000.--
überstieg. Der Kläger macht zu Recht geltend, dass die Hilfsperson der
Beklagten damit die in der PIN-Erklärung vereinbarte Regelung missachtete. Da
der Kläger vor dem 21. Mai 1999 einen unbestrittenen vertraglichen Anspruch
gegenüber der Beklagten auf Auszahlung von Fr. 15'700.-- hatte, obliegt der
Beklagten der Beweis, dass dieser Anspruch durch Erfüllung untergegangen ist
(BGE 128 III 271 E. 2a/aa mit Hinweisen). Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz trägt daher die Beklagte die Beweislast für die Auszahlung an den
Kläger oder an eine Person, die sie nach der vertraglichen Vereinbarung für
berechtigt halten durfte. Dass die Beklagte diesen Beweis tatsächlicher
Erfüllung ihrer Verpflichtung erbracht hätte, ergibt sich aus den
Feststellungen des sich auf die Ausführungen des Zivilgerichts stützenden
angefochtenen Urteils nicht. Ebenso wenig folgt dies aus den in Erwägung 3.4
des erstinstanzlichen Urteils aufgeführten Ungereimtheiten.

3.
Die Berufung ist gutzuheissen. Da die Beklagte ihre vertragliche
Verpflichtung zur Auszahlung des dem Kläger zustehenden Betrages nicht
erfüllt hat, bedarf es entgegen ihrer Ansicht nicht der Rückweisung an die
Vorinstanz zu näherer Abklärung, zumal die Beklagte weder die Höhe des dem
Kläger zustehenden Guthabens noch den Zins bestreitet. Der Hauptantrag der
Berufung ist vielmehr zu schützen und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger
den Betrag von Fr. 15'700.-- nebst Zins zu 5 % seit dem 21. Mai 1999 zu
bezahlen.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang ist die Gerichtsgebühr der Beklagten zu
auferlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat dem anwaltlich vertretenen Kläger
überdies die Parteikosten für das bundesgerichtliche Verfahren zu ersetzen
(Art. 159 Abs. 2 OG). Zufolge der unentgeltlichen Verbeiständung des Klägers
wird Rechtsanwalt Michael Kull, im Falle der Uneinbringlichkeit der
Parteientschädigung aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 2'500.--
ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 14. November 2003 wird aufgehoben und die Beklagte
wird verpflichtet, dem Kläger Fr. 15'700.-- nebst Zins zu 5 % seit dem 21.
Mai 1999 zu bezahlen.

2.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des kantonalen Verfahrens an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

4.
Die Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Februar 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: