Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.207/2004
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4C.207/2004 /grl

Urteil vom 8. Oktober 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch, Bundesrichter Favre,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Arroyo.

A. ________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Herrn Jürg Müller und Frau
Ursula In-Albon, Fürsprecher,

gegen

B.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Herren
Dr. Georg Rauber und/oder Dr. Fritz Blumer.

Patentverletzung,

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts des
Kantons Nidwalden, Zivilabteilung, Grosse Kammer II,
vom 5. November 2003.

Sachverhalt:

A.
Die A.________ AG (Klägerin) ist Inhaberin des Patents CH 0000
"Sammelhefter". Sie gelangte am 17. Juni 2002 an das Kantonsgericht Nidwalden
und stellte folgende Anträge: es sei der B.________ AG (Beklagte) unter
Straffolge zu verbieten, Sammelhefter mit den im Begehren aufgeführten
Merkmalen, namentlich Hefter mit den Bezeichnungen X.________, Y.________ und
Z.________ in der Schweiz herzustellen, zu verkaufen usw.; die Beklagte sei
zur Auskunft über ihre Geschäfte mit entsprechenden Sammelheftern zu
verpflichten; es sei der Klägerin nach ihrer Wahl Schadenersatz oder der von
der Beklagten erzielte Gewinn zuzusprechen. Die Beklagte beantragte das
Nichteintreten, eventuell die Abweisung der Klage. Der Gerichtspräsident
beschränkte das Verfahren auf die Eintretensfrage.

B.
Mit Urteil vom 5. November 2003 trat das Kantonsgericht Nidwalden, Grosse
Kammer II, auf die Klage nicht ein. Zur Begründung führte das Gericht aus,
das klägerische Rechtsbegehren auf Unterlassung sei mangels ausreichender
Umschreibung des Verletzungsgegenstandes unzulässig. Ausserdem kam das
Gericht zum Schluss, auf die Klage sei auch wegen doppelter Rechtshängigkeit
nicht einzutreten.

C.
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil eidgenössische Berufung eingereicht mit
den Rechtsbegehren, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und das
Kantonsgericht Nidwalden anzuweisen, auf ihre Klage einzutreten; eventualiter
sei das Kantonsgericht anzuweisen, auf ihre Klage einzutreten, wobei das
Unterlassungsbegehren bei unverändertem Rest wie folgt einzuschränken sei:
"Es sei der Beklagten unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB zu
verbieten, Sammelhefter, die mit den Bezeichnungen X.________, Y.________ und
Z.________ gekennzeichnet sind, in der Schweiz herzustellen (...) ."
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten
sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Berufung ist abgesehen von hier nicht gegebenen Ausnahmen nur gegen
letztinstanzliche kantonale Endentscheide zulässig. Ein Endentscheid im Sinne
von Art. 48 OG liegt vor, wenn das kantonale Gericht über den im Streit
liegenden Anspruch materiell entschieden oder dessen Beurteilung aus einem
Grund abgelehnt hat, der endgültig verbietet, dass derselbe Anspruch nochmals
geltend gemacht wird (BGE 127 III 474 E. 1a, mit Verweisen).
Die Vorinstanz ist auf die Klage nicht eingetreten und hat somit materiell
nicht über den Anspruch entschieden. Sie hat die Beurteilung der Klage primär
mit der Begründung abgelehnt, das Begehren auf Unterlassung sei zu weit
formuliert. Sie hat insofern endgültig abgelehnt, das Begehren in der
Formulierung der Klägerin materiell zu prüfen. Den konkret eingeklagten
Unterlassungsanspruch kann die Klägerin danach so, wie sie den Antrag im
kantonalen Verfahren unterbreitet hat, nicht neuerdings geltend machen (vgl.
BGE 116 II 215 E. 2b). Soweit dies die Beklagte sinngemäss in Frage stellt,
kann ihr nicht gefolgt werden.
Die Berufung ist rechtzeitig eingereicht worden (Art. 54 Abs. 1 OG) und
erfüllt die formellen Anforderungen (Art. 55 OG). Im Übrigen ist die Berufung
in Patentsachen ohne Rücksicht auf den Streitwert zulässig (Art. 45 lit. a
OG)

2.
Mit Berufung kann geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid beruhe
auf Verletzung des Bundesrechts (Art. 43 Abs. 1 OG). Erörterungen über die
Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG in
fine). Soweit die Klägerin eine Verletzung zivilprozessualer kantonaler
Vorschriften (Art. 53 ZPO NW) rügt, ist sie nicht zu hören.

3.
Die Vorinstanz ist auf die Klage hauptsächlich mit der Begründung nicht
eingetreten, das Unterlassungsbegehren sei nicht hinreichend bestimmt
formuliert.

3.1 Die Klägerin stellte im vorinstanzlichen Verfahren folgendes
Unterlassungsbegehren:
"Es sei der Beklagten unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB zu
verbieten,
Sammelhefter, namentlich die mit den Bezeichnungen X.________, Y.________ und
Z.________ gekennzeichneten Sammelhefter, in der Schweiz herzustellen, in der
Schweiz oder von der Schweiz aus feilzuhalten, zu verkaufen oder in Verkehr
zu bringen und/oder an solchen Handlungen in irgendeiner Form mitzuwirken,
wobei diese Sammelhefter die nachstehenden Merkmale aufweisen
mehrere Anlegestationen, die im Maschinentakt angetrieben sind
die Anlegestationen sind an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage
für die darauf abgelegten Druckbogen angeordnet
die Sammelstrecke ist längs der Auflage mit Mitnehmern versehen, welche die
Druckbogen zum Heftapparat führen
parallel zur Sammelstrecke sind weitere Sammelstrecken mit Mitnehmern
vorhanden, wobei alle Sammelstrecken achssymmetrisch und drehbar um eine
Achse angeordnet sind
mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen jeweils eine der sich
nacheinander folgenden Sammelstrecken mit Druckbogen."
3.2 Anspruch 1 des Klagpatents CH 0000 lautet wie folgt:
"Sammelhefter mit Anlegestation, welche im Maschinentakt angetrieben und an
einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf abgelegten
Druckbogen angeordnet sind, welche Sammelstrecke mit längs der Auflage zu
einem Heftapparat wirksamen Mitnehmern versehen ist, dadurch gekennzeichnet,
dass parallel zur erwähnten Sammelstrecke wenigstens eine weitere
Sammelstrecke mit Mitnehmern vorhanden ist, und dass mit jedem Maschinentakt
die Anlegestationen nacheinander eine der Sammelstrecken mit einem Druckbogen
beschicken".
Der abgeleitete Anspruch 3 umschreibt einen Sammelhefter nach Anspruch 1 als
"dadurch gekennzeichnet, dass die Sammelstrecken achssymmetrisch und drehbar
um eine Achse angeordnet sind".
Die Klägerin bringt vor, von einer blossen Wiedergabe von Patentanspruch 1
könne keine Rede sein; ihr Unterlassungsbegehren enthalte - nebst dem
abweichenden Wortlaut - im Vergleich zu Patentanspruch 1 insbesondere
Typenbezeichnungen und eine zusätzliche Umschreibung der kennzeichnenden
Merkmale "Sammelstrecke mit Mitnehmern" (entsprechend Patentanspruch 3
"achssymmetrisch und drehbar um eine Achse) sowie "mit jedem Maschinentakt
... nacheinander" (präzisierend "jeweils eine der sich nacheinander folgenden
Sammelstrecken"). Die Klägerin hält dafür, sie habe bei der Formulierung
ihres Begehrens eine Kombination von konkreter und abstrakter Umschreibung
des Verletzungsgegenstandes gewählt und sei damit bewährter Lehre und
Rechtsprechung gefolgt; sie verweist unter anderem auf Blumer
(Patentverletzungsprozess, in Bertschinger/ Münch/Geiser [Hrsg.],
Schweizerisches und europäisches Patentrecht, Rz. 17.92), Diggelmann
(Unterlassungsansprüche im Immaterialgüterrecht, SJZ 1992, S. 29), Pedrazzini
(Patent- und Lizenzvertragsrecht, 2. Aufl., S. 167 f.) und Heinrich
(Kommentar PatG/EPÜ, Zürich 1998, N 72.12).

3.3 Unterlassungsklagen müssen auf das Verbot eines genau umschriebenen
Verhaltens gerichtet sein (BGE 97 II 92 S. 93, mit Hinweisen). Die
verpflichtete Partei soll erfahren, was sie nicht mehr tun darf, und die
Vollstreckungs- oder Strafbehörden müssen wissen, welche Handlungen sie zu
verhindern oder mit Strafe zu belegen haben (BGE 88 II 209 E. III/2, mit
Hinweisen). Werden diese Behörden mit der Behauptung angerufen, der Beklagte
habe eine ihm untersagte Handlung trotz des Verbots des Zivilrichters erneut
begangen, haben sie einzig zu prüfen, ob die tatsächliche Voraussetzung
erfüllt ist; dagegen haben sie das Verhalten nicht rechtlich zu qualifizieren
(BGE 84 II 450 E. 6). Wird insbesondere das Verbot patentverletzender
Handlungen beantragt, so kann die sinngemässe Aufnahme der Patentansprüche in
das Unterlassungsbegehren zwar zur Klärung des Verletzungsgegenstands
erforderlich sein, sie ist aber zur Identifizierung der zu verbietenden
Handlungen ebenso wenig ausreichend wie etwa die Angabe der Typennummer eines
Erzeugnisses (David, Der Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, SIWR Bd. I/2,
2. Aufl., S. 80). Die behauptete Verletzungs- oder Ausführungsform ist
vielmehr so zu beschreiben, dass durch blosse tatsächliche Kontrolle ohne
weiteres festgestellt werden kann, ob die verbotene Ausführung vorliegt. Denn
der Patentverletzungsprozess bezweckt die rechtskräftige Bestimmung des
Schutzbereiches des Patents in der Konfrontation zwischen dem Patent und der
behaupteten Verletzungs- oder Ausführungsform (Dolder/Faupel, Der
Schutzbereich von Patenten, 2. Aufl. Köln, S. 6 f.; Hilty, Der Schutzbereich
des Patents, Basel 1990, S. 2/109; vgl. auch Scharen, in Benkard [Hrsg.],
Europäisches Patentübereinkommen, München 2002, N 2 f./66 ff. zu Art. 69).
Dieser Zweck lässt sich nicht erreichen, wenn im Vollstreckungsverfahren
wiederum geprüft werden muss, ob die dem Patentinhaber vorbehaltene
technische Lehre benützt wird. Vielmehr ist die Verletzungsform als reale
technische Handlung durch bestimmte Merkmale so zu umschreiben, dass es
keiner Auslegung rechtlicher oder mehrdeutiger technischer Begriffe bedarf.

3.4 Der Klägerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie davon ausgeht, es könne
nicht entscheidend sein, wie konstruktive Einzelheiten bei den angegriffenen
Verletzungsformen gelöst würden, nachdem der Anspruch 1 des Streitpatentes
diese konstruktiven Einzelheiten dem Fachmann überlasse. Zwar trifft zu, dass
es für eine Verletzung genügt, wenn die entscheidenden Merkmale des
Patentanspruchs verwirklicht sind (BGE 125 III 29 E. 3b) und dass ein
Urteilsdispositiv im Lichte der Erwägungen zu verstehen ist (BGE 115 II 187
E. 3c S. 192). Ob die entscheidenden Merkmale des Patentanspruchs konkret
verwirklicht sind, bildet aber gerade Gegenstand des Verletzungsprozesses;
denn dass ein gültiges Patent als solches nicht benutzt werden darf, steht
auch ohne Prozess fest und ergibt sich bereits aus Art. 66 PatG. Gegenstand
des Verletzungsverfahrens bildet die Streitfrage, ob die angegriffene
Ausführung mit den konkret benutzten konstruktiven Einzelheiten die
technische Lehre des Patents ausführt. Das - allenfalls durch Beizug der
Erwägungen auszulegende - Urteilsdispositiv hat daher konkret darzustellen,
welche Merkmale des Verletzungsgegenstands als Ausführung der technischen
Lehre angegriffen werden (vgl. für Deutschland etwa Rogge, in Benkard
[Hrsg.], Patentgesetz, 9. Aufl. München, N 32 zu § 139 PatG). Dafür genügt
die Wiederholung der in der Patentschrift aufgeführten Merkmale nicht,
sondern es ist die Beschreibung der Verletzungsform erforderlich. Nur wenn
konkret die technischen Merkmale genannt werden, die in der angegriffenen
Ausführung das Streitpatent benützen, ist ein allfälliges Verbot
vollstreckbar. Es genügt nicht, dass die Patentansprüche etwas anders
formuliert und - ohne Bezug auf die konkrete Ausführung durch die Beklagte -
bloss wiederholt oder aus Sicht der Klägerin allgemein interpretiert werden.

3.5 Die Klägerin hat die konkreten Merkmale der angegriffenen
Verletzungsform(en) in ihrem Rechtsbegehren nicht genannt. Dass die
Unterlassungsklage nicht gegen konkrete Ausführungen der Beklagten gerichtet
ist, gesteht die Klägerin selbst zu, wenn sie die weite - abstrakte -
Formulierung des Unterlassungsbegehrens insbesondere damit begründet, dass
der weit formulierte Patentanspruch 1 auch einen weiten Schutzbereich habe.
Sie verkennt damit, dass der Verletzungsprozess nicht einer allgemeinen
Definition des Schutzbereichs des Patents dienen kann, sondern eine oder
mehrere konkrete Verletzungen zum Gegenstand hat; allein für konkret
definierte Ausführungen kann beurteilt werden, ob sie die patentierte Lehre
benützen. Wenn die Klägerin ausserdem dafür hält, es sei ohne Beweisverfahren
nicht feststellbar, dass keine patentverletzende Nachmachung vorliege, so
geht sie zu Unrecht davon aus, die Vorinstanz habe ihre Begehren materiell
beurteilt. Die Vorinstanz hat mangels hinreichender Definition der
angegriffenen Verletzung die Behandlung der Klage abgelehnt. Sie hat erkannt,
der etwas umformulierte und durch allgemein-interpretatorische oder
kennzeichnende Zusätze ergänzte Patentanspruch 1 im Rechtsbegehren der
Klägerin könne im Falle der Gutheissung nicht zum vollstreckbaren Urteil
erhoben werden und sei daher zu unbestimmt formuliert. Dadurch hat die
Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt.

3.6 An der zu unbestimmten Formulierung der Unterlassungsklage ändert auch
nichts, dass die Klägerin drei Typenbezeichnungen genannt hat, durch die sie
ihr Patent als verletzt ansieht. Durch welche technischen Merkmale diese
Typen konkret charakterisiert sein sollen, ist dem - zu allgemein
formulierten - Rechtsbegehren nicht zu entnehmen. Da Typenbezeichnungen
problemlos geändert werden können, sind sie allein grundsätzlich nicht
geeignet, die angegriffene Ausführung zu individualisieren (vgl. David,
a.a.O., S. 80 f.). Aus dem Urteil 4C.319/2001 vom 31. Januar 2002 (sic! 2002
S. 534) ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht das Gegenteil;
denn in diesem Fall war allein die Widerklage auf Nichtigkeit zu beurteilen,
ohne dass die Rechtsbegehren der Verletzungsklage in irgendeiner Weise
entscheiderheblich gewesen wären; sie mussten daher auch nicht in ihrer
vollständigen Formulierung in das Urteil aufgenommen werden. Sowohl der
Haupt- wie der Eventualantrag der Berufung sind abzuweisen. Denn zu umfassend
formulierte Begehren auf Unterlassung können nur insoweit auf das zulässige
Mass eingeschränkt werden, als sie hinreichend klar formuliert sind (BGE 107
II 82 E. 2b S. 87; vgl. auch Urteil 4C.290/2001 E. 2 vom 8. November 2002,
sic! 2002 S. 323).

4.
Die Hauptbegründung im angefochtenen Urteil erweist sich als
bundesrechtskonform. Es ist daher nicht mehr zu prüfen, ob die Klägerin eine
- teilweise - identische Klage schon in Zürich eingereicht habe und auf sie
auch aus diesem Grund nicht eingetreten werden könnte, wie die Vorinstanz
angenommen hat. Die Berufung ist abzuweisen. Diesem Verfahrensausgang
entsprechend ist die Gerichtsgebühr der Klägerin zu auferlegen (Art. 156 Abs.
1 OG). Sie hat überdies der anwaltlich vertretenen Beklagten die Parteikosten
für das vorliegende Verfahren zu ersetzen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.-- wird der Klägerin auferlegt.

3.
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit
Fr.17'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Nidwalden,
Zivilabteilung, Grosse Kammer II, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Oktober 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: