Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.49/2004
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4C.49/2004 /lma

Urteil vom 30. März 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Nyffeler, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Charif Feller.

A. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Advokat Reto Forrer,

gegen

B.________,
Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Advokat Dr. Michael Hopf.

Aktienkauf; Suspensivbedingung,

Berufung gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 12. Dezember 2003.

Sachverhalt:

A.
Die A.________ AG (Klägerin) war Alleinaktionärin der C.________ SA (bis 1.
April 1998: D.________ SA). B.________ (Beklagter) war Delegierter des
Verwaltungsrates und Geschäftsführer. Im Zuge einer Kapitalerhöhung vom 15.
Juli 1997 erwarb der Beklagte 100 Aktien mit Nominalwert von je Fr. 1'000.--
der C.________ SA, die er vollständig liberierte. Fr. 30'000.-- verrechnete
er mit ausstehenden Lohnforderungen, Fr. 70'000.-- leistete er in bar. Zuvor
schlossen die Parteien folgende Vereinbarung vom 2. Juli 1997:
"1.Die A.________ AG ... verpflichtet sich, die im Eigentum von B.________
stehenden 100 Aktien im Nominalwert von je Fr. 1'000.- zum Nominalwert
zurückzukaufen, falls
a)B.________ mit der D.________ nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis steht,
oder
b)zum Zeitpunkt, in welchem B.________ das 60. Altersjahr erreicht hat.

2. B.________ verpflichtet sich demgegenüber, keinerlei Verfügungen über
seine Aktien der D.________ zu treffen, welche die Kaufverpflichtung der
A.________ AG verunmöglichen würde."
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2000 kündigte die C.________ SA den
Arbeitsvertrag mit dem Beklagten auf den 31. Dezember 2000. Auf diesen
Zeitpunkt wurde das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Am 22. Dezember 2000
bestätigte der Beklagte gegenüber der C.________ SA seine Bereitschaft, den
Direktionsposten aufzugeben, sofern verschiedene Bedingungen erfüllt würden,
insbesondere der Rückkauf der Aktien durch die Klägerin. Mit Schreiben seines
Rechtsvertreters vom 1. Februar 2001 verlangte der Beklagte von der Klägerin
den Rückkauf der 100 Aktien zum Nominalwert von je Fr. 1'000.--. Am 8.
Februar 2001 wurde der Konkurs über die C.________ SA eröffnet. Da die
Klägerin den Preis von Fr. 100'000.-- nicht bezahlte, leitete der Beklagte
die Betreibung ein. Die Klägerin erhob Rechtsvorschlag. Gestützt auf die
Vereinbarung vom 2. Juli 1997 erteilte das Zivilgericht des Kantons
Basel-Stadt provisorische Rechtsöffnung.

B.
B.aAm 14. September 2001 erhob die Klägerin beim Zivilgericht des Kantons
Basel-Stadt Aberkennungsklage und beantragte die Feststellung, dass sie dem
Beklagten den Betrag von Fr. 100'000.-- nicht schulde. Mit Urteil vom 24.
Oktober 2002 wies das Zivilgericht die Klage ab. Zur Begründung erwog es, der
Wortlaut der Vereinbarung vom 2. Juli 1997 sei klar. Bei Eintritt einer der
Bedingungen kaufe die Klägerin die 100 Aktien des Beklagten zu deren
Nominalwert zurück. Der Beklagte wiederum dürfe keine Verfügungen über diese
Aktien treffen, welche die Kaufverpflichtung verunmöglichen würde. Im
Aussenverhältnis sei der Beklagte Alleineigentümer der Aktien und
Vollrechtsinhaber, seine Verfügungsmacht sei jedoch durch die obligatorische
Vereinbarung vom 2. Juli 1997 stark eingeschränkt, womit die Vereinbarung
einen wesentlichen Charakterzug des fiduziarischen Rechtsgeschäftes trage.
Entsprechend diesem Charakter sei das Tragen der wirtschaftlichen Risiken und
Chancen durch die Klägerin Teil der Vereinbarung. Mit dem Eintritt einer der
beiden Suspensivbedingungen (Auflösung des Arbeitsverhältnisses) habe die
Klägerin die Aktien zurückzukaufen. Den Einwand der Klägerin, wonach die
Erfüllung der Verpflichtung des Beklagten durch den Konkurs der C.________ SA
unmöglich geworden sei, verwarf das Zivilgericht ebenso wie den Vorwurf des
Rechtsmissbrauchs.

B.b Am 12. Dezember 2003 bestätigte das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt das erstinstanzliche Urteil.

C.
Mit Berufung vom 27. Januar 2004 beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, es
sei das Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben und die Klage
gutzuheissen. Eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung. Das Appellationsgericht
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im Berufungsverfahren hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als wahr und vollständig zugrunde
zu legen, es sei denn, diese beruhten auf einem offensichtlichen Versehen,
seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen
oder bedürften der Ergänzung, weil das kantonale Gericht in fehlerhafter
Rechtsanwendung einen gesetzlichen Tatbestand nicht oder nicht hinreichend
klärte, obgleich ihm die entscheidwesentlichen Behauptungen und Beweisanträge
frist- und formgerecht unterbreitet wurden (vgl. Art. 63 und 64 OG; BGE 127
III 248 E. 2c). Eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung des Sachrichters
ist, soweit nicht Vorschriften des Bundesrechts in Frage stehen, im
Berufungsverfahren ausgeschlossen (BGE 127 III 73 E. 6a).

2.
2.1 Die Vorinstanzen haben erkannt, mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses
am 31. Dezember 2000 sei eine der Bedingungen der Vereinbarung vom 2. Juli
1997 eingetreten, womit die Klägerin die Aktien zurückzukaufen habe.

Die Klägerin anerkennt den Eintritt der Bedingung, rügt aber eine Verletzung
von Art. 2 ZGB, indem die Vorinstanzen ein Verhalten des Beklagten wider Treu
und Glauben verneint hätten. Dabei beschränkt sie sich darauf, den
Sachverhalt aus ihrer Sicht zu schildern und legt dar, weshalb nach ihrer
Auffassung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf den 31. Dezember 2000
praktisch im alleinigen Interesse des Beklagten gelegen habe und es daher
rechtsmissbräuchlich sei, wenn er sich nun auf diesen Umstand berufe und den
Rückkauf der Aktien verlange. Mit diesen Ausführungen zum Sachverhalt, die im
angefochtenen Urteil keine Stütze finden, ist die Klägerin im
Berufungsverfahren vor Bundesgericht nicht zu hören (vgl. Art. 55 Abs. 1 lit.
c OG). In der Klage hat sie ausgeführt, das Arbeitsverhältnis mit dem
Beklagten sei auf den 31. Dezember 2000 "in gegenseitigem Einvernehmen"
aufgelöst worden.

2.2 Gemäss den Vorinstanzen vermag der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis
relativ kurz vor der Eröffnung des Konkurses über die C.________ SA aufgelöst
worden und der Forderungsanspruch des Beklagten gegenüber der Klägerin erst
kurz vor dem Konkurserkenntnis entstanden ist, keinen Rechtsmissbrauch zu
begründen, zumal in der Vereinbarung vom 2. Juli 1997 klarerweise sämtliche
Risiken und Chancen der Klägerin überbunden worden seien.

Nach Meinung der Klägerin verstösst diese Auffassung gegen Art. 2 ZGB, indem
der Grundsatz der clausula rebus sic stantibus nicht beachtet worden sei. Die
Klägerin habe im Januar 1997 bei Abschluss der Vereinbarung nicht damit
rechnen müssen, dass die zur Übernahme bestimmten Aktien des Beklagten bei
Eintritt der Bedingung überhaupt nichts mehr wert sein würden. Dieser
Auffassung der Klägerin kann nicht gefolgt werden.
Wird das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nachträglich infolge
ausserordentlicher und unvorhersehbarer Änderung der Umstände erheblich
gestört, so kann das Beharren des Gläubigers auf seinem Vertragsanspruch als
rechtsmissbräuchlich erscheinen, wenn eine wucherische Ausbeutung dieses
Missverhältnisses vorliegt (BGE 122 III 97 E. 3a mit weiteren Hinweisen; vgl.
auch BGE 127 III 300 E. 5b). Dies entspricht der so genannten "clausula rebus
sic stantibus", welche unterstellt, dass die Parteien bei Vertragsabschluss
stillschweigend vom Fortbestand bestimmter Verhältnisse ausgingen. Diese
Annahme ist ausgeschlossen, wenn die Parteien beim Abschluss des Vertrages
voraussehen konnten, dass sich die bestehenden Verhältnisse ändern werden.
Die Voraussehbarkeit ist jedoch zu verneinen, wenn mit einer Veränderung wie
etwa einer Gesetzesänderung als solcher zwar zu rechnen war, nicht aber mit
deren Art, Umfang und Auswirkung auf den Vertrag. Sehen die Parteien davon
ab, eine Anpassung an voraussehbare Änderungen vorzusehen, so ist von einem
Verzicht auf eine Vertragsanpassung auszugehen (Urteil 4C.246/2002 vom 30.
Oktober 2002, E. 3.5).

Vorliegend war die Wertänderung der Aktien ein vorhersehbarer Umstand,
weshalb die Berufung auf die clausula rebus sic stantibus von vornherein fehl
geht. Denn eine richterliche Vertragsanpassung aufgrund der clausula rebus
sic stantibus setzt jedenfalls voraus, dass die nachträgliche erhebliche
Störung von Leistung und Gegenleistung infolge ausserordentlicher und
unvorhersehbarer Änderung der Umstände eingetreten ist (BGE 122 III 97 E.
3a), was in casu nicht zutrifft. Die Vereinbarung vom 2. Juli 1997 sieht
nicht vor, dass sich der Kaufpreis entsprechend dem Wert der Aktien ändert
oder die Kaufverpflichtung der Klägerin bei einem Konkurs der C.________ SA
dahinfällt. Demnach ist von einem Verzicht auf eine Vertragsanpassung
auszugehen.

3.
Im weiteren rügt die Klägerin eine Verletzung der Vorschrift über die
Gefahrentragung (Art. 185 Abs. 1 OR in Verbindung mit Abs. 3). Die Regel
"periculum est emptoris" könne in casu keine Anwendung finden, insbesondere
deswegen, weil der Beklagte die Aktienentwertung massgeblich zu vertreten
habe. Ohnehin gehe nach einer Auffassung in der Doktrin wegen der "besonderen
Verhältnisse" Nutzen und Gefahr beim Aktienkauf erst mit dem Vollzug des
Kaufvertrages auf den Käufer über.
Die Klägerin übersieht, dass die Vorinstanzen ihren Entscheid nicht in
Anwendung von Art. 185 OR gefällt haben. Vielmehr qualifizierten sie die
Vereinbarung vom 2. Juli 1997 als Rechtsgeschäft mit fiduziarischem
Charakter, welches das Tragen der wirtschaftlichen Risiken und Chancen durch
die Klägerin mitumfasste. Wie die Vorinstanzen verbindlich festgestellt
haben, enthält die Vereinbarung vom 2. Juli 1997, die vom Verwaltungsrat der
Klägerin, Advokat, mitunterzeichnet wurde, keine Klausel, wonach bei Aufleben
der Rückkaufverpflichtung der tatsächliche Wert der Aktien dem Nominalwert
entsprechen müsse. Massgebend sei folglich einzig der klare Wortlaut der
Vertrages. Die Klägerin legt nicht dar, inwiefern diese Beurteilung der
Vorinstanzen bundesrechtswidrig sein soll (vgl. Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).

Selbst wenn Art. 185 OR Anwendung fände, ginge die Rüge der Klägerin fehl.
Die von ihr zitierte Literaturstelle (Rolf Watter, Unternehmensübernahmen,
Zürich 1990, N. 286, S. 138) bezieht sich auf den Kauf einer Gesellschaft
oder eines kontrollierenden Aktienpaketes. Ein solcher Vertrag ist hier nicht
zu beurteilen. Das Bundesgericht hat sich in BGE 128 III 370 eingehend mit
Art. 185 OR auseinander gesetzt und festgehalten, dass trotz restriktiver
Interpretation die Ausnahmen nicht zur Regel werden dürften (E. 4a). Es hat
die allgemeine Regel über die Gefahrentragung angewendet auf einen Fall, der
die Sukzessivlieferung von Aktien einer Aktiengesellschaft betraf, welche vor
Vertragserfüllung in Konkurs gefallen war (E. 4d). Der vorliegende Fall ist
ähnlich gelagert und auch hier bestünde kein Grund, von der allgemeinen Regel
über die Gefahrentragung abzuweichen.

4.
Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, die Erfüllung des Kaufvertrages
durch den Beklagten sei durch den Konkurs der C.________ SA unmöglich
geworden (Art. 119 Abs. 1 OR). Dabei habe der Beklagte durch
Pflichtverletzungen die Unmöglichkeit verursacht.

Die Vorinstanzen haben zutreffend erwogen, dass im Zeitpunkt der Entstehung
des Anspruchs auf Bezahlung des Kaufpreises die Leistung des Beklagten
möglich war. Zu jenem vor Konkurseröffnung gelegenen Zeitpunkt hatten die
Aktien Bestand und konnten der Klägerin übertragen werden, gleichviel, wie
hoch ihr Wert war. Die Rüge einer Verletzung von Art. 119 in Verbindung mit
Art. 97 OR erweist sich als unbegründet.

5.
Die Klägerin wirft den Vorinstanzen vor, Art. 156 OR nicht beachtet zu haben.
Der Beklagte habe die ordnungsgemässe Erfüllung der Vereinbarung von 2. Juli
1997 durch sein pflichtwidriges Verhalten verunmöglicht, indem er die
C.________ SA heruntergewirtschaftet und anschliessend den übrigen
Beteiligten geschönte Zahlen vorgelegt habe. Dieses Verhalten des Beklagten
verstosse gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und verdiene keinen
Rechtsschutz.

Die Vorinstanzen haben im Zusammenhang mit der geltend gemachten
Sorgfaltswidrigkeit des Beklagten auf die Klage aus aktienrechtlicher
Verantwortlichkeit verwiesen, wozu die Klägerin indessen nicht legitimiert
sei, wobei ohnehin die materiellen Voraussetzungen der
Verantwortlichkeitsklage weder genügend quantifiziert noch substanziiert
wären. Selbst für den Fall, dass sich der Beklagte sorgfaltswidrig verhalten
haben sollte, hätten diese Sorgfaltswidrigkeiten kein Ausmass angenommen, das
den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs begründen würde.

Indem die Klägerin diesen Erwägungen lediglich ihre Sachverhaltsdartellung
betreffend angebliche Pflichtverletzungen des Beklagten entgegenhält, vermag
sie keine Verletzung von Art. 156 OR und Art. 2 ZGB darzutun.

6.
Die Berufung erweist sich mithin als unbegründet und ist abzuweisen.
Ausgangsgemäss wird die Klägerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art.
156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat den Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
6'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: