Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.406/2004
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4C.406/2004 /lma

Urteil vom 30. März 2005

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Kiss,
Gerichtsschreiber Arroyo.

A. ________,
Beklagter und Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Beat Hauri,

gegen

B.________ AG,
Klägerin und Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt
Fricker.

Art. 274a Abs. 1 OR (Schlichtungsverfahren),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau,
4. Zivilkammer,
vom 15. September 2004.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 7. März 1997 schlossen die B.________ AG, Wohlen (Beschwerdegegnerin)
und A.________, Geschäftsinhaber von C.________ (Beschwerdeführer), einen
Mietvertrag über eine Familienwohnung und Geschäftsräume. Die
Beschwerdegegnerin kündigte den Mietvertrag auf Ende Dezember 2001. In der
Folge entstand Streit unter den Parteien über die Auflösung des
Mietverhältnisses und noch offene Kosten, wobei der Beschwerdeführer das
Mietobjekt weiterhin nutzte. Das von der Beschwerdegegnerin daraufhin
gestellte Gesuch um Mietausweisung wurde vom Bezirksgericht Bremgarten
gutgeheissen, die polizeiliche Ausweisung dem Beschwerdeführer am 5. November
2002 angedroht und am 5. Dezember 2002 angeordnet. Kurz vor Ablauf der
Ausweisungsfrist räumte der Beschwerdeführer das Mietobjekt. Am 8. Juli 2003
fand vor dem Friedensrichteramt des Kreises Wohlen/Dottikon eine
Vermittlungsverhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer nicht
erschien.

1.2 Mit Schreiben vom 9. Juli 2003 erhob die Beschwerdegegnerin Klage vor dem
Bezirksgericht Bremgarten. Sie beantragte, der Beschwerdeführer sei zur
Zahlung von insgesamt Fr. 4'864.75 zu verurteilen für die noch offenen
Mietzinsen (Januar bis Dezember 2002), die Kosten der Mietausweisung und die
Verfahrenskosten. Die Beschwerdegegnerin machte geltend, mit dem
Beschwerdeführer sei ein befristeter Mietvertrag bis Dezember 2001
eingegangen worden; es sei ihm kein Nachfolgevertrag angeboten worden; er
habe ab Januar 2002 auch keine Mietzinsen bezahlt; der Beschwerdeführer sei
mehrmals schriftlich zur Zahlung des Mietzinses für den Monat Dezember 2001
und vor seiner Mietausweisung zur Räumung des Mietobjekts aufgefordert
worden; hätte ein Mietvertrag bestanden und wären Mietzahlungen geleistet
worden, so hätte der Beschwerdeführer dies sicher auch anlässlich der
Ausweisung vorgebracht. Der Beschwerdeführer entgegnete im Wesentlichen, der
Geschäftsführer der Beschwerdegegnerin sei damit einverstanden gewesen, dass
er das Mietobjekt für einen monatlichen Mietzins von Fr. 250.-- weiterhin
nutzen könne; der Geschäftsführer habe dem Beschwerdeführer aber weder einen
Mietvertrag noch eine Quittung ausstellen wollen; der Geschäftsführer habe
die Zahlungen "schwarz" eingenommen und nie Quittungen ausgestellt.

1.3 Das Bezirksgericht Bremgarten, Gerichtspräsidium I, hiess die Klage am
13. Januar 2004 gut und verurteilte den Beschwerdeführer zur Zahlung von Fr.
4'455.-- nebst Zins an die Beschwerdegegnerin. Das Gericht erwog namentlich,
die Beschwerdegegnerin mache unter anderem eine Forderung von Fr. 3'000.--
geltend, weil sich der Beschwerdeführer durch die Nutzung ihres Mietobjekts
einen Vermögensvorteil verschafft und somit im Sinne von Art. 62 OR
ungerechtfertigt bereichert habe; daher stünden die Parteien grösstenteils in
einem Forderungsstreit, der keine mietrechtliche Streitigkeit darstelle;
deshalb sei gestützt auf die kantonale Zivilprozessordnung das Verfahren
durch die Vermittlungsverhandlung vor dem Friedensrichter einzuleiten
gewesen. Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend gemachten
monatlichen Mietzinszahlungen von Fr. 250.-- liess das Gericht mangels
jeglichen Nachweises unberücksichtigt.

1.4 Die gegen das Urteil des Bezirksgerichts erhobene Appellation des
Beschwerdeführers wies das Obergericht des Kantons Aargau, 4. Zivilkammer, am
15. September 2004 ab. Es verwarf die Argumentation des Beschwerdeführers,
wonach das Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden und das
bezirksgerichtliche Urteil deshalb aufzuheben sei. Dem Beschwerdeführer könne
selbst dann nicht gefolgt werden, wenn mit ihm und entgegen dem
Bezirksgericht angenommen werde, es liege eine Mietstreitigkeit vor. Bei
Mietstreitigkeiten sei zwar gemäss Art. 274a OR zwingend die Durchführung
eines Schlichtungsverfahrens vor der zuständigen Schlichtungsbehörde
durchzuführen, womit ein Gericht bei Nichteinhaltung dieser bundesrechtlichen
Prozessvoraussetzung auf die Klage nicht eintreten könne. Indessen sei dieser
Mangel vorliegend durch vorbehaltlose Einlassung des Beschwerdeführers im
Sinne der kantonalen Zivilprozessordnung geheilt worden. Den Mangel des
fehlenden Schlichtungsverfahrens hätte er im erstinstanzlichen Verfahren
spätestens in seiner Klageantwort geltend machen müssen. Zudem sei der
Beschwerdeführer nicht zur Verhandlung vor dem Friedensrichter erschienen.
Damit habe er zum Ausdruck gebracht, nicht an einer Schlichtung interessiert
zu sein. Das nachträgliche Begehren um Durchführung einer
Schlichtungsverhandlung vor der zuständigen Behörde in Mietsachen erscheine
nach dem Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils als rechtsmissbräuchlich
und verdiene auch deshalb keinen Rechtsschutz.

1.5 Gegen das Urteil des Obergerichts Aargau erhebt der Beschwerdeführer
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Urteils sowie die Rückweisung der Sache an das Obergericht
zwecks Anordnung eines Schlichtungsverfahrens und Neubeurteilung. Der
Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe statt Bundesrecht das
kantonale Prozessrecht des Kantons Aargau angewendet, indem es in analoger
Anwendung von § 72 und 175 ZPO AG eine Heilung des gerügten Mangels
angenommen habe. Mangels Durchführung eines Schlichtungsverfahrens im Sinne
von Art. 274a OR sei diese bundesrechtliche Prozessvoraussetzung nicht
erfüllt gewesen. Die nachträgliche Berufung auf den Mangel des nicht
durchgeführten Schlichtungsverfahrens stelle auch keinen Rechtsmissbrauch
dar.

1.6 Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Obergericht verzichtet unter Verweis auf seine Erwägungen im angefochtenen
Urteil auf eine Vernehmlassung.

2.
Gemäss Art. 68 Abs. 1 lit. a OG ist in Zivilsachen, die nicht nach den
Artikeln 44-46 der Berufung unterliegen, gegen letztinstanzliche Entscheide
kantonaler Behörden die Nichtigkeitsbeschwerde zulässig, wenn statt des
massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales Recht angewendet worden ist.
Da der Beschwerdeführer in der vorliegenden Zivilstreitigkeit einen
zulässigen Nichtigkeitsgrund geltend macht, sämtliche weiteren formellen
Voraussetzungen erfüllt sind und aufgrund des zu geringen Streitwertes die
Berufung nicht offen steht (vgl. Art. 46 OG), ist auf die Beschwerde
einzutreten.

3.
Die Vorinstanz hat die (kantonale) Appellation des Beschwerdeführers mit zwei
verschiedenen Begründungen abgewiesen, die unabhängig voneinander bestehen
und zum selben Ergebnis führen. Einerseits sei der gerügte Mangel des
fehlenden Schlichtungsverfahrens durch vorbehaltlose Einlassung des
Beschwerdeführers geheilt worden; anderseits habe dieser sich
rechtsmissbräuchlich verhalten. Beide Begründungen sind angefochten (vgl. BGE
122 III 43 E. 3a; 120 II 312 E. 2 S. 314 mit Hinweis).

4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe sich zu Unrecht auf
kantonales Recht gestützt und bringt vor, seine Berufung auf das
Schlichtungsverfahren nach Art. 274a OR sei entgegen der Ansicht der
Vorinstanz nicht rechtsmissbräuchlich. Damit ist er nicht zu hören. Denn im
angefochten Urteil wird in diesem Zusammenhang Art. 2 ZGB ausdrücklich
angeführt, womit die Vorinstanz Bundesrecht angewendet hat. Der behauptete
Nichtigkeitsgrund ist nicht gegeben.
Die Vorinstanz hat die kantonale Appellation des Beschwerdeführers gestützt
auf Art. 2 ZGB abgewiesen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die
(alternative) Begründung der Heilung des Mangels durch vorbehaltlose
Einlassung gemäss kantonalem Zivilprozessrecht vor Bundesrecht standhielte.

5.
Die Beschwerde ist unbegründet und daher abzuweisen. Dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer zu
auferlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat überdies der anwaltlich vertretenen
Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche
Verfahren zu leisten (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 4.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2005

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: