Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.477/2004
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4C.477/2004 /ast

Urteil vom 1. Juni 2005

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Nyffeler, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Gelzer.

A. ________,
Kläger und Berufungskläger,
vertreten durch Rechtsanwältin Rahel Bächtold,

gegen

B.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Jakob.

Arbeitsvertrag; arbeitsrechtliche Ansprüche,

Berufung gegen den Entscheid der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St.
Gallen vom 11. November 2004.

Sachverhalt:

A.
A. ________ war seit 1996 Arbeitnehmer bei der B.________ AG mit Sitz in Wil
(nachstehend: Arbeitgeberin). Im Frühling 2001 trafen die Parteien eine
mündliche Vereinbarung bezüglich der Honorierung, welche die Arbeitgeberin
gemäss der Beilage 1 ihres Schreibens vom 21. Mai 2001 wie folgt bestätigte:

"Entschädigungen an Herrn A.________ rückwirkend
per 1.1.2001

Monatssalär brutto  Fr. 7'500.--
Büroentschädigung, monatlich  Fr. 500.--,
Krankenkasse, monatlich  Fr. 484.40 1)
Risikoversicherung monatlich  Fr. 482.50 1)

1) Diese Beträge werden von unserer Firma direkt bezahlt und gelten als
Vorschusszahlungen an das Guthaben aus Provisionen.

Die Spesenvergütung nach Belegen und die Vergütung der Garagenmiete (Fr.
135.-- monatlich) bleiben unverändert."

In der Beilage 2 wurden die Provisionsansprüche geregelt.

Im Februar 2003 verhandelten die Parteien ohne Erfolg über eine Neuregelung
des Lohnes. Ab Februar 2003 bezahlte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer einen
Fixlohn von Fr. 7'500.-- brutto und eine Spesenpauschale von Fr. 900.--,
wogegen der Arbeitnehmer protestierte. Am 30. Mai 2003 kündigte die
Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis auf Ende Juli 2003.

B.
Am 10. November 2003 klagte der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht
Alttoggenburg-Wil gegen die Arbeitgeberin auf Zahlung von Fr. 11'307.-- netto
nebst Zins. Zur Begründung machte der Kläger geltend, die Beklagte schulde
ihm in diesem Umfang Lohn, anteilsmässigen 13. Monatslohn, Spesen und
Krankenkassenprämien.

Die Beklagte schloss auf Abweisung der Klage und erhob Widerklage. Mit dieser
verlangte die Beklagte insbesondere die Bezahlung von Schadenersatz von
maximal Fr. 50'000.-- wegen schlechter Arbeitserfüllung und von Fr. 1'000.--
wegen Beschädigung des Firmenfahrzeugs. Zudem sei der Kläger zu verpflichten,
Darlehen von insgesamt Fr. 12'000.--, Kindergelder von Fr. 720.-- und
Privatbezüge von Fr. 219.50 zurückzuzahlen.

Mit Urteil vom 16. März 2004 schützte das Arbeitsgericht Alttoggenburg-Wil
die Klage im Umfang von Fr. 8'894.50 netto nebst Zins und wies die Widerklage
ab, soweit es darauf eintrat.

Die Beklagte erhob beim Kantonsgericht St. Gallen Berufung mit den Anträgen,
das erstinstanzliche Urteil sei aufzuheben, die Klage abzuweisen und die
Widerklage im Umfang von Fr. 20'316.25 nebst Zins gutzuheissen.

Das Kantonsgericht ging davon aus, dem Kläger stünde ein anteilsmässiger
Anspruch auf einen 13. Monatslohn für die Zeit von Februar bis Juli 2003 von
Fr. 3'553.-- netto zu. Dagegen verneinte es einen Anspruch des Klägers auf
Zahlung von Fr. 5'700.-- wegen zu Unrecht abgezogenen Essenspauschalen, da es
annahm, die Beklagte habe in diesem Umfang ab dem Jahr 2001 irrtümlich
Essenspauschalen von monatlich Fr. 300.-- geleistet.

Weiter ging das Kantonsgericht davon aus, die Widerklage sei grundsätzlich
unzulässig, da sie den Streitwert von Fr. 30'000.-- übersteige und damit die
Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht gegeben gewesen sei. Daran ändere die
von der Beklagten vorgenommene Verminderung ihrer Forderungen nach
Rechtshängigkeit der Widerklage nichts. Unabhängig davon sei die Widerklage
als konkludente Verrechnungseinrede zu verstehen. Demnach sei zu prüfen, ob
die dem Kläger zuerkannten Forderungen durch Verrechnung mit Gegenforderungen
der Beklagten untergegangen seien. Dies sei insoweit der Fall, als der Kläger
von der Beklagten anerkanntermassen Fr. 720.-- zu viel an Kindergelder
erhalten habe, ohne diese Reduktion in der Schlussabrechnung vorzunehmen.
Dagegen seien die von der Beklagten erhobenen Schadenersatzforderungen für
die Beschädigung des Firmenfahrzeugs und für den Kauf von Schildern
unbegründet. Weiter mache die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung von
zwei Darlehen in der Höhe von je Fr. 6'000.-- geltend, welche sie dem Kläger
am 12. August 2002 und am 20. Dezember 2002 gewährt habe. Der Kläger
anerkenne, die entsprechenden Zahlungen erhalten zu haben, er mache jedoch
geltend, die Beklagte habe damit im ersten Fall einen Bonus bzw. eine
Gratifikation für das Jahr 2001 und im zweiten Fall die vertraglich
geschuldeten Prämien für die Lebensversicherung bezahlt. Bei den fraglichen
Zahlungen handle es sich entweder um Darlehen (bzw. Vorschüsse) oder um die
Tilgung von Ansprüchen des Klägers. Ein anderer Rechtsgrund werde von den
Parteien nicht geltend gemacht. Bezüglich der Zahlung vom Dezember 2002 sei
plausibel, dass sie zur Tilgung ausstehender Prämien im Umfang von Fr.
5'789.-- geleistet worden seien, zumal der Kläger der Beklagten die Differenz
in der Abrechnung vom 31. Dezember 2002 wieder gutgeschrieben habe.
Demgegenüber sei in Bezug auf die Zahlung vom 12. August 2002 von einem
Vorschuss auszugehen, da es dem Kläger nicht gelinge nachzuweisen, dass über
die schriftlich vereinbarte Lohn- und Provisionsansprüche hinaus im Jahr 2002
rückwirkend für das Jahr 2001 ein Bonus vereinbart worden wäre. Demzufolge
habe die Beklagte eine Verrechnungsposition von Fr. 6'000.--. Zusammenfassend
ergebe sich, dass der Forderung des Klägers über Fr. 3'553.-- eine grössere
Verrechnungsforderung entgegenstehe, so dass die Klage abzuweisen sei. Gemäss
diesen Erwägungen erliess das Kantonsgericht St. Gallen am 11. November 2004
folgendes Urteil:

" 1. Die Klage wird abgewiesen.

2.  Auf die Widerklage wird nicht eingetreten.

3.  Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.  Die Beklagte entschädigt den Kläger für das Rechtsmittelverfahren mit
   Fr. 1'200.--."

C.
Der Kläger hat das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 11. November
2004 sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde als auch mit eidgenössischer
Berufung angefochten.

Mit der Berufung beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil sei in den
Entscheidziffern 1 und 4 aufzuheben und die Beklagte sei zu verpflichten, dem
Kläger Fr. 8'171.-- netto nebst 5 % Zins seit 10. November 2003 zu bezahlen
und ihn für das vorinstanzliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
Eventualiter sei der Prozess zur Durchführung eines Beweisverfahrens
zurückzuweisen.

Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten
werden könne.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Ist ein kantonales Urteil gleichzeitig mit staatsrechtlicher Beschwerde und
mit Berufung angefochten, wird in der Regel der Entscheid über letztere bis
zur Erledigung der staatsrechtlichen Beschwerde ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5
OG). Von diesem Grundsatz ist abzuweichen, wenn die Berufung unabhängig vom
Ausgang des Beschwerdeverfahrens gutgeheissen werden kann (BGE 114 II 239 E.
1b S. 240). Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die teilweise Gutheissung
der Berufung unabhängig vom Beschwerdeverfahren zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils führt. Die Berufung ist damit vorweg zu behandeln.

2.
2.1 Der angefochtene Endentscheid ist berufungsfähig, da er eine
Zivilrechtsstreitigkeit mit einem Streitwert von über Fr. 8'000.-- betrifft
und er mit keinem ordentlichen kantonalen Rechtsmittel angefochten werden
kann (Art. 46 und Art. 48 Abs. 1 OG). Auf die form- und fristgerechte
Berufung ist daher grundsätzlich einzutreten.

2.2 Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen
Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, sofern sie nicht
offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zu Stande gekommen oder wegen fehlerhafter Rechtsanwendung
im kantonalen Verfahren zu ergänzen sind (Art. 63 Abs. 2 und 64 Abs. 2 OG).
Die Partei, welche den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt berichtigt
oder ergänzt wissen will, hat darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu
machen (Art. 55 Abs. 1 lit c OG). Für eine blosse Kritik an der
Beweiswürdigung der Vorinstanz ist die Berufung nicht gegeben (BGE 127 III
248 E. 2c; 115 II 484 E. 2a S. 486).
Der Kläger ist nicht zu hören, soweit er - ohne eine der genannten Ausnahmen
von der Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz geltend zu machen - von einem Sachverhalt ausgeht, der von diesen
Feststellungen abweicht. Dies gilt namentlich für die Angabe, das
Kantonsgericht habe eine irrtümliche Bezahlung von Essenspauschalen
angenommen, obwohl tatsächliche Feststellungen gefehlt hätten, aus denen auf
einen Irrtum der Beklagten hätte geschlossen werden können.

2.3 Weiter macht der Kläger geltend, die Vorinstanz habe ihm bezüglich der
Essenspauschale das Recht auf Gegenbeweis ohne Begründung verwehrt, womit
Art. 8 ZGB verletzt worden sei.
Das Bundesgericht leitet aus Art. 8 ZGB insbesondere das Recht der
beweisbelasteten Partei ab, zum ihr obliegenden Beweis zugelassen zu werden,
soweit entsprechende Anträge im kantonalen Verfahren form- und fristgerecht
gestellt worden sind (BGE 126 III 315 E. 4a).

Da der Kläger nicht darlegt, welche prozesskonform vorgetragenen
Beweisanträge die Vorinstanz nicht zugelassen hätte, ist eine Verletzung des
aus Art. 8 ZGB abgeleiteten Beweisführungsanspruchs nicht dargetan.

3.
3.1 Der Kläger bringt sinngemäss vor, die Beklagte habe widerklage- bzw.
verrechnugsweise die Forderung auf Rückzahlung eines Darlehens geltend
gemacht. Demnach habe die Beklagte die anspruchsbegründenden Tatsachen des
Darlehens nachzuweisen. Die Vorinstanz habe die Beweislast bundesrechtswidrig
verteilt, indem sie diesen Beweis nicht von der Beklagten verlangt, sondern
dem Kläger den Beweis auferlegt habe, dass die Zahlung von Fr. 6'000.-- in
Erfüllung einer arbeitsrechtlichen Forderung bezahlt worden sei. Daraus
folge, dass die Beklagte und nicht der Kläger die von der Vorinstanz
angenommene Beweislosigkeit tragen müsse.

3.2 Gemäss Art. 8 ZGB hat, wo das Gesetz nichts anderes bestimmt, derjenige
das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte
ableitet.

3.3 Im vorliegenden Fall leitet die Beklagte aus einem Darlehensvertrag
Rechte ab, weshalb sie den Abschluss eines solchen Vertrages nachzuweisen
hat. Ist ihr dieser Beweis gelungen, so kann der Kläger den Gegenbeweis
führen. Die Vorinstanz hat demnach die Beweislast unzutreffend verteilt, wenn
sie, ohne von einem nachgewiesenen Darlehensvertrag auszugehen, dem Kläger
direkt den Gegenbeweis auferlegte, indem sie von ihm den Nachweis verlangte,
dass die umstrittenen Fr. 6'000.-- zur Tilgung arbeitsrechtlicher Forderungen
bezahlt wurden. Da die Vorinstanz zum Nachweis des Darlehensvertrages durch
die Beklagte keine Feststellungen getroffen hat, ist der Sachverhalt
ergänzungsbedürftig, weshalb die Streitsache gemäss Art. 64 Abs. 1 OR zur
Vervollständigung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.

4.
Nach dem Gesagten ist die Berufung bezüglich der von der Vorinstanz zur
Verrechnung zugelassenen Darlehensforderung der Beklagten teilweise
gutzuheissen. Da diese Forderung im Dispositiv des angefochtenen Urteils
nicht separat aufgeführt wird, ist das angefochtene Urteil formell
vollumfänglich aufzuheben und die Streitsache gemäss dem Eventualantrag des
Klägers an die Vorinstanz zurückzuweisen. Gerichtskosten werden nicht
erhoben, weil eine arbeitsrechtliche Streitigkeit vorliegt, deren Streitwert
Fr. 30'000.-- nicht übersteigt (Art. 343 Abs. 2 und 3 OR). Da der Kläger nur
teilweise obsiegt, rechtfertigt es sich, die Parteikosten für das
bundesgerichtliche Berufungsverfahren wettzuschlagen (Art. 159 Abs. 3 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts St.
Gallen vom 11. November 2004 wird aufgehoben und die Sache wird zur Ergänzung
des Sachverhaltes und neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Die Parteikosten werden wettgeschlagen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts
St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Juni 2005

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: