Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.325/2004
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4C.325/2004 /sza

Urteil vom 29. November 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Nyffeler,
Gerichtsschreiber Gelzer.

B. ________ AG,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Ulrich
Bürer,

gegen

A.________ AG,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Reto Marugg.

Auftrag,

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer,
vom 30. März 2004.

Sachverhalt:

A.
Die A.________ AG (nachstehend: Klägerin) hat mehrere Tochtergesellschaften.
Darunter die C.________ AG mit Sitz in W.________, welche insbesondere Kies
und Beton verkauft.
Im Sommer 2000 beauftragte die Klägerin die B.________ AG (nachstehend:
Beklagte), gemäss ihrem Angebot vom 21. Juli 2000 zu überprüfen, ob bei den
bestehenden Versicherungsverträgen der A.________-Gruppe Prämieneinsparungen
möglich sind, ohne dabei wichtige Risikodeckungen auszuschliessen. Gemäss dem
Angebot der Beklagten oblag es ihr auch, die neuen Versicherungspolicen zu
überprüfen.
In der Folge unterbreitete die Beklagte der Klägerin einen
Neuordnungsvorschlag und Marktvergleiche per 1. Januar 2001. Zudem hat die
Beklagte Versicherungen zur Offertenstellung eingeladen. Die X.________
Versicherungen (nachstehend: X.________) erstellte am 27. November 2000 eine
Offerte für die Betriebshaftpflicht- und Produkthaftpflichtversicherung,
welche die C.________ AG als mitversichertes Unternehmen erfasste, jedoch im
Gegensatz zum früheren Versicherungsvertrag keine Zusatzdeckung für
Sachschäden an den mit dem gelieferten Kies oder Beton hergestellten Sachen
aufwies. Diese Offerte wurde der Beklagten am 1. Dezember 2000 übergeben.
Neben anderen Versicherungen hat auch die Y.________-Versicherung eine
Offerte für eine Betriebshaftpflichtversicherung erstellt, welche jedoch die
genannte Zusatzdeckung aufwies. Die Beklagte liess der Klägerin diese
Offerten zukommen und empfahl, das Angebot der Y.________-Versicherung
anzunehmen.
Die Klägerin nahm in der Annahme, alle Offerten würden die bisherige
Versicherungsdeckung aufweisen, mit der X.________ direkte Verhandlungen über
die Höhe der Prämien auf. Nachdem die X.________ eine Prämienreduktion
gewährt hatte, entschied sich die Klägerin, mit ihr einen
Versicherungsvertrag abzuschliessen. Am 1. bzw. 8. März 2001 erstellte die
X.________ eine Probepolice und am 16. Mai 2001 die definitive Police für die
vom Zeit vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2003. Diese beiden Policen sind
der Beklagten nicht zugestellt worden.

Im April 2001 lieferte die C.________ AG mangelhaftes Kiesmaterial für den
Strassenbau, was Behebungskosten von Fr. 113'519.-- verursachte. Die von der
Klägerin mit der X.________ abgeschlossene Betriebshaftpflichtversicherung
deckte diesen Schaden nicht, weil das Risiko der Sachschäden an den mit
geliefertem Material hergestellten Sachen vom Versicherungsschutz
ausgeschlossen war.
Die Klägerin stellte sich auf den Standpunkt, die Beklagte sei für diesen
Schaden haftpflichtig, weil er vor der Neuordnung der Versicherungsverträge
versichert gewesen sei und es auf eine Sorgfaltspflichtverletzung der
Beklagten zurückzuführen sei, dass das entsprechende Risiko nicht in die neue
Police aufgenommen wurde.

B.
Am 4. Juli 2002 belangte die Klägerin die Beklagte vor Bezirksgericht Plessur
auf Zahlung von Fr. 113'519.-- nebst Zins zu 5 % seit 7. Juni 2002. Mit
Urteil vom 19. August 2003 hiess das Bezirksgericht die Klage gut. Zur
Begründung führte es zusammengefasst an, entgegen der Angabe der Beklagten
habe der Umstand, dass die definitive Police das strittige Risiko
ausdrücklich ausschloss, keine inhaltliche Änderung gegenüber der Offerte vom
27. November 2000 bedeutet, weil diese auf Allgemeine Vertragsbedingungen
verwiesen habe, welche dieses Risiko ebenfalls ausschlossen. Dieser
Ausschluss sei darauf zurückzuführen, dass die Beklagte ihren Auftrag
unsorgfältig ausgeführt habe, weil sie entweder verkannt habe, dass die
Klägerin ursprünglich gegen den eingetretenen Schaden versichert war oder sie
die Einladung zur Offertenstellung mangelhaft abgefasst und zur Verbesserung
nichts unternommen habe. Sodann sei die Beklagte durch die Führung der
Vertragsverhandlungen der Klägerin mit der X.________ nicht von der
Schlussprüfung entbunden worden. Etwas anderes lasse sich auch nicht aus dem
Brief der Beklagten vom 16. Dezember 2000 an die X.________ lesen. Vielmehr
habe die Beklagte darin angegeben, ihr Schlussauftrag sei, im Januar 2001 die
Prüfung der einzelnen Versicherungspolicen. Damit stehe fest, dass die
Beklagte nicht angenommen habe, sie sei von einer Schlussprüfung entbunden
gewesen. Der Beklagten müsse daher auch als Sorgfaltspflichtverletzung
angelastet werden, dass sie - obwohl sie gewusst habe, dass eine Police
abgeschlossen werden müsse - nichts unternommen habe, um zu dieser zu
gelangen, um die Schlussprüfung vorzunehmen.
Am 23. Dezember 2003 erhob die Beklagte beim Kantonsgericht Graubünden eine
Berufung mit den Anträgen, das erstinstanzliche Urteil sei aufzuheben und die
Klage sei abzuweisen. Das Kantonsgericht hiess die Berufung teilweise gut,
hob das erstinstanzliche Urteil auf und reduzierte den von der Beklagten zu
leistenden Betrag auf Fr. 75'679.35 nebst Zins zu 5 % seit 7. Juni 2002. Zur
Begründung führte das Kantonsgericht zusammengefasst an, zwar habe die
Klägerin nicht beweisen können, dass sie die Deckung des umstrittenen Risikos
ausdrücklich gewünscht habe. Gemäss dem Schreiben der Beklagten vom 27.
November 2000 sei diese Risikodeckung jedoch offensichtlich ein Thema
zwischen den Parteien gewesen. Diese hätten deshalb diesbezüglich
sensibilisiert sein müssen, zumal das fragliche Risiko durch die früheren
Versicherungsverträge gedeckt gewesen sei. Das Bezirksgericht habe daher zu
Recht angenommen, dass die Beklagte grundsätzlich dafür einstehen müsse, dass
sie die Deckungslücke in der ihr am 1. Dezember 2000 übergebenen Offerte der
X.________ Versicherungen sorgfaltswidrig und schuldhaft nicht bemerkt habe.
Insoweit könne auf die zutreffenden Gründe im angefochtenen Urteil verwiesen
werden. Bezüglich der Nachkontrolle sei der Beklagten zuzugestehen, dass sie
während der Verhandlungen der Klägerin mit der X.________, welche zum
Abschluss der Betriebshaftpflichtversicherung führten, vom Geschehen
"abgekoppelt" worden sei. Dieser Umstand hätte sie aber um so mehr
veranlassen sollen, die nachträgliche Prüfung der Police anzubieten, die
gemäss ihrer Auftragsofferte die Schlussarbeit im Rahmen ihrer
Dienstleistungen hätte bilden sollen. Insoweit sei dem Bezirksgericht darin
zuzustimmen, dass die Beklagte sich nicht darauf berufen könne, von der
Prüfung der Police ausgeschlossen worden zu sein. Allerdings treffe die
Klägerin ein Selbstverschulden, da auch sie die Police mit Blick auf den
Deckungsumfang hätte prüfen müssen. Der Ersatzanspruch sei daher in Anwendung
von Art. 43 f. in Verbindung mit Art. 99 Abs. 3 OR angemessen um einen
Drittel zu kürzen.

C.
Die Beklagte erhebt eidgenössische Berufung mit den Anträgen, das Urteil des
Kantonsgerichtes sei aufzuheben und die Klage sei abzuweisen; eventuell sei
die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht Graubünden zurückzuweisen.
Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten
werden könne.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen
Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, sofern sie nicht
offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zu Stande gekommen oder wegen fehlerhafter Rechtsanwendung
im kantonalen Verfahren zu ergänzen sind (Art. 63 Abs. 2 und 64 Abs. 2 OG).
Die Partei, welche den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt berichtigt
oder ergänzt wissen will, hat darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu
machen. Eine Ergänzung setzt zudem voraus, dass entsprechende
Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozessrechtskonform
aufgestellt worden sind, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich
gehalten oder übersehen worden sind, was wiederum näher anzugeben ist. Ohne
diese Angaben gelten Vorbringen, welche über die tatsächlichen Feststellungen
im angefochtenen Urteil hinausgehen, als unzulässige Noven (Art. 55 Abs. 1
lit. c OG). Für eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz ist
die Berufung nicht gegeben (BGE 127 III 248 E. 2c; 115 II 484 E. 2a S. 486).

1.2 Die Beklagte ist nicht zu hören, soweit sie - ohne eine der genannten
Ausnahmen von der Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz geltend zu machen - von einem Sachverhalt
ausgeht, der von diesen Feststellungen abweicht. Dies triff bezüglich der
Behauptung der Beklagten zu, ihr sei der Auftrag entzogen worden, bevor
Anträge angenommen oder Policen hätten kontrolliert werden können. Auf die
Rüge, die Vorinstanz habe diesen Auftragsentzug nicht berücksichtigt, ist
daher nicht einzutreten.

Unzulässig ist auch die Angabe der Beklagten, die Deckungslücke sei
entstanden, indem bei den Kies- und Betonwerken der Versicherungsschutz für
die Deckung von Sachschäden an den mit geliefertem Beton hergestellten Sachen
unter Gewährung eines Rabatts von 30 % ausgeschlossen worden sei. Ein solcher
Kausalzusammenhang zwischen dem Rabatt und dem Ausschluss des umstrittenen
Risikos wurde von der Vorinstanz nicht festgestellt. Vielmehr ist diese davon
ausgegangen, der Ausschluss habe gemäss den Allgemeinen Geschäftsbedingungen
bereits für die Offerte der X.________ vom 27. November 2000 gegolten.
Inwiefern die Vorinstanz insoweit Bundesrecht verletzt haben soll, legt die
Beklagte nicht dar.

2.
2.1 Die Beklagte macht sinngemäss geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht eine
Verpflichtung zur Nachkontrolle der strittigen Police bejaht. Zur Begründung
stützt sich die Beklagte zum einen auf die unzulässige Behauptung, die
Klägerin habe ihr den Auftrag entzogen. Zum anderen führt die Beklagte
sinngemäss an, da die Klägerin entgegen der Empfehlung der Beklagten begonnen
habe, ohne deren Unterstützung oder Begleitung mit der X.________ über den
Versicherungsvertrag zu verhandeln, sei die Beklagte gemäss der zutreffenden
Feststellung der Vorinstanz vom Geschehen "abgekoppelt" worden. Dies werde
dadurch bestätigt, dass der Beklagten das Resultat dieser Verhandlungen nie
vorgelegt worden sei. Unter diesen Umständen habe für die Beklagte keinerlei
Veranlassung bestanden, die Klägerin aufzufordern, ihr Policen zur
Schlussprüfung zu unterbreiten, zumal die der Beklagten ausgestellte
Vollmacht bis zum 31. Dezember 2000 befristet gewesen und die definitive
Police vom 16. Mai 2001 damit erst nach Ablauf der Vollmacht ausgestellt
worden sei.

2.2 Beruht ein Entscheid auf mehreren selbständigen Begründungen, so muss der
Berufungskläger sämtliche Begründungen anfechten, um die in Art. 55 Abs. 1
lit. c OG umschriebenen Anforderungen an eine Berufung zu erfüllen (BGE 117
II 630 E. 1b S. 631; 120 II 312 E. 2 S. 314).

2.3 Die Vorinstanz kam zum Ergebnis, die Beklagte habe ihre Sorgfaltspflicht
verletzt, indem sie die Deckungslücke in der Offerte, welche ihr die
X.________ am 1. Dezember 2000 übergab, sorgfaltswidrig und schuldhaft nicht
bemerkt habe. Damit ging die Vorinstanz davon aus, die Beklagte habe die
Klägerin bereits in diesem Zeitpunkt auf diese Deckungslücke aufmerksam
machen oder sie beheben müssen. Der weiteren Begründung der Vorinstanz, dass
die Beklagte zudem verpflichtet gewesen wäre, die Beklagte auch noch später -
d.h. im Rahmen der Prüfung der Police - auf diese Lücke hinzuweisen, kommt
damit keine selbständige Bedeutung zu. Da sich die in E. 2.1. genannte Rüge
der Beklagten alleine auf diese Zusatzbegründung bezieht, ist darauf nicht
einzutreten, weil insoweit das Erfordernis der Anfechtung aller selbständiger
Begründungen nicht erfüllt ist.

3.
Nach dem Gesagten hat die Beklagten keine zulässigen Rügen erhoben, weshalb
auf ihre Berufung nicht einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
wird die Beklagte kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und
159 Abs. 2 OG). Bei der Bemessung der Parteientschädigung wird die
Mehrwertsteuer im Rahmen des geltenden Tarifs pauschal berücksichtigt
(Beschluss der Präsidentenkonferenz vom 8. Mai 1995).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'500.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
5'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. November 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: