Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.39/2004
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4C.39/2004 /lma

Urteil vom 8. April 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Nyffeler, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Gelzer.

A. ________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,

gegen

B.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph
Kradolfer.

Arbeitsvertrag; missbräuchliche Kündigung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 21. August
2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Arbeitsvertrag vom 13. März 2001 stellte die B.________ AG (nachstehend:
Beklagte) A.________ (nachstehend: Kläger) ab dem 2. Mai 2001 als Mitarbeiter
an. Er arbeitete im Bereich der Qualitätssicherung in einem Team von drei
Personen. Ende November 2001 wurde C.________ als Teamleiter angestellt. In
der Folge kam es zwischen ihm und dem Kläger zu Problemen, welche zu diversen
Besprechungen führten. Am 11. Januar 2002 fand erneut eine
Personalbesprechung statt, welche der Kläger nach kurzer Zeit verliess. Mit
Schreiben vom 17. Januar 2002 gelangte der Kläger an den Personalleiter der
Beklagten, D.________, und schilderte ihm die Probleme mit C.________. Mit
Schreiben vom 15. Februar 2002 kündigte die Beklagte dem Kläger das
Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist per Ende
Mai 2002. Zur Begründung der Kündigung wies die Beklagte auf verschiedene
Konfliktsituationen hin und warf dem Kläger vor, er habe ein unkollegiales
und egoistisches Verhalten gezeigt. Der Kläger legte das Kündigungsschreiben
dem Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft E.________ vor. Dieser wies den
Kläger auf die Gefahr hin, dass die Begründung der Kündigung zu Einstelltagen
bei der Arbeitslosenkasse führen könnte. Um dies zu verhindern versprach der
Gewerkschaftssekretär dem Kläger, für ihn ein Schreiben zu verfassen. Am 28.
Februar 2002 liess der Gewerkschaftssekretär der Beklagten ein Schreiben
zukommen, in dem er ihre Vorwürfe gegenüber dem Kläger relativierte, jedoch
mitteilte, dieser akzeptiere die Kündigung. Mit Schreiben vom 5. März 2002
verlangte der Kläger von der Beklagten die Richtigstellung der im
Kündigungsschreiben vom 15. Februar 2002 gemachten Aussagen. In diesem
Schreiben nahm der Kläger zu den einzelnen Vorwürfen Stellung und kam zum
Ergebnis, dass diese zum grössten Teil widerlegbar seien. Am 10. April 2002
liess der Kläger der Beklagten folgenden eingeschriebenen Brief zukommen:
"Hiermit teile ich Ihnen mit, dass ich den Inhalt, beziehungsweise die
Begründung (hauptsächlichen Punkte) meiner Kündigung vom 15. Februar 2002
nicht akzeptiere und werde mir daher rechtliche Schritte vorbehalten."
Am 18. April 2002 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem
Personalleiter und zwei Vertretern der Betriebskommission der Beklagten
statt, an dem die Parteien keine Einigung bezüglich der Kündigung finden
konnten.

Mit Schreiben vom 2. Mai 2002 teilte der Kläger der Beklagten den von ihm
berechneten Austrittstag mit. Am 19. Juni 2002 verlangte der Kläger von der
Beklagten ein korrektes und faires Arbeitszeugnis.

B.
Mit Weisung vom 13. Dezember 2002 belangte der Kläger die Beklagte vor der
Bezirksgerichtlichen Kommission Arbon auf Zahlung von Fr. 18'850.-- netto
nebst Zins ab 28. November 2002. Zur Begründung führte der Kläger an, die
Kündigung der Beklagten sei missbräuchlich gewesen, weshalb er von ihr eine
Entschädigung in der Höhe von drei Monatslöhnen verlange. Die
Bezirksgerichtliche Kommission Arbon wies die Klage mit Urteil vom 4. März
2003 ab. Auf Berufung des Klägers hin wies auch das Obergericht des Kantons
Thurgau mit Urteil vom 21. August 2003 die Klage ab. Als Hauptbegründung gab
es an, der Kläger könne keine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung
verlangen, weil er innert der Kündigungsfrist gegen die Kündigung keine
schriftliche Einsprache erhoben habe. Als Eventualbegründung führte das
Obergericht aus, selbst wenn das Schreiben vom 10. April 2002 als Einsprache
qualifiziert würde, müsste die Klage abgewiesen werden, weil die Kündigung
nicht missbräuchlich sei.

C.
Der Kläger focht das Urteil des Obergerichts sowohl mit staatsrechtlicher
Beschwerde als auch mit Berufung an. Das Bundesgericht hat die Beschwerde mit
Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit es darauf eintrat. Mit der
Berufung beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die
Klage sei gutzuheissen. Eventuell sei die Sache zwecks Durchführung des
Beweisverfahrens und zur Neuentscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.

Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten
sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der anfechtbare Entscheid beruht auf zwei voneinander unabhängigen
Begründungen, welche beide angefochten werden müssen, um den Entscheid im
Ergebnis umstossen zu können (BGE 111 II 398 E. 2b S. 399 f.; 107 Ib 264 E.
3b S. 268, mit Hinweisen). Diesem Erfordernis wird der Kläger gerecht, da er
mit der Berufung beide Begründungen anficht. Auf die form- und fristgerechte
Berufung ist demnach grundsätzlich einzutreten.

1.2 Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen
Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, sofern sie nicht
offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zu Stande gekommen oder wegen fehlerhafter Rechtsanwendung
im kantonalen Verfahren zu ergänzen sind (Art. 63 Abs. 2 und 64 Abs. 2 OG).
Die Partei, welche den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt berichtigt
oder ergänzt wissen will, hat darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu
machen. Eine Ergänzung setzt zudem voraus, dass entsprechende
Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozessrechtskonform
aufgestellt, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich gehalten oder
übersehen worden sind, was wiederum näher anzugeben ist. Ohne diese Angaben
gelten Vorbringen, welche über die tatsächlichen Feststellungen im
angefochtenen Urteil hinausgehen, als unzulässige Noven (Art. 55 Abs. 1 lit c
OG). Für eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz ist die
Berufung nicht gegeben (BGE 127 III 248 E. 2c; 115 II 484 E. 2a S. 486).

1.3 Auf die Berufung ist nicht einzutreten, soweit der Kläger - ohne eine der
genannten Ausnahmen von der Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz geltend zu machen - von einem Sachverhalt
ausgeht, der von diesen Feststellungen abweicht. Dies gilt insbesondere
bezüglich der Behauptungen des Klägers, er habe vom Schreiben des
Gewerkschaftssekretärs vom 28. Februar 2002 erst im Verlauf des
erstinstanzlichen Verfahrens erfahren und die Klägerin habe das Schreiben vom
10. April 2002 tatsächlich als Einsprache verstanden.

2.
2.1 Nach Art. 336b Abs. 1 OR muss die Partei, die gestützt auf Art. 336 und
336a OR eine Entschädigung geltend machen will, gegen die Kündigung längstens
bis zum Ende der Kündigungsfrist beim Kündigenden schriftlich Einsprache
erheben. Als Einsprache gilt jede Willensäusserung, aus welcher hervorgeht,
dass der Arbeitnehmer mit der Entlassung nicht einverstanden ist
(Rehbinder/Portmann, Basler Kommentar, 3. Aufl., N. 3 zu Art. 336b OR;
Rehbinder, Berner Kommentar, N. 2 zu Art. 336b OR). Ob dies zutrifft, ist -
wenn der tatsächliche Erklärungswille dem Empfänger nicht bekannt ist - nach
dem Vertrauensprinzip zu ermitteln. Demnach sind Willenserklärungen so zu
verstehen, wie sie der Empfänger nach dem Wortlaut, dem Zusammenhang und den
gesamten Umständen verstehen durfte und musste (BGE 126 III 119 E. 2a, mit
weiteren Hinweisen). Wie die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip vorzunehmen
ist, stellt eine Rechtsfrage dar, welche das Bundesgericht im
Berufungsverfahren überprüfen kann; dabei ist es an die Feststellungen der
Vorinstanz über die äusseren Umstände gebunden, unter denen die Erklärungen
abgegeben wurden (BGE 123 III 165 E. 3a S. 168).

2.2 Das Obergericht ging davon aus, der Kläger habe nicht nachweisen können,
dass die Beklagte das Schreiben des Klägers vom 10. April 2002 als Einsprache
verstanden habe und legte dieses Schreiben daher nach dem Vertrauensprinzip
aus. Dabei kam das Obergericht zum Ergebnis, dieses Schreiben sei im Sinne
des ersten Halbsatzes so zu verstehen, dass der Kläger nach wie vor mit dem
Inhalt bzw. der Begründung der Kündigung nicht einverstanden sei, die
Kündigung im Übrigen aber nicht in Frage stelle. Zur Begründung verwies das
Obergericht auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts, welches
annahm, der Kläger hätte sich vom Schreiben des Gewerkschaftssekretärs vom
28. Februar 2002 klar distanzieren müssen, wenn er die Kündigung nicht mehr
hätte akzeptieren wollen. Alsdann führt das Obergereicht an, der Vorbehalt
rechtlicher Schritte sei unerheblich, da er bloss im Sinne einer Floskel zu
verstehen sei, welche Entschlossenheit demonstriere. Demnach liege keine
schriftliche Einsprache vor.

2.3 Der Kläger rügt dem Sinne nach, das Obergericht sei bei dieser Auslegung
von einem unzutreffenden Begriff der Einsprache ausgegangen. Es habe ausser
Acht gelassen, dass dazu nach der Lehre bereits genüge, wenn innerhalb der
Kündigungsfrist die schriftliche Aufforderung zur Begründung der Kündigung
erhoben werde. Das Schreiben des Klägers vom 10. April 2002 ginge weiter, da
sich der Kläger darin ausdrücklich rechtliche Schritte gegen die Kündigung
vorbehalte.

2.4 Der Kläger erhielt eine begründete Kündigung, weshalb er keine Begründung
der Kündigung verlangte. Damit ist unerheblich, ob aus einem solchen Begehren
hätte abgeleitet werden können, der Kläger sei mit der Entlassung nicht
einverstanden. Im Übrigen ist die Mitteilung des Klägers, dass er den Inhalt,
beziehungsweise die Begründung (hauptsächlichen Punkte) seiner Kündigung vom
15. Februar 2002 nicht akzeptiere, im Zusammenhang mit seinem Schreiben vom
5. März 2002 zu verstehen, mit dem er eine Richtigstellung der im
Kündigungsschreiben erhobenen Vorwürfe verlangte. Dieses Anliegen kommt auch
im Schreiben des Gewerkschaftssekretärs vom 28. Februar 2002 zum Ausdruck,
das der Kläger gemäss den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts
kannte. Vor diesem Hintergrund durfte und musste die Beklagte das Schreiben
vom 10. April 2002 dahingehend verstehen, dass der Kläger nicht die Kündigung
als solche, sondern bloss die Begründung, d.h. gewisse im Kündigungsschreiben
gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht akzeptiere. Die Androhung rechtlicher
Schritte konnte sich daher entgegen der Annahme des Klägers nicht auf die
Forderung einer Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung, sondern nur
auf die negative Feststellung bezüglich der gegen den Kläger erhobenen
Vorwürfe beziehen. Demnach hat das Obergericht das Vertrauensprinzip nicht
verletzt, wenn es annahm, die Beklagte habe das Schreiben des Klägers vom 10.
April 2002 nicht als Einsprache im Sinne von Art. 336b Abs. 1 OR verstehen
müssen.

3.
Gemäss der vorstehenden Erwägung konnte das Obergericht die Klage
bundesrechtskonform wegen einer fehlenden rechtzeitigen Einsprache gegen die
Kündigung abweisen. Demnach erweist sich die Eventualbegründung, welche davon
ausgeht, die Kündigung sei nicht missbräuchlich gewesen, als nicht
rechtserheblich. Auf die dagegen gerichtete Kritik des Klägers ist daher
mangels eines hinreichenden Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten.

4.
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Da eine arbeitsrechtliche Streitigkeit vorliegt und der Streitwert im
kantonalen Verfahren Fr. 30'000.-- nicht überstieg, ist das Verfahren
kostenlos (Art. 343 Abs. 2 und 3 OR). Die in der Sache obsiegende Partei hat
auch in Verfahren, die gemäss Art. 343 Abs. 3 OR kostenlos sind,
grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der Parteikosten (BGE 115 II 30 E. 5c S.
42, mit Hinweis). Der unterliegende Kläger hat daher die Beklagte für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). Bei der
Bemessung der Parteientschädigung wird die Mehrwertsteuer im Rahmen des
geltenden Tarifs pauschal berücksichtigt (Beschluss der Präsidentenkonferenz
vom 8. Mai 1995).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. April 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: