Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.333/2004
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4C.333/2004 /lma

Urteil vom 6. Januar 2005

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Nyffeler,
Gerichtsschreiber Luczak.

A. ________ SA,
Klägerin und Berufungsklägerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger,

gegen

B.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Fürsprecher Gino Keller.

Mietvertrag; Mietzinshinterlegung,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 4.
Zivilkammer, vom 2. August 2004.

Sachverhalt:

A.
Die B.________ AG (Beklagte) war vom 1. April 2000 bis zum 31. März 2003
Mieterin des 9. Obergeschosses sowie von zehn Parkplätze im Untergeschoss
einer der A.________ SA (Klägerin) gehörenden Liegenschaft. Die Miete war in
halbjährlichen Raten von je Fr. 73'750.-- inklusive Nebenkostenpauschale zu
bezahlen.

B.
Die Beklagte hinterlegte den Mietzins für April - September 2001 bei der
Schlichtungstelle für das Mietwesen des Bezirks Brugg wegen Mängeln im
Zusammenhang mit der Brandschutzanlage. In der darauf folgenden rechtlichen
Auseinandersetzung hielten die Schlichtungsstelle und nachfolgend auch der
Präsident des Bezirksgerichts Brugg und das Obergericht des Kantons Aargau
die Voraussetzungen für eine Mietzinshinterlegung für gegeben. Diese
Entscheide sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

C.
Die Beklagte hinterlegte im Verlauf des Mietverhältnisses aus denselben
Gründen noch drei weitere Halbjahresmietzinse im Gesamtbetrag von Fr.
191'250.--, entsprechend den drei Mietzinsraten abzüglich Fr. 30'000.--
Mietkaution, für welche die Beklagte Verrechnung erklärte, da die Kaution
nicht vorschriftsgemäss hinterlegt sei.

D.
Auch die weiteren Mietzinshinterlegungen beschäftigten die Gerichte. Die
Klägerin gelangte zunächst an die Schlichtungsstelle und verlangte die
Herausgabe der Mietzinsrate für das Halbjahr Oktober 2001 bis März 2002. Sie
erweiterte ihr Begehren im Verlauf des Verfahrens und verlangte schliesslich
die Herausgabe der gesamten zusätzlich hinterlegten Fr. 191'250.--. Die
Beklagte forderte dagegen im Wesentlichen die Herausgabe des gesamten
hinterlegten Mietzinses und machte darüber hinausgehende
Schadenersatzansprüche geltend.

E.
Die Schlichtungsstelle entschied, dass von den Fr. 191'250.-- Fr. 147'000.--
an die Beklagte gehen sollten und der Rest an die Klägerin. Hierauf gelangte
die Klägerin an das Gerichtspräsidium Brugg und verlangte die Aushändigung
der gesamten Fr. 191'250.--, während die Beklagte in der Klageantwort im
Wesentlichen die Herausgabe der gesamten hinterlegten Mietzinse beantragte.
Der Präsident des Bezirksgerichts Brugg gab dem Begehren der Beklagten statt
und wies die Schlichtungsstelle an, die gesamten hinterlegten Fr. 265'000.--
an die Beklagte herauszugeben. Eine gegen diesen Entscheid eingereichte
Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau ausser im Kostenpunkt ab.
Es billigte der Beklagten eine Mietzinsreduktion von insgesamt Fr. 162'000.--
zu und ging von einem Schadenersatzanspruch von mindestens Fr. 200'000.--
aus, womit die im Streit liegende Summe überschritten war.

F.
Die Klägerin hat gegen den Entscheid des Obergerichtes sowohl
staatsrechtliche Beschwerde als auch Berufung eingereicht. Die
staatsrechtliche Beschwerde hat das Bundesgericht mit Urteil vom heutigen
Tage abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist. In der Berufung beantragt
die Klägerin, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Angelegenheit
zur Ergänzung des Sachverhaltes an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die
Beklagte schliesst im Wesentlichen auf kostenfällige Abweisung der Berufung,
soweit darauf einzutreten ist.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach Ansicht des Obergerichts leidet das Mietobjekt an einem schweren Mangel,
da es die brandschutztechnischen Auflagen nicht erfüllt. Aus diesem Grund
gewährte das Obergericht der Beklagten eine Mietzinsreduktion von insgesamt
Fr. 162'000.--. Zudem hatte die Beklagte in das als Rohbau II gemietete
Objekt Investitionen in der Grössenordnung von Fr. 300'000.-- getätigt. Nach
der ursprünglichen festen Mietdauer von drei Jahren hätte die Beklagte das
Mietverhältnis durch Ausüben einer Option einseitig um insgesamt weitere zehn
Jahre verlängern können. Das Obergericht erkannte, die Investitionen der
Beklagten seien auf einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren angelegt
gewesen und hätten in diesem Zeitraum amortisiert werden sollen. Durch das
vertragswidrige Verhalten der Klägerin sei eine Realisierung des von der
Beklagten verfolgten Projektes nicht möglich gewesen. Bei einer angenommenen
jährlichen Abschreibung von Fr. 28'700.-- für die getätigten Investitionen
sei der Beklagten allein diesbezüglich ein Schaden von rund Fr. 200'000.--
entstanden.

2.
2.1 Die Klägerin ist der Ansicht, nicht die fehlenden Brandschutzmassnahmen
hätten die Beklagte zur Beendigung des Mietverhältnisses veranlasst, sondern
wirtschaftliche Gründe, nämlich das Scheitern der Expansionsstrategie. Zudem
habe die Beklagte die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjektes selbst unter
Beweis gestellt, indem sie gewisse Räumlichkeiten untervermietet habe. Die
von der Beklagten erzielten Mietzinseinnahmen liessen sowohl die
Mietzinsherabsetzung als auch die Schadenersatzforderung als
rechtsmissbräuchlich erscheinen und hätten jedenfalls bei der
Schadensbemessung berücksichtigt werden müssen.

2.2 Die Klägerin beanstandet den angefochtenen Entscheid im Wesentlichem
unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 ZGB. Sie wirft dem Obergericht vor, die
von ihr für die oben dargelegten Behauptungen angebotenen Beweise nicht
abgenommen und damit ihr Recht auf Beweisführung verletzt zu haben.

3.
3.1 Die Berufungsschrift enthält keinen materiellen Antrag, wie er nach Art.
55 Abs. 1 lit. b OG erforderlich ist. Da die Klägerin indessen eine
Verletzung ihres Anspruchs auf Beweisführung rügt, genügt der blosse
Rückweisungsantrag, weil das Bundesgericht, sollte es die Rechtsauffassung
der Klägerin für begründet erachten, kein Sachurteil fällen kann, sondern die
Streitsache zur weiteren Abklärung des Sachverhaltes an die Vorinstanz
zurückweisen muss (BGE 125 III 412 E. 1b S. 414).

3.2 Art. 8 ZGB regelt einerseits für den Bereich des Bundeszivilrechts die
Beweislastverteilung und gibt anderseits der beweispflichtigen Partei einen
bundesrechtlichen Anspruch darauf, zum Beweis zugelassen zu werden, sofern
ihr Beweisantrag rechtserhebliche Tatsachen betrifft und nach Form und Inhalt
den Vorschriften des kantonalen Prozessrechts entspricht (BGE 114 II 289 E.
2a S. 290 mit Hinweisen). Mit welchen Mitteln der Sachverhalt abzuklären und
wie das Ergebnis davon zu würdigen ist, schreibt diese Bestimmung dem Gericht
dagegen nicht vor; sie schliesst selbst eine vorweggenommene Beweiswürdigung
und Indizienbeweise nicht aus. Eine beschränkte Beweisabnahme verletzt Art. 8
ZGB daher nicht, wenn der Richter schon nach deren Ergebnis von der
Sachdarstellung einer Partei überzeugt ist, gegenteilige Behauptungen also
für unbewiesen hält. Art. 8 ZGB gibt den Parteien keinen Anspruch auf
Weiterungen eines erfolgreichen Beweisverfahrens, da diese Bestimmung stets
an den Begriff und die Folgen der Beweislosigkeit anknüpft. Daher wird die
Frage nach der Beweislastverteilung nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichts gegenstandslos, wenn die Vorinstanz aufgrund eines
Beweisverfahrens zum Ergebnis gelangt ist, bestimmte Tatsachenbehauptungen
seien bewiesen oder widerlegt (BGE 128 III 22 E. 2d S. 25; 122 III 219 E. 3c
S. 223 je mit Hinweisen).

3.3 Das Obergericht hat aus der Höhe der von der Beklagten getätigten
Investitionen sowie aus der Tatsache, dass die Beklagte das Mietverhältnis
nicht vorzeitig beendete und den Mietzins hinterlegte, geschlossen, dass
nicht wirtschaftliche Gründe zur Aufgabe des Mietobjektes führten, sondern
die fehlenden Brandschutzmassnahmen. Dieser Schluss beruht auf
Beweiswürdigung. Damit kommt eine Verletzung von Art. 8 ZGB, der an die
Beweislosigkeit anknüpft, nicht in Frage. Kritik an der Beweiswürdigung ist
im Rahmen der Berufung nicht zu hören.

3.4 Was die Untermietverträge anbelangt, hält das Obergericht zwar fest, es
sei nicht nachgewiesen, dass die Beklagte nach Bekanntwerden der
Brandschutzprobleme noch Mietverträge abgeschlossen habe. Insoweit ist
Beweislosigkeit gegeben. Das Obergericht stellt aber weiter fest, dass die
Klägerin dies auch nie behauptet habe. Diese Feststellung lässt die Klägerin
unangefochten und erhebt dagegen keine substanziierte Rüge nach Art. 63 Abs.
2 OG. Soweit im kantonalen Verfahren nicht rechtzeitig entsprechende
Behauptungen erhoben wurden, fällt auch eine Verletzung des Anspruchs auf
Beweisführung ausser Betracht.

4. Soweit die Klägerin auch in der Berufung geltend machen möchte, die
Beklagte verhalte sich rechtsmissbräuchlich und die Untermietzinse seien bei
einem allfälligen Schadenersatz zu berücksichtigen, dringt sie damit nicht
durch.

4.1 Nach den Feststellungen der Vorinstanz lösten die Untermieter die
Vertragsverhältnisse auf, so dass die Beklagte, welche schliesslich selbst
das Mietobjekt verliess, Mietzins für ein Mietobjekt zu zahlen hatte, welches
sie nicht mehr benutzte und für welches sie zumindest während einer gewissen
Zeit keinerlei Untermietzinse erhielt. Unter diesen Umständen erscheint das
Herabsetzungsbegehren jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich.

4.2 In Bezug auf die von der Beklagten erzielten Untermietzinse ist zu
beachten, dass das Obergericht die Schadenersatzansprüche der Beklagten nicht
umfassend beurteilt hat, da es nur die Frage zu beantworten hatte, ob der
Schadenersatzanspruch zusammen mit der Mietzinsreduktion mindestens den
Betrag der hinterlegten Mietzinse erreichte. Dazu stellte es auf die
voraussichtliche Amortisation der getätigten Investitionen ab. Ob dieses
Vorgehen korrekt ist, braucht nicht beurteilt zu werden. In der Berufung
setzt sich die Klägerin nämlich mit der Schadensberechnung des Obergerichts
nicht im Detail auseinander und genügt daher den Anforderungen an die
Begründung gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG nicht. Selbst wenn man auf die
Rüge eintreten wollte, würde dies für die Klägerin nicht zu einem günstigeren
Ergebnis führen. Bei der Berechnung des Schadens wäre an sich auf den
entgangenen Gewinn abzustellen sowie auf die durch den Mangel verursachten
Kosten. Gestützt auf die Behauptungen der Klägerin in der konnexen
staatsrechtlichen Beschwerde wirkt sich eine derartige Schadensberechnung
indessen nicht zu ihrem Vorteil aus. Dort führt sie aus, die Beklagte habe
durch die Untermietzinse erhebliche Einkünfte erzielt und hätte dadurch die
getätigten Investitionen bereits nach vier statt wie vom Obergericht
angenommen nach zehn Jahren amortisieren können. Hätte aber die Beklagte
derart lukrative Untermietverhältnisse abgeschlossen und ist nach der für das
Bundesgericht verbindlichen Feststellung der Vorinstanz anzunehmen, die
Beklagte hätte von ihrem Optionsrecht Gebrauch gemacht, wäre der entgangene
Gewinn noch höher ausgefallen als der vom Obergericht für die fehlende
Amortisierung eingesetzte Betrag. Folgt man den Vorbringen der Klägerin zur
Höhe der erzielten Untermietzinse, verletzt somit die Annahme der Vorinstanz,
dass der geschuldete Schadenersatz zusammen mit der gewährten
Mietzinsreduktion den Gesamtbetrag der hinterlegten Mietzinse übersteige, im
Ergebnis kein Bundesrecht.

5.
Die Berufung erweist sich insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen,
soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die
Klägerin die Gerichtskosten und hat der Beklagten eine Parteientschädigung zu
entrichten (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'500.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Berufungsverfahren
mit Fr. 7'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 4.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Januar 2005

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: