Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.435/2004
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4C.435/2004 /lma

Urteil vom 2. Februar 2005

I. Zivilabteilung

Präsident Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Nyffeler, Favre,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Luczak.

A. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Advokat Guido Ehrler,

gegen

B.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Advokatin Susanne Speiser.

Arbeitsvertrag; fristlose Entlassung,

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Zivil- und Strafrecht,
vom 5. Oktober 2004.

Sachverhalt:

A.
A. ________ (Kläger) arbeitete seit dem 3. August 1998 als Maler-Vorarbeiter
bei der Kollektivgesellschaft "B.________" (Beklagte). Am 25. Juli 2003
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebswirtschaftlichen
Gründen per 31. August 2003. Anlässlich dieser Kündigung kam es zu einer
verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten,
einem Gesellschafter der Beklagten, welche ohne Folgen blieb. Am 28. August
2003 verlängerte die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen verbesserter
Auftragslage bis Ende Oktober 2003 und am 17. Oktober 2003 erneut bis zum 30.
November 2003.

B.
Am 28. Oktober 2003 entstand ein Streit zwischen dem Gesellschafter der
Beklagten und dem Kläger. Der Gesellschafter warf dem Kläger vor, er habe zu
langsam gearbeitet, worauf der Kläger den Gesellschafter und damit seine
Arbeitgeberin beschimpfte. Dabei bezeichnete er den Gesellschafter als
"geldgieriges" oder allenfalls als "profitgeiles" "Arschloch". Dieser
Ausbruch fand in Anwesenheit der gesamten Belegschaft des Kleinbetriebes
statt. Daraufhin kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos. Nach Erhalt der
Kündigung entschuldigte sich der Kläger für sein Verhalten, die Kündigung
akzeptierte er aber nicht.

C.
Der Kläger gelangte an das Bezirkspräsidium Arlesheim und verlangte von der
Beklagten im Wesentlichen Fr. 17'998.-- nebst Zins. Das
Bezirksgerichtspräsiduim wies die Klage ab und behaftete die Beklagte bei
ihrer Bereitschaft, dem Kläger ein vollständiges und wahrheitsgetreues
Zeugnis auszustellen. Mit Appellation gelangte der Kläger an das
Kantonsgericht Basel-Landschaft und schränkte seine Forderung auf Fr.
8'000.-- nebst Zins ein. Auch das Kantonsgericht wies die Klage ab.

D.
Gegen den Entscheid des Kantonsgerichts führt der Kläger Berufung. Er
beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Fr. 8'000.-- nebst Zins zu
verpflichten. Die Beklagte schliesst auf kostenfällige Abweisung der Berufung
und beantragt eventuell die Rückweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz
zur Ergänzung des Sachverhalts.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
In Zivilrechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche ist die
Berufung grundsätzlich nur zulässig, wenn der Streitwert nach Massgabe der
Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig
waren, wenigstens Fr. 8'000.-- beträgt (Art. 46 OG). Da der Kläger vor
Kantonsgericht diese Summe forderte und die Klage abgewiesen wurde, ist diese
Eintretensvoraussetzung erfüllt.

2.
Das Kantonsgericht ging davon aus, der vom Kläger verwendete Ausdruck stelle
eine schwere Beschimpfung dar. Es erwog, dass auf dem Bau unter Angestellten
ein rüder Umgangston herrsche und der Kläger mit dem Gesellschafter sonst ein
freundschaftliches Verhältnis gepflegt und mit ihm in Du-Form kommuniziert
habe. Es hielt dem Kläger zugute, dass die Situation mit den befristeten
Verlängerungen des Arbeitsverhältnisses für den Kläger belastend gewesen sei
und er sich diesbezüglich als Familienvater mit drei Kindern in einer
Stresssituation befunden habe. Ausserdem sei das Arbeitsverhältnis bereits
gekündigt gewesen, weshalb an die Zulässigkeit der Kündigung erhöhte
Anforderungen zu stellen seien. Schliesslich sei der Kläger auch in keiner
Weise abgemahnt worden. Da die Beschimpfung indessen vor der gesamten
Belegschaft stattgefunden habe, sei die Autorität des Arbeitgebers
untergraben worden, und die Beklagte habe zur Wahrung ihrer Autorität handeln
müssen. Eine mildere Massnahme sei nicht ersichtlich, denn in dem kleinen
Familienbetrieb sei eine Versetzung des Klägers nicht möglich und dem
Gesellschafter ein weiterer täglicher Kontakt mit dem Kläger nicht zumutbar
gewesen. Dies gelte insbesondere deshalb, weil die Beleidigung eine Straftat
darstelle, für welche der Kläger rechtskräftig verurteilt worden sei. Daher
sei die fristlose Kündigung selbst ohne vorhergehende Abmahnung
gerechtfertigt.

3.
3.1 Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer das
Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen (Abs. 1).
Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem
Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
nicht mehr zugemutet werden darf (Abs. 2). Über das Vorhandensein solcher
Umstände entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (Art. 337 Abs. 3 OR).
Derartige Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht an sich frei. Es
übt dabei aber Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz
grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen
ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im
Einzelfall keine Rolle spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände
ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen. Es greift
ausserdem in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als offensichtlich
unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 130 III 28 E. 4.1
S. 32; 129 III 380 E. 2 S. 382 mit Hinweisen).

3.2 Eine fristlose Entlassung ist nur bei besonders schweren Verfehlungen des
Arbeitnehmers gerechtfertigt. Diese müssen einerseits objektiv geeignet sein,
die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören
oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die
Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und anderseits auch
tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des
gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Wiegen die Verfehlungen weniger
schwer, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein (BGE 130
III 28 E. 4.1 S. 31; 129 III 380 E. 2.1 S. 382 mit Hinweisen).

3.3 Die fristlose Entlassung soll nicht ein bestimmtes Verhalten
sanktionieren und der Arbeitgeberin eine Satisfaktion verschaffen. Sie dient
vielmehr als Ausweg, wenn die Situation objektiv nicht mehr tragbar ist. Ob
eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum nächsten Kündigungstermin
nicht mehr als zumutbar erscheint, hängt von den Umständen des konkreten
Einzelfalls ab. In aller Regel kann nicht schon vom Vorfall als solchem
unabhängig von den konkreten Gegebenheiten auf die Zulässigkeit der
fristlosen Entlassung ohne vorherige Abmahnung geschlossen werden. Vielmehr
ist anhand der gesamten Umstände abzuklären, ob eine Situation vorliegt, die
auch objektiv unhaltbar geworden ist. Soweit sich ein Verhalten nicht direkt
auf die Arbeitsleistung auswirkt, ist die geforderte objektive Schwere nur
mit grosser Zurückhaltung anzunehmen, genügt doch nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts dafür nicht einmal jedes strafbare Verhalten am Arbeitsplatz
(BGE 129 III 380 E. 3.1 S. 384; Urteil 4C.112/2002 vom 8. Oktober 2002, E. 5,
mit Hinweisen; 4C.21/1998 vom 18. März 1998 publiziert in Praxis 1998, Nr.
138, S. 755 f.).

4.
4.1 Schimpfworte, wie sie der Kläger gegenüber dem Gesellschafter gebraucht
hat, können eine fristlose Entlassung auch ohne vorherige Abmahnung
rechtfertigen. Vorausgesetzt ist, dass die Verfehlung des Arbeitnehmers
aufgrund der gesamten Umstände tatsächlich so schwer wiegt, dass die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheint.

4.2 Das Kantonsgericht hat diese Grundsätze nicht verkannt, sondern die
Umstände festgestellt, die geeignet sind, die Verfehlung des Klägers in einem
milderen Licht erscheinen zu lassen. Trotzdem erachtete es die Kündigung für
zulässig, einerseits mit Blick auf die erfolgte strafrechtliche Verurteilung
und andererseits mit Blick auf die Tatsache, dass die Entgleisung vor der
gesamten Belegschaft erfolgte.

4.3 Der strafrechtlichen Verurteilung kommt insoweit keine besondere
Bedeutung zu, als ohnehin ausser Zweifel steht, dass das Verhalten des
Klägers als Beschimpfung im Sinne von Art. 177 StGB zu qualifizieren und als
solche bei der Würdigung der gesamten Umstände zu berücksichtigen ist. Die
Verurteilung hing unter den gegebenen Umständen nur davon ab, ob Strafantrag
gestellt wurde.

4.4 Massgebend ist dagegen, dass der Kläger als Vorarbeiter seinen
Arbeitgeber vor versammelter Belegschaft beschimpfte. Inwieweit diese
Beschimpfung die Autorität des Arbeitgebers untergräbt, ist in tatsächlicher
Hinsicht eine Frage der Beweiswürdigung, welche das Bundesgericht in der
Berufung nicht überprüft. Wenn das Obergericht in Würdigung der Umstände zum
Schluss kam, dass der Autoritätsverlust der Arbeitgeberin derart gross war,
dass trotz der festgestellten mildernden Umstände nur eine fristlose
Kündigung die Autorität wiederherstellen konnte, besteht für das
Bundesgericht kein Anlass, in das eng mit der Beweiswürdigung verknüpfte
Ermessen des Kantonsgerichts korrigierend einzugreifen. Im Ergebnis ist die
Ermessensausübung zumindest nicht offensichtlich unbillig.

4.5 Damit erweist sich die Berufung insgesamt als unbegründet und ist
abzuweisen. Da der massgebende Streitwert Fr. 30'000.-- nicht erreicht, ist
das Verfahren kostenlos (Art. 343 Abs. 3 OR). Hingegen hat der Kläger der
Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu
entrichten (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG; BGE 115 II 30 E. 5c S. 42).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Februar 2005

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: