Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.410/2004
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4C.410/2004 /ast

Urteil vom 16. März 2005

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Nyffeler, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Mazan.

Bank X.________,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Romano Kunz,

gegen

A.________,
Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur.
Mario A. Pfiffner.

Optionsvertrag; "Put-Option",

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer,
vom 14. Juni 2004.

Sachverhalt:

A.
A. ________ (Beklagter) war seit Februar 2001 Kunde der Bank X.________,
Filiale St. Moritz (Klägerin). Dabei wickelte der Beklagte über die Klägerin
Optionsgeschäfte ab. In diesem Zusammenhang unterzeichnete er die ihm von der
Bank unterbreiteten vorgedruckten "Bedingungen für die Vermittlung von
derivativen Finanzinstrumenten". Unter dem Titel "Bestimmungen für die
Vermittlung von Optionen" wurde unter anderem vereinbart:
"1.Margen und Sicherheiten
Als Schreiber einer Option (Call oder Put) ist der Kunde verpflichtet, der
Bank die von ihr festgelegte Marge zu entrichten. Sollte der Kunde innerhalb
des darauf folgenden Werktages dieser Verpflichtung nicht nachkommen, ist die
Bank ermächtigt, nach ihrem eigenen Ermessen und ohne weitere Mitteilung an
den Kunden die betreffende Position glattzustellen. Dieses keiner
Beschränkung unterworfene Recht beinhaltet ebenfalls den Kauf und/oder
Verkauf, immer für Rechnung und Risiko des Kunden, eines Teils oder der
gesamten Position.
..."
Durch die Vermittlung der Klägerin schrieb der Beklagte unter anderem eine
Put-Option auf Aktien des Softwareproduzenten SAP. Wegen des Einbrechens der
Aktienkurse im Anschluss an die Ereignisse vom 11. September 2001 reichten
die bei der Klägerin gehaltenen Reserven an flüssigen Mitteln und handelbaren
Titeln nicht aus, um die durch den Beklagten getätigten, noch offenen
Optionsgeschäfte weiterhin sicherzustellen und gleichzeitig die übrigen
Verbindlichkeiten gegenüber der Bank zu erfüllen. Nach den laufenden
Vorausberechnungen der Bank liess allein Ersteres per 18. September 2001
einen Margenbedarf von über 1,2 Millionen Franken erwarten. Direktor
B.________ von der Niederlassung St. Moritz der Klägerin wies deshalb den
Kunden am 14. September 2001 telefonisch darauf hin, dass zusätzliche
Sicherheiten benötigt würden. Als sie nicht beigebracht wurden, schloss die
Bank am 19. September 2001 die offene Put-Option SAP zum Preis von €
114'375.--, wogegen der Beklagte am folgenden Tag schriftlich protestierte.
Nach Abschluss dieser und weiterer Transaktionen überwies der Beklagte der
Klägerin mit Valuta 8. Februar 2002 € 405'951.--. Er weigerte sich indessen,
der Bank auch noch den zusätzlichen Aufwand von € 114'375.-- abzugelten,
welcher dieser durch das Schliessen der Put-Option SAP erwachsen war.
Insbesondere machte er geltend, die Put-Option SAP sei übereilt glattgestellt
worden, da er mit Direktor B.________ am 18. September 2001 übereingekommen
sei, dass vorerst von einer Schliessung abgesehen werde und dass er (der
Beklagte) stattdessen durch eine Grundpfandbestellung für die erforderliche
zusätzliche Sicherheit sorgen werde. Die Klägerin behauptete demgegenüber,
dass sie auf ihre Rechte aus der Vereinbarung vom 26. Februar 2001, bei
fehlender Margensicherheit eine offene Position zu schliessen, nie verzichtet
habe, auch nicht zeitlich befristet.

B.
Am 30. Januar 2002 gelangte die Klägerin an den Kreispräsidenten Oberengadin
und beantragte im Wesentlichen, der Beklagte sei zu verurteilen, ihr €
114'375.-- zuzüglich Zins zu 5 % ab 19. Oktober 2001 zu bezahlen. Mit Urteil
vom 18. November 2003 hiess das Bezirksgericht Maloja die Klage gut und
verpflichtete den Beklagten, der Klägerin € 114'375.-- zuzüglich 4,5625 %
Vertragszins ab 19. September 2001 sowie ab 31. Januar 2002 5 % Verzugszins
zu bezahlen.
Gegen dieses Urteil erhob der Beklagte Berufung ans Kantonsgericht von
Graubünden. Mit Urteil vom 14. Juni 2004 hiess das Kantonsgericht von
Graubünden die Berufung gut, hob das angefochtene Urteil auf und wies die
Klage ab.

C.
Mit Berufung vom 5. November 2004 beantragt die Klägerin dem Bundesgericht im
Wesentlichen, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 14. Juni 2004
- mitgeteilt am 9. Oktober 2004 - sei aufzuheben und der Beklagte sei zu
verpflichten, der Klägerin € 114'375.-- nebst Zins zu 5 % ab 19. Oktober 2001
zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung sei vollumfänglich abzuweisen.
Das Kantonsgericht von Graubünden beantragt, die Berufung sei abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei.

D.
Mit Urteil vom heutigen Tag hat das Bundesgericht eine gleichzeitig erhobene
staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Kantonsgericht hat im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass B.________,
der Direktor der Klägerin, den Beklagten am 14. September 2001 darauf
aufmerksam gemacht habe, dass für die noch offenen Optionsgeschäfte keine
genügende Sicherheit mehr vorhanden sei; vielmehr bestehe ein Margenbedarf in
der Höhe von CHF 1'258'596.45. Da der Beklagte die verlangte Sicherheit nicht
beigebracht habe, sei die Klägerin nach den "Bedingungen für die Vermittlung
von derivativen Finanzinstrumenten" grundsätzlich berechtigt gewesen, offene
Optionsgeschäfte jederzeit zu schliessen. Dies habe sie dann am 19. September
2001 hinsichtlich der Put-Option SAP auch getan. Der Klägerin seien dabei
Aufwendungen in der Höhe von € 114'375.-- erwachsen, was vom Beklagten nicht
in Frage gestellt werde.
Weiter hat die Vorinstanz festgehalten, dass am 18. September 2001 ein
Treffen des Beklagten mit B.________ stattgefunden habe. Entgegen der
Darstellung des Beklagten sei nicht anzunehmen, dass anlässlich dieses
Treffens vereinbart worden sei, dass die offenen Optionen entgegen der
"Bedingungen" fortan nur noch mit der Einwilligung des Kunden geschlossen
werden dürften. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die
Klägerin auf ihr Recht verzichtet habe, beim Verzug des Kunden mit der
sofortigen Nachlieferung von Margensicherheit eine Position nach ihrem
Ermessen zu schliessen.
Allerdings sei zu beachten, dass der Beklagte am Treffen vom 18. September
2001 mit B.________ vorgeschlagen habe, zu Lasten einer Eigentumswohnung in
St. Moritz Grundpfandsicherheiten zu errichten, weil er nicht mehr über
genügend Barmittel verfügt habe, die er hätte nachschiessen können.
B.________ sei auf dieses Angebot eingegangen. Der Beklagte habe daher davon
ausgehen dürfen, dass mit der Errichtung einer Hypothek auf der erwähnten
Eigentumswohnung die Gefahr des Glattstellens der Put-Optionen vorerst
gebannt sei. Das nicht zwingend angezeigte, gegen die Abmachung vom 18.
September 2001 verstossende sowie den Zeitbedarf für die Errichtung der
Grundpfandverschreibung völlig ausser Acht lassende verfrühte Glattstellen
der Put-Option SAP erweise sich damit als treu- und rechtswidrig.

2.
Die Klägerin kritisiert die Auffassung der Vorinstanz als bundesrechtswidrig,
die Schliessung der Put-Option SAP am 19. September 2001 sei als treu- und
rechtswidrig zu qualifizieren. Der Umstand, dass B.________ am 18. September
2001 auf das vage und zudem unverbindliche Angebot des Kunden, die Marge
durch ein hypothekargesichertes Darlehen der Klägerin zu decken, eingegangen
sei, ändere am Recht der Bank nichts, eine offene Position bei ungenügender
Margensicherheit zu löschen.

2.1 Im vorliegenden Fall steht fest, dass durch offene Optionsgeschäfte des
Beklagten - darunter die hier interessierende SAP-Option - aufgrund der
Vorausberechnungen der Klägerin ein Margenbedarf von über 1,2 Millionen
Franken zu erwarten war. Weiter steht fest, dass die Klägerin den Beklagten
am 14. September 2001 telefonisch aufgefordert hatte, angesichts dieses
Margenbedarfs weitere Sicherheiten zu leisten. Da die erforderliche Marge
nicht fristgerecht (innerhalb des nächsten Werktages) nachgeliefert wurde,
war die Klägerin gemäss den "Bedingungen" grundsätzlich zur Schliessung der
Position berechtigt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass am 18. September
2001 eine Besprechung zwischen B.________ und dem Beklagten stattfand, an
welcher auch C.________ - die Lebensgefährtin des Beklagten - teilnahm. Dabei
wurde die Möglichkeit erörtert, die ausstehende Marge durch die Errichtung
eines Grundpfandrechtes auf einer Eigentumswohnung in St. Moritz
sicherzustellen, die im Miteigentum des Beklagten und seiner Lebensgefährtin
C.________ stand. In diesem Zusammenhang hat die Vorinstanz - namentlich
gestützt auf die Zeugenaussage von C.________ - verbindlich festgehalten,
dass B.________ anlässlich der Besprechung vom 18. September 2001 zugesichert
habe zu prüfen, ob die erforderliche Sicherheit durch Bestellung einer
Grundpfandsicherheit geleistet werden könne.

2.2 In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass die Klägerin gemäss
den "Bedingungen" grundsätzlich zur Schliessung der Position berechtigt war,
nachdem die erforderliche Marge nicht fristgerecht geleistet wurde.
Allerdings erklärte sich B.________ anlässlich eines Gesprächs vom 18.
September 2001 bereit, den Vorschlag zu prüfen, ob die erforderliche
Sicherheit durch Errichtung eines Grundpfandrechtes auf einer
Eigentumswohnung in St. Moritz beigebracht werden könne. Der Beklagte durfte
dieses Gespräch gestützt auf das Vertrauensprinzip so interpretieren, dass
die Klägerin bereit sei, die Möglichkeit der Errichtung eines
Grundpfandrechtes zur Sicherstellung der offenen Optionen sorgfältig zu
prüfen und ihren endgültigen Entscheid vor der Glattstellung der betreffenden
Positionen mitzuteilen. Auf jeden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür,
dass dem Beklagten anlässlich der Besprechung vom 18. September 2001
mitgeteilt worden wäre, dass die Entgegennahme von Grundpfandrechten als
Margensicherheit grundsätzlich ausgeschlossen oder Direktor B.________ nicht
der richtige Ansprechpartner gewesen wäre. Im Anschluss an diese Besprechung
wurde die SAP-Option jedoch am 19. September 2001 unangekündigt und ohne
Prüfung des erwähnten Vorschlags geschlossen. Dadurch setzte sich die
Klägerin in Widerspruch zu ihrem Verhalten vom 18. September 2001, als sie
den Vorschlag zur Errichtung eines Grundpfandrechtes zur ernsthaften Prüfung
entgegengenommen hatte. Dieses widersprüchliche Verhalten (venire contra
factum proprium) ist eine typische Form des Rechtmissbrauchs (BGE 130 III 113
E. 4.2 S. 123, 129 III 493 E. 5.1 S. 497, je mit Hinweisen) und findet keinen
Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Aufgrund der Besprechung vom 18. September
2001 wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, den Vorschlag der Sicherstellung
des Margenbedarfs durch ein Grundpfandrecht sorgfältig zu prüfen und die
Schliessung der offenen Positionen dem Beklagten vorher anzukündigen, falls
die entsprechende Bereitschaft nach einer endgültigen Prüfung seitens der
Bank nicht gegeben gewesen wäre. Das gegenteilige, unangekündigte und nach
Treu und Glauben nicht zu erwartende Verhalten muss als rechtsmissbräuchlich
bezeichnet werden.

2.3 Daran ändern auch die Einwände der Klägerin nichts. Insbesondere
überzeugt der Hinweis nicht, B.________ sei nur
kollektivzeichnungsberechtigter Direktor gewesen, welcher Umstand dem
Beklagten bekannt gewesen sei, so dass B.________ allein die Klägerin durch
sein Verhalten nicht habe verpflichten können. Zu beurteilen ist nicht die
Frage, ob B.________ die Beklagte rechtsgeschäftlich verpflichten konnte,
sondern die Frage, ob er in seiner Eigenschaft als Filialdirektor durch seine
Zusicherungen berechtigtes Vertrauen in das zu erwartende Verhalten der von
ihm vertretenen Bank zu schaffen vermochte, welches durch die unangekündigte
Schliessung der Option verletzt wurde. Nicht überzeugend ist auch der
Einwand, die Klägerin habe aus wirtschaftlicher Sicht kein Interesse gehabt,
auf das in den "Bedingungen" klar verankerte Recht zu verzichten, beim Verzug
des Kunden mit Nachlieferung der Margensicherheit die betreffende Position
unverzüglich glattzustellen, zumal der Beklagte im vorliegenden Fall selbst
erklärt habe, er sei ausser Stande, die geforderte Marge zu leisten. Entgegen
der Auffassung der Klägerin kann im Einzelfall durchaus ein Interesse der
Bank bestehen, sich auf die Errichtung eines Grundpfandrechtes einzulassen,
wenn eine sofortige Nachlieferung von Sicherheit beispielsweise aus
Liquiditätsgründen nicht möglich ist. Zu Recht weist die Klägerin selbst
darauf hin, dass es für B.________ "das einzig Vernünftige und das
Natürlichste der Welt" gewesen sei, auf das Angebot des Beklagten wenigstens
einzugehen. Schliesslich ist auf die Ausführungen der Klägerin zum
Kursverlauf der SAP-Aktie in der Zeit von Mitte September 2001 bis rund Mitte
Oktober 2001 nicht einzutreten. Eine entsprechende Feststellung kann dem
angefochtenen Urteil nicht entnommen werden, so dass die ergänzenden
tatsächlichen Darstellungen der Klägerin unzulässig sind (Art. 55 Abs. 1 lit.
c OG).

2.4 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Klägerin das Angebot
des Beklagten, anstatt Margensicherheit nachzuliefern Grundpfandrechte zu
bestellen, zunächst anlässlich der Besprechung vom 18. September 2001 zur
sorgfältigen Prüfung entgegengenommen, dann aber in Widerspruch zu ihrem
Verhalten vom Vortag die SAP-Optionen am 19. September 2001 ohne
Vorankündigung glattgestellt hat. Dieses widersprüchliche und damit
rechtsmissbräuchliche Verhalten findet keinen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 2
ZGB), so dass die Klägerin aus der Schliessung der SAP-Option vom Beklagten
nichts zu fordern hat. Das Kantonsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

3.
Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Klägerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'500.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat den Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
6'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. März 2005

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: