Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.43/2004
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4C.43/2004 /dxc

Urteil vom 2. Juni 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Nyffeler, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Gelzer.

X. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Derrer,

gegen

Y.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Advokat Dr. Ernst Staehelin.

Speditionsvertrag; Lagervertrag,

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Zivil- und Strafrecht, vom 9. Dezember 2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Vertrag vom 10. Juli 1995 verpflichtete sich die Z.________ Transport AG,
später X.________ AG, Münchenstein, für die Y.________ AG, Zürich, zehn ihr
gehörende Computer-Komponenten von Genf nach Embrach zu transportieren und
dort in einem Lagerhaus aufzubewahren. Der Transport wurde am 2. August 1995
durchgeführt. Am 6. März 1996 besichtigte ein Vertreter der Y.________ AG die
Komponenten im Lagerhaus und stellte fest, dass einige davon beschädigt
waren.

Mit Urteil vom 19. April 2000 verpflichtete das Bezirksgericht Zürich die
Y.________ AG, der X.________ AG auf Grund ausstehender Lagerkosten   Fr.
6'065.30 nebst Zins zu 6 % seit 28. September 1966 sowie Kosten von Fr.
3'261.-- zu bezahlen.

B.
Am 8. Januar 2001 klagte die Y.________ AG (nachstehend: Klägerin) beim
Bezirksgericht Arlesheim gegen die X.________ AG (nachstehend: Beklagte) auf
Zahlung von Fr. 50'166.60 nebst 5 % Zins seit 2. August 1995. Zur Begründung
führte die Klägerin an, die Beklagte habe die Comupter-Komponenten beim
Transport beschädigt und dadurch in Verletzung des Fracht- und Lagervertrages
einen Schaden verursacht. Dieser setze sich aus dem Kaufpreis der
Computer-Komponenten von Fr. 40'000.--, den Demontagekosten der IBM von Fr.
9'585.--, dem Preis des Flugtickets Zürich-Genf von Fr. 447.-- und den Kosten
für die Hilfe beim Aufladen von Fr. 484.60 zusammen. Die Beklagte schloss auf
Abweisung der Klage und verlangte widerklageweise, die Klägerin auf Grund
ausstehender Lagergebühren für die Zeit vom September 1996 bis Juni 2001 zur
Zahlung von Fr. 18'722.40 nebst Zins zu verurteilen. Eventualiter stellte die
Beklagte die ihr vom Bezirksgerichts Zürich am 19. April 2000 zugesprochene
Forderung gegenüber der Klägerin zuzüglich Zins zur Verrechnung.

Das Bezirksgericht ging davon aus, die Beklagte sei bezüglich der Schäden an
den Computer-Komponenten als Lagerhalterin haftbar und kam gestützt auf zwei
Gutachten zum Ergebnis, der Schaden sei im Umfang von Fr. 3'600.--
nachgewiesen. Weiter verneinte das Bezirksgericht eine Forderung des
Beklagten aus Lagerhaltung und seine Möglichkeit die ihr vom Bezirksgericht
Zürich zugesprochene Forderung zur Verrechnung zu bringen. Demnach hiess es
mit Urteil vom 29. Januar 2003 die Klage im Umfang von Fr. 3'600.-- nebst
Zins zu 5 % seit 2. August 1995 gut und wies die Widerklage ab. Gegen dieses
Urteil appellierten beide Parteien beim Kantonsgericht Basel-Landschaft. Mit
Urteil vom 9. Dezember 2003 bestätigte es die Gutheissung der Klage im Umfang
von Fr. 3'600.-- nebst Zins zu 5 % seit 2. August 1995. Anders als das
Bezirksgericht hiess das Kantonsgericht die Widerklage im Umfang von Fr.
18'722.40 nebst Zins zu 6 % seit 1. Februar 1999 gut und stellte fest, dass
die Beklagte diese Forderung und die Forderung, welche ihr vom Bezirksgericht
Zürich am 9. Mai 2000 gegenüber der Klägerin zugesprochen wurde, mit
Forderungen der Klägerin verrechnen könne.

C.
Die Klägerin erhebt eidgenössiche Berufung mit den Anträgen, das Urteil des
Kantonsgerichts sei teilweise aufzuheben, die Klage vollumfänglich
gutzuheissen und die Widerklage abzuweisen. Eventualiter sei das Verfahren
zur Durchführung eines ergänzenden Beweisverfahrens an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen
Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, sofern sie nicht
offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zu Stande gekommen oder wegen fehlerhafter Rechtsanwendung
im kantonalen Verfahren zu ergänzen sind (Art. 63 Abs. 2 und 64 Abs. 2 OG).
Die Partei, welche den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt berichtigt
oder ergänzt wissen will, hat darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu
machen. Eine Ergänzung setzt zudem voraus, dass entsprechende
Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozessrechtskonform
aufgestellt, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich gehalten oder
übersehen worden sind, was wiederum näher anzugeben ist. Ohne diese Angaben
gelten Vorbringen, welche über die tatsächlichen Feststellungen im
angefochtenen Urteil hinausgehen, als unzulässige Noven (Art. 55 Abs 1 lit c
OG). Für eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz ist die
Berufung nicht gegeben (BGE 127 III 248 E. 2c; 115 II 484 E. 2a S. 486).

1.2  Das Kantonsgericht kam zum Ergebnis, die Klägerin habe einen  Fr.
3'600.-- übersteigenden Schaden nicht nachweisen können. Die Klägerin macht
demgegenüber geltend, sie habe den gesamten  eingeklagten Schaden mit
Urkunden bewiesen. Das Kantonsgericht habe willkürlich verneint, dass der
Schaden durch den Bericht der IBM bewiesen sei. Auf diese Rüge ist nicht
einzutreten, da damit unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der
Vorinstanz geübt wird, zumal die Klägerin ihr kein offensichtliches Versehen
vorwirft.

1.3  Weiter rügt die Klägerin, das Kantonsgericht habe Art. 8 ZGB verletzt.

1.3.1  Die bundesrechtliche Beweisvorschrift von Art. 8 ZGB regelt zunächst
die Verteilung der Beweislast; sie gewährleistet zudem der beweisbelasteten
Partei im gesamten Gebiet des Bundesprivatrechts das Recht, zum ihr
obliegenden Beweis zugelassen zu werden. Dieser bundesrechtliche
Beweisanspruch besteht jedoch nur für rechtserhebliche Tatsachen; er setzt
zudem voraus, dass im kantonalen Verfahren form- und fristgerecht
Beweisanträge gestellt worden sind (BGE 122 III 219 E. 3c, mit Hinweisen).

1.3.2  Im Einzelnen macht die Klägerin sinngemäss geltend, ihr
Beweisführungsanspruch sei dadurch verletzt worden, dass beide kantonalen
Instanzen ihr keine Gelegenheit gegeben hätten, Ergänzungsfragen zum Bericht
der IBM zu stellen.
Auf diese Rügen ist nicht einzutreten, weil die Klägerin damit nicht geltend
macht, form- und fristgerechte Beweisanträge seien in Verletzung von
Bundesrecht als unerheblich qualifiziert worden. Vielmehr rügt die Klägerin,
dass sie keine solche Anträge habe stellen können. Diese Frage betrifft
jedoch nicht den bundesrechtlichen Beweisführungsanspruch, sondern das
verfassungsmässige Recht auf rechtliches Gehör und das kantonale
Prozessrecht, deren Verletzung im Berufungsverfahren nicht gerügt werden kann
(Art. 43 Abs. 1 und Art. 55  Abs. 1 lit. c OG).

1.3.3  Alsdann bringt die Klägerin vor, das Kantonsgericht habe ihren
Beweisführungsanspruch verletzt, indem es neu eingereichten Unterlagen,
darunter das Schreiben der IBM vom 24. August 1998, und neue Beweismittel
bezüglich der angeblichen Verletzung der Schadenminderungspflicht zu Unrecht
aus dem Recht gewiesen habe.

Auf diese Rüge ist nicht einzutreten, weil sich die Zulässigkeit neuer
Beweismittel im kantonalen Verfahren nach kantonalem Prozessrecht richtet,
das im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann (Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG).

1.4  Nach dem Gesagten konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass sie im
kantonalen Verfahren form- und fristgerechte Beweisanträge gestellt hat,
welche die Vorinstanz zu Unrecht für unerheblich gehalten oder übersehen hat.

Demnach ist das Beweisverfahren nicht ergänzungsbedürftig, weshalb der Antrag

der Klägerin, das Verfahren zur Durchführung eines ergänzenden
Beweisverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen, abzuweisen ist.

2.
2.1 Das Kantonsgericht ging davon aus, eventuelle Schadenersatzansprüche aus
dem Frachtvertrag seien verjährt.

2.2  Die Klägerin rügt, diese Annahme verstosse gegen Bundesrecht. Das
Kantonsgericht habe ausser Acht gelassen, dass die einjährige Verjährung
gemäss Art. 454 OR nur zur Anwendung komme, wenn die Ware unter- oder
verlorengegangen sei. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu, da die Ware
beschädigt worden sei.

2.3  Ob Schadenersatzforderungen aus dem Frachtvertrag verjährt sind, ist
nicht entscheiderheblich, weil das Kantonsgericht gestützt auf den
Lagervertrag eine Haftung der Beklagten für den von der Klägerin geltend
gemachten Schaden bejahte. Auf die Rüge bezüglich der Verjährung der
Forderungen aus dem Frachtvertrag ist daher mangels eines hinreichenden
Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten (vgl. BGE 120 II 5 E. 20 S. 7). Im
Übrigen wäre die Rüge unbegründet, da die Verjährungsbestimmung in Art. 454
Abs. 1 OR entgegen der Meinung der Klägerin ausdrücklich auch Fälle erfasst,
in denen die Ware beschädigt worden ist.

3.
3.1 Das Kantonsgericht ging davon aus, der Beklagten stehe für die
Einlagerung
der Computer-Komponenten von September 1996 bis Juni 2001 ein vertraglich
vereinbartes Lagergeld in der Höhe von gesamthaft Fr. 18'722.40 zu. Die
Beklagte habe trotz der ihr rechtlich anzulastenden teilweisen Beschädigung
der Lagergutes ihre Pflichten nicht so schlecht erfüllt, dass sie ihren
Anspruch auf Lagergeld verwirkt habe.

3.2  Die Klägerin macht geltend, die Forderung der Beklagten auf Bezahlung
von
Lagerkosten verstosse gegen das Rechtsmissbrauchsverbot. Dies ergebe sich
daraus, dass die Beklagte die von ihr eingelagerten Computer-Komponenten
beschädigt habe, ohne die Klägerin zu benachrichtigen. Damit habe die
Beklagte ihre Verpflichtungen  verletzt, weshalb sie für die Lagerung keine
Entschädigung verlangen könne, zumal die Klägerin kein Interesse daran gehabt
habe, beschädigte und deswegen unverkäufliche Komponenten einzulagern und
dafür Miete zu bezahlen. Zudem habe die Beklagte während der ganzen
Prozessdauer ihre Schadenersatzpflicht bestritten und jegliche Mitwirkung zur
Schadensminderung verweigert.

3.3  Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz (Art.
2
Abs. 2 ZGB). Wann ein solcher Missbrauch vorliegt, ist anhand der konkreten
Umstände des Einzelfalles zu bestimmen, wobei die von der Lehre und
Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs zu beachten
sind. Zu diesen Fallgruppen ist die Rechtsausübung zu zählen, die ohne
schützenswertes Interesse erfolgt oder zu einem krassen Missverhältnis
berechtigter Interessen führen würde. Ebenso kann allgemein gesagt werden,
dass die Geltendmachung eines Rechts missbräuchlich ist, wenn sie im
Widerspruch zu einem früheren Verhalten steht und dadurch erweckte
berechtigte Erwartungen enttäuscht (BGE 129 III 493 E. 5.1 S. 497, mit
weiteren Hinweisen).

3.4  Gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz hat ein Vertreter der Klägerin am 6. März 1996 festgestellt, dass
ein Teil der eingelagerten Waren beschädigt waren.  Ab diesem Zeitpunkt war
der Klägerin - auch ohne Anzeige durch die Beklagte - die teilweise
Beschädigung der eingelagerten Waren bekannt. Dass die Klägerin danach der
Beklagten für die hier massgebliche Zeit vom September 1996 bis Juni 2001
mitteilte, nur die unbeschädigten Waren weiterhin bei ihr einlagern zu
wollen, hat das Kantonsgericht nicht festgestellt. Die Angabe der Klägerin,
sie habe bei der Beklagten nur unbeschädigte Waren lagern wollen, findet
demnach im angefochtenen Urteil keine Stütze und ist deshalb nicht zu hören
(vgl. E. 1.1 hiervor). Damit ist entgegen der Annahme der Klägerin ein
krasses Missverhältnis berechtigter Interessen und damit auch ein Verstoss
gegen das Rechtsmissbrauchsverbot nicht ersichtlich.

4.
4.1  Das Kantonsgericht hat zusammengefasst festgestellt, die Beklagte könne
die ihr vom Bezirksgericht Zürich mit Urteil vom 19. April 2000 gegenüber der
Klägerin zugesprochenen Forderungen mit den der Klägerin im vorliegenden
Verfahren zuerkannten Forderungen   verrechnen.

4.2  Die Klägerin rügt dem Sinne nach, die Zulassung der Verrechnung mit
einer
vom Bezirksgericht Zürich zugesprochenen Forderung verstosse gegen
Bundesrecht, da insoweit eine abgeurteilte Sache (res judicata) vorliege,
welche im vorliegenden Verfahren keinen Eingang finden könne.

4.3  Eine abgeurteilte Sache liegt vor, wenn ein Gericht einen Anspruch
rechtskräftig beurteilt hat. Ein solcher Entscheid ist verbindlich und kann
in einem anderen Verfahren nicht mehr in Frage gestellt werden (vgl. zur
Anspruchsidentität BGE 123 III 16 E. 2a; 121 III 474 E. 4a; 115 II 187 E. 3b
S. 191). Entgegen der Ansicht der Klägerin kann jedoch eine rechtskräftig
zugesprochene Forderung in einem neuen Verfahren zur Verrechnung gebracht
werden, weil damit die Forderung nicht in Frage gestellt bzw. neu beurteilt,
sondern diese vielmehr bestätigt wird. Demnach ist ein Verstoss gegen den
Grundsatz der abgeurteilten Sache zu verneinen. Dass die Voraussetzungen
einer Verrechnung gemäss Art. 120 Abs. 1 OR fehlten, macht die Klägerin nicht
geltend und ist auch nicht ersichtlich. Folglich hat das Kantonsgericht kein
Bundesrecht verletzt, wenn es die Verrechnung als zulässig erachtete.

5.
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Klägerin kosten- und
entschädigungsfplichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 OG). Bei der
Bemessung der Parteientschädigung wird die Mehrwertsteuer im Rahmen des
geltenden Tarifs pauschal berücksichtigt (Beschluss der Präsidentenkonferenz
vom 8. Mai 1995).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'500.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
4'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Juni 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: