Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.157/2004
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4C.157/2004 /lma

Urteil vom 8. September 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Favre, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Schoder.

1.  Politische Gemeinde Vilters-Wangs, 7323 Wangs,
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Braun,
2.A.________,
handelnd durch ihre Eltern, und diese vertreten durch Rechtsanwalt Beat
Gsell,
Klägerinnen und Berufungsklägerinnen,

gegen

B.________ AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans-Peter
Müller.

Haftung des Werkeigentümers,

Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III.
Zivilkammer, vom 8. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
Die damals dreieinhalb Jahre alte A.________ (Klägerin 2) besuchte im April
1993 zusammen mit ihren Eltern und ihrer Grossmutter ihre in X.________
wohnhafte Tante. Während dieses Besuchs stürzte sie in den der
Zufahrtsstrasse (Y.________-Weg) entlang führenden Webereikanal und erlitt
dabei eine schwere Hirnschädigung. Die Politische Gemeinde Vilters-Wangs
(Klägerin 1) bevorschusste die Transport- und Spitalkosten.

Nach den Angaben der Klägerinnen trug sich der Unfall folgendermassen zu:
Während der Vater und die Grossmutter im Garten tätig gewesen seien, habe die
Klägerin 2 mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft, einer Erstklässlerin, auf
dem Gebäudevorplatz gespielt. Das Nachbarmädchen habe sich nach einer
gewissen Zeit unbemerkt entfernt, um die Toilette aufzusuchen. Plötzlich habe
man bemerkt, dass die Klägerin 2 verschwunden war und sich nach ihr auf die
Suche gemacht. Der Vater habe an der Böschung des Webereikanals, an der
Stelle, wo eine metallgefasste Leitung den Kanal überquere, zuerst ihr
Dreirad gefunden, das durch einen Strauch aufgehalten worden sei.
Schliesslich habe er das Kind, das kanalabwärts getrieben worden sei, aus dem
Wasser holen können. Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass der Unfall
hätte vermieden werden können, wenn die B.________ AG (Beklagte) die Strasse
und den Kanal hinreichend gesichert hätte.

B.
Am 21. September 1999 reichten die Klägerinnen beim Bezirksgericht Sargans je
eine Klage ein. Die Klägerin 1 klagte auf Bezahlung von Fr. 31'373.90 nebst
Zins, die Klägerin 2 auf Bezahlung von Fr. 46'752.60 nebst Zins unter
Vorbehalt der Nachklage für weitere Schadenersatzansprüche aus dem
Unfallereignis. Die beiden Klagen wurden vereinigt. Mit Urteil vom 12.
November 2002 wies das Bezirksgericht die Klagen ab. Das Kantonsgericht St.
Gallen wies die von den Klägerinnen erhobenen Berufungen mit Urteil vom 8.
Januar 2004 ab.

C.
Die Klägerinnen haben, unter Einreichung von zwei gleich lautenden
Rechtsschriften, eidgenössische Berufung eingelegt. Unter Erneuerung ihrer im
kantonalen Verfahren gestellten Begehren beantragen sie die Aufhebung des
Urteils des Kantonsgerichts vom 8. Januar 2004, eventualiter die Rückweisung
der Streitsache an die Vorinstanz zur weiteren Abklärung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Vorliegend ist umstritten, ob die Klägerinnen die Beklagte aus der
Werkeigentümerhaftpflicht (Art. 58 OR) in Anspruch nehmen können. Die
Vorinstanz bejahte den Werkcharakter sowohl der Zufahrtsstrasse als auch des
Webereikanals. Nach ihrer Auffassung stellt sich nicht die Frage, ob die
Werke mangelhaft unterhalten sind, sondern ob ein Werkmangel infolge
fehlerhafter Erstellung vorliegt. Die Beklagte, welche sachenrechtliche
Eigentümerin des Webereikanals und des Grundstücks sei, auf dem die
Zufahrtsstrasse liege, könne nur für einen allfälligen Erstellungsmangel des
Webereikanals belangt werden, während die Klägerin 1 als für die Anlage der
Zufahrtsstrasse verantwortliches Gemeinwesen für einen allfälligen, dort
auftretenden Werkmangel infolge fehlerhafter Erstellung einzustehen habe.

Die Vorinstanz geht davon aus, dass sich der Unfall der Klägerin 2 aufgrund
der räumlichen Konstellation der Zufahrtsstrasse und des Webereikanals
ereignete. Ob die Beklagte und die Klägerin 1 aufgrund der räumlichen
Verbindung der Werke zu einem sogenannten "kombinierten Werk" solidarisch
haftbar seien, könne hier aber offen bleiben, da ein Werkmangel zur Zeit des
Unfalls nicht bestanden habe. Ein Werkmangel durch das Nebeneinander von
Zufahrtsstrasse und Webereikanal würde nur dann vorgelegen haben, wenn sich
der Unfall trotz der bestimmungsgemässen Benützung der Zufahrtsstrasse
ereignet hätte. Die Benützung der Zufahrtsstrasse durch ein unbeaufsichtigtes
Kleinkind sei aber nicht bestimmungsgemäss. Ebenso wenig liege eine
Ausnahmesituation vor, in welcher der Werkeigentümer aufgrund der
Voraussehbarkeit der bestimmungswidrigen Benützung des Werks durch Kinder zu
haften habe. Der vorliegende Sachverhalt könne nicht mit demjenigen im vom
Bundesgericht entschiedenen "Plauschbad-Fall" (BGE 116 II 422) verglichen
werden. Weder der Webereikanal noch die Zufahrtsstrasse würden durch Wesen
und Anlage Kinder zu einem bestimmungswidrigen Gebrauch verleiten, dem mit
besonderen Sicherheitsvorkehren zu begegnen gewesen wäre. Mit
unbeaufsichtigten Kleinkindern habe die Beklagte trotz der Tatsache, dass die
Zufahrtsstrasse in einen Vorplatz eines Mehrfamilienhauses münde, jedenfalls
nicht rechnen müssen. Selbst wenn aber mit unbeaufsichtigt spielenden
Kleinkindern zu rechnen gewesen wäre und auch das Verlassen des Vorplatzes
eine voraussehbare Verhaltensweise dargestellt hätte, habe dies allein nicht
zum Unfall der Klägerin 2 geführt. Vielmehr habe die Klägerin 2 die
Zufahrtsstrasse verlassen und über das bewachsene Bord geraten müssen, damit
sich der folgenschwere Sturz in den Webereikanal ereignen konnte. Dieser
letzte Schritt gehöre keinesfalls mehr zu den Ereignissen, mit welchen die
Beklagte habe rechnen müssen.

In einer Eventualbegründung hält die Vorinstanz des Weitern dafür, dass die
Verletzung der Aufsichtspflicht des Vaters als grob beurteilt werden müsse,
weshalb die Beklagte auch aus dem Blickwinkel des kausalitätsunterbrechenden
Drittverschuldens nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnte.

Als erstes bringen die Klägerinnen vor, die Klägerin 1 könne für einen
allfälligen Mangel der Zufahrtsstrasse nicht verantwortlich gemacht werden,
da sich diese nicht auf ihrem Territorium, sondern in einer benachbarten
Gemeinde befinde. Wenn nicht die Beklagte als Grundeigentümerin für den
Werkmangel der Zufahrtsstrasse haftbar sei, dann sei es die benachbarte
Gemeinde. Sodann machen die Klägerinnen geltend, für die Frage des Vorliegens
eines Werkmangels müsse das Gefahrenpotential der Zufahrtsstrasse und des
Webereikanals als je eigenständige Werke geprüft werden, was die Vorinstanz
unterlassen habe. Insbesondere im Bereich des Vorplatzes der
Mehrfamilienhäuser könne die Benützung der Zufahrtsstrasse durch Kinder im
Vorschulalter nicht als zweckwidrig beurteilt werden. Jedenfalls sei eine
solche Benützung voraussehbar. Mit spielenden Kindern auf wenig befahrenen
Strassen in der Nähe von Mehrfamilienhäusern müsse immer gerechnet werden.
Ebenso sei für die Beklagte voraussehbar gewesen, welches Gefahrenpotential
der ungesicherte Zugang zum Webereikanal im Umfeld eines von Familien mit
Kindern bewohnten Wohnhauses mit sich bringe. Dass mit frei spielenden
Kindern im Umfeld der Mehrfamilienhäuser zu rechnen gewesen sei, zeige sich
auch daran, dass Abschrankungen gegen den Webereikanal im Zeitpunkt des
Unfalls nicht gänzlich fehlten und die Beklagte nach dem Unfall im Norden und
im Osten der Mehrfamilienhäuser zusätzliche Zäune anbrachte. Grobes
Drittverschulden der Eltern infolge vernachlässigter Beaufsichtigung der
Klägerin 2 liege nicht vor. Vielmehr treffe die Beklagte zusätzlich ein
Verschulden, weil ein Werkmangel vorlag, um den sie aufgrund früherer Unfälle
wusste resp. wissen musste. Die Beklagte hafte deshalb nicht nur als
Werkeigentümerin, sondern auch aus Verschulden.

1.1  Unter Werken im Sinne der Werkeigentümerhaftung gemäss Art. 58 Abs. 1 OR
sind Gebäude oder andere stabile, künstlich hergestellte, bauliche oder
technische Anlagen zu verstehen, die mit dem Erdboden, sei es direkt oder
indirekt, dauerhaft verbunden sind (BGE 121 III 448 E. 2a S. 449, mit
Hinweisen). Der Werkcharakter des Webereikanals ist unbestrittenermassen
gegeben (vgl. BGE 91 II 474 E. 6 S. 484; 61 II 78 E. 2 S. 79). Dasselbe gilt
für eine Zufahrtsstrasse, wie sie der Y.________-Weg darstellt (BGE 111 II 55
E. 1 S. 56; 103 II 240 E. 2a S. 242, mit Hinweisen).

1.2  Im Bereich von Strassen befinden sich häufig Anlagen verschiedener
Eigentümer. Dies bedingt eine Zuordnung der geltend gemachten Mängel zu den
betreffenden Werken und eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der
einzelnen Werkeigentümer. Die Grenzen der Werkmängelhaftung decken sich dabei
nicht notwendigerweise mit den Grenzen des sachenrechtlichen Eigentums (vgl.
BGE 121 III 448 E. 2a S. 449 f., mit Hinweisen).

Bei einer räumlichen und funktionellen Verbindung mehrerer Anlagen geht die
Lehre von einem sogenannten "kombinierten" Werk aus. Der Mangel liegt in
diesem Fall in der Kombination der einzelnen mängelfreien Werke begründet
(Brehm, Berner Kommentar, N. 21 f. zu Art. 58 OR; Schnyder, Basler Kommentar,
N. 9 zu Art. 58 OR; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht -
Besonderer Teil, Band II/1, § 19 Rz. 57 ff.; Rey, Ausservertragliches
Haftpflichtrecht, 3. Aufl., Zürich 2003, Rz. 1042 f.; Deschenaux/Tercier, La
responsabilité civile, 2. Aufl., Bern 1982, § 12 Rz. 37 f.). Lässt die
Kombination der Werke beide als mangelhaft erscheinen, sind konkurrierende
Klagen gegen beide Werkeigentümer denkbar (Brehm, a.a.O., N. 22 zu Art. 58
OR; Oftinger/Stark, a.a.O., § 19 Rz. 59; Rey, a.a.O., Rz. 1042). Die
Rechtsprechung hat eine solche Solidarhaftung allerdings nur selten
angenommen (vgl. etwa BGE 58 II 249; 56 II 90; weitere Beispiele bei Brehm,
a.a.O., N. 22). In einem unveröffentlichten Urteil 4C.101/1995 vom 26. März
1996, E. 3b, hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung vielmehr in dem Sinne
präzisiert, dass eine solidarische Haftung der Eigentümer mehrerer Werke nur
dann in Betracht kommt, wenn die behaupteten Mängel, sollten sie tatsächlich
bestehen, alle beteiligten Anlagen in ihrer Funktion berühren (vgl. in die
gleiche Richtung Oftinger/Stark, a.a.O., § 19 Rz. 58). Ausschlaggebend muss
demnach sein, welchen Anlagen die vom Geschädigten geltend gemachten Mängel
zuzuordnen sind. Ein Werk, dessen bestimmungsgemässer Gebrauch durch die
behaupteten Mängel nicht beeinträchtigt wird, kann, da nicht mangelhaft, von
vornherein keine Werkeigentümerhaftung begründen, gleichviel, ob es allein im
Raum oder mit anderen, möglicherweise mangelhaften Werken in räumlicher und
funktioneller Beziehung steht (vgl. BGE 79 II 75 E. 1 S. 78 f.; anders noch
BGE 59 II 166 S. 169).

Vorliegend behaupten die Klägerinnen, der Webereikanal sei mangelhaft
gewesen, weil zwischen ihm und der Zufahrtsstrasse keine Abschrankung
angebracht worden sei. Nach dem Gesagten kann dieser allfällige Mangel dem
Webereikanal aber nicht zugeordnet werden. Der Zweck des Webereikanals
besteht einzig und allein darin, der Weberei das zu ihrem Betrieb
erforderliche Wasser zuzuführen. Die Erfüllung dieses Zwecks wird durch das
Fehlen einer Abschrankung zwischen dem Webereikanal und der Zufahrtsstrasse
in keiner Weise berührt. Unter der Voraussetzung, dass eine Abschrankung
zwischen Zufahrtsstrasse und Webereikanal hätte angebracht werden sollen,
lässt die fehlende Abschrankung deshalb lediglich die Zufahrtsstrasse als
mangelhaft erscheinen. Zu prüfen ist als nächstes, ob die Zufahrtsstrasse
tatsächlich mangelhaft war.

1.3  Nach Art. 58 Abs. 1 OR haftet der Werkeigentümer für den Schaden, der
durch fehlerhafte Anlage oder Herstellung oder durch mangelhaften Unterhalt
des Werks verursacht wird. Ob ein Werk fehlerhaft angelegt oder mangelhaft
unterhalten ist, hängt vom Zweck ab, den es zu erfüllen hat. Ein Werkmangel
liegt vor, wenn das Werk beim bestimmungsgemässen Gebrauch keine genügende
Sicherheit bietet (BGE 126 III 113 E. 2a/cc S. 116; 123 III 306 E. 3b/aa S.
310 f., je mit Hinweisen; Brehm, a.a.O., N. 65 f. zu Art. 58 OR; Schnyder,
a.a.O., N. 13 zu Art. 58 OR; Oftinger/Stark, a.a.O., § 19 Rz. 73; Rey,
a.a.O., Rz. 1058; Werro, Commentaire romand, N. 16 zu Art. 58 OR; Keller,
Haftpflicht im Privatrecht, Band I, 6. Aufl., Bern 2002, S. 202 f.). Als
Grundsatz gilt somit, dass das Werk einem bestimmungswidrigen Gebrauch nicht
gewachsen zu sein braucht.

Eine Schranke der Sicherungspflicht bildet die Selbstverantwortung.
Vorzubeugen hat der Werkeigentümer nicht jeder erdenklichen Gefahr (BGE 123
III 306 E. 3b/aa S. 311). Er darf Risiken ausser Acht lassen, welche von den
Benützern des Werks oder von Personen, die mit dem Werk in Berührung kommen,
mit einem Mindestmass an Vorsicht vermieden werden können (BGE 126 III 113 E.
2a/cc S. 116; 117 II 399 E. 2 S. 400, je mit Hinweisen). Ein ausgefallenes,
unwahrscheinliches Verhalten muss nicht einberechnet werden (Brehm, a.a.O.,
N. 85 zu Art. 58 OR; Werro, N. 16 zu Art. 58 OR; Oftinger/Stark, a.a.O., § 19
Rz. 74; Rey, a.a.O., Rz. 1058; Keller, a.a.O., S. 205 f.; Deschenaux/
Tercier, a.a.O., Rz. 49).
Eine weitere Schranke der Sicherungspflicht bildet die Zumutbarkeit. Zu
berücksichtigen ist, ob die Beseitigung allfälliger Mängel oder das Anbringen
von Sicherheitsvorrichtungen technisch möglich ist und die entsprechenden
Kosten in einem vernünftigen Verhältnis zum Schutzinteresse der Benützer und
dem Zweck des Werks stehen (BGE 126 III 113 E. 2a/cc S. 116; 123 III 306 E.
3b/aa S. 311, je mit Hinweisen). Dem Werkeigentümer sind Aufwendungen nicht
zuzumuten, die in keinem Verhältnis zur Zweckbestimmung des Werks stehen
(Brehm, a.a.O., N. 58 zu Art. 58 OR; Schnyder, a.a.O., N. 16 zu Art. 58 OR;
Werro, a.a.O., N. 18 zu Art. 58 OR; Oftinger/Stark, a.a.O., § 19 Rz. 78; Rey,
a.a.O., Rz. 1063; Keller, a.a.O., S. 203 ff.; Deschenaux/ Tercier, a.a.O.,
Rz. 49).

1.4  Strassen müssen wie alle anderen Werke so angelegt und unterhalten sein,
dass sie den Benützern hinreichende Sicherheit bieten. Im Vergleich zu
anderen Werken dürfen bezüglich Anlage und Unterhalt von Strassen aber nicht
allzu strenge Anforderungen gestellt werden. Das Strassennetz kann nicht in
gleichem Mass unterhalten werden wie zum Beispiel ein einzelnes Gebäude (BGE
102 II 343 E. 1c S. 346; Brehm, a.a.O., N. 187 zu Art. 58 OR; Kuttler, Zur
privatrechtlichen Haftung des Gemeinwesens als Werk- und Grundeigentümer, in:
ZSGV 1976, S. 425).

Es kann vom Strasseneigentümer, bei dem es sich meistens um das Gemeinwesen
handelt, nicht erwartet werden, jede Strasse so auszugestalten, dass sie den
grösstmöglichen Grad an Verkehrssicherheit bietet. Es genügt, dass die
Strasse bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt ohne Gefahr benützt werden kann.
In erster Linie ist es deshalb Sache des einzelnen Verkehrsteilnehmers, die
Strasse mit Vorsicht zu benützen und sein Verhalten den Strassenverhältnissen
anzupassen (BGE 129 III 65 E. 1.1 S. 67; 108 II 184 E. 1b S. 186; 102 II 343
E. 1c S. 346; Brehm, a.a.O., N. 173 zu Art. 58 OR; Werro, a.a.O., N. 34 zu
Art. 58 OR; Rey, a.a.O., Rz. 1088). Dadurch wird das vom Strasseneigentümer
zu vertretende Sorgfaltsmass herabgesetzt (Oftinger/Stark, a.a.O., § 19 Rz.
111).

Sodann muss in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob der Strasseneigentümer
nach den zeitlichen, technischen und finanziellen Gegebenheiten in der Lage
war, seine Aufgabe zu erfüllen (BGE 129 III 65 E. 1.1 S. 67; 102 II 343 E. 1c
S. 346; Brehm, a.a.O., N. 173 zu Art. 58 OR; Oftinger/Stark, a.a.O., § 19 Rz.
111; Schnyder, a.a.O., N. 23 zu Art. 58 OR; Werro, a.a.O., N. 36 zu Art. 58
OR). Die Frage der Zumutbarkeit von Sicherheitsvorkehren wird zudem
unterschiedlich beurteilt, je nachdem, ob es sich um eine Autobahn, eine
verkehrsreiche Hauptstrasse oder einen Feldweg handelt (BGE 129 III 65 E. 1.1
S. 67; 102 II 343 E. 1c S. 345 f.; ferner BGE 108 II 184 E. 1b S. 186; Brehm,
a.a.O., N. 170 zu Art. 58 OR).

Bestehen verwaltungsrechtliche Vorschriften über Anlage und Unterhalt von
Strassen, bedeutet deren Verletzung in der Regel einen Werkmangel im Sinne
von Art. 58 OR (BGE 102 II 343 E. 1a S. 344 f; Brehm, a.a.O., N. 193 zu Art.
58 OR; Kuttler, a.a.O., S. 427). Umgekehrt kann die Befolgung solcher
Vorschriften nur ein Indiz für die Einhaltung der erforderlichen
Sorgfaltspflicht darstellen und schliesst einen Werkmangel nicht von
vornherein aus (Brehm, a.a.O., N. 194 zu Art. 58 OR; Oftinger/Stark, a.a.O.,
§ 19 Rz. 150).

1.5  Der Grundsatz, dass der Werkeigentümer nur für den bestimmungsgemässen
Gebrauch seines Werks haftet, gilt nicht uneingeschränkt. Ausnahmsweise
bejahen Lehre und Rechtsprechung die Haftung des Werkeigentümers selbst bei
einem zweckwidrigen Verhalten bestimmter Personengruppen, insbesondere von
Kindern.

Zu denken ist erstens an Werke, bei denen aufgrund ihrer Beschaffenheit
augenfällig ist, dass Unvernunft und Unvorsicht zu schweren Schädigungen
führen können (vgl. BGE 117 II 50 E. 2b S. 54; Bundesgerichtsurteil
4C.36/1997 vom 15. Juli 1997, E. 2a). In BGE 60 II 218, in dem eine dem
Publikum frei zugängliche Seilbahn zu beurteilen war, bejahte das
Bundesgericht die Haftung des Eigentümers infolge eines Unfalls eines
vierjährigen Knaben, dessen rechte Hand in die offene Seilrolle geriet, als
er sich zufällig in der Nähe der Seilbahn aufhielt und im Spiel ein Stück
Papier auf die offenen Seile legte. Der Sockel der Seilbahn war nicht erhöht,
weshalb die ungeschützte Seilrolle von Kindern jeglichen Alters, selbst den
kleinsten, berührt werden konnte. Dem Eigentümer der Seilbahn half es nicht,
dass die Seilbahn nach den Regeln der Technik erbaut und installiert war und
ihrem Zweck entsprechend funktionierte. Das Bundesgericht erachtete das
Unfallereignis nach den örtlichen Verhältnissen und der allgemeinen
Lebenserfahrung als vorhersehbar und das Anbringen von Schutzvorkehren weder
als kostspielig noch technisch schwierig, somit als zumutbar.
Eine weitere Gefahrenquelle stellen Werke dar, welche Kinder zu einer
bestimmungswidrigen Benützung verleiten. In BGE 116 II 422, dem
"Plauschbad-Fall", stand ein Wellenbad zur Diskussion, in das ein
fünfzehnjähriger Jugendlicher aus 1,3 m Höhe an einer bloss 1,6 m tiefen
Stelle kopfvoran hineinsprang und sich eine Querschnittlähmung zuzog. Das
Bundesgericht bejahte die Haftung des Werkeigentümers mit der Begründung,
dass Konzeption und Zweckbestimmung des Wellenbades, der angesprochene Kreis
der Benützer und das von einem Teil dieser Benützer zu erwartende
unvernünftige Verhalten einen gefährlichen Zustand schaffen. Im zur
Publikation bestimmten Urteil 5C.39/2004 vom 8. Juli 2004 verneinte das
Bundesgericht dagegen eine Pflicht des Eigentümers einer von Kindern
benutzbaren Sommerrodelbahn, zusätzliche Sicherungsvorkehren gegen
Auffahrtskollisionen beim Auslaufen der Rodel anzubringen, da die
Bremsvorrichtungen der Rodel leicht zu bedienen sind und die Rodelbahn daher
bei minimaler Aufmerksamkeit, welche selbst von Kindern im Primarschulalter
erwartet werden darf, ohne Gefährdung anderer befahren werden kann. In BGE 72
II 198 betreffend die Pflicht des Strasseneigentümers zum Sanden, um das
vorschriftswidrige Schlitteln zu verunmöglichen, verneinte das Bundesgericht
die Werkeigentümerhaftung mit der Begründung, dass das Unbenutzbarmachen der
Strasse gegen einen verbotenen Gebrauch nicht zum mangelfreien Unterhalt
gehört (kritisch dazu allerdings Keller, a.a.O., S. 202, da die Strasse so
angelegt war, dass sie Kinder zum Schlitteln verleitete).

1.6  Aus der dargestellten Rechtsprechung ergeben sich die folgenden
Grundsätze zur Werkeigentümerhaftung bei Kinderunfällen:

Der Werkeigentümer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass Kinder sich
gemäss der ihrem Alter entsprechenden, durchschnittlichen Vernunft verhalten.
Kinder, die in Bezug auf die Benützung eines bestimmten Werks nicht über die
erforderliche Vernunft verfügen, gehören unter Aufsicht. Dies muss
insbesondere für den Strassenverkehr gelten, da das Strassennetz nicht eine
für jeden Verkehrsteilnehmer optimale Sicherheit zu gewährleisten braucht.
Der Strasseneigentümer darf darauf vertrauen, dass nur verkehrsgeschulte
Kinder sich unbegleitet im Strassenverkehr aufhalten.

Ausnahmsweise hat der Werkeigentümer jedoch besondere Sicherheitsvorkehren
zur Verhinderung zweckwidrigen Verhaltens durch Kinder zu treffen, wenn das
Werk aufgrund seiner Beschaffenheit besondere Risiken in sich birgt, welche
bei fehlender Vernunft und Vorsicht zu schweren Schädigungen führen, oder
wenn das Werk aufgrund seiner besonderen Zweckbestimmung Kinder zu einer
bestimmungswidrigen Benützung verleitet. Voraussetzung der Haftbarkeit des
Werkeigentümers ist aber in jedem Fall, dass das zweckwidrige Verhalten
voraussehbar ist und zumutbare Massnahmen getroffen werden können, damit eine
zweckwidrige Verwendung nicht erfolgt. Gegen ein ausgefallenes Verhalten muss
der Werkeigentümer selbst bei Kindern keine Vorkehren unternehmen. Diese die
genannten Ausnahmesituationen betreffenden Regeln der Werkeigentümerhaftung
bei bestimmungswidriger Benützung des Werks durch Kinder sind in der Lehre
anerkannt (Keller, a.a.O., S. 202 f.; Brehm, a.a.O., N. 65 zu Art. 58 OR;
Rey, a.a.O., Rz. 1074 ff.; Kuttler, a.a.O., S. 423).

2.
2.1 Nach den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil ist davon
auszugehen, dass sich der Unfall an derjenigen Stelle des Webereikanals
zugetragen hatte, wo der Vater der Klägerin 2 das in der Böschung hängende
Dreirad auffand. Wie die Vorinstanz festhielt, befand sich die Unfallstelle
nicht im Bereich des Vorplatzes des Mehrfamilienhauses, sondern auf der
Zufahrtsstrasse.

Die Zufahrtsstrasse dient der Erschliessung der Mehrfamilienhäuser. Sie steht
dem allgemeinen Motorfahrzeugverkehr nicht offen. Die Zufahrtsstrasse und der
Webereikanal werden auf der ganzen Länge durch ein mit Gras und
naturwüchsiger Wiesenvegetation überwachsenes Bord voneinander getrennt. Die
Verhältnisse sind übersichtlich, so dass sich Fussgänger und Fahrzeuge
gefahrlos kreuzen können. Die Vorinstanz schliesst daraus, dass ein
durchschnittlich aufmerksamer Strassenbenützer durch das Nebeneinander von
Zufahrtsstrasse und Webereikanal nicht gefährdet sei. Die kantonalen und
kommunalen Gesetze über den Strassenunterhalt schreiben nicht generell eine
Pflicht vor, Strassen gegen Gewässer abzuschranken, weshalb das Fehlen einer
Abschrankung in casu nicht als Indiz einer Sorgfaltspflichtverletzung im
Sinne von Art. 58 Abs. 1 OR gewertet werden kann.

Der Unfall der Klägerin 2 ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als diese
unbeaufsichtigt mit ihrem Dreirad umherfuhr. Das Befahren einer Strasse durch
Kinder ist an und für sich nichts Aussergewöhnliches. Jedoch trifft dies nur
auf Kinder zu, die über die erforderliche Urteilsfähigkeit verfügen, um die
Gefahren des Strassenverkehrs zu erkennen. Dies muss selbst für eine dem
allgemeinen Motorfahrzeugverkehr nicht offen stehende Zufahrtsstrasse gelten.
Auch dort muss ein Kind der Gefahr eines herannahenden Fahrzeugs gewachsen
sein und sich den örtlichen Gegebenheiten entsprechend verhalten können, ehe
ihm die Eltern erlauben, sich dort unbegleitet aufzuhalten. Bei einem
dreieinhalbjährigen Kleinkind ist auszuschliessen, dass es bereits über die
hierzu erforderliche Urteilsfähigkeit verfügt. Das Befahren der
Zufahrtsstrasse durch ein unbeaufsichtigtes dreieinhalbjähriges Kind gehört
deshalb nicht zur bestimmungsgemässen Benützung der Zufahrtsstrasse.

Die Vorinstanz hat somit kein Bundesrecht verletzt, wenn sie davon ausging,
dass die Zufahrtsstrasse für den üblichen Gebrauch tauglich war und insoweit
kein Werkmangel im Sinne von Art. 58 Abs. 1 OR gegeben war.

2.2  Zu prüfen bleibt, ob eine Ausnahmesituation vorlag, welche die
Werkeigentümerhaftung trotz bestimmungswidrigem Gebrauch der Zufahrtsstrasse
auslöst.

2.2.1  Die Frage, ob die Zufahrtsstrasse, da nur wenig befahren, Kinder zu
einem übermütigen Verhalten, zum Beispiel zu einem übermütigen Gebrauch von
Fahrrädern oder Rollbrettern, verleitet, steht hier nicht zur Diskussion.
Damit ein Kind zu einem übermütigen Tun überhaupt verleitet werden kann, muss
es über ein gewisses Gefahrenbewusstsein verfügen. Ein solches zu entwickeln
ist ein dreieinhalbjähriges Kind gerade nicht in der Lage. Ein Kleinkind
benutzt eine Strasse, ohne zwischen einer gefährlichen und einer nicht
gefährlichen Strasse unterscheiden zu können. Das Verleiten eines Kleinkindes
ist daher von vornherein nicht möglich.

2.2.2  Es stellt sich somit einzig die Frage, ob aufgrund der räumlichen
Konstellation der Zufahrtsstrasse damit gerechnet werden musste, dass ein
dreieinhalbjähriges Kind infolge fehlender Abschrankungen in den Webereikanal
fallen könnte und ob die zu treffenden Sicherheitsvorkehren zumutbar sind.
Die Klägerinnen machen geltend, dass mit spielenden Kindern im Bereich des
Vorplatzes eines Mehrfamilienhauses immer gerechnet werden müsse. An sich ist
nicht von der Hand zu weisen, dass Vorplätze zu Mehrfamilienhäusern von den
anwohnenden Kindern als Spielplatz genutzt werden. Ebenso wenig ist
auszuschliessen, dass Kinder den Vorplatz verlassen und ihren
Aufenthaltsbereich auf die Zufahrtsstrasse ausdehnen. Jedoch dürfte es sich
dabei kaum um unbeaufsichtigte Kleinkinder handeln. Im Gegenteil darf
grundsätzlich darauf vertraut werden, dass Kleinkinder von ihren Eltern resp.
einer von den Eltern beauftragten Person beim Spiel im Freien überwacht
werden. Dass der Unfall bei gehöriger Aufsicht vermieden worden wäre, stellen
auch die Klägerinnen nicht in Abrede.
Davon abgesehen entfällt die Haftung auch unter dem Blickwinkel der
Zumutbarkeit. Wie jede andere Strasse gehören auch Zufahrtsstrassen in der
Regel zu einem ganzen Strassennetz des Gemeinwesens, von dem nicht erwartet
werden kann, dass es an jeder Stelle Zäune und andere Abschrankungen
aufweist, wo es an einem offenen Gewässer vorbeiführt. Ansonsten müssten bei
unzähligen, in der näheren Umgebung von Wohnhäusern gelegenen Uferanlagen und
Seepromenaden Abschrankungen angebracht werden, wenn auch an solchen Stellen
mit Unfällen der vorliegenden Art gerechnet werden müsste. Eine derart weit
gehende Sicherungspflicht sprengt aber den Rahmen des Zumutbaren.

Die Vorinstanz hat deshalb kein Bundesrecht verletzt, indem sie erkannte,
dass die Voraussetzungen der Werkeigentümerhaftung nicht erfüllt sind. Ob der
Sachverhalt anders zu beurteilen wäre, wenn sich der Unfall auf dem Vorplatz
ereignet hätte, kann hier offen bleiben.

2.3  Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Zufahrtsstrasse nicht mit
einem Werkmangel behaftet war und auch keine Ausnahmesituation vorlag, welche
zur Werkeigentümerhaftung trotz Mängelfreiheit des Werks geführt hätte. Es
erübrigt sich daher zu prüfen, ob die Beklagte Haftungssubjekt ist und ob,
was die Vorinstanz in der Eventualbegründung ebenfalls verneinte, ein
kausalitätsunterbrechendes Drittverschulden vorliegt.

3.
Die Berufungen erweisen sich als unbegründet und sind daher abzuweisen.
Ausgangsgemäss werden die Klägerinnen unter solidarischer Haftbarkeit kosten-
und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 7, Art. 159 Abs. 1, 2 und 5
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufungen werden abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird den Klägerinnen unter solidarischer
Haftbarkeit auferlegt.

3.
Die Klägerinnen haben die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren unter
solidarischer Haftbarkeit mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. September 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: