Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.4/2004
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4C.4/2004 /bmt

Urteil vom 20. April 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Nyffeler, Bundesrichter Favre,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Mazan.

B.________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dominik
Infanger,

gegen

A.________,
Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andrea
Brüesch,

Solidarforderung aus ausseramtlicher Entschädigung; Verrechnung,

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer,
vom 3. November 2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteilen des Bezirksgerichtes Plessur vom 17. August 1999, des
Kantonsgerichtes Graubünden vom 15. Februar 2000 sowie zwei Urteilen des
Bundesgerichtes vom 6. Oktober 2000 wurde A.________ (Beklagter)
verpflichtet, X.________ und der Y.________ AG in Liquidation (...)
Prozessentschädigungen von insgesamt Fr. 66'958.-- zu bezahlen. Am 25.
Oktober 2000 zedierten X.________ und die Y.________ AG die erwähnten
Forderungen aus ausseramtlicher Prozessentschädigung an B.________ (Kläger).
Am 10. Januar 2003 liess sich der Kläger die besagten Forderungen erneut
abtreten, nachdem das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 28. Oktober 2002
(5P.265/2002) die Zession in einem obiter dictum als rechtswidrig und
ungültig erklärt hatte.

B.
Aufgrund eines früheren rechtskräftigen Schiedsgerichtsurteils steht dem
Beklagten gegen X.________ eine Forderung im Betrag von Fr. 197'600.-- zu.
Nachdem der Beklagte in Bezug auf die an den Kläger zedierte
Prozessentschädigung von Fr. 66'958.-- betrieben worden war, erklärte der
Beklagte die Verrechnung mit seiner Forderung gegenüber X.________ in der
Höhe von Fr. 197'600.--. Umstritten ist die Verrechenbarkeit der beiden
Forderungen. Nachdem es dem Kläger nicht gelungen war, im Rahmen des
summarischen Rechtsöffnungsverfahrens für die in Betreibung gesetzte
Forderung definitive Rechtsöffnung zu erhalten, verlangte er im ordentlichen
Verfahren, der Beklagte sei zu verpflichten, ihm Fr. 66'958.-- zuzüglich Zins
zu bezahlen. Mit Urteil vom 11. April 2003 hiess das Bezirksgericht Plessur
die Klage gut. Eine vom Beklagten dagegen erhobene Berufung hiess das
Kantonsgericht Graubünden mit Urteil vom 3. November 2003 gut, hob das Urteil
des Bezirksgerichts Plessur auf und wies die Klage ab.

C.
Mit Berufung vom 29. Dezember 2003 beantragt der Kläger dem Bundesgericht,
das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 3. November 2003
aufzuheben, das Urteil des Bezirksgerichts Plessur vom 11. April 2003 zu
bestätigen und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Fr. 66'958.--
zuzüglich Zins zu bezahlen. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen zur Beurteilung der Frage, ob die Forderungen den Gläubigern
X.________ und Y.________ AG in der Form der Bruchteilsgemeinschaft oder der
Gesamthandschaft zustehen.
Der Beklagte und das Kantonsgericht von Graubünden beantragen die Abweisung
der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.

D.
Mit Urteil vom heutigen Tag ist eine gleichzeitig erhobene staatsrechtliche
Beschwerde abgewiesen worden, soweit darauf einzutreten war.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorliegenden Fall ist umstritten, ob in Bezug auf die vom Beklagten
erklärte Verrechnung die Voraussetzung der Gegenseitigkeit der zu
verrechnenden Forderungen (Art. 120 Abs. 1 OR) erfüllt war. Dabei hatte das
Kantonsgericht zu prüfen, in welcher Form die Streitgenossen X.________ und
Y.________ AG an den Prozessentschädigungen von insgesamt Fr. 66'598.--
berechtigt waren. Nur wenn X.________ und die Y.________ AG als
Solidargläubiger an der vom Beklagten geschuldeten Prozessentschädigung von
Fr. 66'598.-- berechtigt waren, hätte der Beklagte durch Verrechnung mit der
ihm gegenüber X.________ zustehenden Forderung von Fr. 197'600.-- seine
Schuld tilgen können.

2.
Der Kläger vertritt im Wesentlichen den Standpunkt, dass X.________ und die
Y.________ AG in ihrer Eigenschaft als Streitgenossen eine einfache
Gesellschaft gebildet hätten. Dabei seien die Prozessentschädigungen den
Streitgenossen gemäss Art. 544 Abs. 1 OR als Gesamthandsgläubiger
zugesprochen worden. Demgegenüber geht die Vorinstanz im angefochtenen Urteil
davon aus, dass X.________ und die Y.________ AG an den
Prozessentschädigungen als Solidargläubiger berechtigt seien. Zur Begründung
wurde im Hauptstandpunkt ausgeführt, die damaligen Prozessparteien seien sich
aufgrund einer Vereinbarung tatsächlich darin einig gewesen, dass die
Prozessentschädigungen den Streitgenossen solidarisch zustünden. Im
Eventualstandpunkt wurde ausgeführt, dass unabhängig von einem
übereinstimmenden Willen der Beteiligten ohnehin davon auszugehen wäre, dass
eine gemeinsame Prozessentschädigung an mehrere obsiegende Parteien ohne
anders lautende Anordnung als Solidarforderung zu betrachten sei.

3.
Gemäss Art. 150 Abs. 1 OR entsteht Solidarität unter mehreren Gläubigern,
wenn der Schuldner erklärt, jeden einzelnen auf die ganze Forderung
berechtigen zu wollen, sowie in den vom Gesetze bestimmten Fällen. Eine
Solidarforderung entsteht somit entweder von Gesetzes wegen oder durch
vertragliche Abrede.

3.1 Vorweg ist festzuhalten, dass keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage
ersichtlich ist, welche vorsieht, dass mehrere obsiegende Streitgenossen an
der gemeinsam zugesprochenen Prozessentschädigung solidarisch berechtigt
sind. Weder das OG (Art. 159 OG) noch das kantonale Prozessrecht (Art. 122
ZPO/GR) klären nämlich die Frage, wie mehrere Streitgenossen an einer
gemeinsam zugesprochenen Prozessentschädigung berechtigt sind. Das OG
bestimmt nur, dass Streitgenossen in Bezug auf die ihnen auferlegte
Prozessentschädigung ohne ausdrückliche, anders lautende Regelung im
Dispositiv solidarisch verpflichtet sind (Art. 156 Abs. 7 OG i.V.m Art. 159
Abs. 5; Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation
judiciaire, Band III, Bern 1992, N. 8 zu Art. 156 und N. 6 zu Art. 159 OG).
Nicht ausdrücklich geregelt ist demgegenüber die hier interessierende Frage,
wie die Streitgenossen an der ihnen zugesprochenen Prozessentschädigung
berechtigt sind. Auch dem kantonalen Prozessrecht kann kein ausdrücklicher
Hinweis entnommen werden, wie die Streitgenossen an den von den kantonalen
Gerichten zugesprochenen Prozessentschädigungen berechtigt sind (Art. 122
ZPO/GR). Immerhin erscheint die Auffassung des Kantonsgerichtes nicht
abwegig, ohne anders lautende Anordnung im Urteil seien obsiegende
Streitgenossen an einer gemeinsam zugesprochenen Prozessentschädigung
solidarisch berechtigt, wie sie im Fall ihres Unterliegens auch solidarisch
zur Bezahlung einer Entschädigung verpflichtet seien. Wie es sich damit aber
im Einzelnen verhält, kann dahin gestellt bleiben, weil sich die
Solidargläubigerschaft der obsiegenden Streitgenossen aus einer vertraglichen
Abrede ergibt, wie im Folgenden zu zeigen ist.

3.2 Wie erwähnt hat das Kantonsgericht im Hauptstandpunkt festgehalten,
aufgrund des übereinstimmenden wirklichen Willens der damaligen
Prozessparteien sei davon auszugehen, dass die Streitgenossen an den
Prozessentschädigungen solidarisch berechtigt seien. Zur Begründung wurde
dabei einerseits auf ein Schreiben des Vertreters der Streitgenossen an den
Beklagten vom 10. Oktober 2000 verwiesen, in welchem dieser aufgefordert
wurde, die gesamte Prozessentschädigung der Y.________ AG - und nicht den
Streitgenossen zur gesamten Hand bzw. anteilsmässig - zu bezahlen.
Andrerseits habe der Beklagte anlässlich der Rechtsöffnungsverhandlung vom
13. Juni 2001 durch seine Verrechnungserklärung zum Ausdruck gebracht, dass
er durch die Leistung an einen Gläubiger sich zugleich von der Forderung des
anderen Gläubigers befreien wolle. Diese tatsächliche Feststellung über den
wirklichen Willen der Parteien beruht auf Beweiswürdigung und ist im
Berufungsverfahren für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG, BGE
127 III 444 E. 1b S. 445). Soweit sich die Berufung gegen diese Feststellung
richtet, ist darauf nicht einzutreten (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Im Übrigen
erweist sich die Berufung insoweit als unbegründet, als das Zustandekommen
einer vertraglichen Abrede mit dem Hinweis bestritten wird, eine allfällige
Offerte, welche die Vorinstanz im Schreiben vom 10. Oktober 2000 erblicke,
sei frühestens durch die Verrechnungserklärung vom 13. Juni 2001 angenommen
worden, in welchem Zeitpunkt die Offerenten aber längst nicht mehr an ihr
Angebot gebunden gewesen seien (Art. 5 Abs. 1 OR). Dazu ist zu bemerken, dass
weder geltend gemacht wurde noch anzunehmen ist, dass die Streitgenossen am
13. Juni 2001 nicht mehr bereit gewesen wären, die Bezahlung der
Prozessentschädigung an einen der Streitgenossen als Erfüllung mit
befreiender Wirkung entgegenzunehmen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie
auch damals an ihr Angebot noch gebunden sein wollten, so dass die
Vereinbarung durch Abgabe der Annahmeerklärung seitens des Beklagten zum
Abschluss gebracht werden konnte (Art. 5 Abs. 3 OR). Im Übrigen überzeugt
auch der Hinweis des Klägers nicht, dass der Beklagte am 26. Oktober 2000 von
beiden Streitgenossen betrieben worden sei, wodurch diese zum Ausdruck
gebracht hätten, dass die Zahlung an beide Streitgenossen (als
Gesamthandsgläubiger) und nicht an einen der Streitgenossen (als
Solidargläubiger) zu erbringen sei. Dazu hat die Vorinstanz zutreffend
ausgeführt, dass eine durch mehrere Gläubiger eingeleitete Betreibung
betreibungsrechtlich nicht nur für Gesamthandsforderungen, sondern auch für
Solidarforderungen zulässig sei (BGE 71 III 164 ff.). Insgesamt kann somit
festgehalten werden, dass die damaligen Streitgenossen aufgrund einer
vertraglichen Abrede mit dem Beklagten an den damals zugesprochenen
Prozessentschädigungen von Fr. 66'958.-- als Solidargläubiger berechtigt
waren.

3.3 Nachdem sich ergeben hat, dass die Vorinstanz das Vorliegen einer
vertraglichen Vereinbarung in Bezug auf die Solidargläubigerschaft der
Streitgenossen zutreffend bejaht hatte, kann die umstrittene Frage, ob die
Streitgenossen eine einfache Gesellschaft im Sinne der Art. 530 ff. OR
gebildet hatten, offen gelassen werden. Zwar werden die Gesellschafter in
Bezug auf die von der einfachen Gesellschaft erworbenen Ansprüche gemäss Art.
544 Abs. 1 OR Gläubiger zur gesamten Hand, doch handelt es sich bei dieser
gesetzlich vorgesehenen gemeinschaftlichen Gläubigerschaft nur um
dispositives Gesetzesrecht (anstatt vieler: Pestalozzi/Wettenschwiler,
a.a.O., N. 3 und 5 zu Art. 544 OR). Die erwähnte vertragliche Abrede zwischen
den damaligen Prozessparteien, wonach die obsiegenden Streitgenossen an den
Prozessentschädigungen als Solidargläubiger berechtigt sind, hätte somit auch
dann Bestand, wenn die Streitgenossen effektiv eine einfache Gesellschaft
gebildet hätten, wie dies der Kläger geltend macht.

4.
Wenn aber von einer Solidargläubigerschaft der damaligen Streitgenossen
auszugehen ist, bedeutet dies einerseits, dass jeder Solidargläubiger
berechtigt war, die ganze Leistung an sich selbst zu verlangen. Andrerseits
gilt jedoch in Bezug auf die Erfüllbarkeit auch, dass der Schuldner jedem
Gläubiger mit befreiender Wirkung leisten konnte (anstatt vieler:
Gauch/Schluep/Rey/Schmid, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, Band II, 8. Auflage, Zürich 2003, Rz. 3776). Damit stand aber dem
Kläger die Möglichkeit offen, bezüglich der unter anderem auch gegen
X.________ geschuldeten Prozessentschädigung von Fr. 66'598.-- die
Verrechnung mit einer Forderung in der Höhe von Fr. 197'600.--, die ihm gegen
X.________ zustand, zu erklären. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit von
Haupt- und Verrechnungsforderung als Voraussetzung für die Verrechnung war
damit erfüllt. Die weiteren Voraussetzungen der Verrechnung sind nie
umstritten gewesen. Das Kantonsgericht hat daher im zutreffend festgehalten,
dass die vom Kläger in seiner Eigenschaft als Abtretungsgläubiger geltend
gemachte Prozessentschädigung von Fr. 66'598.-- durch Verrechnung mit einer
Forderung in der Höhe von Fr. 197'600.-- vollständig getilgt worden ist. Die
Klage ist daher zu Recht abgewiesen worden.

5.
Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Kläger kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Kläger auferlegt.

3.
Der Kläger hat den Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren  mit Fr.
3'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. April 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: